Vom römischen Karneval

Textdaten
<<< >>>
Autor: Woldemar Kaden
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vom römischen Karneval
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 90–91
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[90]
Vom römischen Karneval.
Von Woldemar Kaden. Mit Zeichnungen von P. Bauer.


 „Lieblich ist’s, schwärmen zu seiner Zeit.“
 Horaz.

Eine wilde Musik zieht unter meinen Fenstern vorbei die Straße entlang. Schreien und Jauchzen der Kinder mischt sich mit dem Klange der Pauke, der Trommeln und Trompeten. In dem Garten drüben glühen aus dunklem Laube die goldenen Früchte; ein blauer klarer Februarhimmel liegt über den Dächern der „ewigen Stadt“. Die Erinnerungen, in Gestalten, in Gruppen und Bildern, ziehen an meinem Auge vorüber und dieses fällt auf ein paar alte Münzen, die der Zufall mir auf meinen Schreibtisch gestreut hat.

„Es war einmal ...“

Es liegt da ein römisches Bajoccostück aus dem Jahre 1787, eine abgegriffene, fast schwarze Kupfermünze. Sie trägt die Umschrift: „Pius VI, Pont. Max. A. XIII.“ d. h. „Papst Pius VI. hat sie geschlagen im 13. Jahre seines Pontifikats.“ Ueber dem päpstlichen Wappenschilde kreuzt sich ein stattlich Schlüsselpaar, schwebt in unangetasteter Hoheit die uralte Tiara ...

1787! Ist das nicht das reiche, das wirkliche Glücks- und Jubeljahr unseres großen Poeten, sein italienisches Jahr? Wohl, 1787 war Goethe in Rom, dort erlebte er den lustigen Karneval. So hätte dieser Bajocco in Gesellschaft von den damals im Kirchenstaat üblichen, heute verschollenen Münzsorten der Rusponi, Zecchini, Laternini und Paoli vielleicht schon in Goethes Tasche geklimpert, da er inmitten der ausgelassenen Maskenwelt schauend, genießend den Korso hinabschritt und abends den vom „18. Febr. 1787“ datirten Brief in die Heimath mit dem Zusatz versah: „Abends, nach verklungener Karnevals-Thorheit.“

Verklungen! Goethe hatte mit prophetischem Geiste gesprochen.

Da liegt neben dem ersten ein anderes, ebenso historisch gefärbtes, etwas zerschnittenes oder zerhacktes Doppel-Bajoccostück. Es ist elf Jahre jünger, hat aber ganz andere Dinge erlebt: es führt die ernste Jahreszahl 1798!

An Stelle des Papstwappens stehen die antiken bedrohlichen Fasces, die Ruthenbündel; vor diesen kreuzen sich ebenso bedrohlich trotzig zwei Beile; die Tiara hat sich in die Jakobinermütze verwandelt, und inmitten eines Strahlenkranzes läuft rundum die stolze Legende: REPUBLICA ROMANA!

Diese römische Republik lag noch in der Wiege und war eben erst gewickelt, d. h. am 15. Februar des genannten Jahres gegründet worden. Im Februar, also mitten im Karneval, und ihr zweites Opfer – das erste war der französische Gesandte Duphot gewesen, der am 28. Dezember 1797 bei einem Aufstandsversuch der römischen Republikaner im Getümmel umkam – ward der arme Prinz Karneval; er erhielt in jenem Jahre, wo die Göttin Vernunft auf den Thron kam, den Todesstreich.

Unsere Zeit aber steht wie einst Hamlet auf dem römischen Todtenacker. Der alte Todtengräber hat eben einen Schädel aufgeworfen und spricht: ... „Dieser Schädel da war des Karnevals Schädel, des Königs der Spaßmacher.“

Hamlet betrachtet ihn ernsthaft: „Ach armer Karneval! Ich kannte ihn, ein Bursche von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen ... Wo sind nun deine Schwänke? deine Sprünge? deine Lieder, deine Blitze voll Lustigkeit, wobei die ganze Welt in Lachen ausbrach? Alles weggeschrumpft!“

Und wieviel ist das, was wegschrumpfte! Denn die Dynastie ist alt. Es war schon Papst Paul II., der den jungen Ritter Karneval um 1467 aus dem Labyrinth des Mittelalters an seinen Hof zog. Auf den lustiggrünen Volkswiesen am Fuße des Monte Testaccio, in dessen Grotten die römischen Weine lagerten, hatte er bis dahin sein Wesen getrieben, aber jener Papst lockte ihn in das Innere der Heiligen Stadt, um ihm und seinem landstreichenden Gefolge die Via Lata zu den „Corse“, den Pferdewettläufen, anzuweisen, so daß diese Straße davon den noch heute geltenden Namen des „Corso“ bekam.

Ueber vierhundert Jahre sind seit jenem ersten Karneval vergangen.

Auf der Piazza Venezia versammelte damals sich der Nobilissimo convito papale. Senatus populusque Romanus, Roms Volk und Senat, um von ihren mit farbigen Tüchern behangenen Balkonen aus dem Eintreffen der „Barberi“ zuzusehen, den wettlaufenden Juden, Jünglingen, Greisen, Büffeln und Eseln; denn die „Corse“ der Zweifüßler waren damals so beliebt wie die später allein übriggebliebenen der Vierfüßler, der Pferde.

Bis zur Tollheit und Verrücktheit muß damals wohl die Karnevalsfreude ausgeartet sein, so daß selbst die Türken darob verwundert die Köpfe geschüttelt haben. Einer derselben, der um 1550, als Julius III. zu regieren anfing, dem römischen Karneval beiwohnte, erzählte nach der Heimkehr seinem Herrn, wie zu einer gewissen Zeit des Jahres die Christen auf einmal verrückt werden und erst wieder zur Vernunft zurückkehren und genesen durch Kraft eines grauen Pulvers, das man ihnen in den Kirchen auf den Kopf streut.

Das ist die Segenswirkung der Aschermittwochsasche.

Was schwärmte damals, und zu Goethes Zeit noch immer, nicht alles an Masken durch die Straßen der Ewigen Stadt! Mit den Paoli, Scudi und Bajocchi sind sie verweht, der lustige Arlecchino und Pulcinella, der bergespaltende Capitan Spavento, Peppe Nappa, Tabarrino, Tartaglia, Meo Patacca, Pantalone, Florindo und Meneghino, Stentorella und Scaramuccia, Ruzzante und Scapino!

Ihre Namen liest das heutige Geschlecht wie die studirende Jugend die Namen jener Helden der Odyssee und Ilias.

Die alten Götter sind gegangen. Nur ihre Hüllen ließen sie für die Kostümkunde zurück. Der ganze lustige Spukstaat des Prinzen Karneval, seine Masken und Trachten, seine Schellen [91] und Schuhe hängen neben den vertrockneten Kränzen und Blumen, die ihm muntere Schönen dereinst von den Balkonen zuwarfen.

Blumenkorso.

In dieser Rüstkammer vergangener Humore und lustiger Kriege stehen wir klugen Kinder der jüngsten Zeit in schwarzem Frack, die weiße Kravatte um den schnürenden Stehkragen geschlungen, den Cylinderhut auf dem glatt gescheitelten Haar, schauen die alte römische Herrlichkeit mit historischem Interesse an und machen ein gar ernstes Gesicht.

Ein von russisch-französisch-bulgarischer Politik, von schweren modernen Amtssorgen und Bureauarbeiten, von zweifelhaften Spekulationen, ostafrikanischen Kolonialbestrebungen, Sozialismus und Spiritismus beschwerter Geist hat weder Lust noch Schwung, seinem frühzeitig ergrauten oder entlaubten Haupte die Narrenkappe aufzusetzen oder mit Narren lustig zu sein.

Ist es überhaupt nicht eine Anmaßung kühnster Art, wenn eine Schar vergnügungsbedürftiger Lebemänner für eine bestimmte Zeit des Jahres die Herrschaft an sich reißt und einer ganzen großen ernsten Stadt befiehlt: „Jetzt lacht ’mal vierzehn Tage lang!“

Das gelingt nicht, und so läßt man auch hier den Schein walten, kauft sich eine grinsend lachende Maske, und niemand sieht, wie ernst das Gesicht dahinter ist.

Wir sind Fremde, wir sind in Rom; auch an uns ist das Gebot des Karnevalsausschusses ergangen: wir müssen lustig sein, die Stadt der großen karnevalesken Erinnerungen, das Gedächtniß an Goethe, unser poetisches Gewissen zwingt uns dazu. Gut denn! gehen wir und kaufen uns in einer römischen Osteria ein, zwei, drei Liter weißer oder rother Lustigkeit, oder eine Flasche schäumender Narrheit. Vorwärts! Es giebt noch verräucherte Osterien alten Stils, und wenn du, o Schwärmer, nicht klassisch genug gestimmt bist, so kaufe dir die theure Thorheit bei Nazzarri, bei Spillmann oder Morteo u. Komp.

Und nun fangen wir an, auf dem menschenwimmelnden Korso mit den andern zu springen; dabei fallen die Alltagsschlacken ab, unsere Seele wird blank. Wir stülpen die Narrenkappe aufs Haupt, kaufen einen Riesenveilchenstrauß vor die Brust, eine Klapper, eine Trompete in die Hand und stürzen kopfüber, nicht zögernd wie ein badender Weichling, ins wogende Meer der Lust, wo es am tiefsten ist, daß die Wellen über uns zusammenschlagen.

Jetzt kennt dich in der Welt niemand mehr; du kannst jetzt treiben, was du willst. Abenteuer willst du? Sieh! – da oben auf dem buntbeteppichten Balkone steht Frau Aventiure selbst mit den schwarzen Römeraugen, dem dunklen Haar, den blitzenden Zähnen, dem sonnigen Lächeln. Sie ist nicht allein, alle ihre Schwestern und Basen sind dabei, ihr ganzes reizend schönes Gefolge. Sie haben die Arme hoch über das Haupt zum Wurfe erhoben: eine volle Ladung trifft dein staunendes Gesicht; heute „Coriandoli“, jene feinen stechenden, stäubenden Gipskügelchen, deren Aufschlagen, wenn du in ein Kreuzfeuer geräthst, dich bald in einen „armen weißen Mann“ verwandelt haben wird. Auch von den tüchtige Munition mit sich führenden Wagen trifft es den Straßenwandler hart. Heute also Coriandoli, morgen, am Tage des „Blumenkorso“, Blumen, einzeln, eine Kamelie, eine Rose, vielleicht verheißungsvoll, oder zu Sträußchen und Riesenbouquets gebunden, für den Kranz der Damen auf den Altanen bestimmt. Die Blumen aber sind theuer, dem Manne, dem Burschen aus dem Volke und der lieben Schul- und Straßenjugend sind sie zu theuer, und sie verwandeln den Blumenkorso für ihre Zwecke trotz polizeilichen Verbotes in einen Grünwaren- und Gemüsekorso, auf dem Kraut und Rüben den Gruß bilden, der den unglücklichen Cylindern vor allen, sonst aber jedem anständigen Hute gilt.

Heutzutage artet leider, wie überall, auch in Rom die einst so anständige Freude auf der Straße leicht in Rohheit aus, und die Sicherheitswachmänner, die an Stelle der antiken Aedilen getreten sind, haben der Plebs gegenüber einen schweren Stand.

So flüchtet sich heute das Hauptvergnügen in das Innere der Häuser und Adelspaläste, wo man prächtige Bälle veranstaltet, oder in die Theater, wo man sich der durch auserwählte Karnevalskräfte dargestellten Opern, Operetten und Dramen erfreut oder bei einem öffentlichen Maskenball selbst Vorstellungen giebt.

Und an Theatern fehlt es nicht, sie sind neben den Kirchen wie Pilze aufgeschossen: Manzoni, Costanzi, Umberto, einst als Corea bekannt, Argentina, Capranica, Valle, Valletto, Politeama etc.

Bei einem solchen Theaterball ist das Treiben ganz modern; man mag sich nach Berlin oder Wien oder Paris versetzt wähnen, nur daß hier die Schöne, der du die Einladung machst, mit einem orangensüßen „Sissignore“ antwortet.

Wer aber wissen will, wie der römische Karneval war, der schlage seinen Goethe auf: Licht, Glanz, buntes Farbengewirr, seidene Fahnen und Teppiche, Jubelgeschrei, schellenbehangene Barberi, buntgeschmückte Karren und Wagen mit originellen Masken, die Luft erfüllt mit Blumen, Liebe, sorgloser Freude ...

Alles weggeschrumpft!“[1]



  1. Anmerkung der Redaktion. Der Artikel ist geschrieben auf Grund der Karnevalsfeste, welche der seit langer Zeit in Italien lebende Verfasser in den letztvergangenen Jahren kennenlernte. Neuerdings hat sich in Rom eine Gesellschaft gebildet, die eine Wiederbelebung des richtigen alten Karnevals in allem „Ernste“ in Angriff nehmen will. Vielleicht daß es ihr doch gelingt, ein Stück des alten Glanzes wieder zurückzuerobern.