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Titel: Vom Meister Kaulbach
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 437–440
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vom Meister Kaulbach.


München hat im Laufe der letzten Jahre von der großen Reihe glänzender Namen, die es mit Stolz als seine Bürger aufweisen konnte, die weithin leuchtendsten verloren. Rasch nach einander sind Pfeufer, Schwind, Liebig, Lindwurm und Kaulbach dahingegangen und mit ihnen ein Stück Münchener Glanzzeit, wie es so bald nicht wieder erstehen wird. Vor zehn Jahren noch gaben ihre allbekannten und einflußreichen Persönlichkeiten dem öffentlichen und geselligen Leben der Stadt das Gepräge, nun sind sie todt, aber nicht ersetzt und die Lücken bleiben für Jeden fühlbar, welcher die schöneren Zeiten noch gekannt hat. Die Erinnerung aber an die unvergeßlichen Gestalten knüpft sich an die Stätte ihrer Wirksamkeit und drängt plötzlich, auch wenn der gleichgültigste Geschäftsgang daran vorüberführt, die Tagesgedanken zurück. So ging es mir nach Kaulbach’s Tode beim erstmaligen Anblicke des altersgrauen Akademiegebäudes in der Neuhausergasse. Es zog mich in den öden Hof, dessen Westseite von einer hohen, fensterlosen gelben Wand begrenzt wird. In der Ecke rechts befindet sich eine sehr primitive Thür – Tausenden von Münchenreisenden wird sie erinnerlich sein – es steht darauf von Kaulbach’s Hand geschrieben: „Zu sprechen von neun bis zehn Uhr.“ Ich ließ mir die jetzt fest verschlossene Thür öffnen und betrat mit dem wehmüthigen Ernste, welcher Jeden vor der jüngst verlassenen Umgebung eines großen Todten überkommt, den hohen Raum, dessen Schwelle ich sonst so oft erwartungsvoll überschritten hatte.

Jetzt herrschte die tiefste Stille und Einsamkeit darin; im Gegensatze zu dem grellen Sonnenlichte der Straße wirkte der altersschwarze Saal um so mächtiger. Aus seinem Hintergrunde ragte die Kolossalfigur des Rossebändigers vom Monte Cavallo über alle davor gestellten Bilder und Cartons imposant auf. Alles stand und lag noch, wie an dem Abende, da Kaulbach guten Muthes und ahnungslos die Thür zum letzten Male hinter sich abschloß, nur eine leichte Staubschicht deckte den großen runden, höchst einfachen Tisch, auf dem ein buntes Durcheinander von großen und kleinen Firnißflaschen und Gläsern, Farbensäckchen, Pinseln und Paletten wie ehemals sich ausbreitete. Da lagen noch einige Geschichtswerke, mit deren Studium Kaulbach seine Erholungsstunden auszufüllen pflegte; da stand noch die angebrochene Flasche Rothwein neben dem Cigarrenkistchen. Ein Glas dieses Weines und ein Stückchen Brod dazu war Alles, was der äußerst mäßige Mann als zweites Frühstück zwischen neun Uhr Morgens und fünf Uhr Abends genoß; er bedurfte keiner äußeren Reizmittel für seine Phantasie, die stets bereit war, in verschwenderischer Fülle zu gestalten. Nun liegt er tief und still, aber der beste Theil seines Wesens redet laut aus all den lebensfreudigen Compositionen, die sich hier neben und über einander aufthürmen – eine Welt von Geist und Gedanken.

Da stehen dicht beisammen die Zeichnungen zu den großen Berliner Treppenhausgemälden, vor Allem das figurenreiche, prächtige Reformationsbild. Darüber, zu den Füßen des Kolosses, lehnt der große Nerocarton, überragt von zwei Portraits, die zu Kaulbach’s besten gehören: das der reizenden Prinzessin von Sayn-Wittgenstein, im blauen Atlasgewande und duftigen Schleier, welches später unverändert als Leonore von Este unter Goethe’s Frauengestalten Platz fand, und daneben, düster aus ungewisser Beleuchtung auftauchend, das blasse Profil Franz Liszt’s, geistreich, melancholisch und interessant, mit dem unzufrieden fragenden Blicke nach oben, den sich der nunmehrige römische Abbé vielleicht mittlerweile abgewöhnt hat. Wohin das Auge blickt, ein solcher Reichthum von Gemälden und Entwürfen, daß zum flüchtigen Ueberblicke Stunden erforderlich wären.

Sonst blieb wohl der zum ersten Male hier Eintretende unter dem Eindrucke dieses von allen Seiten auf ihn eindringenden Gestaltenreichthums einige Augenblicke stehen, um sich zu orientiren, und übersah vielleicht gänzlich, wie mittlerweile hinter einer der aufgespannten Leinwandflächen eine ziemlich unscheinbare Figur im einfachsten Röckchen, die schwarze Schirmmütze auf den schlichten langen Haaren, hervorgetreten war und einen scharfen Blick nach ihm herüberwarf. Aber sobald er diesen feingezeichneten, geistreichen Kopf mit den durchdringenden Augen näher ansah, wußte er, vor wem er stand, und auf seine eigene Bedeutung kam es an, wie der fernere Empfang ausfiel. Die gute Hälfte der von Lohndienern tagtäglich in dem Atelier präsentirten Kaulbachbesucher wird nur von einem höflich-ironischen „Morgen!“ nebst sehr kurzem Griffe an die obenerwähnte Schirmmütze zu berichten wissen. Dann wandte ihnen der Meister gemüthsruhig den Rücken und setzte die angefangene Arbeit oder Unterhaltung fort. Es konnte sogar noch schlimmer kommen, wenn allenfalls eine Schaar transatlantischer Reisender in bekannter Unverschämtheit mit schlechtem Französisch auf ihn eindrang. Der Ton, mit welchem er dann rief: „Wir sind hier in Deutschland und sprechen deutsch!“ war schneidend genug, um sofort verstanden zu werden und einen verdutzten Rückzug zu veranlassen.

Jeder berühmte Künstler leidet unter diesen immer wiederkehrenden Invasionen der ödesten Neugier, und Schwind z. B., dessen dicht an der großen Aufgangstreppe gelegene Thür so recht dem ersten Anprall ausgesetzt war, schloß meistens unerbittlich ab und blieb allen draußen erschallenden Rufen und Bitten taub. Oder er erfand einen sinnreichen Ausweg, sich die bereits Eingedrungenen vom Halse zu schaffen, wie einmal drei langen „schreckbar garstigen“ Engländerinnen gegenüber, die plötzlich vor ihm standen und einen Namen nannten, der wie Shorn (Schorn) klang. Der nahen Erlösung froh, sagte Schwind ganz freundlich: „Il est mort!“ Da deutete die Eine mit dem Finger in’s rothe Buch und er las: Schwind. „Il est mort depuis longtemps!“ schrie er nun entsetzt auf und die Drei wandten auf dem Flecke um, ohne auch nur einen Blick auf die gerade dastehenden „sieben Raben“ zu werfen.

Schwind indessen sowohl wie Kaulbach konnten einer sympathischen Menschenseele gegenüber rasch warm werden, und der Letztere besonders wußte dann so herzgewinnend einfach und liebenswürdig mit dem Besucher zu plaudern, daß diesem bald alle Befangenheit verflog, ja sogar Mancher der Versuchung unterlag, das vertrauliche „lieber Freund“ etwas allzu buchstäblich zu nehmen. Denn Kaulbach, der Zeichner des Reinecke Fuchs, der große Spötter der Pinakothek-Fresken, war allerdings nicht so harmlos, wie er sich zu Zeiten geben konnte, und sah mit scharfen Augen die kleinen und großen menschlichen Schwächen unter jeder Hülle durch. Je nachdem eine persönliche Erregung dazu kam, griff er auch wohl zum Stift und zeichnete in schonungsloser Satire die Opfer seiner Entrüstung auf das nächste fliegende Blatt, was dann nicht immer in der Mappe verwahrt blieb, sondern gelegentlich einmal dem davon Betroffenen als unerfreuliche Ueberraschung vor die Augen kam und manche Feindschaft verursachte. Begreiflicher Weise. Nur hätten die Betheiligten manchmal bedenken sollen, daß übrigens Kaulbach selbst ein gegen ihn gerichtetes Witzwort mit der größten [438] Seelenheiterkeit hinnahm. Man hat ihm oft vorgeworfen, daß seine aus schöpferischer Phantasie quellenden und größtentheils ohne Modell entworfenen Figuren und namentlich deren Köpfe eine stets wiederkehrende Familienähnlichkeit zeigen. Besonders gilt dies von den Frauengesichtern, die man, von wenigen portraitartigen Ausnahmen abgesehen, geradezu in die zwei stereotypen „runden“ und „langen“ Köpfe eintheilen kann. Kaulbach war darüber durchaus nicht im Unklaren und pflegte selbst lachend ein Urtheil seines Freundes Clemens Brentano anzuführen, der nach langer schweigender Betrachtung einer figurenreichen Composition endlich auf zwei im Vordergrunde befindliche Frauenköpfe deutete und lakonisch dazu sprach: „Ulmer Façon, Butzbacher Façon!“*[1]

Mit der rücksichtslosen Schroffheit gegen alles von ihm für verächtlich Erkannte paarte sich aber in Kaulbach’s Seele eine großartige Begeisterung für die hohen Ziele der Menschheit, für jede hervorragende Leistung in Wissenschaft und Kunst. Er dünkte sich nicht zu hoch, um fortwährend zu lernen und sich in lebendigster Berührung mit den nachrückenden Generationen zu erhalten. Ich erinnere mich lebhaft des Morgens, als er bei meinem Eintritt in’s Atelier mit ausgestreckter Hand auf ein von ihm angekauftes Makart’sches Erstlingswerk, die „modernen Amoretten“, hindeutete und dazu rief: „Dort sehen Sie hin! Da werden Sie merken, wem die Zukunft angehört. Das können wir nicht, davor müssen wir alten Herren einpacken. Kann der Mensch malen!“ Und so ging es in einem Strome von Ausrufen fort. Oder ein anderes Mal, als er einem Fremden, der in wortreicher Bewunderung kein Ende finden konnte, mit seinem feinen Lächeln auf die Achsel klopfte und sagte: „Wenn Sie wissen wollen, wie ein schönes Bild aussieht, so gehen Sie hinüber zu Schwind und sehen sich seine ‚Hochzeitsreise‘ an!“ Bedenkt man dabei, daß er mit Schwind persönlich durchaus nicht immer zum Besten stand, so wird man diese neidlose Bewunderung um so höher stellen müssen. Bekannt ist ja auch, daß er seinen alten Meister Cornelius, trotz scharfer persönlicher Differenzen und des endlich erfolgten Bruchs, dennoch unwandelbar als Künstler verehrte und hochhielt.

Solche Züge soll man sich vergegenwärtigen, ehe man von Kaulbach als dem kühlen Egoisten spricht, dem niemals, auch in seiner Kunst, etwas Ernst gewesen. Wer keine Augen für den hohen Enthusiasmus hat, aus welchem diese weltgeschichtlichen Bilder geboren sind, der braucht nur einen Blick nach der finstern Längenwand des Saales zu richten, um dort in großen Zügen eine That der uneigennützigsten Entrüstung, einen lodernden Protest gegen Aberglauben und Heuchelei vor sich zu sehen. Es ist der später so viel verbreitete „Peter von Arbues“, wie ihn Kaulbach im ersten Zorne über die neuerfolgte Canonisation auf die räucherige Mauer hinwarf. Das wutherfüllte Pfaffengesicht grinst noch viel dämonischer hier von dem rauhen geschwärzten Hintergrunde als in den weichen Tönen der Carton-Wiederholung.

„Ich weiß, daß ich mit diesem Bilde in ein Wespennest steche,“ sagte Kaulbach damals seinen Freunden, „aber ich kann nicht anders; eine solche Verhöhnung aller Vernunft darf man nicht stillschweigend hinnehmen.“

Er hatte wirklich hineingestochen, und es schwärmte gehörig von Schmähartikeln, persönlichen Verdächtigungen und Drohbriefen. Seine Antwort war die öffentliche Ausstellung des Bildes im Atelier. Nun kannte die ultramontane Wuth aber keine Grenzen mehr; die Verwünschungen und Drohungen fielen hageldicht, ohne ihn aus seiner kühlen Gelassenheit zu bringen. Erst als ihm wiederholt anonyme Briefe zukamen, man werde das Akademiegebäude anzünden, um auf diese Weise das verruchte Bild mit zu zerstören, schloß er seine Thür wieder ab und erklärte, die gegen seine Person gerichteten Drohungen habe er ignoriren können, nicht so die gegen das Staatseigenthum. Das Bild hat in der Welt seine Wirkung gethan, am unvergeßlichsten wird es aber Dem bleiben, der es hier in dem alten Saale gesehen hat, wo ferne Zeiten und kommende Generationen es noch als Denkmal unabhängiger Gesinnung sehen werden.

Nimmt man heutzutage den Reinecke Fuchs zur Hand und vergegenwärtigt sich, daß diese beißenden Satiren auf das absolute Königthum in der schlimmsten Reactionszeit gezeichnet und veröffentlicht worden sind, betrachtet man das Bild der Lola Montez, dem Kaulbach absichtlich den Stempel der niedrigsten Gemeinheit in Physiognomie und Haltung aufdrückte, unbekümmert um den Zorn des hohen Bestellers, der sich sammt dem des schwergereizten Originals in einer sehr drastischen Scene Luft machte, so wird man sich über die sämmtlichen schneidigen Eigenschaften eines so unbeugsamen Charakters nicht mehr verwundern. War er doch schon früh im Kampfe mit Noth und Schicksal hart gegen außen geworden und hatte sich im Anfange Schritt für Schritt seines Weges erkämpfen müssen, sogar noch in Zeiten, wo äußerlich die Bahn zu Ruhm und Ehre schon geebnet schien. Aller spätere Sonnenschein des Glücks, der ihm, wie Wenigen, zu Theil geworden, hat nicht mehr vermocht, jene erste seiner Seele eingegrabene Bitterkeit wieder auszutilgen; sie offenbarte sich gelegentlich als höhnische Ironie und richtete sich mit Vorliebe gegen eine gewisse schleichende Art von Frömmigkeit, die er von Herzen verabscheute.

Als sein Reformationsbild beinahe vollendet war, erschien unter anderen Beschauern auch ein bekannter Ultramontaner und fragte, nachdem er den Carton längere Zeit betrachtet, mit süßlicher Freundlichkeit, was denn das Bild eigentlich vorstelle?

„Lauter Ketzer,“ antwortete Kaulbach kurz und grob.

„Aber,“ fing der Andere wieder an, indem er auf die linke Vordergruppe deutete, „da steht ja Columbus – das war doch kein Ketzer.“

„Was, das war ja der Allerärgste,“ rief Kaulbach lachend, „der hat sich herausgenommen, einen Welttheil zu entdecken, von dem nichts in der Bibel steht. Denken Sie doch nur, es müßte dann ja von Rechtswegen vier heilige drei Könige gegeben haben. Nein, der Mann war ein Erzketzer.“

Kaulbach’s wirkliche Ueberzeugung von der Religion und ihrer Bestimmung kann man am besten aus der schönen Mittelgruppe jenes Bildes entnehmen, wo Melanchthon die Hände des katholischen Reichskanzlers Zasius und des protestantischen Reichsritters Eberhard von der Tann über die Urkunde des Augsburger Religionsfriedens zusammenfügt und mit der andern Hand auf die von Luther hocherhobene Bibel deutet mit dem Spruche: „Du sollst deinen Nächsten lieben, als Dich selbst.“ Kaulbach schließt sich mit diesem greifbaren Hauptgedanken seines Bildes der langen Reihe erleuchteter Geister an, die seit Lessing, wenn auch bis jetzt ohne allzu großen Erfolg, dem Menschengeschlechte Toleranz gepredigt haben.

Seine völlig gesicherte äußere Stellung erleichterte ihm allerdings die unumwundene Meinungsäußerung sehr, allein auch diese Stellung verdankte er nur sich selbst, seinem glänzenden Talente und einer Eigenschaft, die allen großen Männern gemeinsam ist, dem staunenswerthesten Fleiße. Wenn alle Anderen, auch die wirklich Thätigen, sich draußen an irgend einem schönen See wochenlang der Sommerruhe hingaben und nicht im Geringsten an’s Arbeiten dachten, so schritt Kaulbach Tag für Tag durch die heißen Straßen der Akademie zu. Nur auf diese Weise war es möglich, einen Reichthum an Schöpfungen zu entfalten, der selbst für ein langes Menschenleben, wie das seinige, fast unbegreiflich scheint. Ihm waren Arbeit und Erholung keine getrennten Begriffe; er hat seinen Reinecke an den Winterabenden, im Kreise der Familie, gezeichnet, während er den Tag über im Atelier angestrengt an der „Schlacht von Salamis“ arbeitete. So sind die verschiedenen Blätter des „Todtentanzes“ als eine Art von tragisch-satirischer Spielerei zwischen anderen, größeren Arbeiten entstanden.

Wie schön und rührend ist dies Nächste: Humboldt, gebeugt unter der Last des Kosmos, der als riesige Kugel auf seinen Schultern ruht, ist auf der langen Wanderung unvermerkt am Rande der Grube angelangt. Dort erwartet ihn der Tod und nimmt ihm mit freundlichen Geberden die Last ab. Gegenüber auf dem nächsten Bilde sitzt Marie Louise, den kleinen König von Rom auf den Knieen. Die deutschen Fürsten bilden in nichts weniger als schmeichelhafter Auffassung den Huldigungschor, während das Bübchen verlangend seine Hände nach einer aus Todtenbeinchen zierlich geflochtenen Krone ausstreckt, die der knöcherne Mann im Cardinalsornate ihm grinsend präsentirt. Auf einem andern Blatte klopft derselbe, als protestantischer Pastor angethan, in demselben Moment, wo ein aufgeblähter Papst seine Gottähnlichkeit proclamirt, sachte an die prachtvolle Palastthür, und so folgt Blatt um Blatt voll tiefsinniger Ironie.

[439] Das schöne Vermächtniß an „das große deutsche Volk“, der gewaltige „deutsche Michel“ ist bereits in unzähligen Photographien verbreitet; es war Kaulbach’s letztes vollendetes Werk. Aber seitwärts unter den Staffeleien steht eine große Mappe voll Einzelentwürfe zu einer neuen Composition, welche der fast Siebenzigjährige in seiner ungebrochenen Arbeitskraft begonnen hatte, eine „Sündfluth“ in großen Dimensionen. Hier auf dem ersten Blatt ein König, der sich inmitten seiner bereits getödteten Frauen und Kinder mit trotzigem Blicke den Dolch in’s Herz stößt, dort auf dem folgenden ein Gewühl amazonenhafter Reiterinnen, die rosenbekränzt in toller Lust angesichts der nahen Vernichtung noch die Freudenbecher schwingen. Dann wieder [440] phantastische Thiergestalten im Kampf mit den Wellen, ein Löwe, der sich gerade auf’s Trockene rettet und die Zähne nach einem Weibe zurückfletscht, das sich in der Todesangst in seiner Mähne festkrallte. Bewegte Gruppen schöner Weiber suchen sich vergebens mit ihren Gewändern gegen den strömenden Regen zu schützen; überall ist Flucht und Verzweiflung. Auch an räthselhaften Figuren fehlt es nicht. Tief verhüllte Priestergestalten tragen auf einer Bahre eine Schale mit heiligem Feuer, während im Vordergrunde knieende Krieger ein gekröntes, abgeschlagenes Haupt flehend zum erbarmungslosen Himmel emporstrecken. Das letzte Blatt giebt den Ausblick auf die weite trostlose Wasserfläche. Einzelne verzweiflungsvoll sich anklammernde Menschen ringen mit letzter Kraft um einen Haltpunkt; weiterhin wälzt sich dichtverschlungen ein Knäuel ungeheurer Thierleiber, schlangenumwundene Tiger, Elephanten und Giraffen, die alle vergebens nach der Arche hinstreben. Aber sie schwimmt schon ferne auf den hohen Wassern der Morgenröthe entgegen, überragt von einer majestätischen Engelsgestalt, die mit schützend ausgebreiteten Armen darauf steht.

Ich legte mit einer tiefen Trauerempfindung die Blätter wieder zusammen. Welch eine Welt ist mit diesem Geist erloschen! Und doch dürfen wir nur um uns klagen, nicht um ihn, denn das Leben hat ihm Alles geboten, was ein Mensch an Glück nur erreichen kann. Selbst die Noth der ersten Jugendzeit hat ihn früh zum Manne gehärtet und den überlegenen Geist in ihm gereift. Mit dem Eintritte in Cornelius’ Schule ging sein Glücksstern auf; er nahm erst als Schüler im Kreis fröhlicher Genossen, dann bald als Meister Theil an der durch König Ludwig wachgerufenen Kunstblüthe und ragte in kurzer Zeit als Erster unter Allem hervor. Sein äußeres Leben verlief ohne viel wechselvolle Schicksale; abgesehen von gelegentlichen Reisen und Berliner Aufenthalten zur Herstellung der Wandbilder, war und blieb er in München und zwar bildeten dort sein Haus und die Akademie die beiden Pole seiner Existenz. Aber unzählige Erinnerungen ernster und heiterer Natur knüpften sich im Laufe der Jahre an die gewohnte Umgebung, denn was von bedeutenden Menschen durch München kam, stellte sich ihm vor, und an jedem hervorragenden Ereignisse in Politik, Kunst und Geselligkeit nahm er lebhaften Antheil.

In der Gartenstraße unter hohen schattigen Bäumen steht das einfache, aber stattliche Haus, das sich Kaulbach erbaut und lange Jahre an der Seite einer edeln und schönen Frau, im Kreise blühender Kinder bewohnt hat. Die Abendstunden in diesem Kinderkreise waren für ihn eine Quelle der Erholung und Heiterkeit. Heute noch wird als Schatz und Familienkleinod ein dickes Buch aufbewahrt, dessen Inhalt, lauter Zeichnungen, Abends beim Märchenerzählen als Illustration für die Kleinen entstanden ist. Es ist ein bunter Reichthum von reizenden und schalkhaften Arabesken, traumhaften Märchenfiguren und den Portraits der kleinen Eigenthümer in allerhand komischen und tragischen Situationen. Seit Jahren sind diese allerdings schon groß, und so hat sich das Buch auf die zweite Generation vererbt, die in dem schönen Hause und Garten den Großvater nicht minder lustig umtobte als dereinst ihre Eltern.

Wer einmal die Schwelle dieses rothen Hauses als Gast überschritten hat, wird die darin verlebten Stunden nicht mehr vergessen. Hier war Kaulbach nur der liebenswürdige Wirth, der es schnell verstand, den Gast in die behaglichste Stimmung zu versetzen. Große und rauschende Geselligkeit liebte er in den letzten Jahren nicht mehr. Das im prächtigen Renaissancestil eingerichtete Eßzimmer, von dessen Wänden zwischen Draperien und alterthümlichen Prachtgeschirren die Bildnisse seiner Familienangehörigen und Freunde herabsehen, war unzählige Male Zeuge solcher bis tief in die Nacht hinein verlängerten fröhlichen Sitzungen bei Cigarre und Bowle. Im Sommer aber, besonders in den Reisemonaten August und September, wo auswärtige Freunde und fremde Celebritäten das gastfreie Haus aufsuchten, gab es schöne Abende in dem großen schattigen Garten, und in solcher Sternennacht, wenn da und dort in dem dichten Grün farbige Lampen schimmerten, während aus der offenen Balconthür die von Meisterhänden geweckten Saitenklänge im Vereine mit einer herrlichen Frauenstimme weit in die schweigende Runde hinauszogen, saß Kaulbach innerlich bewegt unter den niederhängenden Zweigen und lauschte der süßen Musik, die ihm wohl tausend Bilder in der Seele wachrief.

Es war Kaulbach gegönnt, in ungebrochener Kraft den Blick rückwärts auf ein langes ruhmreiches Leben zu richten und seinen Namen unter den Ersten der Nation gefeiert zu sehen. Dann hat ihn ein rascher, unvermutheter Tod aus der vollen Schaffensfreude weggenommen – sein Geist wird in seinen Werken unsterblich sein.




  1. * Bekanntlich die zwei gangbarsten Sorten Pfeifenköpfe.