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Titel: Victor Hugo †
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 400
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[400] Victor Hugo †. Seit dem ersten Juni nimmt der gefeiertste französische Dichter unseres Jahrhunderts seinen Ehrenplatz in der Krypta der bisherigen Kirche St. Geneviève ein, welche fortan wieder, dem Wortlaute ihrer Inschrift gemäß, als Pantheon: „Aux grands hommes la patrie reconnaissante“ – (Seinen großen Männern das dankbare Vaterland) – gelten soll. Es ist eine unsichere Ruhestätte. Schon einmal haben weltliche und geistliche Reaktion sie wieder geräumt, selbst Voltaire’s und Rousseau’s Gräber sind leer. Victor Hugo’s Sarg beginnt eine neue Reihe in Frankreichs so wandelbarem Ehrentempel.

Victor Hugo ist ein Glückskind des Ruhmes. Reich an ungewöhnlicher Begabung des Geistes und Herzens, genoß er auch die Bevorzugung, durch Geburt, Erziehung und äußere Schicksalsfügung in seiner Entwickelung gehoben und getragen zu werden. Den Einfluß der Mutter auf die Entfaltung des Dichtertalents kennen wir aus unserer eigenen Litteratur; Victor Hugo’s Mutter, eine echte Vendéerin, wird als eine durch seltene Gaben ausgezeichnete Frau gerühmt. Während sie mit allem Eifer der Ausbildung ihres Lieblings lebte, wurde sein Vater, ein General Napoleon’s I., in die Lage versetzt, für einen reichen Wechsel äußerer Eindrücke zu sorgen. Von Besançon (wo bekanntlich Victor Hugo am 26. Februar 1802 geboren war) kam die Familie nach Elba, drei Jahre später nach Paris und von da wieder nach Italien, und zwar in höchst romantische Verhältnisse, denn General Hugo hatte in Kalabrien die Aufgabe, dem Verbrechertreiben des Räuberhauptmanns Fra Diavolo ein Ende zu machen. Nach abermaligem Aufenthalte in Paris, wo ein von Napoleon verfolgter, von Victor’s Vater jedoch heimlich geschützter (später doch noch hingerichteter) General Lahorie ihm ein trefflicher Lehrer gewesen, folgte er 1811 dem Vater nach Madrid, um dort Zögling eines adligen Instituts zu werden, wurde aber schon im folgenden Jahre von seiner Mutter nach Paris zurückgebracht, wo nach abermals drei Jahren der Laufbahn des jungen Victor für immer ihre Richtung angewiesen ward. Vom Vater für den Soldatenstand bestimmt, hatte der junge Victor sich in der Stille der Poesie ergeben, und da er in seinem fünfzehnten Jahre nahe daran war, bei einem von der Akademie ausgeschriebenen Konkurs den Preis zu erhalten, so erhielt er die Erlaubniß, statt zum Schwerte zur Leier zu greifen.

Welche Fülle der verschiedenartigsten Anschauungen und Lebensbilder war dem jungen Poeten auf seiner kurzen bisherigen Laufbahn entgegen gekommen! Sicherlich überwog sie den Schatz seines positiven Wissens, aber dem Lyriker kam sie zu Statten. Aus seinen ersten „Oden und Balladen“ fühlt man es heraus, daß zugleich väterlicher und mütterlicher Einfluß in ihm thätig war: der Mutter verdanken seine Dichtungen die reizvolle Anmuth, Innigkeit und Wärme, während des ordnungsstrengen Vaters Beispiel sicherlich den Sohn zu dem Eifer anspornte, nach möglichster Vollendung der Form zu ringen, in der er den Franzosen ein Meister und Muster ist. – Nachdem wir dieses Lob ausgesprochen, dürfen wir unseren dermaligen Lesern nicht Das vorenthalten, was wir den ältesten im Jahre 1856 mittheilten, also zu der Zeit, wo Victor Hugo in seinem vierundfünfzigsten Jahre stand, die Höhe seines Wirkens und Ruhms erreicht hatte und wo das Urtheil über seinen Werth schon feststand.

Schon damals beklagten wir es, daß man in Frankreich sich nicht damit begnügt hatte, die frühreife Kraft des jungen Poeten, die Selbstständigkeit seines Geistes, die Kühnheit seiner Gedanken, die Tiefe der Leidenschaft und die Bewältigung der Form freudig zu bewundern, sondern daß das überreizte Paris den jungen Dichter zu seinem Götzen machte, denn von diesem Augenblick an „war es,“ wie wir 1856, S. 22 aussprachen, „um dessen Unbefangenheit, um dessen poetische Lauterkeit geschehen. Die durch den ununterbrochenen Wechsel von Katastrophen abgestumpfte, ermüdete Pariser Gesellschaft forderte Ungeheueres, Gräuliches, um auf sich wirken, sich bewegen zu lassen, und Victor Hugo beging den Fehler, das Verbrechen an seiner außerordentlichen Begabung, dieser Forderung nachzukommen. Er konnte ein großer Dichter sein für alle Zeit, wie er es in seinen lyrischen Schöpfungen unbestreitbar dargethan, und machte sich zum Poeten des Tages, er überschrie den Lärm des litterarischen Marktes, um Gold und Kränze aus ungeweihten Händen zu empfangen!“

An diesem Urtheil ändert sich nichts, trotzdem der Dichter seither noch nahezu dreißig Jahre weiter gearbeitet und zu seinen früheren großen Werken: „Hernani“ und „Ruy Blas“, „Lucretia Borgia“, „Der Glöckner von Notre-Dame“, „Der König belustigt sich“ noch sein berühmtes Wort gegen die Todesstrafe: „Der letzte Tag eines Verurtheilten“ und eine Reihe von Dramen und Novellen geschrieben hat. Denselben folgten seine Reise-Erinnerung „Der Rhein“, nach seiner Verbannung, 1852, das rächende Pamphlet „Napoleon der Kleine“ und zahlreiche neue gleich erfolgreiche Werke wie u. A. „Die Armen und Elenden“, „Die Legende der Jahrhunderte“, sein Buch über William Shakespeare, seine großen lyrischen Anklagelieder der Zeit, socialistischer und pantheistischer Richtung, nach 1870 „Das schreckliche Jahr“ – doch in Allen blieb der Dichter, wie er bis dahin war, wie ihn das oben angeführte Urtheil charakterisirt.

Ein erquicklicheres Bild erhalten wir, wenn wir Victor Hugo, den Menschen, den Mann betrachten. Edelmuth, Liebe und Treue, Hochherzigkeit und Mannesmuth – das sind die Tugenden, die er übte gegen seine Familie, gegen Kinder und Hilfsbedürftige, gegen Freunde, Volk und Staat. Die Art, wie er einem zum Tode Verurtheilten dadurch das Leben rettete, daß er mitten in der Nacht (12. Juli 1839) bis zum König vordrang, und sein Auftreten in den Decembertagen von 1851 gegen Bonaparte’s Staatsverrath, das sind Thaten, die den Mann ehren. Seinen Ruhm zierte die Bürgerkrone, als er als Verbannter leben mußte. Von da an hat die „Gartenlaube“ ihm ihre Theilnahme zugewendet. Sie brachte 1856, S. 21 das Bild „eines Verbannten“, und das Bild desselben Mannes „im Exil“ 1862, S. 485. Die elf Jahre fern vom Vaterland hatten das Haar ergrauen gemacht. „Elf Jahre der Sehnsucht,“ sagt Schmidt-Weißenfels, „zählen, wie Kriegsjahre, doppelt.“

Die „Gartenlaube eröffnete 1857, S. 532 („Die zehnte Muse“), einen Einblick in Victor Hugo’s Familienleben; 1865, S. 815 giebt sie von seinen Honorarverhältnissen Kunde; wir erfahren, daß er für „Han, der Isländer“ 300 Franken, für „Notre Dame von Paris“ 200000 Franken Honorar erhalten habe; 1866, S. 223 werden wir in seine Arbeitsstube und in seine Arbeitsweise eingeführt; 1867 folgen wir S. 408 einem Besuch Robert Waldmüller’s beim Dichter in Guernsey und S. 751 finden wir ihn selbst auf dem Frankfurter Domthurm. Auch nach der Zeit des großen Kriegs, der ihn auf Deutschland so böse machte, wird er 1880, S. 443 in seinem „schöngeistigen Salon“ und S. 727 als Senator vorgeführt.

Seine oft so unverständigen Ausfälle gegen die Deutschen haben ihrer Zeit arg gegen ihn verstimmt. Heute stellen wir ihn neben seinen Sündengenossen für diesen Fall,, neben Garibaldi, und verzeihen beiden großen Männern ihre Schwachheiten: der Eine eiferte im Namen der Freiheit, der Andere im Namen der Seele der Welt, Paris, gegen uns Deutsche, beide mit demselben Bombast-Apparate, sodaß oft Einer dem Andern diese Manifeste hätte diktirt haben können, – aber an beiden ehren wir, was von ihnen unvergänglich ist, und vergessen gern, was sie gegen uns verbrochen.