Textdaten
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Autor: August Ludwig Eber
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Titel: Veterinärmedizin
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Zehntes Buch, S. 289–299
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1433]
Veterinärmedizin
Von Prof. Dr. Eber, Direktor des Veterinärinstituts der Universität Leipzig


Die Veterinärmedizin als Wissenschaft.

Die Veterinärmedizin blickt als Wissenschaft erst auf eine verhältnismäßig kurze Entwickelungszeit zurück. Zwar hat es zu allen Zeiten Menschen gegeben, die sich empirisch mit der Behandlung kranker Tiere beschäftigten, aber eine wissenschaftliche Tierheilkunde, gewachsen auf dem gleichen Boden, aus dem auch die Menschenheilkunde ihre besten Kräfte zieht, gibt es doch erst seit anderthalb Jahrhunderten. Die ständige Bedrohung und teilweise Vernichtung der Viehbestände Europas durch verheerende Seuchen, insbesondere die Rinderpest, war der Anlaß, daß endlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den meisten Kulturstaaten auch Anstalten zum wissenschaftlichen Studium der Tierkrankheiten ins Leben gerufen wurden. Mit der Gründung dieser ersten tierärztlichen Fachschulen beginnt die Zeit der wissenschaftlichen Tierheilkunde (Veterinärwissenschaft). Gab somit die Furcht vor verheerenden Tierseuchen den Anstoß zur Gründung der ersten tierärztlichen Lehr- und Forschungsanstalten, so war die Sorge um die Fernhaltung tierischer Seuchen von den an Wert beständig zunehmenden landwirtschaftlichen Viehbeständen auch in der Folgezeit die mächtigste Förderin der jungen Wissenschaft.

Zwar mußten sich erst noch tiefgreifende Wandlungen in den herrschenden Anschauungen über Entstehung und Verbreitung seuchenhafter Krankheiten vollziehen, bis endlich in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der allgemeinen Anerkennung der Tatsache, daß sowohl die menschlichen als auch die tierischen Seuchen durch Ansteckungsstoffe – in der Regel kleinste pflanzliche Lebewesen – hervorgerufen und verbreitet werden, die Grundlagen für eine erfolgreiche Bekämpfung der Seuchen durch Verhütung der Ansteckung und Vernichtung des Ansteckungsstoffes gewonnen waren.

Staatliche Tierseuchenbekämpfung.

Mit dieser Erkenntnis waren der staatlichen Tierseuchenbekämpfung neue Wege gewiesen. Daß diese Wege zum Ziele führen können, hat erstmalig die noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschaffene, in ihren wesentlichen Bestimmungen noch heute gültige deutsche Rinderpestgesetzgebung bewiesen, mit deren Hilfe es gelungen ist, die in den sechziger und siebziger Jahren noch wiederholt nach Deutschland eingeschleppte Rinderpest stets in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder zu unterdrücken und seit Anfang der achtziger Jahre dauernd von Deutschlands Gauen fernzuhalten.

[1434] Aber nicht nur im Kampfe gegen die Rinderpest hat die auf neuen Bahnen wandelnde Seuchenbekämpfung gute Dienste geleistet, auch gegen die Mehrzahl der übrigen Tierseuchen hat die staatliche Seuchenbekämpfung inzwischen neue Tilgungsmaßnahmen in Anwendung gebracht. An erster Stelle ist hier das preußische Gesetz zur Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen vom 25. Juni 1875 zu nennen, dessen wesentliche Bestimmungen nach mehrjähriger Erprobung unter den vielgestaltigen wirtschaftlichen Verhältnissen des größten deutschen Bundesstaates als Reichsviehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 für das ganze deutsche Reich in Geltung gesetzt wurden und sich bis in die Gegenwart als erfolgreiche Waffe im Kampfe gegen die Tierseuchen bewährt haben. Groß ist der Segen, der in den jüngst verflossenen 25 Jahren von diesem für die ganze Kulturwelt vorbildlichen Seuchengesetze ausgegangen ist. Es war nicht allein möglich, unter seiner Herrschaft trotz erheblicher Steigerung der Viehhaltung und des Viehverkehrs, die beide erfahrungsgemäß die Ausbreitung von Viehseuchen außerordentlich begünstigen, die Mehrzahl der Seuchen auf einem Stande der Ausbreitung zu erhalten, der eine angemessene wirtschaftliche Ausnutzung der wertvollen Viehbestände durchweg sehr wohl gestattete, sondern es gelang auch, außer der Rinderpest noch zwei andere verheerende Seuchen, die Schafpocken und die Lungenseuche, deren Folgen zur Zeit des Erlasses dieses Gesetzes noch allenthalben schwer empfunden wurden, im Laufe weniger Jahre vollständig zu unterdrücken und eine andere nicht minder gefürchtete Seuche, die Rotzkrankheit der Pferde, erheblich einzuschränken. Wenn gegenüber diesen zweifellosen Erfolgen auch von einem tellweisen Versagen des Seuchengesetzes bei einer Anzahl seuchenhafter Krankheiten, wie Schafräude, Milzbrand, Maul- und Klauenseuche, gesprochen werden kann, so ist wohl zu bedenken, daß dieses nicht in der mangelhaften Fassung der einschlägigen Bestimmungen allein begründet zu sein braucht. Bei der Maul- und Klauenseuche im besonderen hat die aus alter Zeit stammende, tief eingewurzelte Auffassung von der relativen Gutartigkeit dieser Seuche – die allerdings durch die Erfahrungen der letzten Jahre gründlich widerlegt worden ist – die rechtzeitige Anwendung scharfer Maßnahmen lange Zeit sehr erschwert. Hierin ist erst in jüngster Zeit durch Einräumung weitgehender Tötungsbefugnis in allen Fällen, in denen begründete Aussicht auf völlige Tilgung des Seuchenherdes besteht, Wandel eingetreten.

Tierseuchenforschung.

Eine wesentliche Förderung hat die staatliche Tierseuchenbekämpfung durch den außerordentlichen Aufschwung erfahren, den sowohl die allgemeine Seuchenforschung als auch die Tierseuchenforschung im besonderen in den letzten 25 Jahren genommen hat. Fußend auf den grundlegenden Untersuchungen Pasteurs, Robert Kochs, v. Behrings waren auch zahlreiche tierärztliche Forscher bemüht, das Dunkel, welches die Erreger der meisten Tierseuchen damals noch umgab, zu lichten und durch Studium ihrer Lebens- und Wirkungsweise neue Wege zu ihrer Bekämpfung zu finden. Neben hervorragenden ausländischen Fachgenossen wie Nocard, Arloing, Bang, Hutyra, C. O. Jensen u. a. war es auch deutschen Tierärzten vergönnt, bahnbrechend auf diesem neuen Arbeitsfelde zu wirken. Verwiesen sei hier, um nur einige aus der großen Zahl [1435] erfolgreicher Forscher auf diesem Gebiete herauszugreifen, auf die Arbeiten von Johne, Kitt und Schütz, den Altmeistern der pathologischen Veterinäranatomie, zu deren Arbeitsgebiete die Bakteriologie lange Jahre gehörte; auf die zahlreichen Untersuchungen, die aus den hygienischen Instituten der Berliner und der Hannoverschen tierärztlichen Hochschule unter v. Ostertags und Dammanns Leitung hervorgegangen sind; ferner auf die Rotlaufschutzimpfung von Lorenz, die heute noch unübertroffen ist, und die jüngsten serodiagnostischen Arbeiten von Schütz und seinen Schülern, denen wir einen wesentlichen Fortschritt in der Bekämpfung der Rotzkrankheit, dieser schwer tilgbaren und auf den Menschen übertragbaren Pferdekrankheit, verdanken.

Doch diese kurze Übersicht über die Ergebnisse tierärztlicher Seuchenforschung in den letzten 25 Jahren würde unvollkommen sein, wenn nicht auch der vielfachen Bemühungen, die Rindertuberkulose durch Schutzimpfung zu bekämpfen, gedacht würde, die während des letzten Jahrzehnts im Anschlusse an die bedeutungsvollen Tuberkulosearbeiten v. Behrings besonders auch von deutschen Tierärzten unternommen wurden. Obwohl diese Arbeiten, wie wir rückblickend heute wohl sagen dürfen, für die Praxis der Tuberkulosebekämpfung im großen und ganzen negativ verlaufen sind, so haben sie doch dazu beigetragen, erneut das Interesse für die schon vor 20 Jahren von dem dänischen Forscher Bang inaugurierte Bekämpfung der Rindertuberkulose durch veterinärpolizeiliche und hygienische Maßnahmen (tuberkulosefreie Aufzucht des Jungviehs und möglichst frühzeitige Erkennung und Unschädlichmachung aller infizierten Tiere) zu erwecken. Und wieder waren es deutsche Tierärzte, wie Siedamgrotzky und v. Ostertag, die den Gedanken Bangs den deutschen wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßt und in dieser Form in die Praxis eingeführt haben, so daß man schließlich an der Hand der mit diesem Verfahren gewonnenen Erfahrungen dem Gedanken einer staatlichen Bekämpfung der Rindertuberkulose näher treten konnte.

Neues Reichsviehseuchengesetz.

Diese bedeutungsvollen Fortschritte auf fast allen Gebieten der Seuchenkunde mit immer neuen nicht mehr im Rahmen des alten Gesetzes erfüllbaren Anforderungen mußten allmählich von selbst zum weiteren Ausbau der Seuchengesetzgebung führen. Nachdem zunächst im Jahre 1894 ein Abänderungsgesetz als Ergänzung zu den bisher gültigen Bestimmungen erlassen war, begannen bereits an der Wende des Jahrhunderts die Vorarbeiten für ein neues Reichsviehseuchengesetz, welches nach schwierigen Verhandlungen und Beratungen in den maßgebenden Körperschaften endlich am 26. Juni 1909 Gesetzeskraft erlangte und am 1. Mai 1912, ergänzt und erläutert durch die Ausführungsvorschriften des Bundesrats sowie durch die Ausführungsbestimmungen der Bundesstaaten, für das ganze Deutsche Reich in Geltung getreten ist. Zahlreiche in langjähriger Praxis erprobte Maßnahmen sind in das neue Seuchengesetz und seine Ausführungsbestimmungen übernommen worden und erleichtern den Übergang. Andere sind den inzwischen gewonnenen neuen Erfahrungen angepaßt und zweckmäßig ausgebaut. Vieles ist völlig neu aufgenommen und muß erst noch die Feuerprobe der Praxis bestehen. So steht nach langer und mühseliger Arbeit das schwierige Werk heute vollendet da. Geleitet [1436] von dem Wunsche, die deutschen Viehbestände auch unter den schwierigen Verhältnissen der modernen, auf höchste wirtschaftliche Ausnutzung zielenden Viehhaltung und des sich immer verwickelter gestaltenden Viehverkehrs wirksam vor Seuchen zu schützen, und gestützt auf wissenschaftliche Forschung und praktische Erfahrung, haben Männer der Wissenschaft und der Praxis in gemeinsamer Arbeit mit den zuständigen Reichs- und Staatsbehörden ein Werk geschaffen, das in der Gesetzgebung anderer Staaten nicht seinesgleichen hat – ein Markstein in der Geschichte der Tierseuchenbekämpfung! Ob sich freilich alle Hoffnungen erfüllen werden, ja überhaupt erfüllen können, die sich an dieses Gesetz knüpfen, muß dahingestellt bleiben. Manches Neuland ist in Angriff genommen, und die Zukunft muß lehren, ob das Rüstzeug für diese Arbeit ausreicht. Wie aber auch dermaleinst das Urteil im einzelnen ausfallen wird, ein gutes Stück wird uns das neue Seuchengesetz sicherlich auf dem erfolgreich betretenen Wege vorwärtsbringen. Dann aber werden Wissenschaft und Praxis, so hoffen wir, neue Waffen zum weiteren erfolgreichen Kampfe geschmiedet haben.

Fleischbeschau.

Die Dienste, welche die Veterinärmedizin der Allgemeinheit leistet, sind mit der Bekämpfung der Tierseuchen noch nicht erschöpft. Die durch den allgemeinen Aufschwung der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bedingte zunehmende Vertiefung unserer Kenntnisse von den vielseitigen Wechselbeziehungen zwischen Tier- und Menschenkrankheiten hatte naturgemäß auch zur Folge, daß man den Gefahren, die der menschlichen Gesundheit durch den Genuß des Fleisches kranker Tiere drohen, erhöhte Aufmerksamkeit schenkte und Mittel und Wege zu ihrer Abwehr suchte. So wurde der jungen tierärztlichen Wissenschaft noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nicht nur ein neues Forschungsgebiet, sondern zugleich auch ein wichtiges Feld praktischer Tätigkeit im Dienste der Allgemeinheit erschlossen, die Fleischbeschau, der zahlreiche Tierärzte seither ihre Kräfte widmen.

Ihren Ausgangspunkt nahm die wissenschaftliche Forschung, welche die Anregung zum Aufschwunge der Fleischbeschau gab, von den Arbeiten Küchenmeisters über die Metamorphose der Schweinefinnen in Bandwürmer des Menschen im Jahre 1852 und Zenkers über die Schädlichkeit der Muskeltrichinen des Schweines für den Menschen im Jahre 1860. Als dann Villemin 1865 die Tuberkulose für eine spezifische, von Mensch auf Tier und von Tier auf Tier übertragbare Infektionskrankheit erklärt und Gerlach 1869 die Übertragbarkeit der Tuberkulose durch Verfütterung des Fleisches tuberkulöser Tiere experimentell bewiesen hatte, war der Grund zur wissenschaftlichen Fleischbeschau gelegt, die dann in den achtziger und neunziger Jahren eine gewaltige Förderung erfuhr. So gelang es mit Hilfe der neueren experimentellen Methoden der Pathologie in der Folgezeit noch wiederholt, durch Impfung und Fütterung die Möglichkeit der Übertragung verschiedener Tierkrankheiten auf den Menschen durch den Fleischgenuß festzustellen. Auch lehrte die Bakteriologie eine Anzahl kleinster pflanzlicher Lebewesen kennen, die im Fleische ihr Dasein fristen und, mit demselben auf Menschen übertragen, wiederum Krankheiten hervorrufen, und mit Hilfe der Chemie wurde festgestellt, daß andere im Tierkörper [1437] oder im Fleisch vorhandene Mikroorganismen die Fähigkeit besitzen, Stoffwechselprodukte zu erzeugen, die eine ungeheure Giftigkeit auch dem menschlichen Körper gegenüber entfalten. Mit Zunahme der Fälschungen von Fleischnahrungsmitteln und des Verbrauchs von Fleischkonserven der verschiedensten Art hat die wissenschaftliche Forschung alsbald auch diese berücksichtigt und wertvolle Methoden für die Erkennung und Beurteilung derselben geschaffen. Auch die postmortalen Zersetzungsprodukte des Fleisches wurden eingehend studiert und zur Feststellung derselben sichere objektive Merkmale angegeben. Ebenso brachte es die zunehmende Verwendung von Wildbret, Geflügel, Fischen, Krusten- und Schaltieren mit sich, daß die tierärztliche Wissenschaft auch diesen Fleischnahrungsmitteln ihre Aufmerksamkeit schenkte. Andererseits haben die wissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahrzehnte aber auch Gewißheit darüber gebracht, daß eine Anzahl Tierkrankheiten keine Fleischschädlichkeiten oder solche doch nur unter gewissen Bedingungen in sich schließen, und nicht minder hat uns die Wissenschaft gezeigt, wie wir verschiedene dem Fleische anhaftende Nachteile beseitigen können, so daß es zur menschlichen Nahrung unbedenklich verwertet werden kann. So wurde in rastloser, zielbewußter Arbeit in kaum drei Jahrzehnten die wissenschaftliche Fleischbeschau zu der heutigen Höhe emporgehoben, und es erfüllt uns mit besonderem Stolze, daß gerade deutsche Tierärzte – genannt seien u.a. Schmidt-Mühlheim, Johne, v. Ostertag, Edelmann und ihre zahlreichen Schüler – ein bedeutendes Stück dieser Arbeit geleistet haben.

Natürlich konnte es nicht ausbleiben, daß die sich häufenden Beobachtungen über Schädigungen der menschlichen Gesundheit durch den Genuß des Fleisches kranker Tiere hier und dort schon frühzeitig zum Erlasse gesetzlicher Bestimmungen zur Abwehr dieser Gefahren führten. Doch blieben diese Bestrebungen zunächst vereinzelt und wandten sich auch meistens nur gegen bestimmte Schädlichkeiten, wie Trichinen und Finnen. In erster Linie waren es wohl die großen Städte, deren Verwaltungen erkannten, daß gewisse hygienische Forderungen in bezug auf das Fleischergewerbe und die Fleischnahrung im Interesse der Bewohner erfüllt werden müßten. Diese Erwägungen führten, namentlich nachdem Preußen durch Gesetz vom Jahre 1868 Normen für den Schlachthausbau aufgestellt hatte, zur Errichtung öffentlicher Schlachthäuser, deren Benutzung die Einführung der allgemeinen Fleischbeschau zweifellos sehr gefördert hat. Aber es war doch noch viel Kleinarbeit zu leisten, ehe die wissenschaftlichen Unterlagen und die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen ausreichten, um den Versuch der Einführung einer allgemein verbindlichen Fleischbeschau für das ganze Deutsche Reich wagen zu können.

Eine bedeutsame Förderung erfuhren die auf eine gesetzliche Regelung der Fleischbeschau hinzielenden Bestrebungen durch das zielbewußte Vorgehen Sachsens in dieser wichtigen Frage. Hier war man bereits seit Anfang der neunziger Jahre, sich stützend auf die Erfahrungen einiger süddeutscher Staaten, insbesondere Badens, bemüht, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, welche die Fleischbeschau nach modernen Grundsätzen für das gesamte Königreich einheitlich regeln sollten; doch gelang es erst im Frühjahr 1898 ein Gesetz über die Einführung einer allgemeinen Schlachtvieh- und Fleischbeschau für das Königreich Sachsen zustande zu bringen, das am 1. Juni 1900 in Kraft getreten ist [1438] und in mehrfacher Beziehung als Muster für die Regelung der Fleischbeschau im deutschen Reiche gedient hat. So konnte es denn geschehen, daß bereits 2 Jahre nach Einführung der allgemeinen Fleischbeschau im Königreich Sachsen für das ganze Deutsche Reich durch Reichsgesetz vom 3. Juni 1900 eine allgemein verbindliche Schlachtvieh-und Fleischbeschau eingeführt wurde. 10 Jahre ist dieses Gesetz nunmehr in Kraft, und wenn auch zugegeben werden muß, daß einzelne Bestimmungen, so vor allem die über die Hausschlachtungen, der Abänderung bzw. Ergänzung bedürfen, so sind doch alle kompetenten Beurteiler darin einig, daß sich das deutsche Fleischbeschaugesetz in allen wesentlichen Punkten bewährt und dem Deutschen Reiche und seinen Bewohnern reichen Segen gebracht hat.

Milchkontrolle.

Nächst dem Fleische spielt die Milch als Nahrungsmittel tierischen Ursprungs für den Menschen eine wichtige Rolle, und es ist nur folgerichtig, wenn man darauf bedacht ist, die menschliche Gesundheit auch gegen die Gefahren zu schützen, die mit dem Genuß von Milch kranker Tiere verknüpft sind. Auch auf diesem wichtigen Gebiete der Nahrungsmittelhygiene sind in den letzten 25 Jahren Fortschritte zu verzeichnen. Wenn es auch schon seit mehreren Jahrzehnten wenigstens in den Städten eine polizeiliche Milchkontrolle gibt, so richtet sich diese in der Hauptsache doch nur gegen die Entrahmung bzw. Wässerung der Milch, hat also mehr den Geldbeutel der Konsumenten als deren Gesundheit im Auge. Es muß daher als eine bedeutsame Wandlung auf diesem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege begrüßt werden, daß wenigstens die an einer sachgemäßen Regelung des Milchverkehrs am meisten interessierten Kreise einzusehen beginnen, daß es bei der Milchkontrolle tatsächlich noch andere Dinge zu beachten gibt als Fettgehalt und spezifisches Gewicht. Allerdings ist von dieser Erkenntnis bis zur Einführung einer allen Anforderungen genügenden Milchkontrolle noch ein weiter Weg, und wer die Schwierigkeiten kennt, versteht sehr wohl die Zurückhaltung der Behörden, auf diesem Gebiete gesetzgeberisch vorzugehen. Um so größer ist das Verdienst Preußens, in jüngster Zeit wenigstens den Versuch gemacht zu haben, durch Herausgabe von Normalbestimmungen über die Regelung des Milchverkehrs diese heikle Frage wieder in Fluß zu bringen. War es schon bei der Fleischbeschau schwierig, der Anschauung Geltung zu verschaffen, daß die Kontrolle, wenn sie wirksam sein soll, an den Produktionsstätten einzusetzen habe, so liegen die Verhältnisse noch unendlich viel schwieriger bei der Kontrolle der Milch, deren Gewinnung sich an zahlreichen kleinen Produktionsstätten vollzieht, die nicht einfach durch ein Machtwort, wie bei der Fleischbeschau durch die Bestimmung über die Errichtung von Schlachthäusern, in wenige zentralisierte Betriebe zusammen gelegt werden können. Und doch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auch die „Milchbeschau“ an den Produktionsstätten einsetzen muß, wenn sie ihren Zweck, die Gesundheit des Konsumenten zu schützen, wirklich erfüllen soll.

Eine wichtige Förderung haben die auf eine wirksame Kontrolle der Milch hinzielenden Bestrebungen durch die seit einem Jahrzehnt in allen Kulturstaaten durchgeführten, nunmehr im wesentlichen abgeschlossenen Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Menschen- und Rindertuberkulose erfahren. Bekanntlich haben diese Untersuchungen, an [1439] denen sich neben namhaften ausländischen Fachkollegen wie Arloing, C. O. Jensen, McFadyean, de Jong, auch deutsche tierärztliche Forscher wie Dammann u. a. beteiligt haben, ergeben, daß die Rindertuberkulose entgegen der von R. Koch vertretenen Auffassung sehr wohl auf den Menschen übergehen kann, und daß die Übertragung besonders leicht durch tuberkelbazillenhaltige Kuhmilch vermittelt wird. Hieraus ergibt sich von selbst die Forderung, wenigstens die zum Rohgenuß bestimmte Milch nur von solchen Kühen zu gewinnen, die einer ständigen tierärztlichen Kontrolle unterworfen sind, und auch von der allgemeinen Milchgewinnung solche Tiere auszuschließen, die mit der Milch Tuberkelbazillen ausscheiden. Da aber die Tuberkelbazillen nicht die einzigen Krankheitskeime sind, die durch Milchgenuß auf den Menschen übertragen werden tonnen, so hat sich im letzten Jahrzehnt ganz von selbst ein neues Forschungsgebiet, die Milchhygiene, erschlossen, das in von Jahr zu Jahr zunehmendem Maße auch von deutschen Tierärzten bearbeitet wird. Es ist daher durchaus gerechtfertigt, daß die Bedeutung, die den Tierärzten als Sachverständigen auf dem Gebiete der Milchhygiene zukommt, im neuen Reichsviehseuchengesetze durch Übertragung der Befugnis der Überwachung von Sammelmolkereien klar zum Ausdruck gebracht ist. Ebenso ist es mit Genugtuung zu begrüßen, daß in den bereits erwähnten Normalbestimmungen über die Regelung des Milchverkehrs in Preußen in angemessener Weise auf die Mitwirkung der Tierärzte bei der allgemeinen Milchkontrolle hingewiesen ist. Je mehr sich aber die Auffassung Bahn bricht, daß der Tierarzt neben dem Chemiker als Sachverständiger bei der Milchkontrolle zu gelten hat, um so leichter wird es gelingen, die Schwierigkeiten zu überwinden, die der Einführung einer allgemeinen Milchkontrolle heute noch entgegenstehen.

Sonstige Disziplinen der Veterinärmedizin.

Wenn auch der Aufschwung der Veterinärmedizin in den letzten 25 Jahren für die Allgemeinheit wohl am deutlichsten in den beiden soeben besprochenen Forschungsgebieten der Seuchenkunde und der Nahrungsmittelkunde zum Ausdruck kommt, so stehen doch die übrigen Disziplinen in ihrer Entwicklung diesen nicht nach. Das gilt in erster Linie von den Disziplinen, die von jeher in besonders naher Beziehung zur Humanmedizin gestanden haben, nämlich von der Anatomie und Histologie, der Embryologie und der Physiologie der Haustiere, von denen die erstere, weiterbauend auf den Arbeiten von Gurlt, Müller, Leisering, Franck, gerade in den letzten 25 Jahren durch zahlreiche umfassende vergleichende Untersuchungen von Ellenberger und Baum, Martin, Schmaltz u. a. einen wissenschaftlichen Ausbau erfahren hat, der sie der humanen Anatomie ebenbürtig an die Seite stellt, während die letztere unter Benutzung der Vorteile, die ihr die Natur des Objektes gerade auf dem Gebiete exakter physiologischer Forschung gegenüber der Menschenmedizin gewährt, durch wertvolle Beiträge– erwähnt seien u. a. die Arbeiten Ellenbergers und seiner Schüler über Ernährungsphysiologie – den gemeinsamen Unterbau der medizinischen Wissenschaft wesentlich erweitert hat. Und in gleicher Weise haben zahlreiche Arbeiten aus der experimentellen Tierpathologie und pathologischen Anatomie nicht nur die eigene Wissenschaft gefördert, sondern zugleich auch zur Lösung schwieriger allgemein medizinischer Probleme beigetragen. So [1440] ist es der mündig gewordenen tierärztlichen Wissenschaft vergönnt, wenigstens einen Teil des Dankes abzutragen, den die Veterinärmedizin der älteren und länger wissenschaftlich tätigen Schwester schuldet.

Praktische Veterinärmedizin.

Aber auch die praktische Veterinärmedizin ist in diesem Wettstreit nicht zurückgeblieben und hat in allen ihren Zweigen eine wissenschaftliche Vertiefung erfahren. Wir danken es Männern wie Friedberger, Siedamgrotzky, Dieckerhoff, Moeller, Fröhner und ihren nunmehr als Leiter tierärztlicher Hochschulkliniken tätigen zahlreichen Schülern, daß auch die praktische tierärztliche Tätigkeit aus dem gewaltigen Aufschwunge der gesamten medizinischen Wissenschaft in den letzten 25 Jahren dauernden Nutzen gezogen hat. So sind nicht nur die diagnostischen Hilfsmittel zur Feststellung innerer und äußerer Leiden und ihre Behandlungsmethoden wesentlich verbessert, sondern es sind auch infolge der Fortschritte der Chirurgie bei den Tieren Operationen möglich geworden, an deren Ausführung vor 25 Jahren niemand zu denken wagte, so daß der praktische Tierarzt, dessen Tätigkeit sich, entsprechend dem ständig steigenden Werte der Haustiere, einer zunehmenden Anerkennung und Wertschätzung erfreut, heute mit ganz anderem Rüstzeug seines schwierigen Amtes walten kann. Auch hat die Preissteigerung aller von Tieren stammenden Nahrungsmittel von selbst dahin geführt, daß der Rat des Tierarztes gegenwärtig nicht selten bei Krankheiten in Anspruch genommen wird, die früher nicht Gegenstand tierärztlicher Beratung waren, wie Geflügel- und Fischkrankheiten, seuchenhafte Bienenkrankheiten.

Tierzucht.

Noch auf ein anderes erweiterungsfähiges tierärztliches Arbeitsfeld sei an dieser Stelle hingewiesen, die Tierzucht, die von Alters her neben praktischen Landwirten auch Tierärzte zu ihren namhaften Vertretern gezählt hat. Wenn auch in vielen Gegenden, so vor allem in Baden, Bayern und Hessen durch Lydtins Einfluß und in Sachsen durch Puschs Wirken den Tierärzten, insbesondere den beamteten Tierärzten, ein beachtlicher Einfluß auf die Tierzucht zugestanden ist, so kann es doch nur im Interesse der Landwirtschaft selbst liegen, wenn die in dem tierärztlichen Wissen ruhenden züchterischen Kräfte mehr als bisher zur Förderung der landwirtschaftlichen Tierzucht ausgenutzt werden.

Gerichtliche Tierheilkunde.

Endlich sei noch eines besonderen Zweiges praktischer tierärztlicher Tätigkeit gedacht, der gerade in jüngster Zeit erhebliche Wandlungen erfahren hat, nämlich der gerichtlichen Tierheilkunde und ihrer Umgestaltung nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900. Die Gewährleistung im Viehhandel ist von jeher Gegenstand lebhafter Kontroverse gewesen. Die Verschiedenartigkeit ihrer gesetzlichen Regelung in den einzelnen Staaten war ein Ausdruck für die grundverschiedenen Auffassungen über die zweckmäßige Lösung dieser Rechtsfrage. Zumal in Deutschland war vor dem Inkrafttreten des BGB. die Gewährleistung im Viehhandel nicht selten in politisch und wirtschaftlich eng zusammengehörigen Landesteilen ganz verschieden geregelt. Gegenüber [1441] diesen Zuständen bedeutet die Einführung einheitlicher Grundsätze für den Handel mit Nutz- und Schlachtvieh im ganzen Deutschen Reiche sicherlich einen bedeutsamen Fortschritt, wenn auch die Regelung auf deutsch-rechtlicher Grundlage den Ansichten der tierärztlichen Sachverständigen auf diesem Gebiete nicht entsprochen hat. Die Zukunft muß lehren, ob es gelingen wird, die Härten der zur Zeit gültigen gesetzlichen Bestimmungen durch Ausbau und Ergänzung der durch Kaiserliche Verordnung festgesetzten Hauptmängelliste zu mildern.

Tierärztliche Lehr- und Forschungsanstalten.

Der gewaltige Aufschwung der Veterinärmedizin, von dem soeben in gedrängter Kürze eine Übersicht gegeben wurde, wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nicht zugleich auch tiefgreifende Änderungen im gesamten tierärztlichen Bildungswesen vollzogen hätten, die ihrerseits wiederum eine völlige Umgestaltung der deutschen tierärztlichen Lehr- und Forschungsanstalten in den letzten 25 Jahren herbeigeführt haben. Wenn auch der erste Anstoß zu dieser Entwicklung bereits im Jahre 1879 mit Einführung der Primareife als Vorbildung, Festsetzung eines siebensemestrigen Fachstudiums und Neuregelung des Prüfungswesens nach dem Vorbilde der ärztlichen Prüfungsordnung gegeben wurde, so hat es doch noch länger als zwei Jahrzehnte gedauert, bis endlich durch Einführung des Abiturientenexamens als Vorbedingung für die Zulassung zum Studium der Veterinärmedizin vom 1. April 1903 ab auch in dieser Hinsicht das tierärztliche Studium dem ärztlichen gleichgestellt wurde. Zwar haben die einzelnen Bundesstaaten, dem Vorbilde Preußens folgend, bereits Ende der achtziger Jahre ihre Tierarzneischulen zu „Tierärztlichen Hochschulen“ erhoben und hierdurch wenigstens äußerlich den übrigen Fachhochschulen gleichgestellt, aber vor dem entscheidenden Schritte, zugleich auch die Vorbildung für das tierärztliche Studium zu erhöhen, schreckte man damals noch zurück aus Furcht, daß es den tierärztlichen Bildungsanstalten alsdann an Studierenden und in Zukunft dem Lande an Tierärzten fehlen würde. Es ist ein unvergängliches Verdienst des damaligen Prinzen Ludwig von Bayern, durch tatkräftiges Eintreten für die Forderung der Tierärzte im bayrischen Landwirtschaftsrate kurz vor Neujahr 1900 diese wichtige Angelegenheit wieder in Fluß gebracht zu haben, die nach Überwindung erheblicher Schwierigkeiten endlich im Juli 1902 durch Festsetzung der Maturität als Vorbedingung für das tierärztliche Studium ihren befriedigenden Abschluß fand. Daß die Bedenken, die man früher gegen die Einführung der vollen Universitätsreife geltend gemacht hat, nicht stichhaltig waren, hat sich schon wenige Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen gezeigt, denn der Zudrang zum tierärztlichen Studium hat nach kaum zweijähriger Übergangszeit andauernd in solchem Maße zugenommen, daß gegenwärtig bereits die drohende Überfüllung des tierärztlichen Berufes sowie die Mittel und Wege zu ihrer Abwehr ernstlich erörtert werden. Hieran dürfte auch die in diesem Jahre nach langwierigen Verhandlungen gleichsam als Abschluß des gesamten Reformwerkes zur Einführung gelangte neue Prüfungsordnung für Tierärzte, die als wesentliche Änderung eine Verlängerung der Studienzeit von 7 auf 8 Semester vorsieht, kaum etwas ändern.

[1442] Mit dem Aufschwung der Veterinärmedizin in den letzten 25 Jahren haben natürlich auch ihre Lehr- und Forschungsanstalten eine angemessene Erweiterung und einen neuzeitlichen inneren Ausbau erfahren müssen. Vorangegangen ist in dieser Beziehung die tierärztliche Hochschule in Hannover, die dank der Tatkraft Dammanns noch an der Wende des Jahrhunderts einen mustergültigen Neubau erhalten hat. Ein ähnlicher umfassender Neubau ist gegenwärtig bereits für die Dresdener Tierärztliche Hochschule geplant und für die Münchener Hochschule ernstlich in Erwägung gezogen, während die Berliner Tierärztliche Hochschule den neuzeitlichen Anforderungen durch umfassende Erweiterungs- und Neubauten auf dem alten geräumigen Areale inmitten der Stadt genügen konnte. Die Verhandlungen über den Neubau der Tierärztlichen Hochschule in Stuttgart haben leider dazu geführt, daß diese fast 100 Jahre alte tierärztliche Hochschule vor Jahresfrist endgültig aufgehoben worden ist.

Aber trotz aller Neu- und Erweiterungsbauten wäre der hohe Stand, den die tierärztlichen Hochschulen gegenwärtig einnehmen, nicht erreicht worden, wenn nicht die alte, enge, mehr patriarchalische Organisation der ehemaligen Tierarzneischulen mit einem einzigen verantwortlichen Direktor an der Spitze, die man auch nach Erhebung dieser Anstalten zu Hochschulen einstwellen noch beibehalten hatte, allmählich durch eine freiere akademische Verfassung, die schließlich im Wahlrektorat gipfelte, ersetzt worden wäre. Allerdings standen der Einführung einer akademischen Verfassung an den einzelnen Hochschulen zunächst recht erhebliche Schwierigkeiten entgegen, so daß die Neuorganisation nicht überall mit der gleichen Schnelligkeit und dem gleichen Erfolge durchgeführt werden konnte. Am raschesten hat sich die Entwicklung vom Direktorat bis zum Wahlrektor an der Berliner und an der Dresdener Hochschule vollzogen, die beide im Jahre 1903 eine freiere akademische Verfassung und im Anschluß daran das Wahlrektorat erhalten haben. Seit Frühjahr 1913 erfreut sich auch die tierärztliche Hochschule in Hannover der gleichen Verfassung wie die Berliner Schwesteranstalt, und auch für die Münchener Hochschule dürfte die Einführung einer akademischen Verfassung unmittelbar bevorstehen.

Promotionsrecht.

Schon bald nach Einführung der Maturität als Vorbedingung für das Studium der Veterinärmedizin setzte eine Bewegung ein, welche die Erlangung des Promotionsrechtes für die tierärztlichen Hochschulen zum Ziele hatte. Zwar wird bereits seit Mitte des vorigen Jahrhunderts die Würde eines Dr. med. vet. von der medizinischen Fakultät der Universität Gießen, die von alters her eine besondere tierärztliche Abteilung besitzt, unter den gleichen Bedingungen wie die medizinische Doktorwürde verliehen, aber für die tierärztlichen Hochschulen gab es ein gleiches Recht nicht. Die Dresdener tierärztliche Hochschule, der bereits im Jahre 1903 das Recht der Ernennung von Privatdozenten eingeräumt war, war auch die erste die im Jahre 1907 dank dem zielbewußten Vorgehen Ellenbergers das Recht erlangte, gemeinsam mit der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig Tierärzte zu Doktoren der Veterinärmedizin zu promovieren. Nach Überwindung außerordentlicher Hindernisse und nicht zuletzt dank dem entschlossenen selbständigen Vorgehen Bayerns wurde endlich im Jahre 1910 auch den übrigen tierärztlichen Hochschulen das Promotionsrecht [1443] und in allerjüngster Zeit auch das Recht zur Ernennung von Privatdozenten verliehen. Damit hat die vor 25 Jahren einsetzende Weiterentwickelung der Tierarzneischulen zu vollwertigen akademischen Bildungsanstalten ihren Abschluß und zugleich ihre Krönung erfahren.

Es kann nicht überraschen, daß nach Erreichung dieses Zieles sich in allerjüngster Zeit auch in Deutschland Bestrebungen geltend machen, die nichts Geringeres als die völlige Eingliederung der tierärztlichen Hochschulen in die Landesuniversitäten bezwecken, um so auch äußerlich den nahen Zusammenhang zwischen Human- und Veterinärmedizin zum Ausdruck zu bringen. Wir können diese Bestrebungen dort, wo sie durchführbar sind und auf eine völlige Gleichstellung der tierärztlichen mit den übrigen Universitätsabteilungen hinzielen, im Interesse der Veterinärmedizin und des tierärztlichen Standes nur mit Freuden begrüßen.

Stellung der Tierärzte.

Entsprechend der vollwertigen akademischen Ausbildung und dem an Bedeutung ständig zunehmenden Wirkungskreise der Tierärzte hat sich selbstverständlich auch ihre soziale Lage und ihre gesellschaftliche Stellung gehoben. Auch für den Fernerstehenden sichtbar ist der Wandel in der Wertschätzung des tierärztlichen Standes durch drei Vorgänge aus jüngster Zeit besonders zum Ausdruck gelangt: durch die Schaffung eines Veterinäroffizierskorps, durch die Gleichstellung der Veterinärbeamten mit den Medizinalbeamten und durch die Ernennung von Fachreferenten in den zuständigen Ministerien der einzelnen Bundesstaaten. Daß auch diese Errungenschaften den Tierärzten nicht mühelos in den Schoß gefallen sind, lehrt ein Blick in die Fachpresse des letzten Jahrzehnts. Nächst dem Wohlwollen der zuständigen Reichs- und Staatsbehörden und den Bemühungen einflußreicher Fachkollegen danken wir diese Fortschritte der jahrelangen zielbewußten Vorarbeit, welche die tierärztlichen Standesvertretungen, vor allem die Vertretung der gesamten deutschen Tierärzteschaft, der deutsche Veterinärrat unter Führung von Esser und Schmaltz, geleistet haben. Daß diese in erster Linie den Veterinärbeamten und den Militärtierärzten zuteil gewordene Rangerhöhung ihre Wirkung auch auf die übrigen tierärztlichen Berufsgruppen, insbesondere die Gemeindetierärzte und die Privattierärzte, ausüben wird, steht außer Zweifel; aber ebenso sicher ist es auch, daß gerade diese der staatlichen Aufsicht nicht unmittelbar unterstellten Berufsgruppen noch manche Kleinarbeit im eigenen Lager zu leisten haben werden, ehe der Boden für die erstrebten, vor allen auch auf eine wirtschaftliche Besserstellung hinzielenden Reformen überall hinreichend vorbereitet sein wird. Hier helfend und fördernd einzugreifen, dürfte eine weitere dankbare Aufgabe der tierärztlichen Standesvertretungen sein, die erst jüngst in Preußen und in einigen anderen Bundesstaaten durch die Gründung von Tierärztekammern einen Ausbau erfahren haben, der für die Weiterentwickelung des tierärztlichen Standes von der größten Bedeutung sein dürfte.