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oder im Fleisch vorhandene Mikroorganismen die Fähigkeit besitzen, Stoffwechselprodukte zu erzeugen, die eine ungeheure Giftigkeit auch dem menschlichen Körper gegenüber entfalten. Mit Zunahme der Fälschungen von Fleischnahrungsmitteln und des Verbrauchs von Fleischkonserven der verschiedensten Art hat die wissenschaftliche Forschung alsbald auch diese berücksichtigt und wertvolle Methoden für die Erkennung und Beurteilung derselben geschaffen. Auch die postmortalen Zersetzungsprodukte des Fleisches wurden eingehend studiert und zur Feststellung derselben sichere objektive Merkmale angegeben. Ebenso brachte es die zunehmende Verwendung von Wildbret, Geflügel, Fischen, Krusten- und Schaltieren mit sich, daß die tierärztliche Wissenschaft auch diesen Fleischnahrungsmitteln ihre Aufmerksamkeit schenkte. Andererseits haben die wissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahrzehnte aber auch Gewißheit darüber gebracht, daß eine Anzahl Tierkrankheiten keine Fleischschädlichkeiten oder solche doch nur unter gewissen Bedingungen in sich schließen, und nicht minder hat uns die Wissenschaft gezeigt, wie wir verschiedene dem Fleische anhaftende Nachteile beseitigen können, so daß es zur menschlichen Nahrung unbedenklich verwertet werden kann. So wurde in rastloser, zielbewußter Arbeit in kaum drei Jahrzehnten die wissenschaftliche Fleischbeschau zu der heutigen Höhe emporgehoben, und es erfüllt uns mit besonderem Stolze, daß gerade deutsche Tierärzte – genannt seien u.a. Schmidt-Mühlheim, Johne, v. Ostertag, Edelmann und ihre zahlreichen Schüler – ein bedeutendes Stück dieser Arbeit geleistet haben.

Natürlich konnte es nicht ausbleiben, daß die sich häufenden Beobachtungen über Schädigungen der menschlichen Gesundheit durch den Genuß des Fleisches kranker Tiere hier und dort schon frühzeitig zum Erlasse gesetzlicher Bestimmungen zur Abwehr dieser Gefahren führten. Doch blieben diese Bestrebungen zunächst vereinzelt und wandten sich auch meistens nur gegen bestimmte Schädlichkeiten, wie Trichinen und Finnen. In erster Linie waren es wohl die großen Städte, deren Verwaltungen erkannten, daß gewisse hygienische Forderungen in bezug auf das Fleischergewerbe und die Fleischnahrung im Interesse der Bewohner erfüllt werden müßten. Diese Erwägungen führten, namentlich nachdem Preußen durch Gesetz vom Jahre 1868 Normen für den Schlachthausbau aufgestellt hatte, zur Errichtung öffentlicher Schlachthäuser, deren Benutzung die Einführung der allgemeinen Fleischbeschau zweifellos sehr gefördert hat. Aber es war doch noch viel Kleinarbeit zu leisten, ehe die wissenschaftlichen Unterlagen und die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen ausreichten, um den Versuch der Einführung einer allgemein verbindlichen Fleischbeschau für das ganze Deutsche Reich wagen zu können.

Eine bedeutsame Förderung erfuhren die auf eine gesetzliche Regelung der Fleischbeschau hinzielenden Bestrebungen durch das zielbewußte Vorgehen Sachsens in dieser wichtigen Frage. Hier war man bereits seit Anfang der neunziger Jahre, sich stützend auf die Erfahrungen einiger süddeutscher Staaten, insbesondere Badens, bemüht, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, welche die Fleischbeschau nach modernen Grundsätzen für das gesamte Königreich einheitlich regeln sollten; doch gelang es erst im Frühjahr 1898 ein Gesetz über die Einführung einer allgemeinen Schlachtvieh- und Fleischbeschau für das Königreich Sachsen zustande zu bringen, das am 1. Juni 1900 in Kraft getreten ist

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/308&oldid=- (Version vom 20.8.2021)