Textdaten
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Titel: Verlorene Ehre
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 446
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[433]

Verlorene Ehre.
Nach seinem Oelgemälde auf Holz übertragen von Eduard Schulz in Düsseldorf.

[446] Verlorene Ehre. (Mit Abbildung Seite 433.) Der Holzschnitt, den wir unter vorstehendem Titel bringen, bedarf nur weniger Worte der Erläuterung; er erklärt sich, wie das rechte und echte Genrebild es thun soll, selber. Eine Scene, die leider im Leben nicht selten vorkommt, die Ablieferung zweier verhafteten Verbrecher am Gefängniß, ist hier in echt künstlerischer Weise aufgefaßt und dargestellt worden. Der Schließer schlurft in seinen schweren Hausschuhen heran, um die eisenbeschlagene Pforte zu öffnen; der Gensd’arm berichtet flüchtig den beiden am Zechtisch sitzenden Beamten von seinem gelungenen „Fange“; in diesem kurzen Momente der Rast an der Schwelle des Kerkers läßt der Künstler das volle Licht auf die Gestalten und Züge der beiden Gefangenen fallen. Der Blick des Beschauers wird besonders durch den Jüngeren gefesselt, den Größeren von Beiden. Er ist in der That der Schwerpunkt des Bildes, und auf ihn concentrirt sich das Interesse. Der mit ihm zusammengekoppelte schlottrige Gesell, der alte Lump mit den matten Augen und den geschwollenen Wangen, ist ein „Verlorener“ im weitesten Sinne des Wortes: er hat längst die Ehre und im Fuselgenuß sich selbst verloren; er bleibt gleichgültig bei dem Rasseln der Schlüssel. An ihm ist nichts mehr zu enträthseln. Sein Gefährte dagegen, ein Mann in der Fülle der Kraft, ist ersichtlich noch ein Neuling auf diesem Pfade; sein Ehrbewußtsein ist noch nicht erloschen; seine Faust ballt sich; seine Züge verrathen den Sturm in seinem Innern. Was für Gefühle sind es, unter deren Druck die Muskeln dieses Gesichtes sich krampfhaft verziehen? Ist es Entrüstung, die sich im Rechte und die Diener des Gesetzes im schreiendsten Unrecht glaubt? Ist es ohnmächtiger Trotz, der in dem gefesselten Manne noch einmal aufwallt? Ist es das Schuldbewußtsein, das hier an dieser düsteren Pforte und angesichts dieser Gruppe naiv oder ängstlich blickender Kinder wuchtiger auf das Gewissen drückt? Wir wollen es dem Beschauer überlassen, das zu entziffern.

Eduard Schulz, dessen Pinsel das wirkungsvolle Oelgemälde, dem unser Holzschnitt nachgebildet ist, schuf, lebt in Düsseldorf. Geboren im Jahre 1831 im Lande Jülich, sollte er Officier werden und wurde auf die Cadettenanstalten zu Bensberg und zu Berlin geschickt. In der letzteren Stadt jedoch entwickelte sich unter dem Anblick der künstlerischen Sammlungen in dem Knaben eine unwiderstehliche Leidenschaft für die Kunst, eine Leidenschaft, welche dem Vater die Erlaubniß abpreßte, daß der Sohn den Beruf wechseln dürfe. Auf der Akademie in Düsseldorf, später in Antwerpen, machte Eduard Schulz seine künstlerischen Studien und arbeitete selbstständig als Portrait- und Historienmaler. Auf dasjenige Feld, das sein eigenster Beruf zu sein scheint, auf das der Genremalerei, trat er jedoch erst vor etwa drei Jahren hinüber. Die Bilder, die er in dieser Richtung bisher malte, sind meist in die Hände von Amerikanern übergegangen. „Verlorene Ehre“ wird demnächst auf die Berliner Ausstellung kommen. Die Schöpfungen unseres Schulz sind von frappanter Wirkung, von kraftvoller Composition und feiner Ausführung, Scenen, aus dem vollen Leben gegriffen, aber bei allem Realismus des Details doch von der Idee beherrscht und vom Hauche des Idealismus durchweht. Eduard Schulz tritt mit ihnen den besten Genremalern der Düsseldorfer Schule ebenbürtig zur Seite.