Textdaten
<<< >>>
Autor: Johann Peter Hebel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vereitelte Rachsucht
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 246-249
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[246]
Vereitelte Rachsucht.

Der Amtmann in Nordheim ließ im Krieg in den neunziger Jahren fünf Jauner henken, und warens in der ersten Viertelstunde so gut gewohnt, daß keiner mehr herab verlangte, und je nachdem der Wind gieng, exercirten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechts um, links um, ohne Flügelmann. Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben von ihm hatte, sagte: „Wart Amtmann, ich will dirs eintränken.“ [247] Ein paar Tage darauf reitet die östreichische Patrouille gegen das Städtlein am Galgen vorbei, da sagt einer zu dem andern: „Es lauft dir eine Spinne am Hut, so groß wie ein Taubeney.“ So zieht der andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben der Wind aus Westen gieng, drehten sich und machten Front. Indem schleicht von weitem ein Büblein von der Straße ab hinter eine Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber das Büblein hatte gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer von den Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die Knie, und sagte mit Zittern und mit Beben: „Pardon! Ich hab sie alle ins Wasser geworfen.“ Der Dragoner sagte: „Was hast du ins Wasser geworfen?“ – „Die Briefe.“ – „Was für Briefe?“ „Die Briefe vom Amtmann an die Franzosen. Wenn Oestreicher ins Land kommen, sagte der Bursche, muß ich dem Amtmann Boten laufen ins französische Lager. Dießmal hatte ich drey Briefe, einen an den Dürrmeier.“ Also holten die Dragoner, mir nichts, dir nichts, den Amtmann ab, wie er gieng und stand, und mußte in den Pantoffeln zwischen den Pferden im Koth mitlaufen, und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn, und der Bube mußte auch mit. Der Amtmann war so unschuldig, als der römische Kaiser selbst, hätte sich für die östreichischen Waffen lebendig die Haut abziehen lassen, hatte sechs Kinder, eins schöner als das andere, und eine schwangere Frau. Aber das war die Rache, die ihm die Jaunerinn zugedacht hatte, als sie sagte: „Wart, Amtmann, ich will dir’s gedenken.“ Im Lager, als er zu dem General geführt [248] wurde, und die Hohenzollerer Kürassiere und Kaiser-Dragoner und Erdödi-Husaren sahen ihn vorbey führen, sagte einer von der Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: „Es ist ein Spion.“ Der Kamerad sagte: „Strick ist sein Lohn.“ Und der Officier, an den sie ihn ablieferten, war auch der Meinung, und bestellte spottweise schon bei ihm einen Gruß an den Schwarzen und seine Großmutter. Dem Hausfreund ists aber bey dieser Geschichte nicht halb so angst, als dem geneigten Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben, sondern als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der Hauptm. Auditor mit Verwunderung und Bedauren an, und sagte: „Seyd ihr nicht der Nemliche, der mich vor einem Jahr drey Tage lang im Keller hinter der Sauerkrautstande vor den Franzosen verborgen hat, und habt Schläge genug von ihnen bekommen, und als sie euch oben den Speck verzehrten, aß ich unten das Sauerkraut dazu, sammt den Gumbist-Aepfeln.“ Der Amtmann sagte: „Gott erkennts, und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so doch von Lindenholz ist, und ihr Lebenlang noch keinen Buchstaben geschrieben hat.“ Indem kamen auch mehrere gute Freunde und angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine Rechtschaffenheit und Treue und was er schon für Drangsalirung von den Franzosen habe ausstehen müßen, und wie auf seine Anordnung der letzte Sieg der Oestreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, daß der Kirchthurm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt, aber einen Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran dachte, wie er drey Tage lang [249] in des Amtmanns Keller in der verborgenen Garnison lag, hinter dem Schanzkorb, hinter der Sauerkrautstande, war geneigter, Ja zu glauben als Nein. Also ließ er den Amtmann hinaus führen und den Buben herein, und that ein Paar verfängliche Fragens an ihn, sagte ihm aber nicht, daß sie verfänglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er die Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem Ja und Nein so unvorsichtig, daß er in wenig Minuten nimmer links, nimmer rechts auszuweichen wußte und alles gestand. Also bekam er links und rechts fünfzehen Hiebe vom Profos, und begleitete freywillig, die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann aber aß mit dem Hauptmann Auditor bey dem General Feldmarschall zu Nacht, und den andern Tag bey seiner Frau und Kindern zu Mittag, und der Hausfreund thut auch einen Freuden-Trunk, daß er wieder ein Exempel der Gerechtigkeit statuirt hat.