Textdaten
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Titel: Unter dem Krummstab
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 156
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[156] Unter dem Krummstab. Der zweite Theil der epischen Dichtung „Eine Römerfahrt“ von Johannes Nordmann ist unter dem vorstehenden Separattitel soeben erschienen und wird nicht verfehlen gleich seinem Vorgänger „Der Bauernkrieg in Oberösterreich“, Aufsehen zu machen. Er behandelt gleich diesem ein düsteres Thema, das alte Lied von dem Kampfe zwischen Finsterniß und Licht, von der Vergewaltigung der Vernunft und dem temporären Siege der fanatischen Dummheit. Auf seiner Fahrt nach Rom ist der Poet in das schöne Salzkammergut gelangt und rastet in St. Peter’s kühlem Keller, wo er sich beim Weine Kraft holt, die Schläfer auf dem alten Friedhofe gleich daneben zum Kreuzverhör zu citiren. In langen Geisterreihen stehlen sie sich der Beschwörung, unter ihnen der Schemen des Abtes Johannes von Staupitz, des Lutherfreundes, der ihm in wechselvollen Bildern den Glaubenskampf der Bauern schildert. Und diese Bilder nun entrollt der Dichter in aufgefrischten Farben vor den Augen der Mitwelt, die der Zeiten, aus denen sie stammen, leider fast vergessen hat. Kaleidoskopisch ziehen sie an uns vorüber in stetem Wechsel; der Faden, an welchen sie gereiht sind, hindert nicht den Sprung zur Seite, vorwärts und zurück, die Landschaft bietet nicht blos Gelegenheit zu schwungvollen Naturschilderungen, sondern auch hundert Anknüpfungspunkte für die Herbeiziehung von Menschen und Dingen. Den Mittelpunkt des Epos bildet die Vertreibung von dreißigtausend Protestanten aus dem Lande Salzburg unter dem fanatischen Erzbischofe Firmian im Jahre 1731. Die Gräuel, welche diese braven Leute um ihres Glaubens willen erdulden mußten sind vom Dichter mit glühendem Griffel geschildert; man fühlt, wie die poetische Gerechtigkeit einen Ausbruch sucht gegenüber solchem grausamen und thörichten Zelotenthum. Es klingt heute noch rührend und zum Mitweinen, das wehmüthige Wanderlied:

„Ich bin ein armer Exulant -
Also thu’ ich mich schreiben.
Man thut mich aus dem Vaterland
Um Gottes Wort vertreiben“

welches Nordmann geschickt im sein zürnendes Poem eingeflochten hat. Wäre bei der prächtigen Schilderung der Ausnahme, die den Vertriebenen in Deutschland geworden, nicht eine Erinnerung an „Hermann und Dorothea“ gerechtfertigt gewesen? Die Brücke zum nächsten Sange, welcher hoffentlich recht bald erscheinen wird, findet der Dichter in einer Apotheose des Walther von der Vogelweide, wobei es ihm mit Recht als eine Art Satyrspiel erscheint, daß aus dem Lande der Finsternis, Tirol, die Auferstehungslieder dieses gottbegnadeten deutschen Sängers klingen. Neben dem gedankenvollen Inhalte der Dichtung muß der Meisterschaft gedacht werden mit welcher der Verfasser die Sprache behandelt. Er hat das schwierige Versmaß der ottave rime gewählt, handhabt dasselbe aber trotz Ariost und Tasso; wenn ihm auch manchmal gewagte Neubildungen aushelfen müssen und hier und dort ein etwas wunderlicher Reim mit unterläuft, so will doch das wenig bedeuten gegenüber dem sonst unerschöpflichen Reichthum seiner Vorräthe. In dieser Beziehung muß das Epos ein bemerkenswerthes Kunstwerk genannt werden. Die eingeschalteten Balladen wirken erfolgreich als Ruhestationen, wie auch durch ihren Eigenwerth. Kurz, es darf das Nordmann’sche Gedicht allen Freunden einer tiefsinnig poetischen Lectüre und tüchtigen Gesinnung als eine beachtenswerthe Zeiterscheinung bestens empfohlen werden.