Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unsere hungernden Waldleute!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 260
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[260] Unsere hungernden Waldleute! – Lange bevor das Brausen der städteverheerenden Theiß und der Hülferuf von Szegedin die menschliche Theilnahme und Mildtätigkeit in ganz Deutschland erweckte, waren die Klagen der Waldbewohner aus dem Spessart hervorgedrungen. Niemand kann ein Vorwurf deshalb treffen, daß vor dem fernen Aufschrei Tausender, die mit den furchtbarsten Schrecknissen in einer Nacht massenhaft in Noth und Tod gestürzt wurden, das Klagen der Hungernden im eigenen Vaterlande überhört worden ist. Es liegt in der menschlichen Natur, daß das Gewaltige eines Ereignisses die Seele fesselt und ein plötzlich hereinbrechendes Unglück rascher Herz und Hand zur rettenden That bewegt, als das leise heranschleichende Elend.

Jetzt aber, wo das Bild dieses Elends einer ganzen Gebirgsbevölkerung in seiner Größe vor uns steht, muß auch für sie, unsere Landsleute, die Hülfe sich zu der entsprechenden Höhe erheben. Nach der Veröffentlichung der königlichen Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg sind nicht weniger als drei Viertheile der Familien im Spessart in der hülfsbedürftigsten Lage, abgesehen von den armen Waldleuten der Rön und des Fichtelgebirgs, die bereits von derselben Noth hart bedroht sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese armen Menschen ihr kümmerliches Dasein von einer Kartoffelernte zur andern fristen, und daß schon eine Mißernte dieser ihrer alltäglichen Nahrungsfrucht sie zu den bittersten Entbehrungen zwingt, auch wenn nicht, wie jetzt in allen diesen Gebirgsgegenden, das Darniederliegen der Industriezweige, auf die sie mit ihrer Existenz angewiesen sind, schon Noth und Jammer genug über sie verhängte.

Die Schilderungen von dem Nothstand im Spessart laufen längst durch alle und namentlich die süddeutschen Zeitungen. Wenn wir dennoch wenigstens einige Züge des entsetzlichen Bildes hier mittheilen, so geschieht dies für unsere zahlreichen Leser jenseits der Meere, zu denen andere Blätter nur selten gelangen. Auch ihre Hülfe nehmen wir in Anspruch; – ihre Gaben kommen nicht zu spät, den hier gilt es nicht, für den Augenblick oder für wenige Wochen, sondern auf ein ganzes Jahr und länger hinaus zu sorgen und zu schaffen, um die Lebensmöglichkeit von Tausenden für die Zukunft zu sichern.

Man glaubt sich in die schlimmsten Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs versetzt, wenn man vernimmt, daß nicht einzelne, in Gutherzigkeit die Darstellung der Noth leicht übertreibende Privatpersonen, sondern daß die Glieder „einer hohen Regierungs-Commission“, die Wahrheit der Zeitungsberichte bestätigend, in den unglücklichen Districten Haus bei Haus „kein Brod, keine Kartoffeln, kein Salz“ fanden, sondern „eine Bevölkerung, welcher der Hunger zu den Augen heraussieht und die in stummem Kummer vor sich hinstarrt, entkräftet, muthlos und schon zu schwach zur Arbeit geworden“.

„In der Gemeinde Altenbuch,“ schreibt man, „gilt crepirtes Wild als ein Leckerbissen, und sogar vergrabene Wildschweine werden wieder ausgescharrt und verzehrt.“ Das ist zufällig nur von dieser einen Gemeinde bekannt geworden; wie wird es in vielen anderen aussehen! Und welche Gefahren für den Gesundheitsstand müssen für ganze Districte aus solcher Nahrung und Entbehrung erwachsen!

Es ist dankbar anzuerkennen, daß die königliche Regierung selbst auf die Gegenstände hingewiesen hat, welche zur Stillung des Hungers und als Hülfsmittel bei ausbrechenden Krankheiten zunächst nothwendig sind, und wir theilen deshalb das Betreffende aus dem öffentlichen Erlaß mit. Es heißt daselbst:

„An Nahrungsmitteln sind hauptsächlich erforderlich: Erbsen, Bohnen, Linsen, Kartoffeln, Weißmehl, Salz, Reis, Getreide, Schmalz, Speck, Kaffee und Zucker, Rothwein, geräuchertes Fleisch, überhaupt gut aufzubewahrende und transportfähige Nahrungsmittel.“

Neben letzteren sind aber auch Kleidungsstücke und Leibwäsche willkommen, denn namentlich die armen Kinder haben in ihren Lumpen in dem harten Winter unsäglich gelitten. Und wenn auch die nun endlich aufgegangene Sonne des Frühlings von den beiden Hauptfeinden der Armuth, Hunger und Frost, den letzteren vertreibt, so wollen wir doch daran denken, daß der Winter wiederkommt und Alt und Jung dort für ihr langes Leiden die Freude ganzer und schützender Kleidung verdient haben.

Das Haupterforderniß aber bleibt immer – das Geld. Denn wenn auch die Hungersnoth überwunden und die Bevölkerung vor verheerenden Krankheiten bewahrt ist, so würde sie doch mit leeren Händen vor ihren Aeckern stehen und weder Kartoffeln noch Getreide zur Aussaat haben. Dazu müssen vor Allem die Mittel beschafft werden.

Mit Freude können wir es aussprechen, daß sich die Theilnahme für unsere hungernden Waldleute im Spessart bereits kräftig geregt hat, wenn sie auch mit der für Szegedin noch in keinem Vergleich steht. Um so mehr muß hervorgehoben werden, welche edlen Züge von Opferfähigkeit sich dabei bemerkbar gemacht haben. Die Soldaten der letzten Compagnie des 17. baierischen Infanterieregiments „Orff“ in Germersheim darbten sich 75 Laib Brod am Munde ab, um es den Nothleidenden in Unterfranken und Aschaffenburg zuzusenden. Ebenso schickte das 4. baierische Infanterieregiment „König Karl von Württemberg“, zur Zeit in Metz, 100 Mark für die Spessartdörfer, und das Musikcorps des 4. baierischen Jägerbataillons in Landshut 200 Mark mit derselben Bestimmung nach Aschaffenburg.

Mögen solche ehrenwerthe Beispiele in allen Bevölkerungsclassen Nachahmung finden! Auf mehr Dankbarkeit können wir bei unseren armen Landsleuten sicher rechnen, als bei all den Wohlthaten, die wir bis jetzt dem Auslande erwiesen haben. Die deutsche Nation hat sich jedoch noch durch keine Erfahrung des Undanks abhalten lassen, dem Drange des Herzens zu folgen, wo die Noth um Hülfe rief, ob dies an der Theiß oder an der Rhone geschehen. Um so mehr aber ist zu erwarten, daß sie gegen die eigenen Landeskinder ihre volle Schuldigkeit thue.

Da die „Gartenlaube“ nicht ohne höhere Genehmigung selbst Sammlungen dieser Art unternehmen darf, die Zeit aber drängt, so bitten wir unsere Leser, ihre Gaben, mit Vermeidung des Umweges über Leipzig, sofort an das „Centralhülfscomité in Aschaffenburg“ zu richten.

Wir schreiben heute den zweiten April. Vierzehn Tage vergehen, ehe diese Nummer in die Hände der Leser kommt. Es könnte deshalb leicht möglich sein, daß bis dahin der äußersten Noth abgeholfen wäre. Wünschen wir dies sogar von ganzem Herzen! Aber lassen wir uns dadurch nicht abhalten, in dem Sammeln der Gaben fortzufahren, und auch künftiger Noth vorzubauen! Das Schicksal der Bevölkerung darf nicht wieder von der ersten Kartoffel-Mißernte abhängen. Wenn die Mittel so reichlich flössen, daß noch ein Uebriges möglich würde: die Verpflanzung nährender Beschäftigung in diese Walddistricte, z. B. die Benutzung eines Theils des Waldreichthums zu einer einträglichen Holzindustrie, als Ersatz für die darniederliegende Eisenindustrie – erst dann würde ein ganzes Werk auch für die Zukunft des Spessart vollbracht sein.