Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Unsere entfernten Verwandten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 850–854
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[850]
Unsere entfernten Verwandten.


Von Brehm.


Der Strenggläubige sieht in jedem Naturforscher der Neuzeit, insbesondere in jedem Thierkundigen, welcher ebenso spricht und schreibt, wie er denkt, einen berechtigten Anwärter auf das höllische Feuer, wenn nicht mehr. Er überlegt sich nicht oder vergißt, daß der Mensch seine Götter und Götzen nach seinem eigenen Bilde sich erträumte und gestaltete, daß der Weiße die edelste Kaukasiergestalt, der Neger einen schwarzen, der Mongole einen schiefäugigen Gott sich ausmalte, und hängt deshalb mit Inbrunst an dem Wahne der gerade ihm gewordenen Ebenbildlichkeit. Nur hierdurch finde ich Erklärung des Entsetzens,

[851]

Löwenäffchen.
Im Berliner Aquarium nach dem Leben gezeichnet von G. Mützel.

[852] welches die Lehren Darwin’s in gewissen Kreisen hervorgerufen haben, wie der geradezu kindischen Furcht vor dem sogenannten „Materialismus“ und seinen Anhängern. Mit Ergötzen habe ich oft schon erfahren müssen, daß anscheinend vernünftige Leute in wahren Feuereifer geriethen, wenn Darwin’s Name genannt wurde, und daß sie mit verschwenderischem Aufwande von Gründen und Scheingründen sich bemühten, jede Gemeinschaft mit dem weltberühmten Forscher und seinen Jüngern auf das Bestimmteste von sich zu weisen, oder daß man bei Erwähnung Moleschott’s, Vogt’s und Büchner’s wenigstens mit Worten ein Kreuz schlug; mit Behagen habe ich die ängstliche Abwehr wahrgenommen, welche meine eigenen Worte hier und da hervorriefen, mit absonderlichem Vergnügen die tadelnden Beurtheilungen meines „Thierlebens“ in pfäffischen Zeitschriften jedes Schlages oder die meist namenlosen Briefe gelesen, in denen ich zur Umkehr, Buße und Besserung ermahnt wurde.

Und dies Alles weshalb? Weil wir „Darwinisten“ und „Materialisten“ gemäß unserer Ueberzeugung uns dahin aussprechen müssen, daß der Mensch nichts weniger als ein Halbgott, sondern eben nur ein Säugethier ist, welches nach dem heutigen Stande der Wissenschaft, nach den eingehendsten und gewissenhaftesten Untersuchungen, größere Verwandtschaft mit den höchststehenden Affen bekundet als diese mit einigen, denen wir die niedrigste Stellung anweisen, daß folglich zwischen Mensch und Affe nicht einmal die Grenze einer Thierordnung, sondern höchstens die einer Thierfamilie aufrecht erhalten werden darf. In solcher Erkenntniß erblickt man eine mindestens ebenso ruchlose Ketzerei wie in der, welche das Unfehlbarkeitsdogma in Frage stellt, und gebehrdet sich, als ob Darwinismus und Materialismus jede sittliche Anschauung vernichten, jedes edlere Streben der Menschheit in den Staub herabziehen müßten. Gründe für derartige Vorurtheile weiß man allerdings nicht vorzubringen, scheut sich jedoch nicht, die überzeugende Kraft und den tiefernsten Gehalt der Darwin’schen Lehren zu verlästern oder durch plumpe Späße in das Lächerliche zu ziehen, auch wenn man vielleicht niemals in der Lage gewesen ist, Menschen und Affen in allen Abstufungen, Arten und Spielarten zu vergleichen.

Solche Vergleichung ergiebt zwar keineswegs die Gewißheit einer unmittelbaren Abstammung des Menschen von einem uns bekannten Affen, wohl aber verleiht sie dem Naturforscher unbestreitbar die Berechtigung, dem Menschen seinen ihm in der Thierreihe gebührende Platz anzuweisen. „Wenn auch“, sagt Victor Carus klar, kurz und bündig, „die geistige Entwickelung des Menschen denselben hoch über alle Affen erhebt, so wäre diese doch nicht möglich ohne eine besondere Organisation. Diese aber weist ihn unwiderleglich in die Nähe der übrigen Primaten oder Affen. Statt sich daher ausschließlich mit der geistigen Fortbildung des Menschen zu beschäftigen, hat die Naturgeschichte schön längst begonnen, bei Beurtheilung der körperlichen Grundlage jener denselben Maßstab anzulegen wie bei Erforschung anderer Wesen der belebten Natur. Die von allen Gegnern Darwin’s absichtlich verzerrte, um nicht zu sagen verfälschte Annahme einer möglichen Abstammung des Menschen von einem affenähnlichen Thiere oder richtiger seiner allmählichen Entwickelung und Fortbildung aus einem affenähnlichen Zustande zu dem, was er gegenwärtig ist, kommt bei Bestimmung seiner Stellung in der Thierwelt erst in zweiter Reihe in Betracht; denn in Bezug auf den Anschluß des Menschen an das Thierreich läßt sich weder irgend eine bestimmte, jetzt lebende Thierform als diejenige bezeichnen, aus welcher der Mensch hervorgegangen ist, noch ist die Frage überhaupt der Entscheidung nahe.“ Sie deshalb als unlösbar zu betrachten und abzustehen von Versuchen, der Lösung sie näher zu bringen, würde von jedem Forscher als eine Sünde gegen die Wissenschaft angesehen werden. Etwas Entsittlichendes, Zersetzendes und wie man sich sonst ausgedrückt hat, kann kein Vernünftiger in solchen Bestrebungen finden; denn ebenso berechtigt, wie die Beklemmungen der Menschen bezüglich ihres endlichen und unendlichen Seins, ist das Suchen nach Erkenntniß ihres Ursprunges jedenfalls. Und was den sittlichen Gehalt des Darwinismus anlangt, so meinen wir, daß es keine mehr erhabene und veredelnde Anschauung geben kann als diejenige, welche im Sein und Walten der Natur nur eine ununterbrochene, unaufhaltsame Entwickelung und Weiterbildung vom Niedrigen zum Höheren sieht, eine Fortentwickelung, welcher sich der Mensch ebenso wenig entziehen kann wie jedes andere lebende oder belebte Wesen. Wir Materialisten blicken trostvoll auf unsere Zukunft, weil wir nicht vom Halbgott zum Vieh hernieder, sondern vom Affen zum Menschen emporsehen.

„Was in aller Welt aber,“ ruft der mir wohlgeneigte Leser aus, „hat eine derartige Auseinandersetzung von Mensch und Affe, Darwinismus und Materialismus, Moral, Weiterentwickelung und Fortschritt mit dem prächtigen Bilde zu thun, welches ich vor mir habe? Ich will über die dargestellten Thiere, nicht aber über Darwin und seine Anhänger sowie deren Anschauungen und Ziele unterrichtet sein!“

Bitte, Verehrtester, erwidere ich, legen Sie das Blatt noch nicht unwillig aus der Hand. Die auf Mützel’s Bilde trefflich und lebenstreu wiedergegebenen, gegenwärtig im Berliner Aquarium lebenden Löwenäffchen (Hapale Rosalia) haben allerdings mit all dem zu thun. Gerade sie gehören zu einer Gruppe der Handthiere, für welche das oben Gesagte Gültigkeit hat; denn sie unterscheiden sich leiblich und geistig mehr von den „Menschenaffen“, zu denen wir Gorilla, Schimpanse, Orangutan und die mehrere Arten umfassenden Gibbons oder Langarmaffen rechnen, als diese sich von den Menschen, dienen also zum Maßstabe für die Bestimmung der Zusammengehörigkeit von Mensch und Affe, da sie erkennen lassen, wie erheblich die Verschiedenheit der einzelnen Familien und Sippen innerhalb der einen Ordnung sein kann.

Die Krallenaffen, zu deren ausgezeichneten Vertretern unsere Löwenäffchen gehören, bilden eine besondere Familie der Affen. Ausnahmslos klein und schwächlich gebaut, unterscheiden sie sich von ihren Ordnungsverwandten wesentlich durch ihr Gebiß und die Beschaffenheit ihrer Nägel. Ersteres besteht zwar aus ebensoviel Zähnen wie das des Menschen und der Altweltsaffen: die Zähne sind jedoch anders geordnet und auch anders gestaltet, nämlich spitzig und die Backenzähne spitzhöckerig, woraus man schon im Voraus auf eine andere Nahrung, als die Mehrzahl der Affen sie zu wählen pflegt, schließen darf; die Nägel sind mit Ausnahme des einen, welcher die Daumenzehen bekleidet, Krallen-, nicht aber Plattnägel, welche weniger zum Ergreifen als zum Einhäkeln beim Klettern dienen. Mit der Benagelung der Finger steht die verhältnißmäßige Unbeweglichkeit der Hand im Einklange: der Daumen kann den übrigen Fingern nur in beschränktem Maße gegenübergestellt werden, und die Hand sinkt dadurch fast zur Pfote herab. Sieht man vom Gebiß ab und behält man zunächst Gestalt und Bewegung im Auge, so kann man sich zu der Meinung hinneigen, daß sie Mittelglieder zwischen Affen und Eichhorn bilden, und wenn man sonst seiner Einbildungskraft nicht Zügel anlegen will, mag man sie als Thiere bezeichnen, welche aus Eichhörnchen zu Affen geworden sind. Einen solchen Aufschwung darf man ihnen nun wohl nicht zusprechen, jedenfalls aber sagen, daß sie die am wenigsten entwickelten Affen und somit unsere entferntesten Verwandten, nicht unsere Vettern, sondern höchstens unsere Andergeschwisterkinder darstellen.

Um zunächst einige Worte über ihr Freileben zu sagen, will ich bemerken, daß sie sammt und sonders in Süd- und Mittelamerika heimisch sind, in den Urwaldungen der Ost- und Westhälfte des Festlandes sich finden, bis Mexico nach Norden herab vorkommen, in sehr vielen Arten auftreten, welche meist einen beschränkten, nicht selten durch einen Fluß begrenzten Verbreitungskreis bewohnen, und in allen wesentlichen Eigenthümlichkeiten ihres Gebahrens, ihrer Sitten und Gewohnheiten unter einander übereinstimmen. Sie leben stets in Gesellschaften, halten sich ausschließlich auf Bäumen auf, klettern behend in deren Gezweige umher, ziehen gesellschaftlich von einem Orte zum anderen, des Nachts wahrscheinlich in Höhlungen sich verbergend, bei Tage unter oft wiederholtem, gemeinschaftlich ausgestoßenem Geschrei ihrer Nahrung nachgehend, nähren sich von allerlei Früchten, Baumknospen, Blättern und Kerbthieren, plündern wie unsere mit Unrecht verhätschelten Eichhörnchen unbarmherzig Nester aus, sind überhaupt verhältnißmäßig tüchtigere Räuber als alle übrigen Affen. Wie ihre Verwandten nicht eigentlich an eine bestimmte Zeit gebunden, bringen sie in jedem Monate des Jahres Junge zur Welt, gewöhnlich nur eins, manchmal zwei oder selbst drei, tragen diese mehrere Wochen lang mit sich umher und behandeln sie zärtlich, obschon bei weitem nicht mit solcher Innigkeit und [853] Hingebung wie andere Affen die ihrigen. Vielfach verfolgt von Adlern und vierfüßigen Räubern, bedroht auch von indianischen und weißen Jägern, welche Fleisch und Fell verwerthen, führen sie ein ununterbrochen gefährdetes Leben, kommen jedoch trotzdem noch überall und selbst in der Nähe bevölkerter Ortschaften vor, – Beweis genug, daß sie sich stark vermehren und allerorten schützende Schlupfwinkel finden. Ihres hübschen Aeußeren wegen hält man sie gern in Gefangenschaft, bezahlt auch drüben wie bei uns ziemlich hohe Preise für sie, für ein Pärchen Löwenäffchen z. B. gegen anderthalbhundert Thaler, selten weniger, oft mehr.

Als unsere entferntesten Verwandten, als die am tiefsten stehenden Affen bezeichnete ich sie, und die Gerechtigkeit verlangt, daß ich eine ihnen so wenig günstige Behauptung begründe. Das Affengepräge an ihnen läßt sich allerdings weder verkennen, noch in Abrede stellen, ist aber nicht zu voller Geltung gelangt. Sie besitzen weder die überlegte und gesicherte Beweglichkeit des höher stehenden Affen, noch dessen Begabungen, höchstens dessen Leidenschaften. Ihr Klettern ist kein selbstbewußtes Beherrschen des Gezweiges mehr, wie wir es bei den verschiedensten Baumaffenarten beobachten, vielmehr eher ein Baum- oder Astrutschen, wie es Eichhörnchen und andere Krallenkletterthiere ausüben. Sie klettern nicht wie die Menschenaffen nach Art eines baumbesteigenden Knaben, gehen nicht wie Stummel- und Schlankaffen oder Meerkatzen spazieren auf den Baumästen, werfen sich nicht ohne Besorgniß von einem Aste zum anderen, gleichviel ob letzterer breche und im Fallen ein neuer gesucht und ergriffen werden müsse, benutzen auch ihren Schwanz nicht als Greifwerkzeug wie viele ihrer Heimathgenossen, sondern rennen, mit ihren Krallennägeln sich an- und einklammernd, einfach an den Stämmen der Bäume empor oder auf deren Aesten dahin, springen zwar manchmal ziemlich weit, immer aber mit großer Vorsicht, ersichtlich und nicht ganz mit Unrecht fürchtend, das gesteckte, Ziel zu verfehlen und zum Boden herabzufallen. Als ungeschickt, täppisch, unbehende darf man sie übrigens nicht bezeichnen: es fehlt ihnen nur die Freiheit aller Bewegungen und Stellungen, wie sie die übrigen Affen bemerken lassen, die Vielseitigkeit der Kletterkünste, welche diesen in so hohem Maße eigen ist. Immer und immer wieder erinnern sie an das Eichhorn, nicht allein im Laufen, Klettern und Springen, sondern auch bezüglich der Haltung ihres Leibes, durch die ihnen eigene Gewohnheit, sich platt auf die Aeste zu legen oder zu drücken, wegen ihres ängstlich dummen Begaffens jedes fremdartigen Wesens und hinsichtlich anderer Eigenheiten mehr.

Die Aehnlichkeit zwischen ihnen und den Eichhörnchen tritt noch schärfer hervor, wenn man nicht allein ihre leiblichen Begabungen und gewohnheitsmäßigen Sitten, sondern auch ihre geistige Befähigung in Betracht zieht. Sie sind geistig ebenso viel Nager wie Affe. Mit beiden haben sie Reiz- und Erregbarkeit gemein, erheben sich aber wenig über die mit Recht verstandesarm genannten Nager. Auch ihr Geist ist lebhaft, ermangelt aber der Bieg- und Schmiegsamkeit höherer Affen. Fast will es scheinen, als ob ihre Gedanken niemals eigentlich zur Klarheit gelangten, und sie nicht recht wüßten, was sie wollten. Der höher entwickelte Affe ist geistig mehr oder weniger Abbild, mindestens Zerrbild des Menschen und hat Eigenheit: der Krallenaffe erinnert nur durch die Gesichtsbildung an seine Verwandten, und sein Eigenwesen tritt wenig hervor; bei jenem verkehrt man mit dem einzelnen, welcher sich, je nach den Umständen, nach Oertlichkeit und besonderen Verhältnissen, Umgang mit anderen Geschöpfen und dergleichen, oft wesentlich von seinen Artgenossen unterscheidet: diese sind sich, wie leiblich, auch geistig in hohem Grade ähnlich; einer handelt wie der andere: nicht einmal die Verschiedenheit der Art bedingt in dem Wesen derselben einen merklichen Unterschied. Der Affe im eigentlichen Sinne des Wortes ist entschieden selbstbewußt, klug, überlegsam, gedanken- und erfindungsreich, schlau, listig, witzig, oft boshaft und selbst etwas heimtückisch, aber auch muthig, anhänglich gegen Seinesgleichen oder über ihm stehende Wesen, hülfsbereit, barmherzig, sogar aufopferungsfähig; der Krallenaffe ängstlich, furchtsam, mißtrauisch, verschlossen, kleinlich und vergeßlich. Jener schließt sich dem älteren, verständigeren, erfahreneren seiner Art oder einem Verwandten, beziehentlich dem Menschen rückhaltslos an, läßt sich leiten, bemuttern, unterrichten, erziehen, fortbilden, erkennt ebenso dankbar empfangene Wohlthaten an, wie er ihm widerfahrene Unbill nachträgt und gelegentlich zu rächen sucht: dieser sieht in keinem anderen Geschöpfe einen Rathgeber, Führer und Beschützer, gewöhnt sich an ihm zu Theil werdende Freundlichkeit, wie sich ein Eichhorn, eine Ratte solche gefallen läßt, ohne deshalb Dankbarkeit an den Tag zu legen oder auch nur Vertrauen zu gewinnen. Man nennt ihn zahm, wenn er nicht mehr nach der ihm schmeichelnden Hand zu beißen droht, seinem Pfleger nicht mehr Grimassen schneidet, in denen sich ebensoviel Furcht wie Prahlsucht ausdrückt, wenn er sich auf den Arm nehmen, streicheln und sonstwie liebkosen läßt, ohne mit zitternden Lauten aufzuschreien; von einer Hingabe an seinen Wohlthäter, einem Sichanschmiegen oder auch nur Entgegenkommen bemerkt man nichts. Er läßt sich vielleicht zu diesem oder jenem abrichten, aber nicht lehren, erlangt kaum Verständniß für Worte oder Befehle, zeigt sich ebensowenig empfänglich für Belehrungen wie für Strafe, ist daher weder bildsam noch lernbegierig. Anscheinend seiner Schwäche und Hülflosigkeit sich bewußt, sieht er in jedem anderen, ihm stärker dünkenden Geschöpfe einen fürchterlichen Feind, dem er zunächst zu entfliehen, kaum zu widerstehen trachtet. Diese ungemessene Furchtsamkeit bestimmt alle hervorragenden Züge seines Wesens: die Scheu, welche er selbst dem zärtlichsten Pfleger gegenüber selten ablegt, das Mißtrauen, mit welchem er jede Handlung desselben überwacht und deutet, die uns oft als Bosheit erscheinende Abwehr, zu der er sich zuweilen, meist in durchaus ungerechtfertigter Weise, aufrafft. Er besitzt alle Eigenschaften eines verächtlichen Feiglings: die klägliche Stimme, welche uns wie der Ausdruck ewiger Unzufriedenheit mit seinem Schicksale vorkommen will, die ersichtliche Unfähigkeit, richtiger vielleicht Unwilligkeit, in Unvermeidliches sich zu fügen, die jammerhafte Hinnahme aller Ereignisse, die krankhafte Sucht, jede Handlung eines anderen Geschöpfes auf sich zu beziehen etc., ist mit einem Worte ein Heuler der widerlichsten Art. Der Kapuzineraffe schaut mit seinem verwetterten oder doch gefurchten Mönchsgesicht ebenfalls nicht sonderlich fröhlich in die Weite und heult, wenn auch nicht über die Sündhaftigkeit der Welt wie sein Nach- oder Ebenbild, so doch zum Zeitvertreibe, ist aber bei all dem ein munterer, heiterer Gesell, welcher, so lange er nicht friert und hinlänglich zu essen hat, unverkennbar Humor bekundet: der Krallenaffe hat von Humor gar keine Ahnung, weil er selbst keine Spur davon besitzt, geht überhaupt niemals auf Scherze ein, wie jeder andere Affe thut. Geselligkeit ist ihm nicht gänzlich abzusprechen; er sucht sie aber nur im Umgange mit Seinesgleichen, nicht mit anderen Thieren; Hülfsbereitschaft zeigt, Mildthätigkeit übt er einzig und allein an seinen eigenen, nicht an fremden Jungen: die von uns oft bespöttelte und so rühmenswerthe Bemutterungssucht und „Affenliebe“ seiner Verwandtschaft, welche sich an jedem jungen hülfsbedürftigen Wesen bethätigt, scheint ihm fremd zu sein.

Niedlich aber sind sie trotz alledem, diese Krallenaffen; niedlich insbesondere erscheinen sie Frauen und Kindern oder Denen, welche in den höherstehenden Affen immer nur das Zerrbild und nicht eine Vorbildungsstufe des Menschen erblicken können. Ohne daß man es vielleicht weiß, vergleicht man jene mit Nagethieren und denkt daher zunächst an diese. Dem Nagerleibe verleihen das Affengesicht mit den lebhaft blickenden Augen und die Pfotenhände etwas uns Ansprechendes und Bestechendes; auch erfreut man sich wohl an der zwar oft grellbunten, meist aber doch nicht unangenehm in’s Auge fallenden Färbung des feinen Pelzes, an den raschen Bewegungen und selbst an der bei den meisten Arten förmlich flötenden, im Maule des Säugethieres geradezu einzigen Stimme, welche mehr noch als die einer singenden Maus an das Gezwitscher eines Vogels erinnert. Die unliebsamen Eigenschaften der Thiere, ihre geringen Verstandeskräfte, ihr uns auf die Dauer unbefriedigendes Gebahren lernt man erst nach eingehenderer Bekanntschaft mit ihnen, nach schärferer Beobachtung ihres Wesens, ihrer Sitten und Gewohnheiten kennen, hält sie deshalb allgemein für weit klüger, anmuthiger und liebenswürdiger, als sie sind, und erklärt sie für allerliebste Geschöpfe in jeder Hinsicht. Am Käfige unserer Löwenäffchen verweilen fast Alle, welche das Berliner Aquarium besuchen, und zumal alle Frauen länger als an jedem andern Behälter, und nur freundliche, wohlwollende Worte werden bei Besichtigung der Thierchen laut, während dieselben Frauen angesichts unseres vortrefflichen, gutmüthigen, harmlosen, in Scherz und Spiel, namentlich in wohlüberlegten [854] Turnkünsten sich gefallenden Schimpanse meist, wenn nicht Widerwillen, so doch kein Wohlwollen bekunden. Augenblicklich aber kehrt sich das Verhältniß um, wenn der Futtermeister oder einer der Wärter sich mit diesem und jenem Affen beschäftigt, sowie also der Mensch mit dem einen oder dem anderen Umgang pflegt.

Gegenüber dem Menschenaffen, welcher mit Bewußtsein und Vergnügen mit Menschen sich unterhält, in dessen Umgange sichtlich erhoben sich fühlt, nach Art eines munteren und etwas muthwilligen oder auch eines verzogenen, verhätschelten Kindes sich benimmt, bald verständig und folgsam, bald eigensinnig und unfolgsam sich zeigt und Kindereien aller Art in der Weise eines übermüthigen Knaben verübt, sinkt das ewig sich gleich bleibende, störrische, furchtsame, mit dem Menschen niemals ein wirkliches Freundschaftsverhältniß eingehende Löwenäffchen trotz seiner zierlichen Gestalt, schmückenden Behaarung und Färbung, Lebhaftigkeit und Beweglichkeit zu einem wenig bedeutenden Wesen herab; es verthiert gleichsam vor dem prüfenden Auge, während der Schimpanse sich vermenschlicht. Einen Vergleich vertragen die Beiden nicht, es sei denn, daß man sie nehmen wolle als das, was sie sind: den einen als Menschen-, den anderen als Eichhorn-Affen. In jenem sehen wir unseren rechtmäßigen Verwandten; bei diesem denken wir kaum an einen Zusammenhang zwischen ihm und uns.

Diese und ähnliche Gedanken fasse ich, vorurtheilsfreien Besuchern des Aquariums gegenüber, angesichts beider Affen zuweilen in Worte, und noch niemals ist es mir begegnet, daß ich bei solchen Leuten auf Widerspruch gestoßen wäre: so überzeugend wirkt die Vergleichung beider Affen. Blind sein Wollende suche ich nicht zu bekehren.

„Ich hätte nicht erwartet,“ sagte im vergangenen Sommer ingrimmig spottend, ein Herr mit weißer Halsbinde und ausgeprägtem Erbsündergesichte, nachdem er einem kleinen Kreise von Herren und Damen vor dem Schimpansekäfige sich zugesellt hatte, „hier im Aquarium für ein so niedriges Eintrittsgeld auch noch einen philosophischen Vortrag über unsere Abstammung von oder unsere Vetterschaft mit diesem holden Wesen, dem Schimpanse, anhören zu können; denn ich habe nicht gewußt, daß Darwinismus und Materialismus selbst hier reisepredigen.“

„Mein nach Gebühr zu verehrender Herr,“ erwiderte ich ihm, „wir haben Jahrhunderte lang nicht allein Gutes, sondern auch offenbaren Widersinn, gehalt- und geistlose Phantasien über Ursprung und Ende des Menschen, kindische Sagen und Märchen anhören und widerspruchslos hinnehmen müssen: warum sollten nicht auch Sie einen Beitrag zu der geistvollsten und überzeugendsten Annahme des bedeutsamsten aller jetzt lebenden Naturforscher mit einer diesem Reformator der Thierkunde gebührenden Achtung anhören können?!“

Was hätte ich dem Manne auch sonst noch sagen sollen? Denen, welche nicht erkennen wollen, bleiben Darwin’s Werke mit sieben Siegeln verschlossene Bücher.