Triest (Meyer’s Universum)

CCCXXXI. Timbuktu Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band (1841) von Joseph Meyer
CCCXXXII. Triest
CCCXXXIII. London und seine Eisenbahnen
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TRIEST

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CCCXXXII. Triest.




Buch, du bist dem Leben des Menschen gleich. Ein seltsames Bild verdrängt das andere. Kaum hält der Blick eins mit Theilnahme fest, so wirbelt’s fort, verschwindet in dem Nebel der Vergangenheit, und ein anderes wirft den Schleier der Zukunft ab und tritt in die Gegenwart.

[9] Triest ist das Tergestum des Alterthums; doch verjüngt, schön, wie das Jahr, wenn der Mai wiederkehrt.

Nur die Wüste, die es überragt, ist unverändert geblieben. Der Karso, jener marmorne Riesenarm der Alpen, an den sich Triest, schutzsuchend vor des Boreas raubem Hauch, gelehnt hat, ist gerade noch so, wie ihn römische Schriftsteller beschreiben: Fels und Steingeröll, mit angeflogenem Moose und wüstem Dorngestrüppe, der Aufenthalt von Schlangen, Ziegen und einsamen Hirten. Die Neuzeit hat nichts hinzu gefügt, als die – Schleichhändler, welche die Civilisation auch zum vogelfreien Wilde rechnet. Kein Fluß, kein Bach, keine Quelle netzt die Schluchten und Gehänge jenes rauhen Gebirgs, dessen Unheimliches, Abenteuerliches, Gespenstiges die Tropfsteinhöhlen vermehren, welche sein Inneres durchziehen, und die Schauermährchen von verborgenen Schätzen und deren Hütern. Vom Karso wurden die Marmorquadern zum Bau Aquileja’s, Venedig’s und zum alten Tergestum gebrochen, und aus dieser Wildnis hervor geht auch das neue Triest, die glückliche Erbin Venedig’s, die Stadt, die werden wird und werden soll, was Aquileja gewesen: „magna et superba!“

Wir enteilen dem unheimlichen Karso; denn hinab lockt der spiegelnde Busen des Meers, das sich dem sehnsüchtigen Blicke entgegenbreitet, hinab lockt Triest selbst, umgeben von Gärten, Rebengeländen, Villen und zahllosen Wimpeln. Was für ein Wechsel der Zeit! – Dieses reiche, große, stattliche Triest wurde noch vor 300 Jahren von der alternden Nachbarin eine – Piratenhöhle gescholten!

Bald umfängt uns das Gewühl einer großen Handelsstadt. Aus jedem Fenster schaut frisches Leben, aus jeder Pforte geht es, aus jeder Gasse strömt es; welch ein Drängen und Wogen, welch ein Rollen und Brausen der vielsprachigen Menschenfluth. Alles ist geschäftig, Alles ist guten Muths, Alles scheint sich des Antheils am Gewinn zu freuen, für den man gern die Mühe in Tausch gibt. Der Fakir, der Eckensteher, der die schwere Last trägt, Der Kärrner: sie alle scheinen unter ihrer Bürde zu tanzen. Selbst die Promenade hier scheint, Gewinn überschlagende Kopfrechner zu versammeln; in den meisten Gesichtern liest man Kalkül und Exempel. Kein Bettler ist zu sehen, kein Armer scheint da zu wohnen, wo jede Arbeitskraft allezeit Anwendung findet und reichlich lohnt. Für das Räderwerk des Lebens ist jeder Sinn offen, und was nicht in’s Leben greift, das wird vergessen. Drüben stehen Aquileja’s gewaltige Trimmer, voll ernster Mahnung. – Was sind sie dem Triester? Er bräche sie ab zu Bausteinen, hätte er diese nicht näher am Karso! Auf der Nekropole der alten Mutter prangen Kaffeehäuser der üppigen Tochter, und in den Fundamenten ihrer Waarenspeicher werden Säulenknäufe und Sarkophagfragmente ohne Arg und ohne Scheu vermauert. Es kümmern sie nicht, die Glückliche, die Aschenkrüge und Thränenvasen! Thronend auf Kaffee-, Zucker- und Pfefferballen; sitzend weich auf Mehemed Ali’s Baumwollsäcken und die Füße rastend auf Heringstonnen und Stockfischbündel, wäre die glückliche Braut Merkur’s fürwahr eine schlechte Braut, wenn sie nicht lieber in Preiscouranten blätterte, als in einem Album über das Parthenon.

[10] Triest ist das Schooskind Oesterreichs, und ein freudig Wachsen lohnt die große Liebe. Erstaunenswürdig in der That ist Triest’s Gedeihen und, wenigstens in unserm Welttheil, ohne Beispiel. Ganze Gassen wachsen jährlich an. Steht ein Berg im Wege, wird er abgegraben; ist das Meer im Wege, wird es eingedämmt und ausgefüllt. Das Treiben der Bauleute macht dort das halbe Leben aus. Es begegnen eben so viel Wagen mit Baustoffen beladen, als mit Waaren, und hunderte von Schiffen kommen jährlich an, blos mit Materialien zur Vergrößerung der Stadt, oder zu ländlichen Anlagen befrachtet. Gegenstand eines gar nicht unwichtigen Geschäfts ist Erde (zu Gartenanlagen), die istrische Barken bringen. Bei dieser allgemeinen, vom Bedürfniß angeregten Baulust muß der Baugrund theuer seyn, und dieß um so mehr, je weniger vorhanden ist, und je schwieriger und kostspieliger es wird, neuen zu gewinnen. So wurde das alte Zollhaus vor einigen Jahren um 300,000 Gulden von einer Gesellschaft auf den Abbruch erkauft. Später konnte sie 800,000 Gulden für den Grund allein haben. Sie überbaut ihn jetzt für eigene Rechnung; ein prachtvolles Gebäude wird’s, mit Läden, Caffés und Casinos, und man berechnet, daß sich die Anlage mit 15 Procent verzinse. Einige Morgen Gartenland der Villa Necker, welche die Herzogin von Montfort um 130,000 Gulden vor 5 Jahren verkauft hat, haben, zur Stadt gezogen, jetzt einen Werth von einer halben Million. Bei dieser ungeheuern Steigerung kauften schon Spekulanten eine ganze Straße voll alter Häuser auf den Abbruch, und der Baugrund war dann mehr werth, als der früher für’s Ganze bezahlte Kaufpreis.

Der Triester baut für das Bedürfniß; nie, oder doch höchst selten, für den Luxus. Seine Baulust ist dem Kalkül untergeordnet und das Motiv der Kunstfreude ist ihr fremd. Darum ist die hiesige Architektur, trotz dem, daß sie das edelste Material handhabt, im Ganzen gar prosaisch, und sie verdient so wenig Lob, als sie Ansprüche macht. Ihre Häuser sind recht hübsch; aber vom festlichen Schmucke der alten Nachbarin Venedig geben sie keine Ahnung. Säulen, Kuppeln, Balkone: alles ist ärmlich, kleinlich daran; alles kalte, geistlose Nachahmung; vom schaffenden, warmen, eigenen Kunstleben ist keine Spur. Das wird aber schon kommen, wenn die Jahre der Reife da sind, und die Zeit wird nicht außen bleiben, wo Triest in ganz würdiger Gestalt zur Woge niederschaut, in deren Spiegel Syrakus, Athen, Corinth, Agrigent und Alexandria einst erglänzten.

Triest hat eine für seine Volkszahl (sie ist gegenwärtig fast 60,000 und hat seit 25 Jahren um 20,000 zugenommen) kaum hinreichende Größe und die Menschen wohnen in den 2000 Häusern eng bei einander. In dem alten Stadtkern (der Altstadt) sind die Gassen enge, winklich, düster; regelmäßig, gerade, freundlich hingegen in den jüngern Anlagen, der Neustadt, der Josephs- und Franzensstadt. Trotz der Kostbarkeit des Raums hat es doch seinen Corso und eine Menge schöner Märkte; den Josephs- und Theresienplatz umgeben Gebäude von pallastähnlichem Ansehen. Die Börse, das kaiserliche Schloß, das Zollamt, das Schauspielhaus, und viele andere, theils [11] öffentliche, theils Privatgebäude, würden in norddeutschen Städten imponiren; hier, wo die Nachbarin Venedig den Maßstab gibt, erscheinen sie nicht bedeutend. Die neuern Stadttheile umgeben den, fast eine Stunde sich ausspannenden Halbkreis des herrlichen Molo, und Canäle verbinden den Hafen unmittelbar mit dem Innern der Stadt zur großen Erleichterung des Verkehrs. Der Canal grande ist breit und tief genug, um beladenen Schiffen, die bis 10 Fuß Wasser ziehen, das Einlaufen zu gestatten. Der Hafen ist vortrefflich (Schiffe von 350 Tonnen können unmittelbar beim Molo anlegen), aber für den unglaublich großen, immer wachsenden Verkehr des Platzes doch zu klein, ein Umstand, der um so fühlbarer wird, da die Quarantaine immer eine größere Menge Schiffe (alle, die aus dem Orient und Aegypten kommen), auf längere Zeit festhält. Es gibt Perioden, wo 600 Schiffe zugleich im hiesigen Hafen ankern. – Die Bevölkerung Triest’s ist die buntscheckigste vielleicht von ganz Europa, und ein Gemenge von 20 bis 30 verschiedenen Nationen. Der Kern ist italienisch; von den übrigen Volkselementen: den griechischen, slavonischen, illirischen etc. etc., überwiegt das deutsche. Alle europäischen Handelsnationen haben, unter ihren Consuln, Etablissements auf dem Platze, die, wie z. B. die englischen, kleine, in geselliger Beziehung ziemlich abgeschlossene, Colonieen bilden. Der Hafen ist frei, und in diesem Vorrechte, das Venedig theilt, ruht eben so, wie in seiner günstigen Lage, die Handelsgröße des Platzes; denn über Triest bewegt sich fast die Hälfte der gesammten Ein- und Ausfuhr des österreich. Kaiserstaates. An 10,000 Fahrzeuge kommen und gehen alljährlich; 10 Millionen Zentner beträgt das gesammte Waarenquantum; dessen Werth 70 bis 80 Millionen Gulden. Nehmen wir London, Liverpool und Marseille aus, so überragt Triest’s Waarenverkehr jetzt den jeder andern Handelsstadt in Europa. Für levantische Produkte ist es der erste Markt; eben so für ungarische Ausfuhr-Erzeugnisse; der größten einer für Kaffee, für Baumwolle (jährliche Einfuhr über eine halbe Million Zentner!), für Zucker, sowohl rohen als raffinirten. Der hiesige Handel ist in den Händen von ungefähr 900 Häusern, aus denen eine Anzahl colossaler Firmen hervorragt, von welchen jede allein für Millionen Geschäfte macht. Mehre Banken, an 20 Assekuranzgesellschaften und das österreichische Lloyd mit seinen großartigen Unternehmungen, (der levantischen Dampfschiffahrt etc. etc.), unterstützen und vermehren wechselseitig den Triester Verkehr, gegen den die hiesigen Fabrikgewerbe (Zuckersiedereien, Rosogliobrennereien, Conditoreien etc.), obschen an sich ansehnlich, ganz in den Hintergrund treten. Die Schmuggelei (da Triest selbst, als Freihafen, keinen Eingangszoll bezahlt, so ist es landeinwärts von einer Douanenlinie umgürtet), war ehedem ein großes Gewerbe und systematisch organisirt; es hat aber in neuerer Zeit, in Folge schärferer Controlleinrichtungen, sehr abgenommen. Eine weise Reduction des österreichischen Zolltarifs würde sie mit einem Schlage vernichten, und, ohne dem Staate seine Einnahme zu verkürzen, die Hülfsquellen der Länder, welche Oesterreichs Kaiserstaat umfaßt, einer Entwicklung entgegen führen, deren Grenzen gar nicht zu berechnen sind.