Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Triest ist das Schooskind Oesterreichs, und ein freudig Wachsen lohnt die große Liebe. Erstaunenswürdig in der That ist Triest’s Gedeihen und, wenigstens in unserm Welttheil, ohne Beispiel. Ganze Gassen wachsen jährlich an. Steht ein Berg im Wege, wird er abgegraben; ist das Meer im Wege, wird es eingedämmt und ausgefüllt. Das Treiben der Bauleute macht dort das halbe Leben aus. Es begegnen eben so viel Wagen mit Baustoffen beladen, als mit Waaren, und hunderte von Schiffen kommen jährlich an, blos mit Materialien zur Vergrößerung der Stadt, oder zu ländlichen Anlagen befrachtet. Gegenstand eines gar nicht unwichtigen Geschäfts ist Erde (zu Gartenanlagen), die istrische Barken bringen. Bei dieser allgemeinen, vom Bedürfniß angeregten Baulust muß der Baugrund theuer seyn, und dieß um so mehr, je weniger vorhanden ist, und je schwieriger und kostspieliger es wird, neuen zu gewinnen. So wurde das alte Zollhaus vor einigen Jahren um 300,000 Gulden von einer Gesellschaft auf den Abbruch erkauft. Später konnte sie 800,000 Gulden für den Grund allein haben. Sie überbaut ihn jetzt für eigene Rechnung; ein prachtvolles Gebäude wird’s, mit Läden, Caffés und Casinos, und man berechnet, daß sich die Anlage mit 15 Procent verzinse. Einige Morgen Gartenland der Villa Necker, welche die Herzogin von Montfort um 130,000 Gulden vor 5 Jahren verkauft hat, haben, zur Stadt gezogen, jetzt einen Werth von einer halben Million. Bei dieser ungeheuern Steigerung kauften schon Spekulanten eine ganze Straße voll alter Häuser auf den Abbruch, und der Baugrund war dann mehr werth, als der früher für’s Ganze bezahlte Kaufpreis.
Der Triester baut für das Bedürfniß; nie, oder doch höchst selten, für den Luxus. Seine Baulust ist dem Kalkül untergeordnet und das Motiv der Kunstfreude ist ihr fremd. Darum ist die hiesige Architektur, trotz dem, daß sie das edelste Material handhabt, im Ganzen gar prosaisch, und sie verdient so wenig Lob, als sie Ansprüche macht. Ihre Häuser sind recht hübsch; aber vom festlichen Schmucke der alten Nachbarin Venedig geben sie keine Ahnung. Säulen, Kuppeln, Balkone: alles ist ärmlich, kleinlich daran; alles kalte, geistlose Nachahmung; vom schaffenden, warmen, eigenen Kunstleben ist keine Spur. Das wird aber schon kommen, wenn die Jahre der Reife da sind, und die Zeit wird nicht außen bleiben, wo Triest in ganz würdiger Gestalt zur Woge niederschaut, in deren Spiegel Syrakus, Athen, Corinth, Agrigent und Alexandria einst erglänzten.
Triest hat eine für seine Volkszahl (sie ist gegenwärtig fast 60,000 und hat seit 25 Jahren um 20,000 zugenommen) kaum hinreichende Größe und die Menschen wohnen in den 2000 Häusern eng bei einander. In dem alten Stadtkern (der Altstadt) sind die Gassen enge, winklich, düster; regelmäßig, gerade, freundlich hingegen in den jüngern Anlagen, der Neustadt, der Josephs- und Franzensstadt. Trotz der Kostbarkeit des Raums hat es doch seinen Corso und eine Menge schöner Märkte; den Josephs- und Theresienplatz umgeben Gebäude von pallastähnlichem Ansehen. Die Börse, das kaiserliche Schloß, das Zollamt, das Schauspielhaus, und viele andere, theils
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/22&oldid=- (Version vom 29.11.2024)