Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Riesen um Eisfeld
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Riesen um Eisfeld.
In der Eisfelder Gegend wohnten vor Zeiten viele und starke Riesen, ein gewaltiges Geschlecht, und man kann das in den Dörfern Bachfeld, Grub, Crock, Stelzen und anderen noch öfters von denselben erzählen hören. Auf verschiedenen Burgen hatten die Riesen Wohnsitze; die Sage will, daß auf dem Burgberge bei Hinterrodt über Hirschendorf, in einem wüsten Wiesengrunde, das Altdorf geheißen, und in der Willau vor Zeiten Dorf, Schloß und Stadt gestanden. Vom Berge der Burg Grub bis hinüber nach Burg Schaunberg warfen die Riesen einander ihre schweren Hämmer zu, auch Streitäxte und große goldene Kugeln, oder sie bespritzten einander mit Wasser, das sie in Stundenweite durch die Luft schleuderten. Auch in dieser Gegend [4] wiederholt sich genau wie auf dem Harze, bei Blankenburg auf dem Thüringer Walde und im Elsaß die Sage von einem Riesentöchterlein, das sich einst zu seiner Lust erging und einen Ackersmann fand, den es sammt Vieh und Pflug in das Schürzchen raffte und freudig zum Vater auf die Burg trug, indem es sich über das niedliche zappelnde Spielzeug kindisch freute. Der alte Ritter aber gebot dem Töchterlein, alsbald alles wieder dahin zu tragen, woher es genommen sei, und ja recht säuberlich damit umzugehen, damit Männlein und Pferdchen nicht Schaden litten; denn – sagte der alte Riese: wenn die Bauern nicht ackern, so müssen die Riesen verhungern, und gab damit eine gar gute und wohl zu beherzigende Lehre. Häufig kegelten auch die Riesen miteinander; ihre Kegelbahn erstreckte sich vom Oertchen Tossenthal – im Volksmunde Tussethal – (Thurs altnordisch so viel wie Riese, auch der Runenbuchstabe Thorrs, Dorst in der Schweiz der wilde Jäger, Tosse in dänischer Sprache: ein plumper Riese, Tölpel) über eine halbe Stunde weit gegen Eisfeld zu.
Nicht selten verwechselte die spätere Sage Riesen und Ritter, oder vielmehr, sie trug, was die längst vermoderten Ahnen in grauer Vorzeit den jüngeren Geschlechtern von den Riesen erzählt hatten, auf die Ritter über. So deutet eine Eisfelder Sage ebenfalls in eine mythische Ferne. Vor alten Zeiten floß die Werra durch Eisfeld, zwischen dem Schwan und dem Adler vorüber und bildete einen sumpfigen Weiher, der im Winter zu einem wahrhaften Eis-Felde sich ausbreitete. Einst wurde eine Ritter-Schaar, die Sage giebt bedeutsam deren Zahl auf vierzig an, vom Feinde heftig verfolgt. Die Fliehenden geriethen in jenen Weiher, dessen Eisdecke unter den Hufschlägen ihrer Pferde [5] brach, und konnten ob ihrer schweren Rüstungen sich nicht mehr losarbeiten, sondern kamen sammt ihren Pferden elendiglich um. Ganz eigenthümlich ist es, wie diese örtliche Sage mit der Legende von den vierzig christlichen Rittern übereinstimmt, welche Kalenderheiligen am 9. März des Jahres 320 nach Christo durch den Kaiser Licinius der kalten Winterwitterung und dem Eise eines Weihers nackend ausgesetzt, und dadurch zu Märtyrern wurden. Jedenfalls deutet auch diese Ueberlieferung nach dem Kampfe des Heidenthums gegen das Christenthum, und umgekehrt, hin.