Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Frau Holle in Eisfeld

Vorwort Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Riesen um Eisfeld
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[1]
1.
Frau Holle in Eisfeld.

Mythischer Zauber umfließt, wie so viele Stromquellen, auch die Quellen der Werra. Aus frühen Vorzeittagen haftet noch gar mancher Nachhall an Oertlichkeiten, an Gebräuchen, an alten Namen, und dauernd und unaustilgbar erhalten sich die überkommenen Kunden, wenn auch die vorgeschrittene Kultur der Waldbewohner sie nicht mehr glaubt. Es handelt sich ja bei sagenhaften Ueberlieferungen im Volksmunde überhaupt gar nicht darum, daß das Volk an deren wirkliches Geschehensein glaube, und wird ihm dieß von niemand angesonnen werden können, sondern darum, daß es sich dieselben als etwas, was die Urväter und Urmütter einander erzählten, wieder und immer wieder sagt. Das ist das einfache Wesen der Sage.

Götter und Dämonen haben einzig nur in Sagen der Nachwelt ihre Spuren und die Erinnerung an ihren Kult hinterlassen.

Die Stadt Eisfeld, in deren Nähe die Werraquellen aus dem Schooße thüringischer Berge zu Tage rinnen, soll uralten Ursprunges sein. „As-Feld“ wird sie noch immer im Volksmunde geheißen, und alte urkundliche Ueberlieferungen legen des Ortsnamens früheste Rechtschreibung als Asifeld offen dar. Wenn sich nun auch nicht mit unumstößlicher Gewißheit eine Verwandtschaft dieses Orts-Namens [2] mit den Asen, den Gottheiten der heidnischgermanischen Frühe, – behaupten läßt, so erinnert doch der Name an dieselben. As hieß Gott, und vorzugsweise wurde Thorr, oder Donar mit diesem Namen bezeichnet; so konnte gar wohl eine den Vätern heilige Stätte, an der sich allmählig Ansiedler niederließen, ein Gottesfeld heißen, wie ja ein zweites Gottesfeld, nur wenige Wegstunden von Eisfeld entfernt, noch bis heute diesen Namen führt. Es ist dasselbe Gottesfeld (auch Gothes- und Godesfeld geschrieben) über den Thälern der Finster-Erlau und der Vesser[WS 1], auf dem der Sage nach eine ob ihres gottlosen Wesens verwünschte und versunkene große Stadt gestanden haben soll. Alle diese Sagen von Verwünschung und vom Versunkensein verschiedener Städte, Dörfer, Burgen, Kirchen und Klöster deuten weit hinauf in die mythische Frühzeit. Thorr ist der Donnergott der altnordischen Mythe, ein wunderbarer Hammer ward ihm zugetheilt, mit dem er nach den ihm feindlichen Riesen wirft. Aber gerade die Riesensage mit ihrem Hammerwerfen ist in der Eisfelder Gegend völlig heimisch. Als bedeutendste Erscheinung weiblicher mythischen Wesen tritt unbedingt in ganz Thüringen und Hessen die Holda, Hulda, Frau Holle (im Voigtland Frau Berthe oder Perchta), auf, und ein eigenthümlicher Brauch, der auf dieselbe Bezug hat, hat in Eisfeld ihren Namen verewigt. Am heiligen Dreikönigstage, demselben, an welchem die Perchta mit ihrem Heimchenheere, dem Huldevolke der nordischen Mythe, und die Perchtl in Tirol mit dem Seelenheere der ungetauft gestorbenen Kinder zieht, ward alljährlich zu Eisfeld die Frau Holle verbrannt. Die Sage vom Ursprunge dieses jedenfalls altheidnischen Feuerkults am Julfeste wurde aber [3] fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Nonnenkloster habe in Eisfeld gestanden, dessen Aebtissin, Juliane genannt, habe sich fleischlich vergangen und zwar mit dem bösen Feinde selbst, sei zweier Kindlein auf einmal genesen, und darauf zur Strafe solcher Teufelsbuhlschaft sammt den beiden Kindern verbrannt worden. Zum Gedächtniß dieser Sühne zog später Alt und Jung am Epiphaniassonntage nach beendigtem Nachmittagsgottesdienste mit Musik auf den Markt, sang ein geistliches Lied und rief sich dann scherzhaft einander zu: Frau Holle wird verbrannt. Nun war aber zu Eisfeld nie ein Kloster, und der Ursprung jenes Brauches reicht weit über die Klosterzeiten hinaus.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Weser. Berichtigung laut S. 317 Bd. 2.