Sturmbilder aus dem schwarzen Meere vom 13. November
Sturmbilder aus dem schwarzen Meere vom 13. November.
Was Kugeln, Cholera, Kälte und Diplomatie ihrer eigenen Herren gegen die englischen Soldaten auf der Krim bisher nicht ruiniren konnten, schien der Sturm des schwarzen Meeres vom 13. November vollenden zu wollen. Während er in Constantinopel stolze, schlanke, glänzende Minarets und goldene Dächer, die Jahrhunderte den Stürmen und Orkanen eine ruhige, feste Haltung entgegengesetzt hatten, wie morsche Stäbe zerbrach und donnernd niederwarf auf Häuser und Menschen, knickte er thurmartige Masten und mannsstarke Taue und tausend Centner schwere Ankerketten der englischen, französischen und türkischen Flotte bei Balaklava, an der Katscha und bei Eupatoria wie Strohhalme und Zwirnsfäden und schlug die wie Nußschaalen zwischen den Alpen der Wogen umhergeschleuderten Schiffe gegen einander, daß sie gegenseitig in Trümmern auseinander stoben oder gegen die graugrünen, grimmigen, steil aus der Meerestiefe hervorragenden Gestadefelsen schossen, welche mit einem Schlage ganze schwimmende „Meeresfestungen“ zu Pulver zermalmten, so daß leblose und lebendige Schätze unbarmherzig in die Tiefe gedrückt wurden, denn an Rettung die steilen Felsen empor war nicht zu denken. Wenn auch Dieser und Jener sich für einige Sekunden anklammerte, das nächste heranprallende Wassergebirge spülte ihn mit sich fort, wie ein trockenes Baumblättchen, oder die überall lauernden Gewehre der Russen schossen ihn herunter. Der Sturm gilt als das Furchtbarste von Wuth, was das schwarze Meer jemals geleistet. Abgesehen von den Zerstörungen und Verwüstungen in den Flotten sprechen dafür die Leistungen desselben gegen die Minarets von Constantinopel.
Es ist nicht unsere Absicht, die Thaten dieses Sturmes aufzuzählen, wie in einem Zeitungsberichte: wir geben blos einige charakteristische Scenen und Bilder aus den Schilderungen von Augenzeugen wieder, wie sie in den englischen Zeitungen und Privatbriefen wimmeln. So weit man das Ergebniß dieser Naturtragödie schon übersehen konnte, waren mindestens tausend Menschen ertrunken, außer denen, die von den Russen erschossen oder als Gefangene aus dem Meere in Empfang genommen wurden. Der bloße, nackte, direkte Verlust an Gütern und Materialien wurde von der Times auf zwei Millionen Pfund Sterling oder vierzehn Millionen Thaler geschätzt. Aber der Sturm verschlang hauptsächlich alle möglichen nothwendigen Bedürfnisse für die Armee, Speisen und Getränke, Arzneien, Winterkleider, Baumaterialien für Winterzelte u. s. w., so daß die aus diesen Verlusten sich noch ergebenden Verwüstungen nicht blos in’s Geld, sondern auch fernerweitig tief in’s Leben gehen, nicht blos in das Leben Derer, welche direkt aus Mangel an Nahrung, Kleidung und Wohnung und Arznei in Regen und Schnee jämmerlich umkommen, sondern auch in das Leben Englands überhaupt, welches bereits durch die Krim-Expedition eine ganz andere Physiognomie bekommen. Der straffe Stolz auf ihre Kraft hängt jetzt erschlafft auf ihren Gesichtern, das übermüthige Vertrauen auf das Recht der „westlichen Civilisation“ und auf die unfehlbare Weisheit der politischen Lenker derselben hängt und schüttelt den Kopf, und selbst der neue Glaube an die riesigen Anstrengungen des reichsten, männlichsten Volkes erwärmt nicht die Gemüther, da man unwillkürlich ahnen mag, daß sie theils „zu spät“ kommen, theils noch nicht die rechten, siegreichen seien.
Sehen wir uns erst eine Scene an der Mündung des Katschaflusses an. Acht französische Briggs, mit Pferden und Mannschaften beladen, werden auf den wogenden Wasserbergen umhergeschleudert. Hier und da fallen je zwei von den Gipfeln der Wogen herunter in tiefe Thäler und verschwinden den Blicken der russischen Offiziere und Kosaken, die auf den Klippenufern oben auf Beute lauern. Das Thal, worin sie zusammenkrachten, verwandelt sich in Berge, auf welchen die Trümmer beider Schiffe, Masten, Menschen, Pferde, Planken und Bretter, Tonnen und Kisten abermals durcheinander gewirbelt werden. Auf Trümmern reitende Soldaten werden von Masten und Stangen in die Tiefe gestoßen, die rauhen, spitzen Enden einer zerrissenen Schiffsplanke durchbohren den hervorragenden Kopf eines Pferdes, ein noch ganzes Schiff schleudert sich zwischen lebendige und todte Trümmer, während eine Woge über dasselbe hinwegrast und Menschen und Waaren mit sich fortreißt und der Sturm einen Mast abbricht, um ihm einem Ertrinkenden tückisch als Strohhalm der Rettung nachzuwerfen. Von den acht Schiffen zertrümmerten sich vier gegenseitig, die andern wurden vom Sturme zerrissen und dann vom Meere verschlungen. Die Trümmer und die Schiffbrüchigen wurden begierig von den Kosaken aufgefischt, sobald sie an’s Ufer trieben. Russische Offiziere, die von Sebastopol herbeigekommen waren, schienen die Kosaken im Zaume zu halten. Auch gaben sie mit geschwenkten Hüten und Tüchern von den Klippen herab Zeichen, daß sie ruhig landen könnten; doch gaben weder Engländer noch Franzosen diesen Einladungen Gehör. Gegen Abend, als sich die Offiziere entfernt zu haben schienen, kam ein Barkschiff in das Bereich der Kosaken, die jauchzend und in wilder Lust unter den an’s Land geschleuderten Trümmern, zerrissenen und verstümmelten, lebenden und todten Pferden und Menschen, Kisten und Kasten – umherwirthschaften. An der einen Seite der Barke klammerten etwa dreißig Menschen, darunter eine Mutter mit ihrem Kinde, die sich tapfer mit einem Arme hielt, während der andere das Kind krampfhaft umschloß. Das Schiff, bald links, bald rechts, bald mit dem Kopf, bald mit dem Hintertheil in die Wogen gebohrt, ließ die Angeklammerten bald unter Wasser verschwinden, bald hielt es [643] dieselben höhnend wieder empor an’s Tageslicht. Dabei wurde es auf einmal zurückgeschleudert, als die Kosaken schon Miene machten, sich dessen zu bemächtigen. Unwillig über diese Verkürzung ihrer Ernte griffen sie nach ihren Gewehren und schossen die dreißig Menschen von den Planken herunter, auch die Mutter mit dem Kinde. Das Geschrei der Mutter drang durch das Gebrüll des Sturmes. Sie graspte nach dem Kinde, aber die tobenden Wasser gestatteten ihr nicht, vereint mit ihm in die Tiefe zu sinken.
Im Hafen von Balaklava haben nur wenige große Kriegsschiffe Raum, so daß eine ziemliche Anzahl derselben und von Transportschiffen außerhalb desselben in einer Tiefe von 30 Klaftern hatten Anker werfen müssen. Aus diesen Tiefen erheben sich gewaltige Granitmassen ganz senkrecht wie Mauern, bis 700 Fuß hoch, so daß sie nicht einen Zoll breit Terrain gewähren, um den Fuß des Schiffbrüchigen aufzunehmen. Hier nun zerschmetterte der Sturm acht Transportschiffe erster Klasse. Von den 320 Matrosen und Mannschaften derselben konnten blos dreißig gerettet werden. Und hier machte der Sturm sein Meisterstück unter wackerem Beistande von Engländern selbst. Er zertrümmerte und verschlang eins der stolzesten Dampfkriegsschiffe „Prince“ von 2700 Tonnen Last mit sämmtlicher Winterbekleidung für die Armee, darunter 40,000 große Pelze, wollene Decken, Unterkleider, Strümpfe und Handschuhe, geräuchertes und luftdicht eingemachtes Fleisch, Hospitalbedürfnisse für Scutari, eine ungeheuere Masse von Munition zur Fortsetzung der Belagerung und 300 Menschen, darunter Frauen und Kinder von Soldaten in ziemlicher Menge. Daneben ging auch das Schiff „Resolute“ mit 18,000 Centner Schießpulver in den Grund. Die Times hat die Unverschämtheit, den Verlust des „Prince“ ganz besonders der „mysteriösen Fügung des Himmels“ zuzuschreiben. Es hatte sechs Tage vorher das 46. Regiment in Balaklava gelandet und darauf alle die untergegangenen unendlich kostbaren, nothwendigen Bedürfnisse der Armee 6 mal 24 Stunden bei sich behalten. Als es nun den Sturm über sich daherbrausen sah, versuchte es zu ankern. Der Anker ging sofort mit dem ganzen ungeheuern Taue in den Grund, weil letzteres nicht ordentlich befestigt war. Der zweite Anker nahm das Tau auch mit und zwar aus demselben Grunde. Jetzt versuchte es dem Sturme entgegen zu dampfen, um aus dem Bereiche der furchtbaren Klippen zu kommen und inzwischen ein kleineres, schwächeres Tau und einen kleineren Anker zurecht zu machen. Mit demselben hielt es sich bis zu dem fürchterlichen Morgen des 13. November, wo der Sturm Tau und Anker mit sich fortriß und gegen die 700 Fuß hohen Granitmauern schleuderte. Man kappte jetzt alle Masten und rasirte das ganze Deck von allen hervorragenden Gegenständen, die der Sturm packen konnte und ließ die Dampfmaschinen mit demselben auf Tod und Leben kämpfen. Aber die schon beschädigte Schraube erwies sich zu schwach, so daß es nach kurzem ohnmächtigen Kampfe gegen die Felsen geschleudert ward und in unzähligen Splittern zurückprallte, wie ein schwaches, gegen einen Stein geschleudertes Glas. Es hatte über 100,000 Thaler gekostet (von der Regierung kurz vorher gekauft) und für 3,500,000 Thaler Güter nebst 300 Menschen an Bord. Alles sank jetzt in die Tiefe. Nur etwa 30 Menschen wurden gerettet. Von diesen erwähnt Einer in seiner Schilderung eine Scene unmittelbar vor der Zerschmetterung des Schiffes. Eben schoß es von einem Meeres-Chimborasso herunter nach den Felsen zu, als ein Matrose, der mit allen andern bisher rüstig gearbeitet, ausrief: „Heisah, noch zwei solche Fahrten und wir trinken Wasser. Schicken wir etwas Spiritus voraus!“ Und so trank er und gab die Flasche weiter. Man trank herum, stellte sich in eine Reihe, nahm die theerigen Mützen mit den großen Schirmen hinten ab, blickte gen Himmel und blieb dann an einander gereiht Hand in Hand stehen, bis das Schiff sich mit einem dumpfen Krach alle Glieder bis in die kleinsten Theile zerschmetterte. Ein Offizier hatte kurz vorher eine Dame geküßt, sie dann in seine Arme geschlossen und so den Todesstreich ruhig und lautlos erwartet, eben so die Dame.
Solch edler, moralisch kräftiger, tragischer Heldenmuth in dem Einzelnen unten, und solche Feigheit und Halbheit und Liederlichkeit und Gewissenlosigkeit im Offiziellen, Administrativen und Diplomatischen! –
Am 13. November Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr erreichte die beispiellose Raserei des Sturmes die höchste Erhabenheit seiner verwüstenden Allmacht. Um diese Zeit standen einige Offiziere auf der Anhöhe nördlich von Eupatoria dicht vor den wallenden Alpen des Meeres, das mit seinen spitzen, hohen Wasser-Gletschern hier und da weit über die hohen Felsen herüber und mit Regen- und Schneehieben in die Thäler hinunterschlug. Nur mit Mühe konnten sich die Offiziere, an Felsstücke gelehnt halten, da selbst die Fernrohre vor ihren Augen von einzelnen Stößen des Sturmes aus ihrer Richtung geschleudert wurden. Aber das furchtbare Schauspiel zwischen den donnernden Labyrinthen hoch aufkochender Wassergebirge war zu fesselnd, als daß sie hätten ihren Platz verlassen können. Mitten aus den tosenden Meereswogen heraus und in die wüthenden Streiche des Sturmes und Schnees hinein züngelten blendende, lange Feuerstrahlen in allen möglichen Richtungen, wie verzweifelte Gestikulationen eines zwischen den Wassern umhergeschleuderten Ungeheuers. Es war ein brennendes Schiff, dessen glühende, funkensprühende Feuerzungen gar schauerlich auf die dunkeln, schwarzbraunen Wogen herableuchteten und ihre wallenden Kämme mit den herrlichsten Farbentinten illuminirten. Das brennende Schiff gerieth unter eine Menge andere französische und englische, die zum Theil mastlos wie Nußschaalen von einem Wasserrücken auf den andern geschleudert wurden. Von den Flammen wurde keins ergriffen, desto mehr von der unersättlichen Wuth des Sturmes, der mit wahrer Wollust bald hier, bald da je zwei um zwei zu fassen und gegen einander zu zerschmettern schien. Nach einer solchen Scene kam ein Matrose auf einem langen Maste über die Wogen daher geritten, bald in der Tiefe verschwindend, bald über die Spitzen der Wogen mit dem Kopfe seines spitzigen, langen Pferdes hervorragend. Aber er hielt sich sattelfest, obgleich er zuweilen hoch in die Luft hinausragte, um sich sofort wieder in ein tiefes Wasserthal zu stürzen. Da ritt er pfeilschnell heran nach dem steilen Gestade. Ein Tau in seiner Hand gab ihm ganz das Ansehen eines Reiters. Aber nach einer halben Minute dicht am Lande aus der Tiefe triefend emporgeschleudert und durch die Lüfte getragen schoß der lange Kopf seines Steckenpferdes gegen die Felsen, und er flog zerschmettert in ganz abgerissenen Stücken in das Meer zurück, das im Nu wohlthätig eine Woge über den schauerlichen Anblick hinwarf. –
Zwischen Balaklava und Sebastopol hatten sich hinter den verschiedenen Stationen der belagernden Heeresabtheilungen auf felsigem, von schmutzigen Gräben und Thälern durchfurchten Boden eine Menge Leinwandstücke erhoben, freilich lange nicht genug, um allen Soldaten, denen zuweilen einige Stunden der Ruhe (mit Sack und Pack, Gewehr im Arm) gegönnt wurden, Schutz vor Regen und Nachtfrost zu gewähren. Viele mußten sich im Freien in die Erde graben, um da, wie in einem Grabe, geschützt vor den Kugeln der Russen, ein Stündchen Schlaf zu erhaschen. Die leichten Zelte aber verschwanden in der Nacht vom 14. zum 15. November fast alle binnen wenig Stunden. Nachdem der Sturm auf dem schwarzen Meere seine Wuth gekühlt zu haben schien, fuhr er mit neuer Tobsucht zwischen diese Leinwandstückchen und riß Hunderte von Pfählen mit einem Ruck aus, um dieselben an den leinenen Wänden gepeischt und geschwungen den Schlafenden und Wachenden an die Köpfe zu schlagen und ihnen Arme und Beine damit zu brechen. Mit seiner eigenen Stärke nicht zufrieden, schlug er noch bewaffnet mit Geißeln von Schnee und Hagel blind durch die Nacht auf Schlafende, Wachende, Gesunde, Kranke und Sterbende herab und bedeckte letztere mit Leichentüchern, noch ehe sie ganz erfroren waren. Dazwischen wirbelten plötzlich die Alarmtrommeln und schmetterten die Hörner, um zum Kampfe zu rufen. Schon blitzten Salven hervordringender Russen durch die Nacht und zischten deren Kugeln durch Zelte und Menschen. Der Angriff wurde auch unter diesen furchtbaren Umständen zurückgeschlagen, aber inzwischen waren die meisten Zelte zerrissen, zerstört und vom Sturme durch die Lüfte mit fortgeschleudert worden. Und die Winterzelte sollen erst jetzt in verschiedenen Häfen und Städten angekauft werden, sodaß man Hoffnung hat, dieselben fertig zu haben, wenn die Frühlingssonne auf deren Dächer oder auf die Massengräber Derer scheint, die darin hätten wohnen können, wenn Aberdeen nicht ein zu alter, friedliebender, zaghafter Diplomat gewesen wäre. –
Nachdem der Sturm die Leinwandhütten der Engländer, Franzosen und Türken zerrissen und in Fetzen mit sich fortgezaust hatte, beschäftigte er sich noch mit mehr Muße mit Todtbeizung und Begrabung der Kranken unter Schnee. Während der Zeit aber donnerte und sauste er wüthend hinunter nach der weiten Ebene und [644] Steppe der Krim, wo Hunderte von russischen Transportwägen mit ihren Lasten und Ochsen schon auf Tod und Leben mit Schmutz und Nacht kämpften. Hier packte er Wagen und Menschen und Vieh und schleuderte sie umher und in Sümpfe und begrub sie in Schnee und vernichtete so die ganze Karavane, vielleicht um zu zeigen, daß er es nicht blos auf die Alliirten abgesehen habe, und als Censor der christlichen Phrase, daß der liebe Gott Partei genommen und den Feind exemplarisch heimgesucht habe.