Staatsbürgerliche Bildung und Erziehung

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Autor: Emil Stutzer
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Titel: Staatsbürgerliche Bildung und Erziehung
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Erster Band: Die Grundlagen der Politik, Drittes Hauptstück: Herrschaft und Verwaltung, Abschnitt 17, S. 248−251
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[248]
b) Staatsbürgerliche Bildung und Erziehung.
Von
Von Professor Emil Stutzer,
Gymnasialdirektor in Görlitz.


Literatur: Bearbeiten

Bauerschmidt, Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung. München 1913.
Bernheim, Staatsbürgerkunde. Leipzig 1912.
Exner, Über politische Bildung. Rektoratsrede der Wiener Universität 1892.
Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung. Vortrag der Gehe-Stiftung in Dresden 1910.
Geffcken, Die Erziehung des Deutschen zum Staatsbürger. Festrede. Cöln 1906, Neubner.
Glock, Bürgerkunde. 6. Aufl. Berlin 1911, Reimer.
Jellinek. Allgemeine Staatslehre. 2. Aufl. Berlin 1905. Häring.
'Kerschensteiner, Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend. Preisschrift. 4. Aufl. Erfurt 1909, Villaret; Grundfragen der Schulorganisation. 2. Aufl. Leipzig und Berlin 1910, Teubner; Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung. Ebenda 1910.
Kormann, Deutsche Politik. Ein Grundriss zur staatsbürgerlichen Erziehung. Berlin 1911, Liebheit und Thiesen.
Leuze, Erziehung zum Staatsbürger. Leipzig 1912.
Matthias, Bürgerkunde und staatsbürgerliche Erziehung. Internationale Wochenschrift V (1911) No. 1–3.
Messer, Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung. Leipzig 1912.
Negenborn, Der Deutsche als Staatsbürger. München 1908, Lehmann.
Otto, Vom Deutschen Reich und seinen Einrichtungen. Ein staatsbürgerliches Lesebuch für Jung und Alt. Leipzig 1911, Scheffer.
Rühlmann, Politische Bildung. Leipzig 1908, Quelle u. Meyer (vgl. auch Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik XLIII (1911) S. 183 ff.). Der Staatsbürger, Halbmonatschrift für politische Bildung. Leipzig und Berlin 1910 ff., Grunow.
Stutzer, Kleine Deutsche Staatskunde. 2. Aufl. Dresden 1911, Ehlermann; Lesebuch zur Deutschen Staatskunde. 4. Aufl. Ebenda 1913. Vergangenheit und Gegenwart, Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung in allen Schulgattungen. Leipzig und Berlin 1911, ff. Teubner.
Weber, Staatsbürgerliche Erziehung und Bürgerkunde, Monatschrift für höhere Schulen 1911 S. 141 ff.
Wolf, Angewandte Geschichte. 7. Aufl. Leipzig 1913.


Die staatsbürgerliche Bildung hängt mit der politischen Bildung im allgemeinen zusammen, die sich auf die Bekanntschaft mit den wichtigsten Grundbegriffen der Staatslehre und auf die klare Erkenntnis der Erscheinungen des staatlichen Lebens gründet. Weil diese geschichtlich bedingt sind, weil das Wesen des Staates mit der Entwicklung des Volkes wechselt, so ist die geschichtliche Bildung Voraussetzung für die politische. Der geschichtlich Gebildete besitzt ein Verständnis dafür, wie die staatlichen Einrichtungen aus den Bedürfnissen des Volkslebens erwachsen und welche Kräfte bei der Ausbildung des Staates wirksam sind, so dass er die Gegenwart als das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung erfasst. Er hat einen Einblick gewonnen in den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, und aus dieser Erkenntnis des Kausalzusammenhanges ist ihm das Verständnis dafür aufgegangen, was politisch möglich, unmöglich und notwendig ist, und gerade in solcher Einsicht besteht die staatsbürgerliche Bildung. Wer sie besitzt, nimmt im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit von politischen Rechten und Pflichten nicht nur jene wahr, sondern erfüllt auch diese. Aus der richtigen Einsicht erwächst nämlich, wie die Frucht aus der Blüte, die richtige Gesinnung, die sich in Taten äussert. Denn der staatsbürgerlich Gebildete hat erkannt, dass die Macht und die Leistungsfähigkeit eines Staates ebenso auf der Tüchtigkeit wie auf dem Pflichtbewusstsein und Verantwortlichkeitsgefühl der Staatsbürger beruht. Staatsbürgerliche Bildung ist also auch Charakterbildung. Was die verstandesmässige Einsicht fordert, wird durch den freien sittlichen Willen vollführt, die Gesinnung gibt sich in Taten kund. Der staatsbürgerlich Gebildete ist also auf Ausgleichung und Versöhnung der Sonderinteressen bedacht, weil er für Unterordnung dieser Interessen unter das eine grosse Gesamtstaatsinteresse eintritt.

Die staatsbürgerliche Bildung wird um so wichtiger, je mehr politische Verantwortlichkeit der Verfassungsstaat mit ausgebildeter Selbstverwaltung jedem einzelnen Staatsbürger auferlegt. Solche demokratische Entwicklung ist in Deutschland viel später eingetreten als in England und Frankreich; daher sind diese Länder uns in politischer Bildung überhaupt weit überlegen. Der dem Deutschen von jeher eigene partikularistische und individualistische Trieb, mit dem der weltbürgerliche Sinn im Zusammenhang steht, gestaltete zwar unser Geistesleben vielseitiger als das jedes anderen Volkes, liess uns aber allzulange einen einheitlichen Verfassungsstaat entbehren. Das ist die geschichtliche Ursache unseres Mangels an politischem Verständnis und infolgedessen an staatsbürgerlicher Bildung im allgemeinen. Dieser Mangel erklärt sich übrigens auch aus der zum Teil noch jetzt herrschenden Auffassung in den Kreisen der Gelehrten, durch Popularisierung [249] würde die Wissenschaft herabgewürdigt und „politische Kinderlehre“ gehöre nicht in die Schule. Doch die Erziehung zu staatsbürgerlicher Bildung ward in den letzten Jahrzehnten immer nachdrücklicher in den verschiedensten Volkskreisen gefordert, und zwar besonders aus zwei Gründen, einem äusseren und einem inneren. Die Stellung Deutschlands nach aussen ist an und für sich schon infolge seiner geographischen Lage schwieriger zu behaupten als die anderer Weltmächte, hat sich jedoch in der letzten Zeit so gestaltet, dass wir im Wettbewerb dieser Mächte ohne Betätigung staatsbürgerlicher Gesinnung nicht bestehen können. Nun gewinnt aber diejenige Partei immer mehr Einfluss, die sich gegen die bestehende Staatsordnung erklärt und in trefflicher Organisation mit ebensogrosser Rührigkeit wie Umsicht Anhänger wirbt. Das sozialdemokratische Unkraut droht den staatserhaltenden Weizen zu überwuchern.

Wegen dieser inneren und äusseren Verhältnisse ertönt jetzt laut und allgemein der Ruf nach besserer staatsbürgerlicher Erziehung, und 1909 ist eine eigene Vereinigung dafür gegründet worden. Wer die Jugend hat, hat die Zukunft – diese auch von den Sozialdemokraten erkannte Binsenwahrheit lässt die staatserhaltenden Kreise sehr viel von der Wirksamkeit der Schule erhoffen, die schon der Begründer der neueren Pädagogik, Comenius († 1670), für staatsbürgerliche Erziehung in Anspruch genommen und verantwortlich gemacht hat; im 18. Jahrhundert ist seine Forderung von verschiedenen Seiten und sehr nachdrücklich wiederholt worden.

Jeder Schule stehen drei Wege der Einwirkung auf ihre Zöglinge zu Gebote. Der erste wendet sich an den Verstand: Durch Belehrung sucht die Schule eine Kenntnis der staatlichen Einrichtungen zu übermitteln, und diese Belehrung ist als Grundlage der staatsbürgerlichen Erziehung anzusehen, weil ohne Kenntnis kein Verständnis, ohne solches aber keine wahre Anhänglichkeit an den Staat möglich ist. Ein besonderes Lehrfach aber einzuführen, ist nicht angängig (abgesehen von Fach- und Fortbildungsschulen), schon aus Mangel an Zeit; vielmehr sind die bestehenden Unterrichtsfächer zu benutzen, um die Jugend in Staatskunde[1] zu belehren. In erster Linie kommt naturgemäss der Geschichtsunterricht in Betracht, der sich bisher schon zum Ziele setzte, eine Kenntnis auch der staatlichen Einrichtungen zu übermitteln, dieses Ziel allerdings aus verschiedenen Gründen nicht immer in der wünschenswerten Weise erreichte (in falscher Verallgemeinerung wird deshalb von manchen „der“ Schule vorgeworfen, sie hätte in staatsbürgerlicher Erziehung „überhaupt“ versagt). Er muss so getrieben werden, dass er Staatsbürgerkunde bietet, und diese muss so behandelt werden, dass sie Geschichtsunterricht bleibt. Unter allen Umständen ist in jeder Schule die neueste deutsche Geschichte zu behandeln und scheinbar gelegentlich, doch nach wohl durchdachtem Plane, möglichst konkret das Werden unserer Staatseinrichtungen zu schildern. Jede Schule hat es als ihre Pflicht anzusehen, in den Zöglingen die Überzeugung zu wecken und darin sie stets zu bestärken: der Staat, nächst der Kirche die wichtigste menschliche Gemeinschaft, eine „heilige Ordnung“, kann nur dann alle seine sehr mannigfaltigen Aufgaben lösen, wenn die Staatsbürger nicht allein ihre Rechte wahrnehmen, sondern auch ihre Pflichten treu erfüllen. Aus unvollkommenen Anfängen entstanden, entwickelt er sich allmählich zu immer grösserer Vollkommenheit; doch dürfen Änderungen nur vorsichtig getroffen werden, weil das Wohl und Wehe von Millionen auf dem Spiele steht. Deshalb hat der einzelne in seinen Wünschen sich zu bescheiden und oft Entsagung zu üben. Von einem vollkommenen Staate kann zu keiner Zeit die Rede sein, vielmehr sind gewisse Mängel unvermeidlich und müssen ohne Verdrossenheit ertragen werden. Näher auf diese Mängel vor Schülern einzugehen, wäre deshalb verfehlt, weil dann der Lehrer seine parteipolitischen Ansichten zum Ausdruck bringen müsste. Statt dessen hat er nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Verfassung jedem Staatsbürger die Möglichkeit bietet, zur Verbesserung der Verhältnisse beizutragen, wenn er nämlich es als seine Pflicht betrachtet, sein Wahlrecht auszuüben. In den höheren Lehranstalten, namentlich in den Gymnasien, trägt der Unterricht einen so wesentlich historischen Charakter, dass er deshalb schon an und für sich für politische Bildung geeignet ist. Auf Übermittlung vieler Einzelheiten kommt [250] es nicht an, auch steht dafür gar keine Zeit zur Verfügung, wie denn im allgemeinen die höhere Schule deshalb bei weitem nicht so viel leisten kann, wie man oft von ihr verlangt, weil sie zu viele Unterrichtsfächer betreiben muss und dadurch mit Zersplitterung und Verflachung bedroht wird. Aber soviel Zeit lässt sich in den oberen Klassen in der Regel erübrigen, dass schliesslich ein ziemlich geschlossenes Bild unseres jetzigen Staatswesens entworfen wird.

Ausser der Geschichte können andere Lehrfächer, namentlich Religion, Deutsch und Erdkunde, zu staatsbürgerlichen Belehrungen verwendet werden, wenn sich die Gelegenheit dazu ganz ungezwungen findet. Alle Lesebücher, besonders die in den oberen Klassen, müssen auch staatskundlichen Stoff bringen, und aus diesem Gebiete kann zuweilen eine Aufgabe für schriftliche kleine Klassen- oder grössere Hausarbeiten gestellt werden. Auch die kurzen sog. Schülervorträge d. h. möglichst frei gesprochenen Berichte über Gelesenes sind in den Dienst der staatsbürgerlichen Bildung zu stellen, namentlich wenn der Lehrer des Deutschen zugleich in Geschichte unterrichtet. Die Schule kann natürlich nicht alle Zöglinge zu gewandten Rednern ausbilden; denn die dazu erforderliche natürliche Begabung vermag auch der geschickteste Unterricht nicht zu ersetzen. Doch es ist sehr wichtig, dass möglichst viele schon als Schüler sich daran gewöhnen, vor der Klasse ohne Befangenheit kurze Vorträge zu halten. Solche regen die Selbsttätigkeit an und ermöglichen ein tieferes Erfassen der geschichtlichen Zusammenhänge und ihrer Bedeutung, schaffen auch eine dem Interesse am Unterricht sehr förderliche Abwechslung.

Der zweite Weg der Einwirkung ist der auf die Empfindung. Verstandesmässig lässt sich Staatsgesinnung nicht beibringen, sondern nur durch die sittliche Erziehung, die das Gemüt ergreift. Einen Hauch von dem Geiste grosser, von echter Staatsgesinnung beseelter Persönlichkeiten müssen die Zöglinge so oft und so mächtig wie möglich verspüren; Äusserungen aus ihren eigenen Schriften oder Briefen sind mitzuteilen, z. B. aus Fichtes Reden, der die freiwillige Unterordnung des persönlichen Selbst unter das Ganze predigt. Je höher die Fassungskraft der Schüler, desto stärkere und nachhaltigere Eindrücke können erzielt werden durch Anknüpfung der staatsbürgerlichen Belehrung an sittliche Lebensfragen. Doch die Absicht, ihn zu bestimmten Empfindungen anzuleiten, darf der Zögling nie merken, damit er nicht „verstimmt“ wird; vielmehr muss ihm die Überzeugung als eigene Errungenschaft erscheinen. Man kann echte Staatsgesinnung wecken, ohne dieses Wort jemals auszusprechen.

Die dritte Art der Einwirkung, die der Schule zu Gebote steht, ist die auf den Willen. Auch lebhaftes Gefühl hat nicht immer das Wollen zur Folge, und Kenntnisse sind wie Waffen: es kommt ganz darauf an, zu welchem Zwecke sie geführt werden. Es gilt also, den Willen zu einer wahrhaft staatsbürgerlichen Behandlung aller Berufs- und Lebensfragen planvoll zu wecken, zu stärken und zu klären, je nach dem Alter der Schüler. Jede Schule ist ein Staat im kleinen, dessen sämtliche Glieder sich bestimmten Vorschriften unterwerfen müssen. Gehorsam, Ordnungsliebe und Gewissenhaftigkeit sind die für die richtige Auffassung und Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten besonders wichtigen Charaktereigenschaften; daran gewöhnt ja der Schulstaat durch Zwang, aus dem schliesslich die Überzeugung erwächst: es muss so sein, weil es nicht anders sein kann. Die Schulzucht wirkt also auf den Willen ein, und dies ist staatsbürgerliche Erziehung im besten Sinne. In ihren Dienst treten auch die Versuche mit Selbstverwaltung der Schüler, namentlich an den höheren Lehranstalten: Klassenämter werden durch Wahl besetzt, und über die Art der Bestrafung eines Mitschülers entscheiden solche Kameraden, die sich des allgemeinen Vertrauens würdig erwiesen haben. Das Verantwortlichkeitsgefühl wird auch dadurch gehoben, dass sich einzelne Schüler an der Aufrechterhaltung der Ordnung in den Pausen, beim Turnen und bei den Spielen beteiligen. Solche Erziehung zum Führerberufe, die ein sehr wichtiger Teil der staatsbürgerlichen Erziehung gerade auf höheren Lehranstalten ist, muss man besonders denjenigen angedeihen lassen, bei denen man gute und echte politische Instinkte wahrzunehmen glaubt; doch täuscht man sich dabei leicht.

Die Fach- und Fortbildungsschulen treiben in besonderen Lehrstunden Staatskunde mit sorgfältiger Stoffverteilung und nicht als gelegentliche Unterweisung; solche ist ausserdem möglich in verschiedenen Lehrfächern, namentlich in der Wirtschaftsgeographie sowie in der Handelskunde. Es kommt bei alledem darauf an, nicht gelehrtes Wissen, sondern Verständnis des Lebens zu vermitteln, also den Zusammenhang der Berufsarbeit des einzelnen mit dem Leben in der Gemeinschaft zum Bewusstsein zu bringen, das Werden und Wesen wichtiger Einrichtungen des öffentlichen [251] Lebens zu erklären, Achtung vor der Verfassung und der Rechtsordnung einzuflössen, Liebe zur engeren und zur weiteren Heimat zu erwecken sowie Ziele für die freudige Mitarbeit am Staate vor Augen zu stellen. Alle Belehrungen sind daher an das Nächstliegende anzuknüpfen und möglichst anschauliche Beispiele aus dem Erfahrungskreise der jungen Leute auszuwählen, dagegen ist von systematischer Erörterung wirtschaftlicher und rechtlicher Grundbegriffe abzusehen. So können die Fach- und Fortbildungsschulen durch die gesamte Gestaltung der Arbeit den Gemeinsinn und das Verantwortlichkeitsgefühl entwickeln und stärken.

Doch die Einwirkung jedweder Schule bedarf der Unterstützung des Elternhauses, dessen direkte und indirekte Erziehung (z. B. durch Überwachung der oft so verhängnisvollen Lektüre) auch dann nicht entbehrt werden kann, wenn die durch den bekannten Erlass des preussischen Kultusministers vom 18. Januar 1911 näher gekennzeichnete systematische Jugendpflege einsetzt. Auf Grund dieses Erlasses sind bereits neue Organisationen geschaffen worden; doch auch die alten nationalen Verbände, unter denen der die Parteipolitik ganz ausschaltende Deutsche Frauenbund besonders erwähnt sei, müssen sich gegenüber der von der internationalen Sozialdemokratie drohenden Gefahr auf jede Weise an der staatsbürgerlichen Erziehung vor allem der schulentlassenen Jugend beteiligen. Politik und Parteipolitik sind zwar nicht Gegensätze, aber auch nicht identisch. Wer ist ein guter Staatsbürger? Der Konservative, der Liberale, der Zentrumsmann oder derjenige, der allen Massnahmen der Regierung unbedingt zustimmt? Der Angehörige jeder Partei erhebt den Anspruch, ein guter Staatsbürger zu sein, und weist entschieden die Behauptung zurück, er sei es nicht. Daraus ergibt sich, dass der Begriff des Staatsbürgers wesentlich umfassender ist als der des Parteimannes. Dieser will nicht nur Staatsbürger, sondern zugleich Vertreter einer bestimmten politischen Anschauung sein und sie im öffentlichen Leben möglichst zur Geltung bringen, wobei die Gefahr nahe liegt, dass er durch die Parteibrille sieht. Nur derjenige wird dieser Gefahr nicht unterliegen, dem schon in der Schule (s. oben) die Überzeugung von der „heiligen Ordnung“ des Staates und von der Unvermeidlichkeit gewisser Mängel auch bei dieser menschlichen Einrichtung in Fleisch und Blut übergegangen ist, so dass ihm später der Grundgedanke des Staates, die „objektive Sittlichkeit“ als Inbegriff aller Gerechtigkeit, zum unverrückbaren Bestandteil des geistigen Lebens wird. Weil alle Parteien, namentlich die sozialdemokratische, bemüht sind, die Jugend für sich zu gewinnen, so ist eine unbefangene „politische Kinderlehre“ in der Schule unbedingt nötig, damit die Auffassung, der Staat habe über der Partei zu stehen, mehr und mehr im politischen Leben zur Geltung kommt.

Die zwischen Schule und Heeresdienst klaffende Lücke tut vor allem wegen der ebenso eifrigen wie vielseitigen Belehrungen, die von der sozialdemokratischen Partei ausgehen, den nationalen Bestrebungen oft schweren Abbruch. Um diese Lücke in wahrhaft staatsbürgerlichem Sinne auszufüllen, müssen besondere Massnahmen ergriffen werden; in erster Linie kommen freiwillige Fortbildungskurse in Betracht, die nicht von der Schule oder von einer Behörde, sondern von politischen und Bildungs-Vereinen sowie von wirtschaftlichen Verbänden zu veranstalten sind. Alle diese verschiedenen Vereine müssen sich auch die Erweiterung der staatsbürgerlichen Bildung bei Erwachsenen in grösserem oder geringerem Masse angelegen sein lassen, zum staatsbürgerlichen Sinn erziehen, den politischen Willen erwecken, damit ein möglichst weiter Kreis der Staatsbürger mit den Lebensinteressen des Staates verflochten wird und dem Werte des einzelnen für den Staat die Bedeutung des Staates für den einzelnen entspricht. Dann vereint das Band nationaler Lebensgemeinschaft alle Parteien.

Zur Erfüllung dieser Aufgabe kann auch die Grossmacht Presse viel beitragen, weil sie bedeutenden Einfluss auf das politische Denken weiter Kreise ausübt. Daher sollten die weitverbreiteten grösseren Zeitungen niemals das Verbindende über dem Trennenden vergessen und „in jedem Deutschen zuerst den Landsmann, nicht den politischen Gegner sehen“ (Bismarck). Erfreulich ist, dass seit kurzem neutrale Jugendwochenschriften sich in den Dienst der staatsbürgerlichen Bildung stellen.

Im allgemeinen kommt es auch bei der staatsbürgerlichen Erziehung weniger auf Massregeln an als auf Personen, die freudig und tatkräftig in die Zukunft blicken und ihre Überzeugung betätigen: wer das Ganze heben will, muss auf Hebung der einzelnen bedacht sein.





  1. In der Schule handelt es sich hauptsächlich um die Kunde vom Staate. Da nun der Gegenstand, von dem man Kunde gibt, als Bestimmungswort zumeist verwendet wird (vgl. Heimatkunde, Vaterlandskunde), so ist „Staatskunde“ der allein angemessene Ausdruck, nicht „Bürgerkunde“. Die meisten dieser auf Belehrung ausgehenden Hilfsmittel bieten stofflich dasselbe, allerdings in sehr verschiedenem Umfange: nur die für die weitesten Kreise bestimmten und dabei durch ihre Darstellungsweise eigenartigen sind im Literaturverzeichnis angeführt.