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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

b) Staatsbürgerliche Bildung und Erziehung.
Von
Von Professor Emil Stutzer,
Gymnasialdirektor in Görlitz.


Literatur:

Bauerschmidt, Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung. München 1913.
Bernheim, Staatsbürgerkunde. Leipzig 1912.
Exner, Über politische Bildung. Rektoratsrede der Wiener Universität 1892.
Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung. Vortrag der Gehe-Stiftung in Dresden 1910.
Geffcken, Die Erziehung des Deutschen zum Staatsbürger. Festrede. Cöln 1906, Neubner.
Glock, Bürgerkunde. 6. Aufl. Berlin 1911, Reimer.
Jellinek. Allgemeine Staatslehre. 2. Aufl. Berlin 1905. Häring.
'Kerschensteiner, Staatsbürgerliche Erziehung der deutschen Jugend. Preisschrift. 4. Aufl. Erfurt 1909, Villaret; Grundfragen der Schulorganisation. 2. Aufl. Leipzig und Berlin 1910, Teubner; Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung. Ebenda 1910.
Kormann, Deutsche Politik. Ein Grundriss zur staatsbürgerlichen Erziehung. Berlin 1911, Liebheit und Thiesen.
Leuze, Erziehung zum Staatsbürger. Leipzig 1912.
Matthias, Bürgerkunde und staatsbürgerliche Erziehung. Internationale Wochenschrift V (1911) No. 1–3.
Messer, Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung. Leipzig 1912.
Negenborn, Der Deutsche als Staatsbürger. München 1908, Lehmann.
Otto, Vom Deutschen Reich und seinen Einrichtungen. Ein staatsbürgerliches Lesebuch für Jung und Alt. Leipzig 1911, Scheffer.
Rühlmann, Politische Bildung. Leipzig 1908, Quelle u. Meyer (vgl. auch Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik XLIII (1911) S. 183 ff.). Der Staatsbürger, Halbmonatschrift für politische Bildung. Leipzig und Berlin 1910 ff., Grunow.
Stutzer, Kleine Deutsche Staatskunde. 2. Aufl. Dresden 1911, Ehlermann; Lesebuch zur Deutschen Staatskunde. 4. Aufl. Ebenda 1913. Vergangenheit und Gegenwart, Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung in allen Schulgattungen. Leipzig und Berlin 1911, ff. Teubner.
Weber, Staatsbürgerliche Erziehung und Bürgerkunde, Monatschrift für höhere Schulen 1911 S. 141 ff.
Wolf, Angewandte Geschichte. 7. Aufl. Leipzig 1913.


Die staatsbürgerliche Bildung hängt mit der politischen Bildung im allgemeinen zusammen, die sich auf die Bekanntschaft mit den wichtigsten Grundbegriffen der Staatslehre und auf die klare Erkenntnis der Erscheinungen des staatlichen Lebens gründet. Weil diese geschichtlich bedingt sind, weil das Wesen des Staates mit der Entwicklung des Volkes wechselt, so ist die geschichtliche Bildung Voraussetzung für die politische. Der geschichtlich Gebildete besitzt ein Verständnis dafür, wie die staatlichen Einrichtungen aus den Bedürfnissen des Volkslebens erwachsen und welche Kräfte bei der Ausbildung des Staates wirksam sind, so dass er die Gegenwart als das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung erfasst. Er hat einen Einblick gewonnen in den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen, und aus dieser Erkenntnis des Kausalzusammenhanges ist ihm das Verständnis dafür aufgegangen, was politisch möglich, unmöglich und notwendig ist, und gerade in solcher Einsicht besteht die staatsbürgerliche Bildung. Wer sie besitzt, nimmt im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit von politischen Rechten und Pflichten nicht nur jene wahr, sondern erfüllt auch diese. Aus der richtigen Einsicht erwächst nämlich, wie die Frucht aus der Blüte, die richtige Gesinnung, die sich in Taten äussert. Denn der staatsbürgerlich Gebildete hat erkannt, dass die Macht und die Leistungsfähigkeit eines Staates ebenso auf der Tüchtigkeit wie auf dem Pflichtbewusstsein und Verantwortlichkeitsgefühl der Staatsbürger beruht. Staatsbürgerliche Bildung ist also auch Charakterbildung. Was die verstandesmässige Einsicht fordert, wird durch den freien sittlichen Willen vollführt, die Gesinnung gibt sich in Taten kund. Der staatsbürgerlich Gebildete ist also auf Ausgleichung und Versöhnung der Sonderinteressen bedacht, weil er für Unterordnung dieser Interessen unter das eine grosse Gesamtstaatsinteresse eintritt.

Die staatsbürgerliche Bildung wird um so wichtiger, je mehr politische Verantwortlichkeit der Verfassungsstaat mit ausgebildeter Selbstverwaltung jedem einzelnen Staatsbürger auferlegt. Solche demokratische Entwicklung ist in Deutschland viel später eingetreten als in England und Frankreich; daher sind diese Länder uns in politischer Bildung überhaupt weit überlegen. Der dem Deutschen von jeher eigene partikularistische und individualistische Trieb, mit dem der weltbürgerliche Sinn im Zusammenhang steht, gestaltete zwar unser Geistesleben vielseitiger als das jedes anderen Volkes, liess uns aber allzulange einen einheitlichen Verfassungsstaat entbehren. Das ist die geschichtliche Ursache unseres Mangels an politischem Verständnis und infolgedessen an staatsbürgerlicher Bildung im allgemeinen. Dieser Mangel erklärt sich übrigens auch aus der zum Teil noch jetzt herrschenden Auffassung in den Kreisen der Gelehrten, durch Popularisierung

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/268&oldid=- (Version vom 1.8.2021)