CXI. Madrid Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXII. Smyrna
CXIII. Pisa, im Toskanischen
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SMYRNA
in Kleinasien

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CXII. Smyrna.




Diese große, volkreiche und uralte Handelsstadt liegt an der Westküste Natoliens im Hintergrunde einer reizenden Bay, welche sie – ähnlich einem Amphitheater, in welchem die Häuserterrassen die Sitze vorstellen – umfaßt. Von Griechen aus Ephesus gegründet, kam sie abwechselnd unter die Herrschaft der Aeolier, Ionier und Lydier. Diese zerstörten sie. Lysimachus, (nach Andern Alexander,) baute sie wieder auf, und im Laufe der nächsten Jahrhunderte erhob sie sich zum reichen Mittelpunkte des Klein-asiatischen Handels. Die Künste blüheten, prachtvolle Gebäude erfüllten die Stadt, und für sinnlichen Lebensgenuß trat sie an die Stelle des alten Sardis.

[54] Als das Römerreich verfiel, nahm auch Smyrna an Volkszahl und Wohlstand ab. Der Handel zog sich weg, die Kaufleute wanderten ihm nach, und in den langen verwüstenden Kriegen, welchen, nach dem Einbruch der Araber, und später der Türken, Kleinasien preis gegeben war, ging Smyrna durch Brand, Plünderung und Pest gänzlich zu Grunde. Im 13. Jahrhundert lag es in Ruinen, völlig verlassen. Erst nachdem sich die Türken zu unbestrittenen Herren des ganzen römischen Ostreichs aufgeschwungen hatten, gab Smyrna’s vortreffliche Handelslage zu neuen Ansiedelungen Anlaß und allmählig gelangte es wieder zu Größe und Wohlstand. Es ist gegenwärtig die wichtigste Handelsstadt des türkischen Asiens. Einwohner zählt es etwa 100,000; zur Hälfte sind’s Türken, ein Viertheil Griechen, der Rest Armenier und Juden. Außerdem wohnen Kaufleute aller Nationen hier, von denen die europäischen ein eignes Quartier, die Frankenstraße, inne haben, in welcher das Leben, mehr als irgendwo im Orient, europäisches Gepräge trägt. Alle Seemächte unseres Welttheils unterhalten hier Konsuln und sämmtliche christliche Hauptsekten, bei freier Religionsübung, Kirchen und Kapellen. Die armenische und griechische steht jede unter einem Erzbischof; ein Bischof steht der katholischen vor. Die englischen, die schottischen, die französisch-reformirten und die deutsch-lutherischen Christen sind in Gemeinden vereinigt und haben ihre Kapellen und Prediger. Auch alle morgenländische Glaubensmeinungen besitzen in Smyrna Tempel für Gebet und Gottesverehrung.

Die Stadt ist nach allen Seiten offen und ohne Festungswerke. Eine Citadelle, das Werk venetianischer Baumeister aus der Byzantinerzeit, welche auf einem Felsen nahe bei der Stadt stand und sie vertheidigte, ist längst nur noch eine malerische Ruine, die, der berühmten Aussicht wegen, kein Reisender unbesucht läßt. Von dieser Höhe (der nämlichen, von welcher aus unser Bild gezeichnet wurde,) übersieht man das Amphitheater der Stadt, das Gewühl des Hafens, die herrliche Bai, welche sich wie ein weißschimmerndes Tafeltuch zu den Füßen des Beschauers ausbreitet; ferner die Begräbnißstätten mit den langen Zypressenalleen, die anmuthigen Gelände und grünen Gründe, besäet mit schattigen Gärten und freundlichen Landhäusern, über welche sich ostwärts eine großartige Berglandschaft terrassenartig aufthürmt. Nach Süden fällt der Blick in ein tiefes, blumiges Thal, das sich über eine Stunde weit der Höhe zuwindet. Der krystallhelle Meles durchströmt es seiner ganzen Länge nach, und in der Mitte des Thals überspannt ihn eine alte, weißgraue Steinbrücke, die sogenannte Karavanenbrücke, über welche die langen Kameelzüge mit den Waaren Indiens, Persiens, Arabiens und Syriens beladen ununterbrochen vorüberziehen. Dieses Thal ist berühmt als der Lieblingsaufenthalt und wahrscheinliche Geburtsort Homer’s. – Noch zeigt man die Stelle, wo das Haus seiner Aeltern gestanden haben soll, und die sogenannte Schule des Homer, einen Felsen, in dem man Bänke ausgehauen sieht. Es ist ein romantisches Plätzchen, mit uralten Platanen beschattet, unter denen eine köstliche Quelle hervorsprudelt, mit freier Aussicht auf’s Meer.

[55] Das Innere von Smyrna bewahrt keine Spur von den Prachtdenkmälern der Baukunst, wegen welcher es im Alterthume so berühmt war. Wo sonst die Tempel, das Homerium, das Gymnasium, die Bibliothek, die Rennbahnen, Amphitheater, Thermen und Monumente, auf Plätzen oder in regelmäßigen Straßen sich erhoben, findet man schmuzige Gassen, elende und leicht von Koth und alten Bautrümmern zusammengeklebte Häuser und das Gewühl einer größtentheils armen, zerlumpten Bevölkerung. Es ist hier wie überall in der Levante; nur die Natur und die Erinnerung haben wahren Reiz.

Smyrna’s Großhandel zur See ist in den Händen der Franken; in den noch weit bedeutendern Binnenverkehr theilen sich Armenier und Juden, unter denen es unermeßlich reiche giebt. – Für Europa sind Zucker, Tücher und wollene und seidene Zeuge die wichtigsten Importen; und unter den Ausfuhrartikeln stehen Rosinen, Baumwolle, Droguerien und rohe Seide oben an. Die hiesigen Teppichfabriken liefern für den asiatischen Verkehr große Quantitäten und ihre Waare ist als die beste im ganzen Morgenlande geschätzt.

Werfen wir noch, ehe wir Smyrna verlassen, einen Blick auf seinen Bazar. Der ihm angewiesene ungeheuere Raum ist in regelmäßige Gassen eingetheilt, in denen sich Laden an Laden reiht. Hier, wo man alle Natur- und Kunstprodukte des Morgen- und Abendlandes ausgelegt findet, begegnet man Menschen aus allen Völkern, die in malerischen Gruppen und in den mannichfaltigsten Trachten und Hautfarben stets hin und her wogen. Man sieht die armenischen, persischen, nubischen und tartarischen Kaufleute, die mit den Karavanen aus den entferntesten Gegenden kommen, die Cargadeurs und Agenten der europäischen Handelsschiffe, die Pilger aus Mekka mit den grünen Prophetenturbanen, den grandiosen Türken, den kriechenden Juden, den schlauen, scheuen Griechen, christliche Mönche und mohamedanische Derwische, Weiber und Mädchen jeder Farbe und Abstammung. In einer besondern Abtheilung werden die Haremsartikel, die köstlichen Spezereien aus Arabien, Persien, Hindostan und Aegypten verkauft, welche die Luft in ein Meer von Wohlgerüchen verwandeln. Hier sieht man auch die bunten Kinderspiele aus Nürnberg, die parfümirten Handschuhe und künstlichen Blumen aus Paris und Genua, und Zeisige und Blutfinken aus Tyrol und Thüringen zu hunderten, die in glänzenden Käfigen zwitschern. Diese kleinen gefiederten Sänger deutscher Weisen werden meistens in die Harems der Großen verkauft, die sehr unglücklichen Frauen zu ergötzen und ihnen die Langeweile zu kürzen.