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Als das Römerreich verfiel, nahm auch Smyrna an Volkszahl und Wohlstand ab. Der Handel zog sich weg, die Kaufleute wanderten ihm nach, und in den langen verwüstenden Kriegen, welchen, nach dem Einbruch der Araber, und später der Türken, Kleinasien preis gegeben war, ging Smyrna durch Brand, Plünderung und Pest gänzlich zu Grunde. Im 13. Jahrhundert lag es in Ruinen, völlig verlassen. Erst nachdem sich die Türken zu unbestrittenen Herren des ganzen römischen Ostreichs aufgeschwungen hatten, gab Smyrna’s vortreffliche Handelslage zu neuen Ansiedelungen Anlaß und allmählig gelangte es wieder zu Größe und Wohlstand. Es ist gegenwärtig die wichtigste Handelsstadt des türkischen Asiens. Einwohner zählt es etwa 100,000; zur Hälfte sind’s Türken, ein Viertheil Griechen, der Rest Armenier und Juden. Außerdem wohnen Kaufleute aller Nationen hier, von denen die europäischen ein eignes Quartier, die Frankenstraße, inne haben, in welcher das Leben, mehr als irgendwo im Orient, europäisches Gepräge trägt. Alle Seemächte unseres Welttheils unterhalten hier Konsuln und sämmtliche christliche Hauptsekten, bei freier Religionsübung, Kirchen und Kapellen. Die armenische und griechische steht jede unter einem Erzbischof; ein Bischof steht der katholischen vor. Die englischen, die schottischen, die französisch-reformirten und die deutsch-lutherischen Christen sind in Gemeinden vereinigt und haben ihre Kapellen und Prediger. Auch alle morgenländische Glaubensmeinungen besitzen in Smyrna Tempel für Gebet und Gottesverehrung.

Die Stadt ist nach allen Seiten offen und ohne Festungswerke. Eine Citadelle, das Werk venetianischer Baumeister aus der Byzantinerzeit, welche auf einem Felsen nahe bei der Stadt stand und sie vertheidigte, ist längst nur noch eine malerische Ruine, die, der berühmten Aussicht wegen, kein Reisender unbesucht läßt. Von dieser Höhe (der nämlichen, von welcher aus unser Bild gezeichnet wurde,) übersieht man das Amphitheater der Stadt, das Gewühl des Hafens, die herrliche Bai, welche sich wie ein weißschimmerndes Tafeltuch zu den Füßen des Beschauers ausbreitet; ferner die Begräbnißstätten mit den langen Zypressenalleen, die anmuthigen Gelände und grünen Gründe, besäet mit schattigen Gärten und freundlichen Landhäusern, über welche sich ostwärts eine großartige Berglandschaft terrassenartig aufthürmt. Nach Süden fällt der Blick in ein tiefes, blumiges Thal, das sich über eine Stunde weit der Höhe zuwindet. Der krystallhelle Meles durchströmt es seiner ganzen Länge nach, und in der Mitte des Thals überspannt ihn eine alte, weißgraue Steinbrücke, die sogenannte Karavanenbrücke, über welche die langen Kameelzüge mit den Waaren Indiens, Persiens, Arabiens und Syriens beladen ununterbrochen vorüberziehen. Dieses Thal ist berühmt als der Lieblingsaufenthalt und wahrscheinliche Geburtsort Homer’s. – Noch zeigt man die Stelle, wo das Haus seiner Aeltern gestanden haben soll, und die sogenannte Schule des Homer, einen Felsen, in dem man Bänke ausgehauen sieht. Es ist ein romantisches Plätzchen, mit uralten Platanen beschattet, unter denen eine köstliche Quelle hervorsprudelt, mit freier Aussicht auf’s Meer.