CXII. Smyrna Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXIII. Pisa, im Toskanischen
CXIV. Die Ruinen von Tyrus
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PISA

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CXIII. Pisa, im Toskanischen.




Begleite mich, Leser, in das prachtvolle, weltberühmte, – todtenstille Pisa! Wer hörte nicht von dem Ort, der einst so viel Helden zählte, als Bürger? Und wüßten Viele auch sonst nichts von ihm, wer kennt es nicht als das Vaterland des Ugolino, dessen Schauergeschichte Dante mit Flammenzügen schrieb, und welche die tragische Muse unsers unsterblichen Gerstenberg begeisterte!

Pisa, am Arno, (unfern von dessen Mündung) ist älter als Rom, vielleicht die älteste Stadt Italiens. Die Sage bestimmt das dritte Jahrhundert vor der Zerstörung Troja’s als Zeit seiner Gründung, und Aristoteles nennt als seine Stifter die Ligurer. Es wurde unterjocht von Rom im Jahre 300 vor Christo, und bekam in den Zeiten der Republik die Rechte einer Munizipalstadt.

Bei’m Verfall des Römerreichs machte sich Pisa frei und gab sich eine republikanische Verfassung. Viele vornehme und reiche Geschlechter Italiens flüchteten vor den Stürmen der Barbaren in seine Mauern, und vermehrten die Macht des jungen Staats. Als die Zeiten ruhiger wurden, machten die Pisaner den Arno schiffbar, gruben seine Mündung zum Hafen aus, und durch den Reichthum, den der Handel herbei führte, blühte es schnell zur herrlichsten Stadt Oberitaliens auf. Es erhob sich zur größten Seemacht im Mittelmeere. Zu einer Zeit, wo Alles vor den Seeräubern bebte, wagte es allein den verwegenen Kampf mit den Sarazenen, damals der Schrecken der christlichen Welt. Sieg auf Sieg errang es über die Gefürchteten, welche ganz Italien zu erobern trachteten. 1017 befreite es Sardinien, 1050 Korsika und die Balearen aus ihren Händen; – in blutigen Kämpfen rang es um die Befreiung Siziliens, erstürmte Palermo und trug die Fahne des siegreichen Kreuzes kühn nach Afrika in der Sarazenen Heimath. Jahre lang stritten dort seine Heere; – Karthago wurde erobert; und als die abendländischen Christenfürsten auszogen mit ihren Völkern zur Befreiung des heiligen Landes aus den Händen der Moslims, da schickten die Pisaner ihre Flotten und Heere zum Beistand, und diese gaben oft den Ausschlag zum Sieg. Zweimal entsetzten sie Alexandrien, das Kornmagazin für die Christen in Palästina.

Auch in Ober-Italien erweiterte die Mächtige ihr Gebiet; aber nicht durch Waffengewalt, sondern durch die Macht des friedlichen Fleißes. Die weite Maremma, welche sich bis Biombino ausdehnt, wurde ausgetrocknet, von [57] den Pisanern, und der stinkende, pesthauchende Morast in eine fruchtbare Landschaft verwandelt, welche sich mit freundlichen Flecken und Dörfern und den Landhäusern der Städter anfüllte. Jetzt ist diese, seit Jahrhunderten von der pflegenden Hand des Fleißes verlassen, wieder eine Wüste.

Zur See und im Welthandel überstrahlte Pisa lange seine Nebenbuhlerinnen Venedig und Genua. Es gründete Kolonien in der Levante, an der griechischen Küste und an den Ufern des Euxinischen Meers. Sein Reichthum häufte sich zu einer fast fabelhaften Größe an. Im 13ten Jahrhundert zogen 40,000 Bürger, in ritterlichem Schmuck und gerüstet, aus seinen Thoren, und 160 Kriegsschiffe beschützten auf allen damals bekannten Meeren seinen Handel. Niemals sah man die Freiheit üppigere Früchte tragen.

Aber das Glück ist nirgends zu fesseln; auch das Pisa’s war nicht von Dauer. Die kleineren Fehden, welche die Kräfte der jungen Republiken Oberitaliens anfänglich wohlthätig entwickelten und reiften, arteten endlich in kräfte-verzehrende, erbitterte Kriege aus. Die eifersüchtigen Gemeinwesen entbrannten gegen einander in tödtlichen, durch nichts zu versöhnenden Haß. Die schwächeren suchten Hülfe bei auswärtigen Mächten und wurden deren Werkzeuge zur Nährung der Uneinigkeit. Die Freiheit ging unter in diesen Verhältnissen. Ueberall erhoben sich Tyrannen.

Die mächtigsten gingen aus den Familien der Guelfen und Ghibellinen hervor. Beide rangen nach nichts geringerem, als nach der ausschließlichen Herrschaft in ganz Oberitalien. Alle Städte nahmen für die eine, oder andere Partei. Pisa schlug sich zu der der Ghibellinen, und kam dadurch mit den Nachbarn, Florenz, Lucca und Siena, welche den Guelfen anhingen, in tödtlichen Kampf. Genua, das, mächtig und reich, neidisch und eifersüchtig seit langer Zeit auf Pisa’s größern Glanz war, benutzte den günstigen Zeitpunkt, und erklärte diesem den Krieg. Unversehens griff es seine Kolonien an, hinterlistig seine Flotte, und schlug sie auf’s Haupt. Zur Häufung des Unglücks war in Pisa’s Mauern Zwist unter den Bürgern, blutige Parteiung unter den mächtigen Geschlechtern. Während die Hälfte der Pisaner sich draußen gegen die vielen Feinde schlug, färbte die andere Hälfte in brudermörderischem Kampfe die Straßen mit Blut. Ugolino, Haupt der Familie Gherardeska, warf sich zum Herrscher auf, und als die Guelfen, das siegende Florenz an der Spitze, ihn anerkannten als solchen, nahm Pisa das Joch.

Nicht für lange. Die Bürger standen auf – Ugolino floh. Er kehrte zurück an der Spitze eines zahlreichen Guelfenheers. Verrath und Zwietracht öffneten ihm die Thore, und das Henkerbeil nahm an den Rädelsführern Rache. Nach scheinbar hergestellter Ruhe zogen seine Verbündeten wieder ab; aber kaum wußten die Pisaner sie fern, so brach der Aufstand von neuem und schrecklich los. Ugolino wurde ergriffen, sammt seinen 3 Söhnen in einen Thurm geworfen und dem fürchterlichen Hungertode preisgegeben! – So schrecklich rächte [58] das Volk die Unterdrückung. Aber furchtbarer noch hat die Nemesis dem Volke die Schandthat vergolten! – Auf die Nachricht von Ugolinos Schicksal vereinigten die Guelfen ihre Heere, und zogen, 80,000 Mann stark, vor Pisa, dessen Volksmenge in den langen Kriegen und durch eine verheerende Pest auf die Hälfte der früheren Anzahl gesunken war. Es wankte der Muth der Pisaner demungeachtet nicht; sie trieben die Angreifer zurück und schlugen sie in mehren Treffen. Aber jedem Siege folgte größere Erschöpfung, und unfähig, dem sich immer erneuernden Guelfenheere länger mit Erfolg zu widerstehen, flüchtete sich die bedrängte Stadt endlich unter des mächtigen Mailands Schutz. Dieses aber verhandelte die unglückliche Schwester, gleich einer Sklavin, um eine große Geldsumme an die Familie Viskonti, von der Florenz sie, unwürdiger noch, um eine größere Summe wieder erstand. Die Unterhandlungen waren so geheim gehalten worden, daß die Pisaner nicht eher davon Kunde erhielten, als bis ein florentinisches Besatzungsheer vor den Thoren erschien, und Abgeordnete von Mailand und der Visconti’s die Uebergabe an dasselbe begehrten. Da rafften die Pisaner ihre letzte Kraft zusammen! Ein Entschluß, der, Alles für die Freiheit zu wagen, begeisterte die ganze Bevölkerung. Sie stürzte den schon eindringenden Florentinern entgegen und trieb sie nach furchtbarem Kampfe in die Flucht. Jedoch dreifach verstärkt kamen diese wieder, und die auf das engste eingeschlossene, auf eine Belagerung nicht vorbereitete Stadt war bald aller Lebensmittel baar. Der Hunger und sein Gefolge, Pest und Seuchen, frassen ihre Vertheidiger auf, welche das feindliche Schwerdt nicht zu berühren wagte. – Pisa fiel (1406), und die Uebergewalt erzwang sich von den Ueberwundenen Gehorsam. Vielen aber schien der Verlust der Freiheit unerträglich. Ueber 7500 Familien, die wohlhabendsten und mächtigsten, wanderten aus.

88 Jahre herrschten die Florentiner. Pisa’s Reichthumsquelle war verstopft, der Handel war geflohen vor den Stürmen des Kriegs; Pisa’s Flotten waren vernichtet, seine Colonien verloren gegangen, und von 40,000 waffenfähigen Bürgern kaum 10,000 noch übrig. Es glich einer Eiche, welcher der Blitz die Zweige abgeschlagen. Die äußere Pracht war hin, nur im Stamme trieb noch frisches Leben. Als Karl VIII. von Frankreich Italien überzog, zu streiten um dessen Herrschaft mit dem Hause Habsburg, da brach der verhaltene Geist der Pisaner von neuem in Aufruhrsflammen aus – die Florentiner wurden erschlagen oder verjagt, und aufgerichtet wieder die alte Republik. Schnell zu grausamer Rache rüstete sich das zwanzigfach mächtigere Florenz, damals auf dem Gipfel seiner Größe. Heer sandte es auf Heer, und ein Kampf entstand zwischen dem Heldenmuth und der Uebermacht, den rühmlichsten im alten und neuen Hellas zu vergleichen. Die Pisaner überwanden die Florentiner in mehren Feldschlachten und gewannen ihr ganzes ehemaliges Gebiet wieder. Florenz, betäubt von so unerhörtem Erfolge, zeigte sich zum Frieden geneigt; jedoch voll Eifersucht und Mißtrauen sahen Fürsten und Republiken Italiens das Wiederaufstehen des alten Freistaats. Sie boten Pisa ihre Vermittlung an und – riethen zur Unterwerfung. Drohungen folgten dem verworfenen Rathe, und Pisa sah sich von neuen Feinden umringt. Auch in dieser prüfenden Lage blieb es unerschüttert. Für die Freiheit eher zu sterben, als sie zu opfern, schwuren die Bürger in allgemeiner Versammlung.

[59] Die Florentiner waren nicht säumig, Pisa’s Entschlossenheit zu prüfen. Im Bunde mit andern Staaten drangen sie, mit gewaltiger Heeresmacht, von verschiedenen Punkten her auf die ihrer Mauern und Wehren während der Zeit der Unterdrückung beraubte Stadt. Am letzten Juli 1499 nahm die Belagerung ihren Anfang. 80,000 zählte das Heer der Verbündeten. Eine auch nur 14tägige Abwehr schien schon eine Unmöglichkeit. Aber während die Männer mit eisernem Muthe die verwüsteten Mauern und die verschütteten Gräben vertheidigten und die unaufhörlichen Stürme zurückschlugen, schanzten die Frauen und Kinder hinter ihnen an neuen Werken. Einst, als der Feind eine Bastion genommen hatte, warfen sich die Weiber den schwankenden Männern mit entblöster Brust entgegen, und den Tod fordernd, trieben sie solche verzweiflungsvoll zum Sturme der verlassenen Werke zurück. Durch solche Thaten ward die Stadt gerettet. Als 20,000 der besten Krieger den Florentinern gefallen waren, hoben diese die Belagerung auf (am 4. September) und zogen ab. – Die kurze Waffenruhe, welche folgte, benutzten die Pisaner klüglich, ihre Stadt auf das stärkste zu befestigen und große Vorräthe von Lebensmitteln in dieselbe zu schaffen, wohl wissend, daß die Erbfeinde ihnen keine lange Rast lassen würden. Und so geschah’s. Die Florentiner riefen ein französisches Heer, dem gelingen sollte, was sie selbst vergebens versucht hatten. Es kam, 30,000 Mann stark; doch die Belagerung endigte, wie die erste, zum Verderben der Angreifenden. Nun hatten die Pisaner Ruhe bis zum Jahre 1504. Da unternahm Florenz zum drittenmal Pisa’s Belagerung, mit der furchtbarsten Heeresmacht, die es je in’s Feld geführt. 20,000 Landleute wurden verwendet, um den Arno abzugraben, der die Gräben der Stadt mit Wasser füllte. Durch tägliche Ausfälle wurde dieß listige Unternehmen jedoch vereitelt. – Unter wiederholten Angriffen, die stets abgeschlagen wurden, verstrich ein halbes Jahr; am Ende geriethen die Befehlshaber der Belagerer unter sich in Streit und letztere zogen abermals ab. Im nächsten Jahre versuchte man eine vierte Belagerung mit gleichem Erfolg. Ihr folgte eine fünfte, die jedoch nicht mehr die Eroberung des Platzes durch Waffengewalt, sondern durch Hunger zum Ziele hatte, und in einer engen, undurchdringlichen Einschließung bestand. Drei Jahre hielten die Pisaner aus unter den furchtbarsten Entbehrungen. – Wie einst in Jerusalem sollen Mütter ihre Kinder geschlachtet, ja Väter sich selbst ermordet haben, um ihren Angehörigen Nahrung zu verschaffen! Gespenstern gleich schlichen die Ausgehungerten auf den Mauern und Wällen umher, und am Ende waren kaum noch 3,000 übrig, fähig die Rüstung zu tragen. Vergeblich forderten die Verzweifelnden ihre Peiniger zum Sturme auf, um mindestens den leichtern Kriegertodt sich zu erkämpfen. Die Florentiner gingen nicht aus ihren Verschanzungen, welche die Stadt undurchdringlich umgürteten, ihrem mächtigen Alliirten, dem Hunger, die Eroberung überlassend. – Als nun die letzten Reste der Nahrungsvorräthe vertheilt und aufgezehrt waren, als die letzte Hoffnung, das Unabwendbare abzuwenden, verschwunden war, übergab man (am 8. Juni 1509) den Florentinern die Stadt. So fiel, Pisa – und es hörte für immer auf, frei und selbstständig zu seyn. – Auf seinem Ruin, der von Jahr zu Jahr fortgewachsen ist, erhob sich Florenz und die Macht Toskana’s. Dürftigkeit trat an die Stelle des grenzenlosen Reichthums, und die Zahl seiner Bewohner, einst 180,000, ist im Lauf der Jahrhunderte bis auf 18,000 geschwunden.

[60] Das heutige Pisa ist ein immer noch sehr stattlicher Ort. Schon von fern nimmt sich die blendend-weiße Stadt mit ihrem majestätischen Dome und dem sonderbaren, schiefen Thurme, im Schooße des breiten Arnothals, von Orangenhainen umgeben, herrlich aus. Alle Zugänge sind mit Oliven und schattenden Platanen eingefaßt, und Rebenguirlanden schlingen sich von einem Baume zum andern. Eine zauberische Atmosphäre, deren Durchsichtigkeit und Reinheit den Fernen die brilliantesten Farbentöne verleiht, und das auffallend Stille und Menschenleere machen die Landschaft zur eigentlichen Heimath der Poesie und Kunst. Man fühlt die Nähe der großen Schatten von Cimabue und Giotto, der Gatti’s, des Michel Angelo, von Galilei, Dante, Bokkaz und Petrarka.

Und was sich in der Ferne so schön ausnahm, verliert in der Nähe nichts von seinem Glanze und seinem dichterischen Reiz. Die Gärten verlassend, betreten wir eine Marmorbrücke, und die vom Arno getheilte Stadt breitet sich vor uns aus. Rechts und links am Strome erheben sich pallastähnliche Häuser, und drei Brücken verknüpfen die mit massiven Kayen eingefaßten Ufer. In dieser prächtigen Straße (Lungharno, der Gegenstand des Stahlstichs,) ist alles, selbst das Pflaster, Cararischer Marmor. Schweigen herrscht auf dem Flusse und in der Straße ist’s leblos; schweres, eisernes Gitterwerk sichert die Fenster der Erdgeschoße und erinnert an die unruhige, große Vergangenheit; hie und da rankt Epheu hinein, oder immerblühendes Geisblatt; aber doch ist alles so ganz, doch scheint alles so neu, als hätte die Kelle die Mauern erst gestern verlassen, und die Stadt harre blos des Einzugs ihrer Bevölkerung. Nur in den entlegenen Stadttheilen ist die Oede mit unheimlichen Gefühlen verbunden. Binsenartiges Gras bedeckt dort Gassen und Plätze, und manches verschlossene, unbewohnte Haus hat das Gepräge des Verfalls. –

Pisa besitzt sehr berühmte Prachtgebäude, unter welchen der Dom die erste Stelle einnimmt. Ganz von Marmor und von ungeheuerer Größe, gibt er Zeugniß von dem unermeßlichen Reichthum der Pisaner zu einer Zeit, als Venedigs und Genua’s Glanz erst im Keimen war. Er ward im 11ten Jahrhundert in griechischem Styl und von griechischen Baumeistern aufgeführt, in Form eines Kreuzes, dessen Länge 400, und dessen größte Breite 260 Fuß mißt. Das Langhaus hat 5 Schiffe, durch 38 Porphyrsäulen getragen, deren größte 102 Fuß hoch sind. Die innere Ausschmückung durch Malerei und Sculptur machen diese Kirche zu einem Tempel der Kunst.

Nahe dabei steht der berühmte, schiefe Glockenthurm des Doms, mit seiner schraubenförmig sich bis zur Höhe von 150 Fuß sich aufwindenden Säulengallerie, das Werk eines deutschen Meisters, Wilhelm von Insbruck. Alle Thürme Pisa’s stehen übrigens, des nachgebenden Sandgrundes wegen, etwas aus dem Lothe. Die Taufkirche (BAPTISTERIO) steht auf dem nämlichen Platze. Erbaut im 12ten Jahrhundert gilt sie als das schönste Muster des byzantinisch-gothischen Styls.

Für Pisa’s Stolz aber, für sein CAMPO SANTO, widmen wir einen besondern Artikel in unserm nächsten Hefte.