CXIII. Pisa, im Toskanischen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXIV. Die Ruinen von Tyrus
CXV. Das Campo Santo in Pisa
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RUINEN von TYRUS
(Tor) in Syrien.

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CXIV. Die Ruinen von Tyrus.




Ermüdet von dem unablässigen Eroberungs- und Verwüstungsstreben der Nationen, welches die alte Geschichte in Blut taucht, verweilen wir gern bei dem Andenken eines Volkes, welches nicht durch das Schwert, sondern durch die Werkzeuge friedlicher Kunst seine Größe gebaut hat.

Klein von Umfang war das Reich der Phönizier! Eine kaum 250 Geviertmeilen große, unfruchtbare Küstenstrecke Syriens machte ihr ganzes Gebiet aus; aber durch den Vorsprung, den sie vor allen andern Nationen im Handelsruhme und in allen Künsten des Friedens gewannen, machten sie ihr kleines Reich zu einem der merkwürdigsten auf Erden.

Schon zu den Zeiten Jacobs glänzte Sidon, das phönizische Stammhaus; aber in den Tagen Josua’s war Tyrus größer, welches unter allen phönizischen Städten den geräumigsten und sichersten Hafen hatte, und die unternehmendsten und kühnsten Seefahrer besaß. Es zog den Reichthum in überschwenglicher Fülle an sich. Nicht blos die Produkte der einheimischen Industrie sammelten sich dort zur Ausfuhr, sondern auch die Erzeugnisse Aegyptens, Arabiens, (durch die Vermittlung Petra’s), Indiens, China’s, der taurischen, kaukasischen und nordischen Länder, der Küstengebiete des mittelländischen Meers, und alles Das, was kleinasiatischer und syrischer Kunstfleiß hervorbrachte. Von hier aus gelangte es weiter zu allen Völkern von Afrika und Europa, die durch die Phönizier die Bequemlichkeiten und feinern Bedürfnisse des Lebens kennen lernten, und von der Rohheit und tiefsten Barbarei zu humaner Sitte und Bildung geleitet wurden. Da es oberster Staats-Grundsatz der Phönizier war, niemals gewaltsam einen Vortheil zu erlangen, so waren die Nationen, die sie besuchten, immer bereit, Kolonien und Niederlassungen des Volks bei sich aufzunehmen, welches sie immer als ein friedlich gesinntes gekannt hatten. Schon 1500 Jahre vor unserer Zeitrechnung fingen die Auswanderungen aus Tyrus und Sidon an, und aus ihren unzähligen Niederlassungen an den Küsten des persischen und arabischen Meerbusens, Griechenlands, Siciliens, Frankreichs, Spaniens, Nord- und Westafrikas, und auf den Inseln des Archipels, ergoß sich ringsum eine Fülle des Lichts und des Lebens. Tyrer gründeten in Aegypten selbst eine Niederlassung im innern Lande, und ein ganzes Quartier des königlichen Memphis war von ihnen bewohnt. Ja, unter den Auspizien des ägyptischen Königs Necho sollen sie sogar Afrika umschifft haben, und gewiß ist, daß ihre Karavanen die große Wüste durchdrangen und die Völker und Städte am Niger besuchten. – Alle Niederlassungen durften sich frei zu selbstständigen Gemeinwesen ausbilden (denn das Mutterland forderte keine Abhängigkeit), und aus mehren entkeimten im Laufe der Jahrhunderte, als längst ein grausames Verhängniß die Mutterstädte zertrümmert hatte, mächtige Reiche; z. B. Carthago.

[62] Sieben hundert Jahre hatte Tyrus geblühet, und während so langen Zeitraumes nie einen Feind an seinen Mauern gesehen. Selbst als die Schwesterstädte der Assyrer Macht (unter Salmanassar) unterlagen, behauptete es glorreich, nach Vernichtung der feindlichen Seemacht, seine Unabhängigkeit. Aber jetzt (um das Weltjahr 3380) überzog der fürchterliche Nebukadnezar, König von Babylon, mit einem ungeheuern Heere das unglückliche Syrien, damit er die Küsten des mittelländischen Meeres seinem Reiche gewönne. Nach einem kurzen Kampfe stürzten die alten mächtigen Reiche Aegypten und Juda ein; – nur das kleine Tyrus widerstand dem Fürchterlichen und seinen Hunderttausenden in einer dreizehnjährigen Belagerung. Und auch dann wurden blos die Mauern, – nicht die Männer von Tyrus, von ihm überwunden. Denn als die Stadt nicht länger zu vertheidigen war, gaben sie diese den Flammen Preis; die ganze Bevölkerung zog aus und erbaute sich, von ihrer Flotte geschützt, auf der gegenüber liegenden Insel ein neues Tyrus, das sogar den Glanz des alten verdunkelte. Solcher Heldenmuth wurde belohnt durch ein paar Jahrhunderte der Ruhe und des Glücks. Aber dann sollte das Verhängniß erfüllt werden. Inmitten des glorreichsten Gedeihens fuhr Alexander, der Weltstürmer, nachdem er die Macht des Darius am Granikus tödtlich getroffen hatte, wie ein Wetterstrahl daher durch die persischen Küstenländer, und alles fiel vor ihm nieder. Nichts widerstand, Tyrus allein; – Tyrus, das unter persischem Schutz glücklich war und stark durch seine Flotte und insularische Lage, mit 50,000 heldenmüthigen Bürgern erfüllt. Die Eroberung dieser Stadt nach siebenmonatlichem fürchterlichen Kampfe war der Triumph der Kriegskunst und der unbeugsamen Beharrlichkeit; aber das schauderhafte Loos, das nun über die Stadt und die edlen Tyrer erging, ist vielleicht der abscheulichste Flecken in Alexanders bluttriefender Geschichte. Tyrus wurde geplündert und geschleift: seine Einwohner, was nicht gefallen war im Belagerungskampfe und in der Metzelei nach der Erstürmung, als Sklaven verkauft. Die ernsten, stillen Trümmer von Tyrus, wie die von Persepolis, sprechen noch heute des Menschenwürgers Schande aus und hundert Siege und zwanzig aus Politik erbaute Städte tilgen sie nicht. –

Nach der Alexandrischen Zerstörung erhob sich Tyrus nie mehr. Einige Bedeutung bekam es zur Zeit des August und behielt sie unter der römischen Herrschaft; aber es war doch immer nur ein armseliger Schatten seiner frühern Größe. Als die Sarazenen im 7. Jahrhundert es einnahmen, sank es in Nichts zurück. – Das heutige, nahe an der Stelle des alten gelegene, das Tor der Türken, ist ein schmutziger Flecken von 200 Häusern mit 1700 Einwohnern. Etwas Ausfuhr von Seide und Tabak nach Alexandrien ist das einzige traurige Ueberbleibsel einer Handelsgröße, wie sie nur Carthago, Venedig und London wieder gesehen haben. –