Textdaten
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Autor: Friedrich Dornblüth
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Titel: Siecher Boden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 148
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[148] Siecher Boden. Der überraschende Ausbruch einer heftigen Choleraepidemie in der Irrenanstalt zu Nietleben bei Halle a. d. Saale hat wieder einmal gezeigt, daß Bacillen trotz aller Vorsicht unbemerkt eingeschleppt werden und, wenn sie günstige Bedingungen finden, ihre verderbliche Wirkung entfalten können, sowie daß der Winter, von dem man Vernichtung derselben erwartete, wenn sie nicht an warmen Orten oder in Häusern ausdauerten, ihnen gerade die Thore öffnen kann. Unbemerkt eingeschleppt, sind sie mit den Abwässern der Anstalt über gefrorene Wiesen, also unfiltriert und nicht durch den Erdboden aufgehalten, in die Saale und aus der unterhalb dieser Wiesen gelegenen Schöpfstelle in die Wasserleitung gelangt. Daß gefrorene Rieselfelder keinen Schutz gegen Wasserverunreinigung gewähren, ist bekannt, und jene Anordnung der Leitung muß deshalb als schwerer Fehler bezeichnet werden, weil dabei die Gefahr der Wasservergiftung durch Zersetzungsstoffe und krankheiterzeugende Organismen stets vorhanden ist, wenn es sich auch gerade nicht um Cholerabakterien handelt. Daß die Filter der Wasserleitung ebenfalls nicht wirkten, mag ein unglücklicher Zufall sein, aber solche Zufälle sollten durch gute Anlagen und sorgfältige Ueberwachung vermieden werden.

Der explosionsartige Ausbruch der Cholera in der ganzen Anstalt läßt ebensowenig wie in Hamburg daran zweifeln, daß nur eine überall verbreitete Ursache, nämlich die centrale Wasserversorgung, ihn verursacht haben kann. Aber auch in Nietleben gerade wie in Hamburg sind bei weitem nicht alle Menschen von der Cholera befallen worden, die sich dieses Wassers bedient haben. Es läßt sich dies schwerlich auf die verschiedene Menge des genossenen Trinkwassers zurückführen, vielmehr ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß hier wie in unzähligen andern Fällen die Krankheitserreger einer verschiedenen Empfänglichkeit, einer verschiedenen Widerstandskraft begegneten.

Die größere Empfänglichkeit oder verminderte Widerstandskraft kann auf dem Zustand der Verdauungsorgane beruhen. Man weiß, daß der saure Magensaft gesunder Menschen die Bacillen tötet und daß Störungen der Magenverdauung, z. B. durch Diätfehler oder durch Erkältungen, ihnen den Zugang öffnen. Wer jemals als Arzt eine Choleraepidemie durchgemacht hat, wird zahlreiche und unwiderlegliche Erfahrungen in diesem Sinne gesammelt haben: Häufiger indessen sind andere und zwar äußere Ursachen in gleicher Richtung wirksam. Es gehören hierher besonders Wohnungen, die auf einem Boden stehen, der entweder von alters her unrein ist (Sumpfboden) oder durch Einströmungen reich wurde an organischen, fäulnißfähigen Stoffen.

Schmutz und Unreinlichkeit wirken in gleicher Richtung, so daß der Hamburger Physikus Dr. Reincke ausdrücklich sagt, es seien nicht nur die reichen Leute frei geblieben, sondern alle reinlichen hätten sich eines großen Schutzes erfreut, und auch die an Reinlichkeit gewöhnten einheimischen Arbeiter hätten denselben Vorzug genossen gegenüber den unreinlichen Arbeitern aus dem Osten.

Unreinlichkeit und Unachtsamkeit können also die Uebertragung des Ansteckungsstoffes begünstigen; aber zahlreiche Erfahrungen bei Ortsepidemien haben gezeigt, daß der Einfluß des Bodens und der Wohnung durch Reinlichkeit und Wohlhabenheit nicht überwunden wird. Immer wieder finden wir bei wiederholten Epidemien dieselben Straßen und Häuser vorzugsweise heimgesucht. Und wenn in Nietleben ein Theil der Anstalt besonders gelitten hat, der auf ungesundem Boden steht und auch durch andere Krankheiten seinen nachtheiligen Einfluß gezeigt hat, so erinnert dies an das ganz ähnliche Auftreten der Cholera in der bayerischen Strafanstalt Laufen im Jahre 1873, für die Pettenkofer den ungünstigen Einfluß des durch Abortinhalte verunreinigten Bodens ganz unbestreitbar nachgewiesen hat. Dieser Einfluß des Erdbodens ist nicht so zu verstehen, daß die Cholera- oder andere Bacillen in ihm eine günstige Entwicklungsstätte finden und aus ihm in die Lufträume der darüberstehenden Wohnungen emporschweben, denn solche Verbreitungsweise der Kommabacillen widerspricht allen Thatsachen. Es ist vielmehr nur möglich, daß die Ausdünstungen des ungesunden Bodens als Luftströmungen in die wärmeren Häuser emporsteigen und die Widerstandskraft der Bewohner so schwächen, daß sie der auf anderen Wegen zu ihnen gelangenden Ansteckung wie den Gefahren der Krankheit leichter erliegen als andere, in gesunden Wohnungen hausende Menschen.

Diese neuen Erfahrungen bestätigen die alte Lehre, daß Schmutz in, unter und neben den Wohnungen die Gesundheit schädigt und Krankheiten nährt, und daß es also eine überaus wichtige Aufgabe der öffentlichen wie der privaten Gesundheitspflege ist, nicht nur für reines Trinkwasser, sondern auch für Reinheit der Wohnungen und ihres Untergrundes zu sorgen. Das ist, wie immer wieder gesagt werden muß, nicht durch Ausschütten von sogenannten Desinfektionsmitteln, sondern nur durch zielbewußte Gesundungsarbeiten und stete Reinlichkeit zu erreichen. Dr. Fr. Dornblüth.