Textdaten
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Autor: Ernst Wichert
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Titel: „Elsa“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9–12, S. 141–147, 160–164, 174–179, 195–199
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[141]

Elsa.“

Eine Ehestandstragödie in Briefen. Von Ernst Wichert.
1.

– – – – – – – – – – – – – – – – –
Was Deine Nachschrift anbetrifft, Liebste, so kannst Du meinetwegen wirklich ganz beruhigt sein: wir leben in der glücklichsten Ehe miteinander. Wenn ich Dir mit der rücksichtslosen Offenheit, die unser freundschaftliches Verhältniß von ältester Zeit her gewohnt ist, auch über die Schwelle des eigenen Hauses hinaus treu von allerhand kleinen Erlebnissen berichte, wie sie der Tag bringt, und sie nach augenblicklicher Stimmung mit Glossen versehe, so rechne ich zuversichtlich darauf, auch dann von Dir nicht falsch verstanden zu werden, wenn Schilderung und Urtheil nicht ganz den rechten Ausdruck finden. Du kennst mich ja und wirst allemal aus dem Ganzen heraus zu ergänzen und zu berichtigen wissen. Ich habe den Grundsatz, meine Briefe, wenn sie geschrieben sind, nicht noch einmal durchzulesen – vielleicht in der heimlichen Befürchtung, daß mancher dann unabgesendet bleiben würde. Es soll nun einmal gerade das darin stehen, was die Feder in schnellem Anlauf zu Papier gebracht hat, bevor verständige Erwägungen aller Art auch nur den Zweifel aufkommen lassen, ob nicht die Tinte verschwendet sei. Warte vierundzwanzig Stunden, und bei aller Wahrheitsliebe lügst Du Dir und Deinem Nächsten etwas vor. Nicht mehr was Du mit Deinen Sinnen wahrgenommen, mit Deinen Empfindungen Dir angeeignet hast, giebst Du, sondern ein Phantasiebild mit möglichst verschwommenen Umrissen und verwaschenen Farben. Ich kenne Briefwechsel, die durch viele Jahre mit leidenschaftlichem Eifer geführt sind und in denen trotz der Versicherung auf jeder Seite, daß man kein Geheimniß voreinander habe, nicht eine einzige Zeile unmaskiert erscheint. Man besucht sich immer, nachdem man feierlich Toilette gemacht hat. Das hält man für Schuldigkeit. Und man ladet auch nur ins Putzzimmer ein; was und wie da gesprochen wird, ist eigentlich schon in alle Ewigkeit vorausbestimmt. Ich möchte, daß Du, wenn Du (eine schöne Konstruktion!) meine Briefe liest, mich immer so siehst, wie ich aussah, als ich sie schrieb. Es versteht sich ja von selbst, daß ich zu Deiner Lesezeit, so schnell jetzt auch Briefe befördert werden, bereits eine ganz andere bin. Es kann sein, daß Du über eine Eulenspiegelei laut auflachst, während ich mir irgend einen furchtbar schmerzlichen Kummer einbilde (zum Beispiel, daß mein Mann mich eigentlich gar nicht versteht) und in Thränen zerfließe, oder daß Du Dich über die abscheuliche Aeußerung blau ärgerst, mein Mann verstehe mich eigentlich gar nicht, während ich ihm auf dem Schoße sitze und den vollgültigsten Beweis seines innigsten Verständnisses für meine selbst nur in seiner Einbildung steckenden Vorzüge erhalte; daß Du sein Lob hörst, wenn ich mit ihm zanke und daß ich bereits [142] seit sechs Stunden wieder gut bin, wenn Du noch meiner Versicherung glaubst, daß ich entschlossen bin, mich scheiden zu lassen. Es gleicht sich aus, liebes Herz, nicht wahr? Und am Ende des Jahres, wenn Du meine Briefe noch einmal durchfliegst, bevor Du zur besseren Einsargung in Deinen Reliquienkasten ein seidenes Bändchen um sie legst (ich kenne Deine Ordnungsliebe!), hat sich’s schon längst ausgeglichen, und Du hast die alte Freundin, wie sie ist: nicht immer die Verständigkeit selbst, manchmal entsetzlich launenhaft, fast immer in ihrem Urtheil zu voreilig, meist von plötzlichen Eingebungen beherrscht, selten mit etwas voll zufrieden, aber allemal bereit, Unrecht einzugestehen und wieder gut zu machen, wenn’s noch der Mühe lohnt. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß ich Dir morgen diese mich schwer belastenden Geständnisse schriftlich geben würde, aber nun stehen sie einmal Schwarz auf Weiß und sollen gelten, bis Du aus dem nächsten Briefe vielleicht erfährst, daß ich die fleischgewordene Vernünftigkeit, Bedachtsamkeit, Leidenschaftslosigkeit und Genügsamkeit bin. Heute nur noch so viel und ein für allemal: ich liebe meinen Mann von ganzem Herzen, ich vergöttere ihn sogar ein bißchen (was er aber nicht zu wissen braucht) und ich wäre die glücklichste Frau unter der Sonne, wenn ... Nein! Dieses Wenn ist zu dumm selbst für eine Augenblicks-Photographie meiner Stimmung. Ich quittiere bedingungslos dem Schicksal über den Empfang des besten Mannes und zeichne nur gern – Du wirst sagen abergläubisch – so ein Kreuz oder Fragezeichen in die Luft, weil mir vor der Götter Neide bangt.

Was ich noch sagen wollte –

Ach so! Ich hatte mich schon besonnen, daß es auch unterbleiben könnte. Der Bogen ist überdies voll, und Edwin behauptet, man müsse sich einzurichten wissen, auch beim Briefschreiben. Der neue Bogen sei gemeinhin nicht nur Papierverschwendung, sondern verführe auch zur Plauderhaftigkeit, da das Bedürfniß eines normalen Menschen, sich auszusprechen, durch vier Seiten reichlich befriedigt werde. Ich nehme den Rand zu Hilfe, um mich noch schnell nennen zu können

ewig Deine Elsa. 

2.

– – – 0Mein Mann ist ein Scheusal!

Neulich sah ich im Schausfenster einen allerliebsten Hut. Bei dem nächsten Spaziergang lenkte ich natürlich unsere Schritte da vorüber. Er lobt meinen Geschmack, hat auch nichts Wesentliches einzuwenden, daß ich hineingehe, das zierliche Gebäude von Spitzen und Blumen anprobiere und nach dem Preise frage. Er findet, ich sehe in dem Hütchen reizend aus. Es ist auch nicht einmal theuer, wenigstens im Verhältniß zur Leistung. Aber meinst Du, er hat es mir gekauft? Nicht im geringsten. Und aus welchem Grunde nicht? Weil er kein Geld hat. Denke doch nur: weil er kein Geld hat! Ist das überhaupt ein Grund?

In solchen Kleinigkeiten ist er mitunter entsetzlich pedantisch. Sagte ich mitunter? Eigentlich immer. Das ist entschieden seine Schwäche. Er bringt es über das Herz, mir eine Bitte abzuschlagen, deren Erfüllung ihn gar kein Geld kostet – nur weil sie thöricht ist. Aber wenn man etwas Vernünftiges bittet, versteht sich’s doch ganz von selbst, daß man’s bekommt. Gestern spielte er mit meiner kleinen Stickschere. Man kann nervös werden, wenn einer vor einem sitzt, das Ding mit beiden Händen faßt und immer auf und zu macht, als könnte er sich etwas aus der Luft schneiden. Nachdem ich ihm die Schere zehnmal vergeblich fortgenommen habe, behalte ich sie zuletzt in der Hand. Du, sage ich, weißt Du, daß es mich prickelt, Dir den Schnurrbart zu kürzen? Der Schnurrbart ist nämlich ein unantastbares Heiligthum. Ich greife danach, er zuckt zurück. Ach, bitte, bitte! – Sei nicht wunderlich, schilt er. – Aber ich möchte doch so gern ... Jetzt hätte ich wirklich wer weiß was darum gegeben, mein Vorhaben ausführen zu können. – Ach, Unsinn! – Aber was ist an den sechs ausgewachsenen gelben Haaren gelegen? Ich glaube wirklich, Du bist auf so etwas eitel. – Aber wie kommst Du auf einen so mörderischen Gedanken, Ki ... Er wollte Kind sagen, schluckte aber zu seinem Glück die letzten Buchstaben herunter. – Du thust mir nun einmal einen großen Gefallen, wenn Du erlaubst, Männchen ... Männchen hört er so ungerm, als ich Kind. – Ach, geh’! – Aber wenn ich Dich bitte! Kannst Du mir wirklich so ein Nichts abschlagen? – Mit kaltem Blute. – Da sehe ich, wieviel ich Dir gelte. Nun aber ist es mir eine Ehrensache, mich nicht abweisen zu lassen. – Eine Marotte. – Und wenn! Zeige mir nun einmal, daß Du mir gut bist. Gerade weil es Dich Ueberwindung kostet ... Er lacht mich aus. – Ich will mir die sechs Haare als ein theures Andenken in meiner Kapsel aufbewahren. Na? Laß mich sie abschneiden! Bitte, bitte! – Er nimmt mich beim Kopf und küßt mich ab. – Na? – Ach dummes Zeug! – Und dabei bleibt’s. Dabei bleibt’s, Toni!

Ich habe Dir diese Verhandlung mit ganzer Umständlichkeit niedergeschrieben, um Dir einen Beweis von seinem Eigensinn zu geben. Du wirst sagen, es sei nicht einmal des Kaisers Bart, um den ich mich bemüht habe. Und ich gebe auch zu, daß ich ihn hinterher ohne die gelben Borsten, an die ich mein Auge gewöhnt habe, sehr komisch gefunden hätte. Aber ist es nicht ärgerlich, so gar keinen Willen zu haben?

Nein, ich habe wirklich ihm gegenüber gar keinen Willen. Bitten und streicheln und schmollen und kratzen hilft mir gar nichts. (Kratzen ist nur bildlich gemeint.) Er ist nicht aus seinem philosophischen Gleichmuth zu bringen. Und es ist doch eine unbezweifelbare Thatsache, daß er eine junge Frau hat (zwanzig nennst Du doch auch noch jung?) und nur zwölf Jahre älter ist als sie.

Du lachst – ja, ja, ich sehe Dich lachen. Die Sache ist aber gar nicht so spaßhaft, als sie scheint; glaube mir, sie hat auch sehr ihre ernste Seite. Es mag ja ein recht kindliches, meinetwegen kindisches Vergnügen sein, durchaus seinem Manne den Schunrrbart abschneiden zu wollen. Aber nun halte dagegen, daß Edwin, wie ich ihn auch aufziehe, wirklich nicht eitel ist – nicht einmal auf seine wunderschönen Verse, auf seinen gelben dünn ausgeschossenen Schnurrbart nun schon gar nicht. Es würde ihm nicht den mindesten Kummer verursachen, wenn einmal beim Anzünden der Cigarre die eine Seite in Flammen aufginge und nun auch die andere niedergemäht werden müßte. Ein launiges Gedicht auf dieses tragische Schicksal würde sicher nicht ausbleiben. Ich versichere Dich, er macht sich aus seinem Schnurrbart gar nichts; er behandelt ihn nicht einmal irgendwie liebevoll, sondern hat die Gewohnheit, ihn ganz unbarmherzig zu zupfen, zumal wenn er sich etwas ausdenkt. Wenn ich nun aber die Schere in die Hand nehme – ja, Bauer, das ist ganz ’was anderes! Du bist meine Frau und giebst einer Laune nach und willst gerade, was ich nicht will, und versuchst Deinen Machteinfluß. Also nein, nein und nochmals nein! Und wenn mir die sechs Haare die Nase wund kitzelten, Du sollst den Triumph nicht haben, sie mir mit Deiner Schere abgeschnitten zu haben! Aus der Maus ist ein Elefant geworden.

Findest Du nicht, Liebste, daß es sich hier um ein Prinzip handelt? Und habe ich nicht eine schmähliche Niederlage erlitten?

Noch eins! Erkennst Du nicht an, daß es räthselhafte Gelüste giebt? Du siehst etwas und empfindest ein Brennen in den Augen, ein Zucken in den Fingern, einen prickelnden Durst in der Kehle. Es ist ein Nichts, aber Du mußt es haben – Deine Seligkeit hängt daran. Und wenn es Dir entgeht, ist Dir im Augenblick die ganze übrige Welt nichts werth. Ja, ja, im Augenblick! Aber dieser Augenblick ist sehr ... Adieu!


3.

– – – 0Du hast Dir’s schwer zu Herzen genommen, liebste Seele, daß ich Dir schrieb, mein Mann habe kein Geld. Du sagst Dir sehr verständig schon selbst, daß dieser Ausspruch nicht wörtlich zu nehmen ist; für ein so unnützes Möbel wie einen neuen Hut behauptet er kein Geld zu haben, und ich muß ihm auch recht geben, daß mein alter eigentlich noch ganz neu ist. Du verlangst nun aber, daß ich mich einmal völlig ernst über unsere äußeren Verhältnisse, wie Du’s nennst, auslasse, damit Du klar siehst. Ja, habe ich Dir denn das alles nicht längst geschrieben? Zwischen den Zeilen steht es gewiß.

Also ganz geschäftsmäßig trocken!

Es kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß ich mich eigentlich in einen Band Gedichte verliebt habe. Du kennst diesen Band Gedichte (er hat inzwischen bereits die vierte Auflage erlebt) und weißt, wie liebenswürdig er ist. Damit behaupte ich [143] nicht, daß jede Leserin es mir nachthun müßte. Ums Himmels willen, das wäre ja ein furchtbares Unglück! Ich will auch nicht den Satz vertreten, daß meine Empfänglichkeit für dergleichen lyrische Eindrücke im allgemeinen stärker ist als die meiner Mitschwestern. Aber wie sich jemand nun gerade in eine bestimmte Persönlichkeit verliebt, die auf andere durchaus nicht dieselbe Wirkung äußert, so kann auch ein Band Gedichte eine ganz bestimmte Physiognomie haben, die sich ohne die Möglichkeit eines Nachweises des Warum einem bestimmten Herzen in der Weise einprägt, daß das geistige Gefallen sich in einen sinnlichen Trieb umsetzt. Ich kenne eine große Zahl von Gedichtbänden, deren Inhalt mich lebhaft angezogen, warm angeregt, entzückt, bezaubert hat; aber die Empfindung des Verliebtseins habe ich nur bei diesem einen gehabt, und ich hoffe, daß keine andere sie mit mir theilt.

Natürlich war nun mein eifrigstes Bemühen, den Dichter kennenzulernen. Von Angesicht nämlich, in seiner Leiblichkeit, denn zu seinem geistigen Bilde fehlte mir kaum noch ein Zug. Ich neige, wie Du weißt, gar nicht zur Schwärmerei, bin aber von Natur leidenschaftlich und verfolge ein Ziel mit blindem Eifer. Es ist das ein Erbtheil von meinem Vater, dem General. Er nahm den Abschied, um eine Frau heirathen zu können, die der Gesellschaft nicht genehm war. Er starb früh und hinterließ uns nicht in glänzenden Verhältnissen. Die Pension und die Zinsen eines kleinen Vermögens meiner Mutter gestatteten ihr jedoch, mir eine Erziehung zu geben und mich als Tochter meines Vaters für den Umgang in Kreisen auszustatten, in denen es mir wohl sein konnte; sie hoffte, daß sich da auch mit der Zeit eine passende Partie für mich finden würde. So gelang es mir unschwer, in einigen Häusern Zutritt zu erhalten, in denen Edwin verkehrte. Er gehörte, nachdem seine Gedichte ihm einen Namen gemacht hatten, zu den Leuten, die man sich beehrt einzuladen.

Ich gestehe (heute kann ich’s ja wohl gestehen!), daß seine persönliche Bekanntschaft nicht ganz meine Voraussetzungen deckte. Einen Dichter und nun besonders den Dichter dieser poetischen Erzeugnisse, in die ich mich verliebt, hatte ich mir anders vorgestellt. Ich will nicht einmal an das Aeußere denken. Die wallende Mähne und das in holdem Wahnsinn rollende Auge ließ ich mir leicht in Abzug bringen und gewöhnte mich schnell an die kahle Stirn und den in sich gekehrten Blick, selbst an die steife Kravatte, die mit einem Byronschen flatternden Halstuch so gar keine Verwandtschaft hatte. Aber es fehlte auch das genialische Wesen, der Schwung der Rede, das Gedankenblitzen. Er sah nicht nur aus wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern er benahm sich auch ungefähr so. Ja, es schien mir, als ob er Gewicht darauf legte, gerade so zu erscheinen. Erst als ich ihm näher trat, als er erkannte, in einem wie innigen Verhältniß ich zu seinen Geisteskindern stand, als er mir sein Innerstes zu öffnen begann, hob er sich weit hinaus über seine Umgebung und wuchs nach und nach vollkommen mit meinem Ideal zusammen. Ich hatte mich in einen Band Gedichte verliebt und nun liebte ich den Dichter, noch mehr: ich liebte den Menschen.

Und ich wurde wieder geliebt. Edwin besuchte uns in unserer bescheidenen Häuslichkeit, und bald sahen wir einander nur noch dort. Edwin hatte sich in die Gesellschaft ziehen lassen, legte aber auf ihre selbstsüchtigen Huldigungen keinen Werth und beklagte die Zeit, die er ihr eine Weile allzu reichlich gewidmet hatte. Er besaß ein starkes Unabhängigkeitsgefühl. Von Hause wenig bemittelt – sein Vater war Geistlicher auf dem Lande – hatte er Philologie studiert und den Doktorhut erworben, dann aber kein Lehramt übernommen, um ganz frei seinem dichterischen Beruf leben zu können. Seine Bedürfnisse waren gering, lächerlich gering. Ich bemühte mich, ihm zu beweisen, daß auch ich mit wenigem zufrieden sein könne. So betrachteten wir uns als zusammengehörig, bevor noch das Verlöbniß ausgesprochen war.

Ich hatte mir’s so hübsch zurechtgelegt, wie wir aus der Hand in den Mund wirthschaften wollten. Edwin sollte durch mich seine schöne Freiheit nicht einbüßen. Mit einem Dichter verheirathet zu sein, seine Wolkenflüge mit ihm zu theilen, welch reizende Aussicht! Ich konnte mir das Dachstübchen, in dem wir hausen würden, nicht klein genug, unseren Hausrath nicht bescheiden genug denken. Und das bißchen Essen und Trinken –! Das verdiente er so nebenher. Ich begriff gar nicht, weshalb er zögerte, da doch nur eine Form zu erfüllen war. Warum hob er mich nicht auf den Pegasus und ritt mit mir davon?

Der wunderliche Mensch hatte es ganz anders im Sinne. Erst als er bei meiner Mutter feierlich um meine Hand anhielt, erfuhr ich, mit was für philiströsen Bedenken er sich getragen hatte. Wie konnte er’s wagen, dem Fräulein Von, der Tochter des Generals, eine Heirath anzubieten, ohne eine gesicherte Lebensstellung nachzuweisen? Und nun hatte er sie nach heißem Bemühen errungen. Keine glänzende, aber doch eine auskömmliche selbst für ein ziemlich verwöhntes Weibchen. Ich war furchtbar erschreckt, fühlte mich im Augenblick wie aus allen Himmeln herabgestürzt, da mein Dichter so verständig rechnete. Er aber behauptete, es freue ihn recht, so von Herzen genöthigt zu sein, den Ast aufzugeben und ein Nest zu bauen; nähme ich mit Vogelfutter vorlieb, um so besser.

Edwin hatte durch Vermittelung angesehener Gönner die Stelle des Redakteurs beim Kunstblatt erhalten. Er nannte das ein großes Glück, denn sie gewährt etwa das Einkommen eines ersten Gymnasial-Oberlehrers. Wie viel das eigentlich ist, weiß ich noch heute nicht. Das Blatt steht sehr sicher. Der Verleger ist ein Millionär, wenn ich nicht irre, ein mehrfacher. Er wäre auch sonst ohne seine Frau ein ganz leidlicher Mensch. Seine Frau, freilich ... Aber von der erzähle ich Dir ein andermal, dieser Brief ist schon zu lang. Jedenfalls siehst Du, daß wir ganz wohlgestellte Leute sind, wenn’s auch zu einem überflüssigen neuen Hute nicht reicht. Glaube doch aber nur nicht, daß der Hut das einzige ist, was ich gern haben möchte und nicht bekomme. Ach! es vergeht kein Tag, an dem ich der Vernunft nicht Opfer zu bringen habe. Wenn ich heute daran denke, daß Edwin mich beim Worte hätte nehmen können, wird mir himmelangst. Man braucht soviel und hat nie genug.

Aber genial wär’s doch gewesen! Kann man nicht eigentlich vom Dichter verlangen, daß er genial handelt, wenn er genial denkt? Ist diese bürgerliche Gewissenhaftigkeit nicht verdächtig? Ich gestehe Dir, daß ich mir darüber viel Sorgen gemacht habe. Mit anderen Worten: kann ein Dichter ein guter Ehemann sein? Oder auch umgekehrt: kann ein guter Ehemann ein Dichter sein? Und warum besingen die Dichter so spärlich ihre Frauen? Wohl aufzuwerfende Fragen, denke ich! Edwin schreibt jetzt ein Trauerspiel. Bin ich etwa seine tragische Schuld? – – –


4.

Wir waren gestern im Opernhaus. Für unser Geld, Schätzchen, und deshalb im zweiten Range. Etwas hoch und weitab, aber man hat sich’s doch selbst geleistet. Mein Mann ist zu stolz, um Freikarten zu bitten, die er doch unfehlbar erhalten würde. Du solltest nur wissen, wie viele von den besten Plätzen fast täglich durch Freigänger besetzt sind! Man sieht ja das Haus lieber voll als leer, und es ist doch am Ende ganz unverfänglich, königlicher Munifizenz etwas zu verdanken. Aber Edwin hat auch darin seinen eigensinnigen Kopf. Er bildet sich ein, auf solchem Freiplatz nicht den richtigen Kunstgenuß haben zu können. Den müsse man sich mit einer materiellen Entbehrung zu erkaufen haben. Ja, wenn sein Trauerspiel angenommen werden sollte, dann hätte er etwas geleistet! So ist er. Vorläufig verfügen wir über sechs Mark weniger.

Aber es war sehr schön. Man gab „Lohengin“ und die besten Kräfte waren betheiligt. Man kann diese Oper auswendig wissen, und ihre rührende Gewalt packt einen immer von neuem. Es liegt nicht so sehr in der Musik als in der Dichtung. Das war auch Edwins Meinung. Oder vielmehr: das war auch meine Meinung, denn Edwin gab diesem Gefühl zuerst Worte. Wagner habe den Seherblick des Dichters besessen, sagte er; das sei seine echteste Größe. Deshalb sei und bleibe er allen denen voraus, die nur Musik machten, soviel schöner sie auch sein möge. Er liebt nämlich Wagners Musik in den letzten große Tonschöpfungen gar nicht.

Ich wollte eigentlich von etwas anderem sprechen. Sage einmal aufrichtig, Toni, scheint Dir Elsa von Brabant mit ihrer Frage nach der Herkunft ihres Gatten so ganz unrecht zu haben? Warum soll sie nicht fragen? Ihr Mann weiß es, aber sie nicht. Für sie heißt es nur: Du sollst nicht fragen. Du sollst nicht! Ist das nicht ein ganz unwürdiger Standpunkt für eine Frau, die doch wahrlich schon eine sehr starke Probe von Hochherzigkeit abgelegt hat, wenn sie sich dem Manne vermählt, den sie nur aus seiner Großthat kennt. [146] Für die Frau überhaupt. Hat sie nicht das gute Recht, zu wissem, wer ihr Mann ist? Der Name thut nichts zur Sache, aber die Frage: wie heißt Du? ist doch zugleich die Frage: wer bist Du? Fassen wir ihre Bedeutung nicht zu enge! Es handelt sich da, wenn man ihr auf den Grund sieht, um ein sittliches Problem von großer Tiefe. Darf die Frau wissen, wer ihr Mann ist? Selbstverständlich nicht, wie er ins Standesregister eingetragen wurde, durch welche Schulen er ging, welche Universitäten er besucht, welche Examina er bestanden hat, ob er schon einmal bestraft ist und welche Spuren so im allgemeinen sein äußerer Lebensgang zurückließ. Das alles würde auch meine Neugier wenig reizen. Aber darf mein Mann ein Geheimniß vor mir haben? Ich meine natürlich wieder nicht irgend eine Thatsache, die für eine Weile noch oder überhaupt geheim bleiben soll. Da kommt’s lediglich darauf an, ob die Frau plauderhaft ist oder nicht. Nein, ich meine ein Geheimniß seiner innersten Mannesnatur. Ich bin nämlich überzeugt, daß jeder nicht gewöhnliche Mann voll solcher Geheimnisse steckt. Er giebt sich nicht ganz, wie er ist. Er behält, so freigebig er sich entäußern mag, immer noch etwas für sich zurück, und er läßt sich nicht gern danach fragen, auch von seiner Frau nicht – von der vielleicht erst recht nicht. Dringt sie in ihn, so kann es sich wohl ereignen, daß ein Schwanenfuhrwerk vorfährt und ihn gänzlich ihrem Machtbereich entzieht. Sie darf nicht wissen, wer er ist, weil dann der Zauber seiner Herrschaft schwindet, das Räthsel gelöst ist, um das sie sich ihr Leben lang liebend bemühen soll. Aber wo ist denn der Beweis, daß die Frau unwerth ist, eine Wissende zu sein? Ich will fragen dürfen und Antwort erhalten. Ich kann mir vorstellen, daß ich durch eine Antwort sehr unglücklich würde, und frage doch! Denn was ist das für ein Glück, an das man nicht rühren darf?

Nur leise angetippt, heißt’s schon: „Nun ist all unser Glück dahin!“

Ich hatte als Kind eine unwiderstehliche Neigung, weißt Du, etwas herunterzuwerfen, was nur so balancierte. Es kribbelte mir in den Fingern, so ein Ding immer ein klein bißchen weiter zu schieben, ein ganz klein bißchen, bis es wirklich kippte. Und manchmal war so ein Ding von Glas und lag dann in Scherben am Boden. Ich bekam Schläge auf die unnützen Hände, aber meine Lust war doch gebüßt. Wirklich – meine Lust! Ich dachte mir’s als einen Uebermuth, so auf der Spitze oder so nah dem Rande stehen zu wollen – das reizte meinen eigenen Uebermuth, die Gefahr zu vergrößern, die Spannung zu vermehren, welcher Augenblick einer eingebildeten Sicherheit der letzte sein werde. Ein Onkel hatte mir einmal ein hübsches Glas aus einem böhmischen Bade mitgebracht, roth, mit einem Bilde und einer Inschrift. Ich liebte es sehr. Man konnte es getrost umwerfen, es zerbrach nicht. Das war sein Unglück. Es konnte von dem Bänkchen auf die Erde fallen und zerbrach nicht, sogar vom Tische. Ist es denn unzerbrechlich? Die Frage wurde brennend. Ich stellte das Bänkchen auf den Tisch, dicht an die Kante, und das rothe Glas darauf. Bums, da lag’s an der Erde und blieb ganz heil. Wir besaßen ein Eckschränkchen, das war noch höher. Also von da hinab. Es war wieder nichts. Stieg ich auf den angeschobenen Tisch, so konnte ich auf ein Kleiderspind reichen. Auch von da wurde der Sturz in die Tiefe versucht. Kein Riß! Ich gerieth in nervöse Aufregung. Es gab nur einen noch höheren Gegenstand: den Ofen. Der war aber sehr hoch. Alle meine Gedanken fieberten um die Frage herum, wie ich’s anstellen könnte, mit der Hand hinaufzureichen. Ich brachte wirklich einen Aufbau fertig, der zureichte. Er wackelte unter mir, ich hätte mir Hals und Beine brechen können. Aber das Glas stand auf dem Kopf der Figur, die das Gesims krönte, und tanzte hinunter. Auch diesmal ohne Schaden. Nun blieb mir noch ein letztes übrig. Wenn ich das Fenster öffnete und das Glas auf das Brett setzte und leise weiterschob, immer weiter – wie mir das Herz schlug! So ängstlich und so wonnig. Nun stand’s auf der Kante, nun neigte sich’s schon über – und nun purzelte es hinab. Ein Klirren unten – ah! da lag es zerbrochen auf den Steinen. Also doch! Ich hatte im Augenblick das Gefühl unsäglicher Genugthuung. Und im nächsten weinte ich und jammerte: mein schönes Glas! Ja – Mit diesem Gedankenstrich schließe ich.


5.

Du willst etwas von unserer Frau Chef hören. Mit einem Worte, Liebchen, sie ist eine abscheuliche Person.

Das heißt ... ja, es kommt auf den Geschmack an. Sie hat genug Verehrer, die sie nicht nur schön, sondern auch liebenswürdig finden, und es sind darunter viele ganz unabhängige Leute, die gar nicht nöthig haben, ihr aus anderen Gründen den Hof zu machen, als weil sie sich damit selbst ein Genüge thun. Ich spreche nicht einmal nur von Männern. Sie verfügt auch über eine ausgebreitete weibliche Freundschaft.

Ich bin wahrhaftig keine Splitterrichterin. Jeder sittliche Rigorismus ist mir zuwider. Ich erkenne im besonderen an, daß unsere gesellschaftlichen Beziehungen es oft als eine Aufgabe der Klugheit fordern, ein Auge zuzudrücken oder die Maske für das Gesicht zu nehmen (auch vor, aber das steht in einem anderen Kapitel). Wen ich nicht zu verantworten habe, den nehme ich, gerade wie andere, für das, wofür er das Geschick hat, sich auszugeben. Eine Dame für eine Dame. Aber ...

Es ist nicht so ganz leicht, dieses Aber zu begründen; daß ich Dir ein Stück ihrer Lebensgeschichte mittheile, rechtfertigt es nicht. Sie ist Tänzerin gewesen und hat einmal mit ihrem Gesicht und ihren Beinen Furore gemacht. Jetzt neigt sie ein wenig zum Starkwerden, aber die Büste ist noch immer sehr schön. Man erzählt sich, daß sie ein recht abenteuerliches Leben geführt habe, bis der Chef sich in sie verliebte. Was geht mich ihre Vergangenheit an? Sie ist unzweifelhaft die Frau eines sehr respektablen Mannes und gegenwärtig selbst eine respektable Frau, die sich nichts zu schulden kommen läßt. In ihrem Hause verkehrt die beste Gesellschaft. Aber ...

Da bin ich wieder, so weit ich war. Ich komme auch nicht viel weiter, wenn ich Dir verrathe, daß sie eine schrecklich ungebildete Person ist, die nur durch den dick aufgetragenen Firniß von Allerweltswissen glänzt. Sie besitzt eine geistreichelnde Art, darüber hinwegzutäuschen. Sieht man näher hin, so kommt man bald hinter ihre Kunstgriffe. Obenan steht der, abzusprechen – mit einer Dreistigkeit abzusprechen, die schon an Frechheit grenzt. Sie ist immer gut unterrichtet über das, was der Tag gelten läßt, und verblüfft dann durch ein Achselzucken, ein Naserümpfen, ein überlegenes Lächeln, irgend einen kritischen Naturlaut: äh – o – pah! Ueber Kunst, Litteratur, Wissenschaft, Politik – lauter Dinge, von denen sie nicht das mindeste versteht, urtheilt sie in dieser Weise, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was dazu gehört, eine eigene Meinung zu besitzen. Sie fordert dadurch den Widerspruch heraus, und dieser gefällt sich so sehr in der Vertheidigung seines Standpunktes, daß er gar nicht merkt, wie nichtssagend der Angriff war. Man findet die Unterhaltung mit der schönen Frau, die nichts gelten lassen will, sehr interessant, indem man sich selbst geistreich findet, und giebt ihr zugleich Waffen in die Hand, die sich trefflich gegen den brauchen lassen, der ihr etwa zum Munde zu reden schwach genug ist.

Ich kenne sehr kluge Männer, die sie nicht durchschauen, und ich fürchte, mein eigener ist dabei. Blendwerk, alles Blendwerk, das einzige, was sie aus dem Grunde studiert hat, ist die Toilettenkunst. Sie kleidet sich nicht immer nach meinem Geschmack, oft zu auffallend und gesucht, aber sie giebt nie der Mode nach, ohne zu wissen, warum sie’s sich zu Liebe thut, und wählt das Kostbare nur, wenn es zugleich gefällig ist. Sie kann sehr hübsch aussehen, und wenn sie im Theater in ihre Loge tritt, richten sich alle Blicke dorthin. Sie hat die Gewohnheit, stets in der letzten Minute zu erscheinen.

Ihr ganzer Ehrgeiz ist, ein erstes Haus zu machen. Sie läßt es ihren Mann etwas kosten. Und sich auch, wennschon in anderer Weise. Keine Bemühungen werden gescheut, wenn es gilt, irgend eine hervorragende Persönlichkeit, einen hohen Militär oder Diplomaten, aber auch einen berühmten Künstler und dergleichen zum Besuch ihrer Gesellschaften zu veranlassen. Ist eine öffentliche Veranstaltung im Werke, welche patronisiert werden soll, so sieht man ihren Wagen überall halten, wo ein Einfluß auf die Bildung des Ausschusses zu erwarten ist. Sie muß unter den Damen stehen, die den Aufruf unterschreiben. Für diesen Erfolg giebt sie alles preis, nur nicht – ihre Tugend. Das findest Du boshaft, nicht wahr? Ich leugne nicht, diese Frau regt mich auf. Sie ist maßlos eitel und – ich besinne mich, ob ich’s [147] hinschreiben soll, aber ich schreibe es hin – und herzlos. Wenn sie wohlthut, bedenkt sie nur sich. Ich kenne sie aus dem Verhältniß zu den Untergebenen ihres Mannes. Da hätte die reiche Frau vollauf Gelegenheit, Sorgen zu verscheuchen, Thränen zu trocknen. Aber wer sieht das als der liebe Gott! Und für den strengt sie sich nicht an. Es geschieht in dieser Richtung nichts. Ich darf sagen: weniger als nichts, und das wird wieder ein positives Etwas, das in die Wagschale fällt.

Sie hat es verstanden, ihren Mann zu bewegen, ihr einen bestimmenden Einfluß auf das Geschäft einzuräumen. Es spielen da die niedrigsten Rücksichten mit. Der Chef hat zwei Eigenschaften, die einen reichen Mann leicht hindern können, noch reicher zu werden. Er besitzt gewisse idealistische Neigungen, die sich seinem Unternehmen zuwenden, sobald dessen künstlerische Ausstattung in Frage kommt, und er ist gutmüthig. Das nennt er seine Schwäche, nach Ansicht der Frau mit Recht. Es ist ihr gelungen, ihn zu überzeugen, daß er gut dabei fährt, wenn er ihr die Entscheidung in Fällen überläßt, wo sein Kunsteifer und sein gutes Herz zu Ausschreitungen geneigt sein könnten. Sie urtheilt da so kühl, daß sie nicht leicht über das Nothwendige, den Umständen nach Anständige hinausgehen wird. Er korrigiert sie mitunter, aber doch in nun schon engen Grenzen. Läßt er’s auch nicht bis zu geizigem Versagen kommen, so verschanzt er sich doch bei dringenderen Anforderungen gern hinter seiner Frau. Und was ist die Folge? Die tüchtigeren Arbeiter darben, die gewissenlosen schweifwedeln. Die gnädige Frau hat sich mit der Zeit einen kleinen Hofstaat herangezogen. Da sind Weiber, die ihr geschäftig zum Munde reden, allerhand Klatsch hinterbringen, beständig die Hände lecken – ah! es ist ein widerwärtiges Schauspiel.

Und dem allen wird ein Mäntelchen übergehängt, das die schiefe Figur verdecken soll, für die meisten auch wirklich verdeckt. Ich habe leider scharfe Augen. – U. s. w.!


6.

Neulich habe ich, wie mir einfällt, die Hauptsache gerade vergessen. Ich mag recht viel unnützes Zeug geschwatzt haben – wie wir, mein Mann und ich, zu der bedenklichen Dame stehen, hast Du doch nicht erfahren. Mein Mann freilich, der ist einer von den Begnadeten, die ewig im Stande der Unschuld wandeln; er könnte durch ein Jammerthal hinschreiten, auf dessen dürrem Boden sich die Nattern ringeln, und würde doch nur über sich nach dem blauen Himmel sehen. So etwas ficht ihn gar nicht an, er geht gerade durch und ärgert sich wohl gar, wenn man ihn warnt. Gott, er ist so ... ich finde keinen Ausdruck. Denn vertrausam ist nicht genug. Na, kurzum – er gehörte auch einmal zu denen, die aufgesucht wurden. Ich weiß nicht, ob Frau Hermia seine Gedichte gelesen hat, aber sie lagen in Goldschnitt auf ihrem Tischchen, neben der Chaiselongue, und von Edwin sprach alle Welt. Er wurde daher mit Aufmerksamkeiten überhäuft, bis er als neuer Stern auch in ihrem Salon aufging. Er war so leicht zu fangen! Und seine ungewöhnliche Art, aus seiner Person gar nichts zu machen (obgleich er, unter uns gesagt, nicht nur schöne Augen hat!) – ich vermuthe, gerade diese himmlische Unbefangenheit reizte sie, sich liebevoll seiner anzunehmen. Ich habe sie im Verdacht, in ihn verliebt gewesen zu sein – zu der Zeit, Toni, wo ich in seinen Band Gedichte verliebt war, und vermuthlich noch darüber hinaus. Das ist auch der Grund, weshalb sie zu seiner bürgerlichen Versorgung so willig die Hand bot und nicht einmal wegen des Gehalts feilschte. Ich rühmte damals ihre noble Gesinnung: Sehr bald sind mir die Augen aufgegangen.

Bilde Dir doch nur nicht ein, daß ich eifersüchtig bin! Kein Gedanke daran. Du kennst eben Edwin nicht. Wie kalt ihn diese Flamme ließ, beweist doch am besten die Thatsache, daß er sich mit mir verlobte, und nie hätte er eine Stellung in diesem Geschäftshause angenommen, wenn er sich bewußt gewesen wäre, sie der persönlichen Gunst dieser Dame zu verdanken. Was mich wundern, aber noch lange nicht beunruhigen kann, ist nur, daß ich ihn fast blind gegen ihre – Schwächen (ich brauche den mildesten Ausdruck) sehe, und daß es ihm ein offenbares Unbehagen verursacht, wenn ich ihn aufzuklären bemüht bin. Das ist doch meine Schuldigkeit, nicht wahr? Es ist, als ob er nicht sehen wollte. Er meint – wenn er sich überhaupt einmal herabläßt, in Bezug hierauf etwas zu meinen – in seinem Verhältniß zu den Leuten thue er am besten, sich nicht den Geschmack an ihnen zu verderben; sei er’s einmal eingegangen, so habe er nun auch die Pflicht, es sich und ihnen nicht zu verleiden. Was man nicht ändern wolle, müsse man auch in den Grundlagen unangetastet lassen.

Er hat gut reden, der liebe Mann. Ihn beehrt Frau Hermia auch jetzt mit ihrer freundschaftlichen Neigung. Mich aber ... Siehst Du, da kommen wir nun auf den eigentlichen Punkt! Ich bin doch Edwins Frau und abgesehen davon eine Dame, die sich neben jede ihres Umgangskreises stellen kann. Es ist aber, als ob sie mich nicht für voll ansieht, weil ich ... nun eben weil ich Edwins Frau bin, ich weiß sonst keinen Grund. Er gilt ihr noch heute als der gefeierte Schriftsteller, der zufällig auch der Redakteur eines von ihrem Manne herausgegebenen Blattes ist; ich aber bin nur die Frau dieses Redakteurs, eines Untergebenen, eines abhängigen Menschen. Mein Himmel, sie kann ja nicht umhin, mich einzuladen und wie eine Dame der Gesellschaft zu behandeln. Mit welcher gnädigen Herablassung das aber geschieht, wie sie mich immer in gemessener Entfernung zu halten bemüht ist, wie sie, wenn sie uns begegnet, über mich hinwegzusehen versteht, um Edwin vertraulich zu grüßen, wie sie mir Geschenke macht, die ich nicht abweisen kann, obgleich sie eigentlich ihm gelten – es gehört nicht einmal mein Feingefühl dazu, in alledem den verletzenden Ausdruck stolzer Ueberhebung zu sehen. Sie verbraucht ja freilich für ihre Handschuhe jährlich mehr als ich für meine ganze Garderobe, sie spricht mit mir besonders gern von ihren Pariser Hüten und Brüsseler Spitzen und gemalten Fächern, und das in einem Ton: wer da nicht mithalten kann, ist ja eigentlich ein Lump und gehört nicht in meine Salons; du wirst ja auch nur gelitten, weil du als Frau deines Mannes nicht übergangen werden kannst, aber klüger wär’s, du bliebest zu Hause! Ich habe mir anfangs wirklich redliche Mühe gegeben, meine Abneigung zu überwinden und einen geselligen Verkehr ungefähr auf gleichem Fuß herzustellen. Aber gerade das hat sie, wie ich glaube, gegen mich aufgebracht. Sie weiß sehr gut, worin ich ihr überlegen bin, und will mir keine Gelegenheit zu einer Ausgleichung geben. Ich soll nichts als ihre gehorsame Dienerin sein. Aber sie irrt. Ich werde lieber ...

Diese drei Punkte mögen hier an Stelle einer hellen Lache stehen, die ich unwillkürlich aufschlug, als ich mich irgend eine schreckliche Drohung niederzuschreiben anschickte. Manchmal bin ich wirklich innerlich so aufgebracht, daß ich mir allerhand Fürchterliches zusammendenke, was ich eher thun könnte, als dieser Frau die Schleppe tragen. Wie man ja auch unsinniges Zeug träumt! Es kommt vor, daß ich mit ihr in Gedanken lange Zwiegespräche ganz theatralisch wie etwa Maria Stuart mit Elisabeth, und ich glaube sogar, auch in fünffüßigen Jamben über Frauenrecht und verwandte Materien halte und sie mit Worten in den Staub donnere. Gewiß ein sehr unschuldiges Vergnügen. Ich lache mich dann auch ganz tapfer selbst aus. Mein Mann will nichts davon hören. Die gute Frau fühle sich beklommen mir gegenüber, behauptet er, und suche sich durch ein bißchen Steifnackigkeit, Hochmuth und Protzenthum Luft zu schaffen; man dürfe sie gar nicht ernst nehmen. Ich wollte, ich dürfte sie auch nicht spaßhaft nehmen. Das kostet immer so viel Anstrengung, und es ist wohl um nichts. Sie ist mir nun einmal zuwider wie eine Spinne oder sonst ein garstiges Thier; es bewegt sich etwas in mir, wenn ich nur an sie denke. Und das Lachen vorhin, wo die drei Punkte stehen, kam auch gar nicht so recht aus dem Herzen. Dir kann ich es ja anvertrauen.

Noch eine wichtige Frage vor Thoresschluß! Giebst Du mir nicht recht, daß ein Mann, der seine Frau liebt – aber wirklich liebt in der verwegensten Bedeutung des Worts! – daß der seiner Frau eine Bitte, auf der sie besteht, unter keinen Umständen abschlagen darf? Ich sage: eine Bitte, auf der sie besteht! Darf sie behaupten: Du liebst mich nicht, wenn Du nicht dieses eine Mal gegen mich schwach bist? Ueberhaupt, wenn Du nicht gegen mich auch schwach sein kannst? Macht es irgend einen Unterschied, ob die Bitte in solchem Falle gescheit oder dumm ist? Ist nicht gerade die unklügste der beste Probestein? Und sagt er damit irgend etwas, wenn er antwortet: Versuch’s lieber nicht? Wie stellst Du Dich dazu?

0

[160]
7.

Wenn wir reich wären! Wir würden das Geld so gut auszugeben wissen. So von oben her. Als regnete es Goldstücke und jeder könnte sie aufheben. Morgen könnte man’s wieder regnen lassen, und alle Tage. Man müßte sich’s gar nicht schwer verdient, sondern eine große Erbschaft gemacht haben und noch über einige Erbonkel oder Erbtanten verfügen. Aus dem Vollen leben – es muß seinen Reiz haben!

Ein einziges Mal wenigstens ...

Ich hätte meine Epistel anders anfangen sollen. Nicht mit einer allgemeinen Betrachtung, die Dir ja doch unverständlich bleiben muß. Warum erzähle ich nicht lieber ganz nach der Ordnung, daß eben, als ich meinen letzten Brief geschlossen hatte, Edwin mit einem recht vergnügt schelmischen Gesicht ins Zimmer trat und etwas versteckt in der Hand hielt. Rathe einmal, sagte er, was ich hier habe. – Wie kann ich das rathen! Hast Du eine Fliege gefangen? Du bist sonst so ungeschickt. – Er lachte. Nicht eine Fliege, aber einen allerliebsten Schmetterling, der sich mir unvermuthet auf das Tintenfaß setzte. – Zeige doch, Schätzchen! Und da war’s – ein Hundertmarkschein. Wie gefällt Dir das?

Es mußte eine besondere Bewandtniß damit haben. Und die hatte es auch. Die hundert Mark waren das Honorar für ein Gedicht, das er vor Jahren einmal zu einem Wettbewerb eingeschickt hatte. Die Entscheidung war wiederholt vertagt worden und schien dann so vergeblich auf sich warten zu lassen, daß Edwin das Warten lieber ganz aufgegeben und die Sache gründlich vergessen hatte. Nun aber hatte sie nur durch allerhand Zwischenfälle einen Aufenthalt erfahren, Edwins Gedicht – übrigens bloß fünf oder sechs kurze Verse – war als Sieger hervorgegangen, und da flatterte nun der Preis in Form des blauen Scheins mit der Zahl Hundert als Lorbeerblatt auf seine Dichterstirn.

Schön gesagt, nicht wahr? Es war eine große Freude. Ich legte ihm wirklich das Blättchen aufs Haupt und tanzte um ihn herum, bis er mich närrisch schalt und in die Sofaecke drückte. Ein so ganz unverhofftes Glück! Das ist etwas. Nicht im Schweiß seines Angesichts erschrieben, gebucht und eingezogen, sondern wirklich wie ein goldener Schmetterling zugeflogen und gefangen. Wir wären über zwanzig Mark ebenso vergnügt gewesen. Es kam gar nicht auf die Summe an. Aber es waren doch hundert! Und hundert Mark, auf die gar nicht gerechnet ist, sind für uns keine Kleinigkeit. Wir brauchten so allerlei – noch einen Teppich, Portieren an zwei Thüren, einen Kronleuchter im Salon! Wähle etwas davon, sagte Edwin, Du sollst es haben. Und wenn Dich das Hütchen noch lockt –

Nein, nein! fiel ich ihm ins Wort, das war dummes Zeug

Freilich wohl, aber ...

Und da kam mir ein ganz schnurriger Gedanke. Und er mußte auch gleich heraus. Es ist möglich, daß mir auch ein bißchen die Fragen im Kopf nachspukten, die ich Dir soeben gestellt hatte. Da war ja nun gleich eine Gelegenheit ... Das Blut schoß mir in die Wangen. – Schätzel, ich hab’s!

Nun?

Wir wollen uns einmal einen vergnügten Tag machen. Aber einen ganz außerordentlich vergnügten Tag. Wie Leute, die es dazu haben, die Goldstücke rollen zu lassen. (Ich sagte nicht regnen, das wäre eine zu arge poetische Uebertreibung gewesen. Rollen klang aber auch recht voll.) So ein Glücksfall kommt nicht wieder. Mit so gutem Gewissen kann man nicht noch einmal leichtsinnig sein, und wenn das Honorar künftig nach Tausenden zählt. Ich habe mir’s schon immer ganz reizend gedacht, sich so eine kleine Komödie spielen zu können, als hätte man Himmel und Erde zu kommandieren. Es reicht ja nur für einen Tag, aber für den reicht’s allenfalls. Mir würde die Erinnerung an ihn bleibenderen Werth haben als irgend etwas Nützliches oder auch nur Halbnützliches, das ich mir für hundert Mark kaufen könnte.

Ich glaubte, er würde wild auffahren und mich eine arge Verschwenderin schelten. Aber ich hatte mich geirrt. Er war wirklich der Dichter, der ein Verständniß für eine solche Tollheit mitbrachte. Das ist ein prächtiger Gedanke, antwortete er lachend, und ich bin ganz dabei. Es ist, als ob wir in der Lotterie gewonnen hätten, da mag’s denn heißen: wie gewonnen, so zerronnen.

Du kannst Dir denken, daß ich sehr glücklich war. Wir kauften nun doch den Hut, damit ich bei dem kleinen Ausflug, den wir planten, recht hübsch aussähe. (Das sagte er selbst so.) Und es gehörte gewissermaßen auch in das Programm. Uebrigens auch einen allerliebsten Sonnenschirm von zartrother Farbe, der den Teint sehr vortheilhaft hob. Ganz im stillen verdroß es mich ein wenig, daß er sich so leicht hatte überreden lassen; mein Vornehmen, ihn auf die Probe zu stellen, was er mir wohl zu Liebe thäte, fiel dabei ganz unter den Tisch. Um hundert Mark freilich lohnte sich’s ja kaum. Nicht wahr?

Wir setzten gleich den andern Tag fest und machten ab, es würde unter allen Umständen gefahren, was auch für Wetter sei. Wir wollten uns durch nichts, was von außen käme, stören lassen. Am Morgen war der Himmel recht trübe, aber wir kleideten uns für den herrlichsten Sonnenschein an und verschmähten sogar die Vorsicht, uns mit Regenschirmen zu versorgen. Um die ganze Wahrheit zu sagen: das war so meine Anordnung. Uns bei solchem Vergnügen fortwährend mit Regenschirmen zu tragen, war [162] mir ein schreckhafter Gedanke. Dann fuhren wir, selbstverständlich in einer Droschke erster Klasse, eine Stunde durch den Thiergarten. Dem Kutscher sagten wir, wir wären Fremde, ließen uns auch mit ernstem Gesicht die Rousseauinsel, das Denkmal der Königin Luise und den neuen See zeigen. Das Trinkgeld war fürstlich. Nach dem Potsdamer Bahnhof! Schon während der Wagenfahrt hatten die Wolken sich getheilt und die Sonne durchblinzeln lassen. Während wir uns nun in einem „Abschnitt“ erster Klasse – heute konnte alles nur prima sein – in den bequemen Polstersesseln ausstreckten und vergnügt einander anlachten, wurde der Himmel hell und freundlich, und als wir in Potsdam ausstiegen, hatten wir ihn schon ganz blau über uns. Nun wurde in dem Pavillon am Wasser erst einmal lukullisch gefrühstückt und dann eine Equipage für den ganzen Tag bedungen, so wenig miethskutschenmäßig sie sich auftreiben ließ. Darauf bald zu Wagen, bald zu Fuß überall herum – es war eine Wonne bei dem schönen nicht zu heißen Wetter! Mittag in Glienicke, aber nobel, sage ich Dir. Bester französischer Champagner versteht sich von selbst, dagegen kommt doch kein deutscher Schaumwein auf. Die Kellner flogen nur so. Sie hielten mich sicher nicht für meines Mannes Frau und meinen Mann vielleicht für irgend etwas Durchgebranntes. Wir wurden nämlich sehr lustig und spielten aus Uebermuth selbst ein bißchen Komödie. Dann wurde ein Boot genommen und gerudert, der Babelsberger Park durchwandert, nach dem Bahnhof zurückgekehrt. Sollten wir in Berlin ins Opernhaus oder zu Kroll? Wir entschieden uns für Kroll, wo gerade eine sehr theure Italienerin als Gast auftrat, die wir sicher sonst nicht zu hören bekamen. Ersten Rang, Loge! Der Genuß war mäßig, aber man saß doch da unter den Glückskindern dieser Welt und wurde nach Gebühr begafft. Wir essen nachher bei Dressel – ist Dir’s recht, Männchen? – Jawohl. Wir aßen wirklich dort, und vortrefflich. Es war spät geworden. Und nun gehen wir ins Café Bauer – hm?

„Nein, nun gehen wir nach Hause.“

Ich sah ihn überrascht an. „Nach Hause?“

Der Tag sei längst zu Ende, meinte er und zeigte auf die Uhr, deren kleiner Zeiger allerdings bereits der Eins zuwanderte.

„Pedant!“ schalt ich. Ich hatte mich gerade auf diese Nachtschwärmerei gefreut. „Wir haben noch gar kein Abenteuer erlebt – es ist alles so glatt abgegangen.“

„Um so besser,“ erklärte er. „Der Tag war so schön, warum wollen wir jetzt noch etwas aufs Spiel setzen? Und – das Geld ist auch ausgegeben.“

„Nicht möglich!“

„Wollen wir nachrechnen?“

„Ums Himmelswillen! Und es reicht wirklich nicht mehr zu einer Tasse schwarzen Kaffee?“

„Sei verständig, Liebchen!“ wich er aus. „Wir gehören da um diese Zeit nicht hin. Man kennt mich. Ich habe journalistische Gegner. Wer kann vorhersehen –“

„Kurzum, Du willst nicht!“ unterbrach ich, wie ich gestehen muß, etwas mißgelaunt.

„Ich will nicht,“ sagte er sehr ruhig, nicht einmal mit irgendwie scharfer Betonung, aber so sicher, daß ich genau wußte, er würde nicht abzubringen sein.

Was hättest Du an meiner Stelle gethan, Toni? Daß ich mich ärgerte, abgewiesen zu sein, wirst Du erklärlich finden. Man wird immer ärgerlich, wenn man abgewiesen ist – es kommt gar nicht auf den Gegenstand und den Grund an. Der Widerspruch des andern Theils erweckt und stachelt die Lust zu einem Ringkampf. Dazu gehörte bei mir gar nicht viel; nun konnte sich ja doch noch die Gelegenheit zur Liebesprobe ergeben. Es war ganz dumm, jetzt noch auf der Tasse Kaffee zu bestehen und damit den ganzen schönen Tag zu verderben. Aber wenn er bei solcher Kleinigkeit hartnäckig und eigensinnig blieb, konnte er mir doch wirklich trotz allem nicht gut sein. Nach einem so schönen Tage! Und ich war wirklich sehr liebenswürdig gewesen. Er hätte die Unwahrheit sagen müssen, wenn er’s leugnete. Und nun so ein tyrannisches: ich will nicht ...

Soll ich – laß’ ich’s sein? Denke Dich in meine Lage!

Und was that ich? Ich war verständig, wie er’s wünschte, nahm mit einem Blick heitersten Einverständnisses seinen Arm und sagte: „Du hast recht, gehen wir nach Hause!“

Na – – ?


8.

Heute hat es geblitzt und gedonnert.

Es lag so schwül in der Luft schon seit jenem tollen Tage. Die Spannung der Elektricität in den oberen Regionen wirkte stark nach unten, und es bedurfte nur eines Umschlagens des Windes, um ... u. s. w.

Ich spreche nämlich bildlich. Es kam etwas dazwischen – wir sprachen zwei Tage und Nächte lang kein Wort miteinander (die Nächte sind keine Uebertreibung, denn wir schliefen erbärmlich schlecht und hätten zur Unterhaltung vollauf Zeit gehabt) – und dann verlor er die Geduld und sagte mir seine Meinung, meines Erachtens etwas zu deutlich – und dann ... Na ja, dann hat es geblitzt und gedonnert. Und abgezogen sind die Wolken noch lange nicht. Es fragt sich noch immer, ob sie nach rechts oder links abziehen sollen. Du wirst mich verstehen, Toni.

Ach – – – ! Diesen Seufzer kannst Du Dir gar nicht tief genug vorstellen. Und wer hat an alledem Schuld? Die dumme Perfon, die ... Ich meine die Chefin.

Sie feiert nämlich morgen ihren Geburtstag.

Du wirst sagen, dafür könne sie doch nichts, daß sie geboren sei, und wenn man nun einmal geboren ist und leben bleibt, pflegt ja doch in jedem Jahr der Tag wiederzukehren, an welchem man sich mit freudiger Rührung des großen Ereignisses erinnert. Gewissermaßen hast Du recht. Ich gönne der gnädigen Frau auch die Blumengewinde ihrer Dienstboten und die kostbarsten Geschenke ihres Herrn Gemahls und sogar die aufrichtigsten Glückwünsche ihrer Freunde, so viel sie deren hat. Aber ...

„Wir müssen zur Geburtstagsgratulation antreten,“ warf Edwin so hin, als erinnerte er an etwas Selbstverständliches.

„Ich nicht!“ antwortete ich ohne Besinnen.

„Du nicht? Du wirst mich doch nicht allein gehen lassen!“

„Es scheint mir ebensowenig nöthig, daß Du gehst.“

„Aber wir haben doch nicht den mindesten Grund, nicht zu gehen!“

„So?“

Und da gab nun ein Wort das andere, Edwin behauptete, es handle sich um einen bloßen Akt der Höflichkeit. Der Geburtstag sei bekannt. Das ganze Geschäftspersonal betheilige sich durch irgend einen Beweis von Aufmerksamkeit, und das wenigste sei, daß man einen Besuch abstatte. Es werde das gar nicht anders erwartet.

Das war’s eben, was mir daran mißfiel. Es war auf eine Huldigung abgesehen, die nicht freiwillig geleistet wurde, sondern halb und halb befohlen war. „Du gehörst nicht zum Geschäftspersonal,“ sagte ich.

„O doch! Ich werde bezahlt wie die andern“

„Aber Deine Thätigkeit ist eine rein geistige. Als Schriftsteller stehst Du so hoch –“

„Ich gratuliere als Redakteur.“

„In Frack und weißer Binde?“

„Selbstverständlich. Das ist eine bloße Form.“

„So füge Dich ihr, wenn Du nicht den Muth hast, Dich über die Bedienten des Hauses zu stellen! Aber Deine Frau solltest Du doch nicht wünschen, mit zu erniedrigen!“

„Wir verkehren in der Familie. Gerade wenn meine Frau mich begleitet, fällt jeder Schein von Bedientenhaftigkeit fort. Es ist auch für Dich keine Erniedrigung, einer Dame, in deren Haus Du eingeladen gewesen bist, eine Artigkeit zu erweisen, die weiter zu nichts verpflichtet.“

„Es wird ihr nicht einfallen, mir zum Geburtstag zu gratulieren.“

„Du feierst ihn nicht so öffentlich.“

„Es ist eine Anmaßung, wenn man so wenig bedeutet, von sich so viel Aufhebens zu machen.“

„Das geht uns ja nichts an. Und kurz – “

„Kurz?“

„Wir gehen.“

„Ich nicht.“

„Das ist in diesem Falle eine beabsichtigte Unart.“

„Mag sie doch wissen, was ich von ihr halte!“

Das war ziemlich getreu unser Wortwechsel. Wir standen nun ungefähr tausend Meilen voneinander, und es war nicht abzusehen, wie und wo wir wieder so nahe zusammentreten könnten, daß wir uns als Eheleute betrachten dürften. That jeder, was [163] er gedroht hatte, so war dem andern nicht nur dieses eine Mal ein Tort geschehen, sondern ein Prinzip konnte als entschieden gelten. Sein Prinzip oder mein Prinzip. Das war in der Wirkung ungefähr dasselbe.

Es wäre mir sehr lieb, in diesem Augenblick Deine Meinung zu wissen – nicht ob ich recht habe, das versteht sich von selbst, sondern ob ich klug daran thue, recht behalten zu wollen. Ich habe recht, die gesellschaftliche Lüge, die Edwin mir zumutet, garstig zu finden. Es ist doch jedenfalls der höhere Standpunkt, auf dem ich stehe. Welchen Grund habe ich, mich der Frau unterzuordnen, die ich – sagen wir auch nur: nicht achten kann? Es ist nicht richtig, daß es sich um eine bloße Höflichkeit handelt, in diesem Falle nicht. Sie hat mich längst durchschaut, fühlt sich von mir genau so abgestoßen wie ich mich von ihr. Dieser Glückwunsch ist nichts Gleichgültiges. Ich spreche nicht die üblichen Worte bedeutungslos hin. Sie sind vergiftet, und das Gift bleibt mir im Munde. Bin ich diesmal schwach, so richte ich mich nie mehr auf. Und schließlich: warum soll ich nicht meiner Abneigung ebenso folgen dürfen wie meiner Neigung? Aber ich verkenne gar nicht, daß ich Edwin in Verlegenheit bringe. Für ihn liegt die Sache doch anders. Er erfüllt nur eine Anstandspflicht. (Du darfst wirklich überzeugt sein, Toni, daß ich nicht eifersüchtig bin.) Kann er fortbleiben? Ich habe gesagt: ja. Aber ich glaube beinahe, ich könnte es nicht verantworten, ihn zurückzuhalten. Und wenn er doch gehen muß, darf er ohne mich gehen? Ich weiß nicht, was mir lieber wäre: wenn er ohne mich nicht ginge oder wenn er ohne mich ginge. Und eins von beiden geschieht unfehlbar. Denn daß ich gehe – nein, das ist schon deshalb unmöglich, weil ich’s ihm mit solcher Entschiedenheit abgeschlagen habe. Ich kann nicht zurück.

Ach, eine solche Lappalie! Es ist zum Weinen. Und da gehen nun zwei Menschen, die sich von Herzen gut sind, nebeneinander hin, als ob sie aus Pappe gemalt wären, schneiden Gesichter, blicken krumm herum, sprechen kein Wort und würgen bei Tisch den Bissen herunter. Zum Unglück hat jeder sein Zimmer, und jedes Zimmer hat seine Ausgangsthür. Brrrr!

Eigentlich ist’s ungeheuer lächerlich, wenn Liebesleute miteinander schmollen. Wenn sie sich selbst beobachten könnten, wie sie sich so erstaunliche Mühe geben, recht garstig zu sein und doch am liebsten ...

Diesen Satz schreibe ich nicht zu Ende. Du könntest Dir sonst einreden, daß ich schon schwach werde, Es geht diesmal wirklich nicht.


9.

Ich bin gestern nicht gegangen.

Edwin wartete bis zum letzten Augenblick, daß ich meinen Entschluß ändern würde – ich glaube, über den letzten hinaus, denn es war für eine Visite schon sehr spät geworden. Ich hielt tapfer stand.

Wenn er mir noch einmal gut zugeredet hätte, vielleicht ... Aber doch nur vielleicht. Das merkte er, und deshalb schwieg er. Nun konnte ich doch jedenfalls nicht so inkonsequent sein.

Und dann nahm er den schwarzen Hut und die weißen Handschuhe und – ging. Er ging wirklich – ohne mich. Er sah nicht ärgerlich oder erzürnt aus, aber sehr ernst. Ich habe ihn noch nie so fürchterlich ernst gesehen.

Als er fort war ... ich hätte mir ein Leid anthun mögen, so böse war ich auf mich. Und weshalb? Es wäre doch nicht zu ändern gewesen. Ich hatte die Empfindung, als wäre etwas zerrissen oder zerbrochen, woran ich meine Freude gehabt, und es würde sich nie mehr ganz wie früher herstellen lassen. Ich warf mich aufs Sofa und weinte wie ein Kind. Ja, wie ein Kind! Ist es nicht kindisch, sich um ein rechtes Nichts so schwere Gedanken zu machen?

Daß er zur Gratulation gegangen war, fand ich nun ganz in der Ordnung. Ich hätte allen Respekt vor ihm verloren, wenn er sich durch mein Schmollen vom Wege hätte ablenken lassen. Er mußte fest bleiben. So ein rechtes Nichts war es doch gar nicht. Ach ...! Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mir zu Muthe war. Wenn er zurückkäme, wollte ich mich an seine Brust werfen und ihm gestehen ... Ich wußte selbst noch nicht, was; aber es würde wieder alles in Ordnung bringen.

Er blieb sehr lange aus. Und dann ließ er mir sagen, er sei zu Mittag eingeladen worden, und ich möchte nicht auf ihn warten.

Das brachte mich mit einem kräftigen Rucke wieder ganz zu mir selbst. Wofür hatte ich Verzeihung zu erbitten? Nein! Jetzt hatte ich sicher Grund, zu zürnen. Sollte das meine Strafe sein? Strafe! Straft man seine Frau? Eine solche Lieblosigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut. Der Abend war sehr verdrießlich. Ich spreche lieber von ihm gar nicht.

Und was geschah heute? Setze Dich fest auf den Stuhl, Liebste! Frau Hermia ließ sich bei mir melden, als mein Mann auf der Redaktion war, und – kam, um sich teilnehmend nach meiner Gesundheit zu erkundigen. Edwin hatte mein Ausbleiben gestern mit Unwohlsein entschuldigt. Nichts Ernstliches – sonst wäre er ja nicht zu Mittag geblieben, aber doch Unwohlsein. Und sie, obgleich sie sicher keinen Augenblick zweifelte, daß es sich nur um einen Vorwand handelte, um die landläufigste Ausrede, fand es für sich vortheilhaft, die Gläubige zu spielen, um meinem Ausbleiben die von mir beabsichtigte Bedeutung zu nehmen.

Ich war nun also wirklich unwohl gewesen und deshalb nicht gekommen. Wie sie das bedauerte! Es hätte so hübsch bei ihr ausgesehen – die ganze Wohnung ein Blumengarten. Und das Diner habe einen so munteren Verlauf genommen, Alle die Trinksprüche! Mein Mann hätte sogar Verse improvisiert, die er ihr durchaus aufschreiben müsse. Ich kam gar nicht zu Wort. Und was hätte ich auch sagen können? Daß Edwin die Unwahrheit gesagt habe, daß er selbst gegen meinen Wunsch und Willen der höfliche Mann gewesen sei? Unmöglich! Das hätte mich vollends bloßgestellt, einen Abgrund zwischen mir und meinem Manne aufgedeckt! Es blieb mir nichts übrig, als weltklug zu verfahren und meine Rolle in der Komödie zu übernehmen, wie sie mir aufgezwungen wurde. Ich mußte noch dankbar sein für den liebenswürdigen und gütigen Krankenbesuch. Ach! Ich könnte ...

Liebste Toni, ich fange an einzusehen, daß ich mich auch Dir gegenüber auf eine abschüssige Bahn begeben habe. Was ich Dir bisher schrieb (soweit ich mich erinnere), war alles ganz unschuldiger Natur. Diese Stürme im Glase Wasser konnten Dir nicht bedrohlich scheinen – Dir so wenig als mir. Die kleinen Geheimnisse, die ich Dir verrieth, waren nicht des ängstlichen Hütens werth. Und nun plötzlich wird’s Ernst – und ich weiß nicht, ob ich noch aufrichtig sein darf. Wenn ich’s aber nicht bin, wirst Du’s sogleich merken und Dir wahrscheinlich allzu schwarze Gedanken machen. Ich bin in einer üblen Lage. Das Beste ist, ich sage Dir alles. Es ordnet sich mir selbst auch schon dadurch, daß ich mich nöthige, niederzuschreiben, was mich bewegt, meinem unklaren Gefühl eine sichere Deutung zu geben. Du bist ja auch verschwiegen wie das Grab!

Und am Ende, was ist’s denn auch? Eine Meinungsverschiedenheit, wie sie in der glücklichsten Ehe mitunter unvermeidlich ist. Ich weiß den Werth von Kompromissen zu schätzen, unter Umständen kann doch aber auch ein kleiner Krach wohlthätige Folgen haben. Ob in diesem Falle, das hat sich noch nicht klargestellt.

Natürlich war’s mit meiner Geduld aus. Von stummem Schmollen konnte nicht weiter die Rede sein. Als Edwin nach Hause kam, überhäufte ich ihn mit Vorwürfen – ich glaube, in allzu leidenschaftlicher Weise. Aber die improvisierten Verse gingen mir denn doch über den Spaß. Ich hoffte vergebens, ihn aus seiner empörenden Ruhe zu bringen. „Liebes Kind,“ antwortete er (liebes Kind!!), „was willst Du? Ich konnte Dich zu meinem größten Bedauern nicht hindern, thöricht zu handeln. Es war nun meine Pflicht, die üblen Folgen davon nach Möglichkeit einzuschränken. Es gab für mich gar keinen anderen Ausweg, als den, den ich wählte. Bei kaltem Blute wirst Du das anerkennen.“

„So?“ rief ich empört, „Du hältst es für Deine Pflicht, mir einen Zwang aufzulegen? Du glaubst Dich berechtigt, meinem moralischen Empfinden Gewalt anzuthun? Wenn ich nun brechen wollte mit dieser Frau, die mir verhaßt ist! Du bringst mich in die Lage, heucheln zu müssen, sie als meinen Gast mit Artigkeit zu behandeln. Aeußerlich ist zwischen ihr und mir nun wieder alles beim Alten, und nur unser häuslicher Friede hat gelitten – recht unnütz gelitten ...“ Ich schluchzte heftig.

„Das ist richtig,“ sagte er, „recht unnütz. Und ich gebe zu, daß dergleichen Störungen sich nicht ohne ernstlichen Schaden wiederholen dürfen. Es bleibt immer etwas hängen. So lieb ich Dich habe, in Deine Thorheiten werde ich mich nie verlieben, und ich hoffe, Dir deshalb um so achtenswerther zu erscheinen.“

[164] „Um so liebenswerther gewiß nicht!“ fuhr mir’s heraus.

„Das ist Selbtäuschung,“ versicherte er mit grausamer Gelassenheit. „Eine Frau, die ihren Mann wahrhaft liebt, mag ihm viel Schwäche verzeihen können, die Schwäche gegen ihre Schwächen schwach zu sein, auf die Dauer am wenigsten. Das ist meine Ueberzeugung. Ich möchte da nicht irren. Wär’s aber so, dann steht mir um so sicherer die andere Ueberzeugung, daß nur der Mann seine Frau wahrhaft liebt, der sie zwingt, ihn zu achten. Danach werde ich handeln.“

Ist das nicht ein furchtbarer Egoismus? Denke darüber nach, Toni!


10.

Es sieht so aus, als ob wir wieder ein Herz und eine Seele wären, aber es sieht doch nur so aus. Zwischen uns ist noch etwas – wenn auch nur eine spanische Wand, die jeder so vor sich hinschiebt, daß er zu Zeiten nicht gesehen werden kann, wenn er ein verdrießliches Gesicht zieht. Sie ist sehr dünn, sehr wacklig, aber doch noch nicht niederzureißen.

Es handelt sich um ein Prinzip, Liebste, das ist doch nicht zu leugnen, und die Sache ist nicht zum Austrag gekommen. Daran kranken wir nun. Es ist eine Anstrengung gemacht um nichts, und man ist wieder auf dem alten Flecke. Als ob man sich außer Athem gelaufen hätte, die Station zu erreichen, und dann ist’s gar nicht unser Zug, der da hält. Mitkommen oder verspäten! Aber so genarrt zu werden ... Ich bin nun einmal so.

Freilich habe ich mein Stück durchgesetzt, bin nicht zur Cour gegangen. Für Edwin, der den wahren Grund weiß, bleibt das eine Thatsache. Aber ihn zu kränken, war gar nicht meine Absicht; es schmerzt mich eher, daß es geschehen mußte. Und nun hat es gar nicht geschehen müssen; denn nach außen hin ist die Wirkung aufgehoben. Edwin selbst hat sie aufgehoben. Aber recht froh kann er dessen nicht werden. So hat jeder etwas im Rückhalt und vermag dem anderen nicht ganz frei in die Augen zu sehen. Ich glaube wenigstens, daß auch Edwin so fühlt.

Mit seiner Theorie von Liebe und Achtung kann ich mich übrigens nicht befreunden. Ich theilte Dir ja mit, was er gesagt hat. Die Worte sind mir immer im Kopfe herumgegangen, und sie gaben mir auch einen Sinn. Aber sie schreiben sich mir nicht als eine unverrückbare Wahrheit ein. Ich wehre mich, sie dafür gelten zu lassen. Die Frau ist doch nicht immer schwach und der Mann nicht immer stark. Und warum soll bei der Frau Eigensinn sein, was beim Manne Ueberzeugungstreue? Schließlich kommen seine Sätze doch nur auf den unausgesprochenen Obersatz hinaus: die Frau ist am glücklichsten, wenn sie sich unterwirft.

Ich weiß, daß ich meine Schwächen habe. Sie wollen geschont sein. Sie wollen am meisten von dem geschont sein, dem ich mich mit Herz und Hand zu eigen gegeben habe. Denn das ist für ihn doch nur ein ganz Kleines, womit er vergilt. Und wenn er nicht einmal dieser Nachsicht fähig ist, wie kann er mich lieben? Der Satz ist ja doch völlig widersinnig, daß nur der Mann seine Frau wahrhaft liebe, der sie zwinge, ihn zu achten. Was heißt da achten? Seine Unerschütterlichkeit anerkennen. Aber warum muß er denn immer unerschütterlich sein? Und wie kann man von jemand gezwungen werden, überzeugt zu sein, daß er immer recht habe? Zwang ist überhaupt etwas Häßliches, sittlicher ebenso gut als äußerlicher. So ein Mann, der wirklich immer recht hätte, müßte ja seiner Frau eine Scheu einflößen, die liebende Verehrung gar nicht aufkommen ließe. Ich meine, der Mann liebt seine Frau wahrhaft, der nicht an sich denkt, auch nicht daran, was seine Frau von ihm denkt, sondern dem es innigstes Bedürfniß ist, diesem geliebten Menschen gegenüber jeden Vorzug aufzugeben. Für meinen Mann will ich ein Engel sein. Er liebt mich nicht, wenn er mich kritisiert.

Liebe ist leidenschaftliche Hingabe. Nichts anderes. Das hat Edwin in seinen schönen Gedichten so oft überzeugend und überwältigend ausgesprochen. Ich glaube dem Dichter.

Und er ist kein Dichter, wenn ihm Dichtung und Leben nicht eins ist. Darin habe ich doch gewiß recht! – – – – –

[174]
11.

Das wird aber doch zu toll! Heute sprach Frau Hermia – ich möchte wissen, ob sie wirklich auf diesen Namen getauft ist oder ob sie sich ihn ursprünglich für ihre Künstlerlaufbahn beigelegt hat – also heute sprach Frau Hermia wieder bei uns vor, diesmal, um nach Edwin zu fragen. Den Wagen ließ sie draußen warten, obgleich offenbar nicht ein Dreiminutenbesuch beabsichtigt war; jeder, der vorbeiging, wußte nun doch, wer sich im Hause befand. Mein Mann war nicht sofort zu sprechen, und so erfuhr ich denn, da sich kein anderer Stoff zur Unterhaltung bot, brockenweise, was im Werke sei.

Die Gnädige beschäftigt sich seit ihrem Geburtstag mit dem Plane einer großartigen Wohlthätigkeitsveranstaltung, von der ein paar Wochen lang die ganze Stadt sprechen soll. „Es muß wirklich etwas Großartiges werden,“ versicherte sie immer wieder. „Selbstverständlich ist nicht die Unterstützung von armen Leuten in der Nähe in Frage – mein Himmel! Armuth giebt’s überall und wird’s stets überall geben, das liegt so in der göttlichen Weltordnung! Brand, Hagelschlag, Ueberschwemmung, schlagende Wetter im Bergwerk – nun ja, man kann zugeben, daß da die Noth mitunter ungewöhnlich hoch steigt und wohlbegründet die öffentliche Wohlthätigkeit in Anspruch nimmt. Aber dergleichen Unglücke“ – die Gnädige selbst bildete diesen Plural – „sind schon so oft dagewesen, daß sie die erforderliche Zugkraft verloren haben; man sammelt da am besten im stillen oder schickt sein Scherflein an die Sammelstelle einer Zeitung ab. Für hungernde Weber und dergleichen Leute sich zu bemühen, die wahrscheinlich zu den unzufriedenen Staatsbürgerklassen gehören, kann sogar politisch bedenklich scheinen. Wir sind natürlich gut konservativ. Man braucht einen Zweck, der in die Augen fällt. Möglichst hoch oben! Er darf nicht abgenutzt sein. Die Gesellschaft muß sich dafür interessieren können. Wie wär’s ... Afrika ist jetzt in der Mode ... wenn man die christlichen Missionen dort mit reichlicheren Mitteln für ihr gottgefälliges Thun versorgte! Schulen für Negerkinder sind dringendstes Bedürfniß. Eine Suppenanstalt für befreite Sklaven wäre neu, darüber lassen sich Artikel schreiben – für den Ausschuß sind allerhand Spitzen zu gewinnen – der Aufruf trägt die glänzendsten Namen – bei der festlichen Veranstaltung selbst fehlt niemand, der zu den Gutgesinnten gerechnet sein will.“ Trara – trara!

Ich gönne gewiß den Negerkindern alles Glück, liebste Toni, und würde nichts einzuwenden haben, wenn in Timbuktu, oder wie das schwarze Ding heißt, eine Universität gegründet und auf dem Kilimandscharo eine Sternwarte errichtet würde. Aber diese Sorte von Wohlthätigkeit, die nur von sich reden machen will und auf die jämmerlichsten Beweggründe der lieben Mitmenschen spekuliert, ist mir von jeher ein Greuel gewesen. Ich bin überzeugt, daß Frau Hermia von Afrika noch weniger weiß als ich. Jedenfalls blamierte sie sich schon vor mir mit ihren in der Unterhaltung bei Tisch aufgelesenen Kenntnissen. Sie wurde nämlich auf diesen erhabenen Gedanken durch einen Geistlichen hingeleitet, der jetzt durch seine Predigten Aufsehen erregt, großen Zulauf aus den Kreisen der obersten Zehntausend hat und seit kurzem zu ihren Hausfreunden gehört. Er fehlte denn auch an ihrem Geburtstag nicht unter den Gästen und saß ihr zur Rechten. Er ist ein paar Jahre Missionär da um den Aequator herum gewesen und hat ihr Herz zu rühren verstanden. Was sie thut, thut sie, um sich seiner Freundschaft würdig zu erweisen. Wie dankbar wird man ihr sein!

Warum mich das so aufregt? Das will ich Dir sagen. Frau Hermia hat eine Idee, das heißt eine dunkle Vorstellung von irgend etwas, das zu dem bestimmten Zwecke gemacht werden und möglichst viel Geld einbringen soll. Aus tiefstem Nebel tauchen da lebende Bilder aus der biblischen Geschichte auf, in denen die schöne Frau mitstehen will, vermuthlich ein Fingerzeig des Herrn Pastors. Zu einem Programm fehlt noch alles. Und dazu braucht sie nun jemand, der die Arbeit übernimmt, die Idee faßbar macht, den Plan ausarbeitet, den Prolog und die Texte zu den lebenden Bildern dichtet, die passenden Musikstücke wählt, die Kostüme bestimmt, die weitläufige Korrespondenz mit Theaterdirektoren, Hoflieferanten, beleidigten Müttern und gekränkten Töchtern führt. Und dieser unentbehrliche, durch seine geistige Kraft alles ordnende, aber bescheiden im Schatten stehende Jemand soll – mein Mann sein. So hat sie sich’s ausgedacht und deshalb kam sie. Nicht einmal um zu bitten – Edwin sollte sich’s ja zu besonderer Ehre rechnen, bei solcher Gelegenheit mit den Dichtungen betraut und zum expedierenden Sekretär ernannt zu sein. Sie habe ihren Mann schon ersucht, ihm für einige Wochen die Redaktionspflichten nach Möglichkeit zu erleichtern, damit er sich ganz ihr widmen könne. Das Bureau solle in ihrem kleinen Salon eingerichtet werden, Edwin dort jede gewünschte Auskunft ertheilen. Vor allem müsse er es für seine Pflicht halten, sich mit der gesamten Schriftstellerwelt in Verbindung zu setzen, um sie durch geschickte Beeinflussung für die gute Sache zu erwärmen. Täglich müsse in allen Zeitungen von dem großen Ereigniß die Rede sein. Trara!

Das ging mir denn doch sehr empfindlich gegen den Strich. Ich fühlte, daß mir das Blut ins Gesicht strömte und die Finger nervös zuckten. Ich weiß nicht, ob Frau Hermia auf begeisterte Zustimmung gerechnet hatte – beschränkt genug ist sie dazu. Jedenfalls war sie sichtlich sehr unangenehm überrascht, als ich ihr frei heraus erklärte, nach meiner Meinung passe Edwin zu dem ihm zugedachten Amte gar nicht. Es kann sein, daß ich gesagt habe, er werde sich schwerlich dazu hergeben. Ich war eben innerlich entrüstet über die Zumuthung und fühlte das Bedürfniß, meinerseits sofort Stellung zu nehmen. Es sollte schleunigst ein Riegel vorgeschoben werden, auf den Edwin dann weisen könnte. Den Blick, mit dem sie mich strafte, werde ich nie vergessen. Aber er hinderte mich doch nicht, als Edwin eintrat und ihr die Hand küßte, sofort selbst das Wort zu ergreifen und bemerklich zu machen, daß ich der gnädigen Frau schon mein Bedauern ausgedrückt hätte, seine Fähigkeiten überschätzt zu haben. „Niemand ist zu solchen Arrangements ungeschickter als Du,“ sagte ich ihm auf den Kopf. Ich bemühte mich, einen scherzhaften Ton anzuschlagen, aber es mag mir wohl nicht sonderlich gelungen sein.

Jedenfalls wollte Frau Hermia „keine Ausrede gelten lassen“. Sie schien mich nur noch als Luft zu betrachten und sprach eifrig auf Edwin ein, nicht als ob sie nöthig gehabt hätte, seinen Beistand zu erbitten, sondern zu seiner näheren Information, den Beistand als selbstverständlich vorausgesetzt. Sie ergriff dabei wiederholt seine Hand und lächelte ihm mit beleidigender Vertraulichkeit zu. Die gemeinsame Beschäftigung mit diesen Dingen werde sehr amüsant werden, versicherte sie.

Und Edwin?

Edwin blieb ganz ruhig, hörte aufmerksam zu, nickte von Zeit zu Zeit wie zustimmend, verbeugte sich, wenn auf seine Mitwirkung die Rede kam, als ob ihm etwas Schmeichelhaftes gesagt würde, und bat zuletzt um eine kurze Bedenkzeit, sich’s erst einmal zurechtzulegen, was für Vorschläge er würde machen können. Er gebe nicht gern ein Versprechen, bevor er genau wisse, daß er’s auch werde halten können. Frau Hermia hatte dagegen nichts einzuwenden; sie schien ihrer Sache gewiß zu sein. „Denken Sie nur auf eine recht schöne Rolle für mich,“ sagte sie, sich verabschiedend. Ueber mich sah sie mit einem lächelnden Blick hinweg, der etwa bedeuten wollte: da siehst Du Närrin nun, daß Du Dich ganz umsonst ereifert hast.

Kaum hatte sie die Thür hinter sich geschlossen, als ich losbrach: „Das darfst Du Dir unter keinen Umstanden anthun Edwin!“

„Was?“ fragte er, als ob er mich gar nicht begriffe.

„Diese eitle Frau,“ rief ich, „will nicht nur Dein Talent mißbrauchen, sondern Dich auch zu Handlangerdiensten benutzen, die Deiner unwürdig sind.“

„Aber so lasse mir doch Zeit,“ bat er mit empörender Ruhe, „selbst zu prüfen und mit mir einig zu werden!“

„Als ob da noch zu prüfen, zu überlegen wäre! Das ganze Unternehmen –“ Ich schilderte es von meinem Standpunkt aus und trug etwas grelle Farben auf.

Er lachte. „Du magst ja in der Sache selbst recht haben,“ [175] meinte er, „und es kann ja sein, daß ich mich zu einer Ablehnung entschließe, für die sich dann wohl auch eine Form finden wird. Ich begreife nur nicht, weshalb Du gegen die gute Frau so aufgebracht bist. Es verstand sich doch ganz von selbst, daß sie sich zuerst an mich wendete. Und daß sie mir etwas so Empörendes zumuthet ...“ Er zuckte die Achseln.

Er zuckte die Achseln. Wie findest Du das? Kürzlich hatte ich ihn um ein kleines Gelegenheitsgedicht zum Geburtstag meiner Mutter gebeten. Ganz vergeblich. Er bringe dergleichen nie fertig. Und nun für die Negerkinder ...

Das hielt ich ihm vor. Er behauptete, das sei etwas ganz anderes. Dichtungen zu lebenden Bildern könnten einen selbständigen Charakter haben. Es käme auf den Gegenstand an. Und zu einem wohlthätigen Zwecke thue man manches, was man sich sonst vielleicht verdenken würde.

„Freilich, wenn die schöne Frau Hermia bittet –“ fiel ich ein.

Das war unvorsichtig, ich fühlte es sogleich. Aber es war nun einmal gesagt und mußte vertheidigt werden. Edwin wurde immer gereizter (ich auch) und endlich bemerkte er: „Du scheinst nicht merken zu wollen, wie persönlich Deine Opposition ist. Das verdächtigt sie mir nicht wenig. So leidenschaftlich, wie Du vorgehst, drängst Du mich zu einer abwehrenden Haltung. Ich kann meine Ansicht nicht mehr frei äußern, wie ich sonst möchte, und lasse mich vielleicht durch den Aerger darüber zu einer so oder so unbedachten Entscheidung hinreißen. Enden wir also dieses unerquickliche Gespräch! Ich hoffe, Du wirst mir das Vertrauen schenken, daß ich der Mann bin, selbst zu wissen, was sich für mich schickt. Ich verschließe mich nicht Deinen Gründen, aber Du wirst nicht verlangen, daß ich mich blindlings Deiner Meinung unterwerfe, am wenigsten dann, wenn ich Dich für mindestens recht befangen halte.“

Damit ging rt in sein Zimmer, und ich – schrieb Dir auf der Stelle diesen Brief, um möglichst objektiv den ganzen Vorfall darzustellen, der sicher noch Folgen hat. Er muß ja Folgen haben! Ach, ich fühle mich sehr unglücklich! Diese Frau –! Ich bin überzeugt, daß sie sich an mir rächen will. Was wird Edwin thun? Er hätte es in der Hand gehabt, mit einem Worte jede weitere Verhandlung abzuschneiden. „Ich tauge nicht dazu, meine Frau hat ganz recht“ – das war so leicht. Und wie wohl wäre ihm jetzt! Aber er wollte mich ein wenig peinigen. Warum schlug ich ihm auch die Geburtstagsvisite ab! Würde ich mitgegangen sein, es wäre alles anders gekommen. Ach – wie einfältig man manchmal ist! Unglaublich einfältig. Aber hier muß ich mein Stück durchsetzen – muß! Es handelt sich nicht nur um eine eheliche Zwistigkeit – mein Gott! ich will ja in anderen Fällen folgsam sein wie ein Lamm – ein Dritter war Zeuge. Eine Dritte! Das ist noch bedeutsamer. Und welche Dritte!

Schreibe mir auf diesen Brief gar keine Antwort, Toni. Bis sie anlangen könnte, wäre doch schon alles entschieden. Und was kann es nützen, wenn Du mir vorwirfst, zu rasch, zu unbedacht verfahren zu sein? Es ist nicht mehr zu ändern. Ich weine vor Aerger. Da fallen die Tropfen auf das Papier und lassen sicher einen Kranz. Schilt mich, aber bemitleide mich! In treuester Freundschaft Deine – – – – – – – – –




12.

Vierundzwanzig Stunden sind vergangen. Wirhaben uns keinen Schritt genähert. Im Gegentheil –

Ich bin diesmal im Recht, in der Sache selbst gewiß. Darauf allein kommt’s an. Nicht meinetwegen, Edwins wegen muß ich fest bleiben.

Edwin schien keine Neigung zu haben, den Gegenstand mit mir nochmals durchzusprechen. Er mußte wissen, daß ich darauf wartete. Die gewöhnlichste Pflicht der Höflichkeit gebot dieses Entgegenkommen. Da er beharrlich schwieg, zeigte ich ihm ebenso beharrlich ein Gesicht, von dem meine Meinung unschwer abzulesen war. Ich weiß, daß er ein solches Gesicht in den Tod nicht leiden kann. Aber ich spiele wenigstens nicht Komödie wie er. Denn das ist Komödie, daß er sich den Anschein geben möchte, als sei gar nichts vorgefallen und ich würde schon von selbst zur Vernunft kommen. Er soll merken, daß ich ihn durchschaue.

Endlich ist ihm dann auch der Geduldsfaden gerissen. Er wollte wissen, weshalb ich gegen ihn so garstig sei. Als ob er das erst von mir hätte erfahren müssen! Aber ich sollte mich aussprechen, sollte leidenschaftlich vorbrechen, ihm Grund geben, sich durch meine Vorwürfe gekränkt zu fühlen ... Den Gefallen that ich ihm nicht. Mein Gesicht sagte genug. Er konnte sich ja so leicht ein anderes verschaffen!

Zuletzt fing er doch selbst an. Aber was mußte ich nun hören! Er habe bedacht und sei entschlossen, den Wünschen der Frau seines Chefs zu entsprechen. Davon wolle er mich in Kenntniß setzen. Er habe ihr soeben geschrieben und den Brief abgeschickt. Den Brief abgeschickt, Toni! Du begreifst, daß ich einer Ohnmacht nahe war.

Dann aber brach ein Gewitter los, wie es noch nie an unserem Ehehimmel gestanden hatte. Blitz auf Blitz zuckte und jeder mußte einschlagen. Ich wunderte mich nur, daß Edwin noch immer nicht völlig zerschmettert zu meinen Füßen sank. Ja, er! Als ich ganz erschöpft in ein schluchzendes Weinen ausbrach, sagte er kühl: „Du hast’s selbst so gewollt!“

„Ich – ich?“

„Du! Ich hätte Dich gern freundlich zu überzeugen versucht, daß ich nicht gut eine andere Entscheidung treffen konnte. Das hat mir leider Dein Verhalten unmöglich gemacht.“

„Als ob es nicht auch die andere Möglichkeit gab, daß ich Dich überzeugte, bei meiner Meinung stehen bleiben zu müssen.“

„So hättest Du sprechen sollen.“

„Ich hatte mich bereits ausgesprochen.“

„Bevor Du Zeit zur Ueberlegung gehabt hattest. Ein solches Dreinfahren mit Worten –“

„Edwin, ich verbitte mir jede beleidigende Aeußerung! Darf ich wenigstens nachträglich Deine Gründe erfahren?“

„Gewiß. Sie sind die einfachsten. Daß es mir ein Leichtes ist, die Dichtungen herzustellen, die von mir beansprucht werden, versteht sich wohl von selbst. Dazu bedarf es auch nur der kürzesten Zeit –“

„Die Du immer noch besser anwenden kannst!“

„Ich habe gerade keine dringende Arbeit vor. Ein paar Berathungen mit Malern, Musikern und Schauspielern werden genügen, das Programm festzulegen. Das ist gewiß recht unterhaltend.“

„Und dann die endlosen Verhandlungen in den Ausschußsitzungen, denen Frau Hermia präsidiert –! Ich kenne diese vornehmen Damen, die dort das Wort führen, diese Wichtigthuerei, diese Eifersüchtelei, diese gegenseitige Lobhudelei –“

„Mir fehlt eine so spaßhafte Erfahrung noch.“

„Und Du wirst da, obgleich Du alle Arbeit verrichtest, wie eine Null behandelt.“

„Wenn ich mich so behandeln lasse. Ich kann ja jederzeit gehen. Zunächst bin ich der stadtbekannte Lenker und Regierer.“

„Bei solchem Werke der Eitelkeit, über das jeder vernünftige Mensch sich lustig macht!“

„Um sich doch zur Betheiligung zu drängen. Solange die Welt steht, verdankt die Wohlthätigkeit der Eitelkeit ihre reichlichsten Einnahmen. Wer wird solche Dinge so tragisch nehmen!“

„Ich erkenne Dich gar nicht wieder, Edwin!“

„Lieber Schatz, ich füge mich in das Unvermeidliche mit möglichst gutem Humor und lasse ihn mir auch durch Dich nicht verderben.“

„In das Unvermeidliche?“

„Gewiß! Ich habe zugesagt, weil ich in meiner Stellung doch nicht gut ablehnen konnte.“

„Aber weshalb nicht?“

„Du wirst zugeben, daß ich von allen den Gründen, die Dir so wichtig scheinen, für meine Absage auch nicht einen einzigen hätte brauchen können. Durch prinzipielle Bedenken würde ich mich nur lächerlich gemacht haben, und fadenscheinige Entschuldigungen hätten erst recht die Blöße nicht gedeckt, die ich mir nothwendig in den Augen der Bittstellerin geben müßte, wenn ich Dein Verdikt bestätigte. Und schließlich: der Würfel ist geworfen! Ob zum Glück oder Verderben, ich habe eingewilligt, und Du kannst wirklich nichts Verständigeres thun, als Dich auf den Boden dieser Thatsache zu stellen und Dir von da aus Mühe zu geben, dem Verdrießlichen die beste Seite abzugewinnen. Was meiner klugen Frau ja auch nicht schwer werden wird!“

[178] Da hast Du unser Gespräch wörtlich, Toni! Ich weiß freilich noch nicht, ob ich diesen Brief abschicke oder ihn in mein Tagebuch lege. Edwin hatte leichtes Spiel. Weshalb? Weil der wundeste Punkt eigentlich gar nicht berührt wurde. Ich weiß nicht, weshalb ich mich scheute, den Finger darauf zu legen. Aber ich scheute mich. Handelte es sich um irgend eine andere Dame ... Nein! auch jetzt will ich diese Gedankenreihe nicht zu Ende führen. Wer weiß, was da auf dem Wege steht? Aber sicher ist’s: ich habe die Partie verloren.

Hast Du bemerkt, daß er sich schließlich an seine „kluge“ Frau wendete? Das war ein Kunstgriff, den ich durchschaue. Er hält nämlich sonst von meiner Klugheit gar nicht viel. Ich habe mancherlei andere Eigenschaften, die ihm schätzbar sind, und dazu gehörte früher auch gerade eine gewisse durch das Temperament bedingte Unklugheit, die angeborene Neigung, nach Gefühlseindrücken zu urtheilen und zu handeln. Ich war ihm gern „der Mensch in seinem dunklen Drange“. Und nun? Er wollte mir eine Schmeichelei sagen und warf mir eine Unwahrheit ins Gesicht. Seine kluge Frau bin ich nicht, will ich nicht sein. Und wenn er seine unkluge Frau nicht mehr liebt, Toni, was fängt sie dann an, um sich vor Dummheiten zu bewahren? – – –




13.

Wie ich das Blatt auch drehe und wende, liebste Toni, es steht immer mit großen Buchstaben darauf geschrieben: der Mann hat seine Frau verleugnet. Und wenn alles richtig ist: daß es an sich keine gleichgültigere Sache geben kann als diese Wohlthätigkeitsvorstellung, daß mein Mann sich durch seine Betheiligung nicht das mindeste vergiebt, im Gegentheil in der Schätzung seiner angesehensten Mitbürget nur gewinnen kann, daß es in diesem Falle nur in der Ordnung war, wenn man sich an ihn wandte, daß ich sehr übereilt meine Abneigung zu erkennen gab und ihn dadurch in eine schwierige Lage brachte, daß meine Empfindlichkeit mich verleitete, das schlechteste Mittel zu seiner Beeinflussung zu wählen, daß er ... Gut! ich sage auch das: daß er Grund hatte, an eine eifersüchtige Grille seiner Frau zu glauben – es bleibt doch der schreckliche Satz stehen: der Mann hat seine Frau verleugnet. So muß es auch Hermia ansehen. Sie weiß ja, daß ich ihre Gegnerin bin, erräth, daß ich meinen Mann vergeblich fernzuhalten bemüht war. Sie triumphiert über mich!

Und das nicht nur einmal, sondern hundertmal. Wochenlang wird er ihr täglich seine Aufwartung machen, seine Verse vorlesen, seine Vorschläge unterbreiten, seine Begleitung zu Konferenzen und Proben anbieten müssen. Sie wird seine Dienste um so eifriger in Anspruch nehmen, je unzufriedener sie mich weiß. Sie wird alle Künste der Koketterie aufwenden, ihn bei guter Laune zu erhalten. Und ist sie ihm denn so ganz ungefährlich, die Frau „mit der wundervollen Büste“? Solange er und ich im besten Einvernehmen miteinander stehen – ja! Aber wir stehen nicht im besten Einvernehmen miteinander – gar nicht.

Und ich kann mich nicht überwinden, einen Strich zu ziehen und meine Niederlage zu vergessen. Ich hab’s versucht, Toni – es ist doch einmal geschehen und nicht zu ändern – aber ich kann’s beim besten Willen nicht. Beim besten Willen? Nein, den habe ich wahrscheinlich nicht, Dann doch: bei aller vernünftigen Einsicht. Ich bring’s nicht über mich, auch nur ruhig zu sein. Die Augen stehen mir immer voll Wasser, meine Hände bedeckt kalter Schweiß, mein Herz schlägt unregelmäßig. Ich habe keine Stetigkeit bei irgend einer häuslichen Beschäftigung, ich lasse in der Küche das Essen verderben, ich gehe aus und laufe an den Läden vorüber, in denen ich Einkäufe machen will. Wahrhaftig, ich befinde mich in einem jämmerlichen Zustande und bin doch nicht krank. Wenn sich die Thür öffnet, erschrecke ich, wenn die Schere auf die Erde fällt, fahre ich zusammen. Ich bin todmüde und kann nicht schlafen. Fallen mir die Augen zu, so träume ich das abscheulichste Zeug. Ich lese dreißig Seiten in einem interessanten Roman und weiß nicht, was in einer einzigen Zeile steht. Jeden Nerv fühle ich, als ob er gebrannt würde. Was kann ich dagegen thun? Und mein Mann –?

Mein Mann geht in seinem Zimmer auf und ab – ich höre jeden seiner langsamen Tritte – sucht die Reime zu den Versen für Frau Hermia und bleibt von Zeit zu Zeit an seinem Pulte stehen, sie mit Bleistift auf eine leere Briefseite zu schreiben. Das ist so seine Art. An mich zu denken hat er nicht Zeit.

Zum Verzweifeln. -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -




14.

Ich bin mit mir einig, Toni: das halte ich nicht länger aus. Hast Du einmal in einer Scheune dreschen hören? Klipp – klipp klipp! Klipp – klipp klipp! immer dieselbe eintönige Melodie. So klippt’s in meinem armen Kopfe. Entweder – oder!

Entweder Edwin schreibt eine Absage, oder ... Ja, was? Da giebt’s mancherlei Möglichkeiten, und die zahmste ist noch, ich laufe davon.

Du wirst mich für gestört halten. Vielleicht bin ich’s auch. Ein solches Entweder ist gar nicht denkbar. Oder doch? Warum nicht? Wenn Edwin mich liebt – – !

Darauf kommt’s hinaus: wenn Edwin mich liebt. Der Schritt muß ihn ja eine Riesenüberwindung kosten. Aber um so stärker der Beweis seiner Liebe, um so untrüglicher! Er kann ein für allemal gelten. Giebt Edwin in diesem einen Falle nach, so zweifele ich nie mehr. Ich will ihm so dankbar sein! Ach Gott! ich weiß gar nicht, was ich für ihn thäte, wenn er ... wenn er sich nur dies eine Mal gegen mich schwach zeigte. Er sollte der glücklichste Mann unter der Sonne sein, wie ich die glücklichste Frau.

Und da ist’s ja nun, was ich ersehnt habe: die Gelegenheit für eine Kraftprobe der Liebe. Denke Dir ein Verhältniß von Mann und Frau ... welche zwei Menschen Du willst, auch für die stumpfsten wird die Stunde kommen, in der ausgemacht werden muß, was einer dem andern durch das ist, was sich als das Besondere dieser menschlichen Vereinigung darstellt. Meist wird es nur die Machtfrage sein, die zur Entscheidung drängt, ganz unten geradezu in einem körperlichen Ringen, höher hinauf mehr und mehr im Kampf mit geistigen Waffen. Wer ist dem andern überlegen? Hat sich dies einmal unzweifelhaft ergeben, so mag wohl in den meisten Fällen eine Beruhigung eintreten, die für die Dauer einen wohlthätigen Friedensstand herbeiführt. Der Mann ist der von Natur stärkere Theil. Der Kampf pflegt deshalb mit seinem Siege zu enden. Aber nothwendig ist das nicht: mitunter (und vielleicht öfter, als es den Anschein hat) beweist die Frau in einem entscheidenden Augenblick ihre Ueberlegenheit; der Mann erkennt sie stillschweigend an, und die Regel wird, daß er sich fügt. Auch so gelangt man zum Frieden.

Warum setze ich Dir das auseinander? Damit Du siehst, daß ich zu unterscheiden weiß. Du darfst mir nicht die Lächerlichkeit zutrauen, Liebste, mit Edwin um die Herrschaft kämpfen zu wollen. Ich gebe ohne weiteres zu: er ist der Stärkere, geistig Ueberlegene, ich habe mich zu fügen. Und ich thu’s gern, ich habe das Bedürfniß der Unterordnung. Was ich eine Kraftprobe der Liebe nenne, ist etwas ganz anderes. Bei jenem Streit um die Herrschaft zwischen zwei an sich Gleichberechtigten, die doch eine friedliche Gemeinschaft erstreben müssen, spricht das Gefühl der Liebe noch nicht mit. Es kann gar nicht vorhanden sein. Es kann aber auch sehr stark vorhanden sein, ohne für die Machtfrage den Ausschlag zu geben. Denke Dir es nun besonders stark bei dem sich fügenden Theile: was ist natürlicher, als daß er die Kraft der Neigung des Herrschenden erproben will! Das Herz muß Gewißheit haben. Und wie kann das Herz sie sich verschaffen, außer wenn es einmal wenigstens einzig und allein vom Herzen eine Entscheidung fordert: überlege nicht, prüfe nicht, rechne nicht, frage nicht nach den Folgen – thu’ mir das zu Liebe! Willst Du, so bin ich glücklich. Willst Du nicht, so weiß ich, was ich Dir gelte.

Habe ich mir da in einer schlaflosen Nacht künstlich etwas ausgeklügelt, Liebste? Es kann sein. Ich brauchte es zu meiner Rechtfertigung. Es liegt nun einmal in mir, daß ich von Trieben beherrscht werde und hinterher den vernünftigen Grund suche. Das Ursprüngliche und das Reflektierte wächst ineinander und läßt sich bald nicht mehr scheiden. Ich schreibe da nur eine Bemerkung nach, die Du selbst in einem Deiner letzten Briefe machst. Ich halte sie für treffend. Was nützt aber diese [179] Selbsterkenntniß? Ob ich recht ober unrecht habe, logisch denke oder alle Begriffe auf den Kopf stelle – es treibt mich etwas vom Innersten her, und das ist das Mächtige. Ich muß! Das ist nicht zu begreifen, nur zu fühlen. Ich versuche, mir diesen Zwang verständlich zu machen. Gelingt’s, um so besser! Aber es bleibt immer dabei: ich muß, heißt – ich kann nicht anders.

Und weil ich nicht anders kann ... ... ... ... ... ...

Nachschrift. Ich wurde durch Edwin unterbrochen. Er wollte mir seine Verse vorlesen. Da machte sich das Gefühl unaufhaltsam Bahn. Ich schüttelte den Kopf und sah ihn mit einem flammenden Blicke an und sagte: „Wenn Du mich liebst, Edwin, verbrenne diese Blätter, streue die Asche in alle Winde, schreibe der Frau des Chefs, Du hättest Dich anders entschlossen, könntest, wolltest nicht ... gieb der Absage eine Form, wie sie Dir beliebt, wie sie am wenigsten verletzend erscheint, aber laß sie noch heute abgehen! Jeder Tag des Zögerns, ich fühl’s, thürmt die Scheidewand zwischen uns höher, und zuletzt wird kein guter Wille mehr sie einreißen können.“

Er sah mich erst sehr verwundert an und schien dann über den Ausdruck meines Gefühls zu erschrecken. „Aber so begreife doch,“ stammelte er, „daß Du mir etwas geradezu Unsinniges zumuthest. Wenn ich hätte ahnen können ... aber diese Erwägung ist jetzt nutzlos. Ich habe ein Versprechen gegeben und muß es als Ehrenmann halten. Bräche ich Frau Hermia mein Wort, sie wurde an keine Ausrede glauben; ganz vergeblich würde ich mich bemühen, ihr zu verbergen, weshalb es geschieht. Soll ich mich Deiner Laune wegen vor ihr, vor dem ganzen Kreise lächerlich machen? ‚Die Frau erlaubt’s ihm nicht!‘ Und wenn ich darüber hinwegsehen wollte, glaubst Du, daß Deine verhaßte Gegnerin ungestraft mit sich ein solches Spiel treiben lassen würde? Sie hat großen Einfluß auf ihren Mann, von dem ich abhänge. Unsere Existenz wäre bedroht. Nimm’s ganz so ernst! Wie hast Du Dich nur in diese Thorheit so tief hineinreden können?“

„Ich nehm’s ganz so ernst, Edwin,“ antwortete ich, ohne meine Haltung zu verändern. „Aber es steht jetzt nicht mehr in Frage, welche Nachtheile wir erleiden. Für mich giebt’s nur einen Verlust: zu wissen, daß Du mich nicht liebst. Und ich weiß, Du liebst mich nicht, wenn Du mir dies versagst. Sprich nicht dagegen, ich bin durch Gründe nicht umzustimmen. Du sollst mir etwas zu Liebe thun, es giebt für mich gar keine andere Rücksicht. Sei überzeugt: wie ich mich auch dagegen wehre, Du verlierst mich auf ewig, wenn Du Dich diesmal nicht beugst. Dieses eine Mal!“

Edwin lächelte ungläubig und schüttelte den Kopf. Er reichte mir die Hand und sagte: „Sei verständig, Liebchen!“

„Ich kann nicht!“ entgegnete ich, drehte mich um und verließ ihn.




15.

Du hast für nöthig befunden, liebste Freundin, Deinem letzten Brief große Eile zu geben. Ich habe ihn wirklich durch einen Expressen erhalten und bin so den andern Empfängern derselben Post um ein paar Stunden voraus. Es sind das gerade die Stunden um das Frühstück herum, wo Mann und Frau auch außerhalb der Flitterwochen zusammen auf dem Sofa zu sitzen und bei der Tasse Kaffee die wichtigsten Vorbesprechungen für den Tag zu halten pflegen. Es ist sehr häßlich. wenn dieses Plauderstündchen verödet, Mann und Frau zwar ihre gewohnten Plätze einnehmen und in gewohnter Weise für ihr leibliches Wohl sorgen, aber steif wie die Götzen dasitzen und das Sprechen verlernt zu haben scheinen – puh! Das hast Du freundlich bedacht und vielleicht das Weitere auch, daß dieses Stündchen, wie kein anderes, geeignet ist, einen siegreichen Kampf mit dem garstigen Schmollteufel zu bestehen und ihn gründlich auszutreiben. Deshalb sollte Deine Standrede so früh kommen und mich zur Besinnung bringen, bevor das braune Naß duftete. Nicht nur hindern wolltest Du, daß der Zwiespalt sich schärfte, sondern in mir eine wohlthätige Friedensstimmung vorbereiten. Ich verstehe die gute Absicht, ich bin Dir dankbar, ich habe wirklich Gericht über mich gehalten, aber ...

Du giebst mir Unrecht, Du warnst. Ja, wenn mir’s an Einsicht fehlte! Das Leiden ist doch, daß ich einmal bin, wie ich bin. Und wenn ich äuf einem Irrweg wäre, der zum Abgrund führt, und es ständen rechts und links Warnungstafeln – ich habe das ganz sichere Gefühl, daß ich nicht aus eigener Kraft zurückkann. Es giebt nur die eine einzige Möglichkeit der Rettung daß sein Arm mich faßt und sein Mund mir sagt: die Liebe ist stärker als alle Vernunft. Siehst Du, Toni, ich kann wirklich nicht zurück. Seinetwegen! Wenn ich diesmal nachgeben müßte, wär’s aus mit meiner Herzensneigung für alle Zeit. Ich könnte nicht mehr los von dem Gedanken, daß die Probe versagt habe. Ueber allen Sonnenschein meines Lebens würde sich dieser finstere Schatten breiten und mein Auge trüben. Ich könnte der reichsten Gaben nicht mehr froh werden; jede goldigste Frucht wäre mir von einem Wurm angefressen. Alles, was liebenswürdig an mir ist, müßte eintrocknen, alles Abstoßende mehr und mehr eckig auswachsen. Ich würde mir bald selbst unausstehlich sein. Und was hätte Edwin dann von seiner Frau? Nein, nein! ich kann nicht zurück.

Das habe ich ihm nun offen heraus gesagt. Sehr ernst, sehr streng. Er sollte wissen, daß da gar nichts zu ändern ist, und sich nicht unnütz mit trügerischen Hoffnungen hinhalten. Das war am wenigsten grausam. Nun ich entschlossen bin, meinen Willen durchzusetzen, durfte er nicht im Zweifel bleiben, daß jedes Hinzögern ihm den zuletzt doch nothwendigen Schritt erschwerte. Ach Gott, ich möchte ihm ja so gern goldene Brücken bauen. Aber ich weiß jetzt: er betritt sie nicht. Sie wären ihm ein Beweis, daß ich selbst mich schwach fühle, zum Rückzuge noch zu bewegen sei, wenn er fest bleibe. Ich muß mich stark zeigen, damit er sich leichter überzeugt, dies eine Mal schwach sein zu müssen. Ich liebe ihn ja so sehr!

Hermia oder ich!

Da steht’s und ist nicht mehr auszulöschen. Das ist die Schlußformel, in die sich das ganze Tohuwabohu von Erwägungen und Empfindungen verdichtet. Hermia oder ich! Das heißt ...

Sie sagt doch nicht, was sie sagen will. Sie sagt mindestens noch etwas anderes, als was sie sagen soll. Du wirst rufen, nun ist es heraus: Eifersucht, nichts als Eifersucht! Und ich kann Dir doch mit reinstem Gewissen zuschwören, nie hat sie mich so wenig gepeinigt. Es wäre mir eine Wohlthat, wenn ich mich auf dieser Schwäche ertappen könnte. Denn ich würde mich rasch auslachen. Nein, Frau Hermia ist nicht die Frau, an die Edwin auch nur einen Blutstropfen seines Herzens verlieren könnte. Ich kann mich nicht einmal zu der Befürchtung reizen, daß er ein wenig verliebt in sie sei. Ich gestehe, ich hab’s versucht, aber es gelingt nicht. Was ich ihm bin und was Frau Hermia ihm ist, steht so getrennt, daß es für mich unter diesem Gesichtspunkt nie zusammenrücken kann. Und doch bedeutet dieses: sie oder ich! etwas. In zwei Personen verkörpern sich zwei Machteinflüsse, die einander nicht dulden können. Hermia vertritt hier das, was im Gesellschaftsleben unter dem Zwange gefälliger Rücksichtnahme rücksichtslos den Tribut des Talents für selbstsüchtige Zwecke fordert. Warum soll es von seinem Reichthum nicht abgeben – wenn es sein kann, verschwenderisch abgeben? Nur darf die Persönlichkeit nicht darunter leiden. Das muß Edwin verstehen. Und wenn nun die Frau, die ihn liebt und die er liebt, der naturgemäß zunächst diese Persönlichkeit am Herzen liegt – berechtigt oder unberechtigt – im besonderen Falle Einspruch erhebt, soll da nicht die höhere Rücksicht gelten, die er ihr schuldet? Das ist mir ein Glaubenssatz. Und darum sage ich: Hermia oder ich. Diese Hermia kann im Laufe der Zeit tausend Gestalten annehmen, ich bleibe immer dieselbe. Wem gehört Edwin, wenn es darauf ankommt? Mir oder diesem Phantom, das sich noch tausendmal seiner zu bemächtigen suchen wird. Einmal muß ich Sieger bleiben; es ist dann nicht mehr gefährlich.

Weiß ich nur, daß er mich liebt –!

Ich habe ihm das alles gesagt. Er kann nicht zweifeln, daß eine Sinnesänderung bei mir unmöglich ist. Er ist wiederholt aufgesprungen und im Zimmer umhergelaufen, aber angehört hat er mich. Und dann –

Ja, dann war’s doch wieder nichts. „Ueberzeugt das Dich selbst?“ fragte er. „Schwerlich. Du willst Deinen Willen haben, leidenschaftlich – nichts weiter. Und wenn Du ihn gehabt hättest, würde ich Dir nicht mehr sein, der ich Dir bin, würde es nie wieder werden können. Bezwinge Dich!“

Was sagst Du zu solcher Verstocktheit und Hartnäckigkeit, Toni? Ich lasse aber nicht nach.

[195]
16.

Auf diese Weise war nicht vorwärts zu kommen. Der Fels erwies sich zu hart, ich selbst rieb mich auf. Ich sah ein, daß meine Strenge seinen Eigensinn nur stärkte. Gewiß verwünschte er längst die ganze Wohlthätigkeitsvorstellung und hätte gern nachgegeben. Aber sich’s abtrotzen lassen –? Das nicht!

Ich selbst wurde weich – das wird Dir gefallen, Toni – legte mich aufs Weinen, aufs Bitten. Ich weinte, daß es einen Stein hätte erbarmen müssen – mir war wirklich so kläglich zu Muth. Ich bat herzlich ... alles vergebens!

Er nahm mich in seinen Arm, er küßte mich, er streichelte mir das Haar, wie er’s sonst so gern that, er trocknete mir die Thränen, er gab mir wieder die gewohnten Kosenamen. Seine Stimmung erheiterte sich von Minute zu Minute. Ein Alb schien ihm von der Brust genommen. Und was antwortete er? „Ich sehe zu meiner herzlichen Freude, daß die Krisis überstanden ist. Noch kurze Zeit, und Du selbst wirst eingestehen, daß Du ein Närrchen warst. Bitte nicht, Liebchen! Du siehst ja doch, daß ich Deinen Wunsch nicht erfüllen kann. Er erscheint Dir sicher selbst schon gar nicht mehr wichtig. Wirf allen Unmuth ab! Sei wieder mein gutes, liebes Weib! Laß uns glückliche Menschen sein!“

[196] Ach Toni, wie es in mir aussieht –! Ich kann Dir’s gar nicht beschreiben. Ich komme auf Gedanken ...

Giebt’s denn wirklich kein Mittel, diesen Widerstand zu brechen? Ist eine Frau so ohnmächtig? Und man sagt doch ...

Ich will diesen Brief auf der zweiten Seite schließen. Wer weiß, was ich Dir sonst noch für häßliche Geständnisse zu machen hätte?




17.

Ich bin nicht eitel, Toni, Du kannst mir’s bezeugen. Aber ich habe heute früh, als ich mich ankleidete, lange vor dem Spiegel gestanden. Der Frisiermantel war mir von den Schultern geglitten, ich kämmte das aufgelöste wellige Haar über Arme und Nacken. Und zum ersten Male kam mir die Frage: bist Du schön, und welche Macht übt Dein körperlicher Reiz? Wenn Du Dich Deinem Mann so zeigtest mit einer Bitte auf den Lippen ... Nein, nicht einmal so. Wenn Du Dein Gesicht lieblich lächeln, Deine Augen zärtlich locken, Deine Hände sanft streicheln, Deine Arme sich verlangend ausbreiten ließest – könnte er Dir etwas abschlagen?

Ich erröthete bis zur Stirn hinauf – auch das sah ich im Spiegel. Und ich fragte mich, wenn ich so vor meinem Mann erröthete ...

Ach, es ist abscheulich! Ist es nicht abscheulich, so auch nur wach zu träumen?

Ich kenne mich gar nicht mehr.

Du hast mich manchmal „eine alte Jungfer“ genannt, Toni – damals, als wir beide so um die sechzehn Jahre herum alt waren. Ich trug gern Kleider, die ganz oben um den Hals dicht schlossen; es war mir stets ein unbehagliches Gefühl, mich für den Ballsaal ankleiden zu müssen; ich hob immer auf der Straße bei schlechtem Wetter oder beim Absteigen von der Pferdebahn so „komisch vorsichtig“ den Rock, wenn ich mich beobachtet glauben durfte. So ist es noch immer. Denke Dir, ich lösche im Schlafzimmer stets halbbekleidet das Licht und dulde auch keine noch so diskrete Nachtlampe. Zimperlichkeit ist sonst nicht mein Fehler, auch im Umgang mit Männern nicht. Und nun gar mit meinem Mann! Nein wirklich, er hat sich nie darüber zu beklagen gehabt. Aber ihn in mich verliebt zu sehen hat mich allemal so ganz eigen beunruhigt. Und ihn in mich verliebt zu machen – nein, Toni, das hätte ich nicht über mich gebracht, und wenn mir dafür alle Schätze Golkondas gewinkt hätten. Dafür erst recht nicht! Aber auch nicht einmal, um ihm die unschuldigste Kleinigkeit abzuringen. Die Scheu mich hinterher vor mir selbst schämen zu müssen – Du begreifst das. Was er mir nicht aus Liebe that, behielt für mich keinen Werth. Nie habe ich seiner Zärtlichkeit irgend ein Zugeständniß verdanken mögen; und ich unterschied da sehr scharf. Sehr scharf! Vielleicht ganz unbewußt. Wirklich ganz unbewußt. Erst jetzt denke ich darüber nach, wo ich allen Ernstes überlege ...

Was verkehrt so meine ganze Natur? Das immer leidenschaftlichere Verlangen, in diesem aufgezwungenen Wettkampf mich zu behaupten, macht mich krank – sterbenskrank. Ich fiebere, ich phantasiere. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ein üppiges Weib tanzen um das Haupt Johannes’ des Täufers. Es ist eine dämonische Gewalt, was mich aus aller Fassung bringt. Kann ich etwas gegen sie?

Weil ich noch daran glaube, schreibe ich Dir das alles, meine Gedanken zu reinigen. Du bist meine Freundin.

Ich müßte zu tief hinunter! Edwin etwas ablisten, abschmeicheln, von den Lippen küssen – – Wie ich bin, wär’s ein Wagniß auf Leben und Tod. Bliebe er standhaft, so wäre ich mir rettungslos verloren.

Ich zittere, daß er standhaft bleiben könnte.

Aber er wäre der erste Mann ...

Ich habe die Feder zerstampft. Nur noch mit Bleistift: Gute Nacht, Liebste!




18.

Telegraphische Depesche.

Triumph, Triumph! Das Ziel ist erreicht. Wie glücklich ich bin! Brief folgt.




19.

Der Brief, den ich Dir versprochen habe, ist eigentlich ganz überflüssig, liebe Toni. Edwin hat nachgegeben, das sagt alles. Das Schreiben an Frau Hermia chaben wir gemeinsam redigiert. Jeder Satz hat ihm zehn Seufzer ausgepreßt. Er ist unglaublich schwerfällig, wenn es gilt, ein paar Redensarten zu drechseln. Das soll alles nicht auf die gewöhnliche Art gesagt werden! Und wer es liest, nimmt doch nur den Sinn heraus. Gnädige Frau, ich habe mich anders besonnen. Was weiter?

Denke doch nur nicht, Liebste ... Herr Gott! was mag ich Dir neulich für Unsinn geschrieben haben? Mir wird ganz heiß. Ich hoffe, daß Du den Brief verbrannt haben wirst. Wenn nicht, so thu’s sogleich. Ueberhaupt verbrenne stets meine Briefe. Sie sind nur für Dich, und sie wollen auch von Dir nur einmal gelesen sein. Ich glaube wirklich, Du bildest Dir ein ... Das hat man nun von der Aufrichtigkeit.

Meine Nerven waren überspannt, leisteten mir schlechte Dienste. In den letzten Tagen fürchtete ich wirklich mitunter, um den Verstand zu kommen. Du kannst Dir so einen Zustand gar nicht vorstellen. Man verwildert vollständig. Es giebt Zahnschmerzen, die einen ganz toll machen; man will nur Ruhe haben und wählt endlich die gefährlichsten Mittel in halber Bewußtlosigkeit. Und wenn es den Kopf kosten sollte! Aber denke nicht ... Ja, was?

Es machte sich eigentlich ganz von selbst. Ich hatte ja schon zu Blicken und Thränen meine Zuflucht genommen. Wie wenig fehlte da, daß mein Herz weich wurde und seine Sprache zu reden anfing, die sich bekanntlich nicht nur aus Worte zusammensetzt. Und Edwin war längst mürbe geworden. Es sah nur noch so aus, als ob er seine Unerschütterlichkeit behauptete; innerlich waren die Stützen wankend geworden. Und wie ich nun mit sanfter Hand ... Es war mir wirklich Bedürfniß, dem lieben Menschen zu beweisen, daß ich ihm gut sei. Und weißt Du – ich selbst war nahe daran, schwach zu werden und in seinen Armen opfermüthig zu bekennen, daß ich eine rechte Thörin gewesen und ihn gewähren lassen wolle, wenn ich nur seiner Liebe versichert bleibe. Vielleicht nur noch wenige Minuten ... Aber es ist besser so. Nicht wahr? Es ist besser so. Es war doch ein großer, unvergeßlicher Augeblick! Und wer weiß, ob ich die Seelenstärke gehabt hätte, nicht zu bereuen.

Wird Edwin sie besitzen? Ich hoffe es. Ach! ich will es ihm ja so leicht machen ...

Ganz freilich gefällt er mir heute nicht. Es ist, als ob es ihm Mühe verursachte, den Kopf hoch aufzurichten, wie er sonst pflegt. Er ist sehr still und leicht gereizt, wenn ich ihn zu erheitern bemüht bin. Sein Blick hat etwas Flimmerndes, und alle seine Bewegungen sind schlaff wie von übergroßer Ermüdung. Natürlich beobachte ich ihn aufmerksam. Das scheint ihm nicht lieb zu sein. Und doch entzieht er sich mir nicht. Sicher fühlt er, daß er mir den Beweis schuldig ist, allen Unmuth abgeschüttelt zu haben. Das kostet ihn aber größere Anstrengung, als er selbst wahr haben möchte. Ich habe dafür durchaus Verständniß. Es ist ja doch das erste Mal, daß er seiner kleinen Frau zuliebe – nun, meinetwegen eine Thorheit begangen hat. Es sollte ja auch nur eine Thorheit sein. Denn wenn er in einer wirklich wichtigen Sache gegen seine Ueberzeugung nachgegeben hätte – ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen könnte. Heute jedenfalls wohl nicht mehr.

Ueberhaupt, liebste Freundin, es ist wunderlich, was der Mensch für ein unzuverlässiges Geschöpf ist. Wenn ich nicht ganz scharf meine Gedanken zusammennehme, bilde ich mir heute ein, daß ich gestern im Innersten gar nicht so wild darauf versessen war, mein Stück durchzusetzen. Und das ist gewiß: wenn Edwin widerstanden hätte, ich würde es überwunden haben. Aber es ist doch besser so. – – –




20.

Kannst Du Dir eine solche Bestialität als möglich vorstellen, Toni? Edwin ist seine Stelle gekündigt worden. Mit drei Monaten Frist. Aber er hat sofort erklärt, daß es seinen Wünschen entsprechen würde, das Amt in den nächsten Tagen schon seinem Nachfolger übergeben zu können. Er entbinde den Chef gern von seiner kontraktlichen Pflicht, die unter den jetzigen Umständen zu erfüllen ihm selbst nur eine Pein sein würde.

[198] Aber was sagst Du zu solcher Bestialität! Habe ich die edle Dame richtig geschätzt? Natürlich ist kein Grund angegeben. Soweit hat ihr Einfluß denn doch nicht gereicht, den Herrn Gemahl zu bestimmen, ihm die Beschuldigung der Untauglichkeit an den Kopf zu werfen. Er hätte sich damit doch auch zu lächerlich gemacht. Kein Grund ist aber auch ein Grund, und in diesem Falle ein sehr durchsichtiger. Ach – – ich könnte ihr die Augen auskratzen!

Du hättest sehen sollen, Toni, mit wie ruhiger Miene Edwin mir die Hiobspost überbrachte! Keine Muskel des Gesichts verzog sich, mit keinem Worte deutete er an, daß er mir eine Schuld bei diesem Mißgeschick beimesse. Er wollte nicht einmal zugeben, daß es sich um ein solches handle. „Es ist wahr,“ sagte er lächelnd, „augenblicklich sitzen wir wie die Vögel auf dem kahlen Aste, und ein so bequemes Nest werden wir nicht so leicht wieder finden. Aber die Welt ist ja groß, und es erscheinen viele Blätter. Irgendwo werde ich doch ankommen. Und fürs erste hat es vielleicht sein Gutes, daß ich mich wieder einmal ganz ungetheilt meiner eigenen Produktion hingeben kann. Die schönsten Entwürfe sind liegen geblieben. Freilich werden wir uns einschränken müssen. Ich arbeite langsam und nach meiner Art immer nur für einen engeren Kreis von Verstehenden; dafür heimst man nicht glänzende Honorare ein. Nun – ein Vogelmagen ist ja nicht groß; und daß er jemals knurrt, fürchte ich nicht.“

Der liebe Mann! Er wollte mich beruhigen. Aber ich nahm den Schlag nicht so philosophisch hin. Ich brach in die heftigsten Scheltreden gegen das übermüthige Volk los, das sich vom Geldsack herunter so etwas glaube ungestraft erlauben zu dürfen. Der Zorn und Aerger preßten mir Thränen aus. Ich überhäufte mich selbst mit Vorwürfen, dieses Unheil herbeigeführt zu haben. Ich konnte mir nicht genug darin thun, meine Ansichten verschroben, meine Bestrebungen kindisch, meine Handlungsweise abscheulich zu nennen. Und zuletzt im Eifer fiel ein Wort –

Das Wort hätte lieber nicht fallen sollen. „Wenn Du doch Deinen Willen behauptet hättest!“ fuhr’s mir heraus.

Ich sah, daß er erschrak. Seine Lippen zuckten. Und dann blickte er mich so traurig an ... Es ging mir durch Mark und Bein. Ich warf mich an seine Brust und bat: „Verzeih’, verzeih’! Es war so nicht gemeint. Ich bin ja die glücklichste Frau. Nur Deinetwegen ...“

Ich hoffe, meine Küsse haben ihn überzeugt.

Ist’s aber ein Wunder, wenn einen so eine Erfahrung einen Augenblick außer sich bringt? – – –




21.

Fünf Wochen später.

Erinnerst Du Dich, Toni, daß ich Dir einmal schrieb, wie ich mir das Leben mit Edwin gedacht hätte, bevor wir förmlich verlobt waren? Ich glaube, ich sagte Dir, daß es mich gar nicht sehr freudig überraschte, als ich dahinter kam, er habe mit der Erklärung gewartet, bis er mir eine gesicherte Stellung anbieten könnte. Ich schalt ihn deshalb philiströs, vermißte die dichterische Vertrauensseligkeit. Ich hätte mich in ein lustiges Wolkenkuckucksheim hineingeträumt, in dem es uns wohl sein sollte, und empfand es wie einen tiefen Abfall von dem Ideal einer so himmlischen Existenz, nun recht kleinbürgerlich von dem reichlichen Jahresgehalt eines Redakteurs, zahlbar in vierteljährlichen Raten, zehren zu sollen.

Nun hätte ich ungefähr, was ich mir wünschte. Noch nicht ganz freilich, aber die Zeit läßt sich schon absehen, in der wenig mehr fehlen wird. Erspart haben wir gar nichts. Was wir hatten, haben wir gerade so verbraucht. Das Wirthschaftsgeld ist bereits recht knapp geworden, da wir vorläufig von den Vorschüssen eines knauserigen Verlegers leben müssen. So lange wir die jetzige, für unsere Verhältnisse zu große Wohnung behalten müssen, können wir auch das Mädchen nicht auslohnen. Später werde ich mich mit einer Aufwärterin behelfen oder selbst die Magd spielen. Wir haben uns schon um einen Abmiether bemüht und hoffen, ihn außer der Zeit zu finden. Wie ich freilich unsere schönen Sachen, Edwins Bibliothek und alle die Bilder, die er aus Liebhaberei angeschafft hat, in einem viel engeren Raume unterbringen soll, ist mir noch ein Räthsel. Wir werden verkaufen müssen. Ich weiß nur nicht, was? Am Ende ist nichts überflüssig. Und wie es Edwin gefallen wird, wenn ich ihm mit rauhen Händen das Kinn streichle ...

Es wäre doch gut, wenn Edwin wieder eine feste Stellung erhielte. Das Gehalt könnte ja allenfalls etwas geringer sein; man würde sich danach einrichten. Aber so lediglich von der Hand in den Mund ... Ja, damals wär’s anders gewesen. Nun hat man das bequeme Leben gekostet, sich an allerhand Bedürfnisse gewöhnt ... die Zukunft beunruhigt mich doch ein bißchen.

Die besseren Posten sind überall besetzt, und zu tief hinabzusteigen scheut Edwin sich mit Recht. Er schreibt Briefe auf Briefe – immer ohne Erfolg. Das ist eine sehr lästige Arbeit, und ich höre ihn auch oft genug seufzen, wenn wieder dieselbe Litanei gesungen werden muß. Die gute Laune zur dichterischen Beschäftigung wird ihm gewöhnlich schon am Morgen für den ganzen Tag verdorben. Du kannst Dir denken, daß er sich dann am Abend zwingen muß, heiter zu erscheinen. Ich fürchte, wir gehen einer recht trüben Zeit entgegen.

Ich selbst bin oft trübe gestimmt. Wenn uns diese Prüfung ohne unser Verschulden getroffen hätte, wie ganz anders würden wir ihr ins Gesicht sehen! Jetzt fragt man sich doch immer: war’s nöthig? Das heißt – ich frage so, und ich fürchte, Edwin läßt nur die Frage nicht laut werden, um mich zu schonen. Ich habe Augenblicke, in denen ich wünsche, er möchte einmal die Geduld verlieren und gegen mich recht ärgerlich losfahren, daß kein Hund mehr ein Stück Brot von mir nähme. So recht tüchtig moralisch durchgeprügelt zu werden, das wäre mir eine Wonne. Ich könnte ihm die Hand dafür küssen. Und hinterher wüßte ich doch, daß ich wieder einen Mann hätte.

Einen Mann, der mein Herr wäre! Es steht ja geschrieben: er soll dein Herr sein. Und so etwas wie Unterwerfung unter seinen Willen geloben wir Frauen ja wohl auch am Altar. Das ist eine altmodische Formel, sagt man, und es wäre auch recht lächerlich, wenn der Mann sich auf sie beriefe. Soll sein! Was heißt das? Es greift da keine Vorschrift durch, mag sie sich auch auf biblische Autorität stützen. Aber wie ich jetzt das Verhältniß ansehe, möchte ich glauben, daß die Frau es stets als eine Wohlthat empfinden wird, wenn der Mann zugleich der Herr ist, durch die Ueberlegenheit sittlicher Kraft seinen Willen zum bestimmenden macht. An ihm hat die Frau einen Halt und die Zuversicht der Dauerhaftigkeit dieses Halts. Sie sägt den Ast ab, auf dem sie sitzt, wenn sie diesen Halt zu schwächen sucht. Es ist etwas um die Furcht, die im Grunde der Seele Liebe ist. Das klingt sehr orthodox. Aber wer an sich selbst erfahren hat ...

Was? Ich sträube mich einzugestehen, daß sich in uns etwas verändert hat. Und doch – ! Es ist wahr, an dem Aste hatte ich gesägt. Hoffentlich doch nicht tief hinein. Und er ist stark, die Wunde verwächst sich. Könnte ich nur vergessen, ganz vergessen, daß ich einmal ... Und wer fagt mir, daß sich die Versuchung nicht wiederholt? Wer giebt mir die Zuversicht zurück, daß diese Stütze nicht wankt? Ich sehe sie wanken, weil ich sie wanken sah. Und wenn ich nicht mehr zu einem Herrlichen aufblicke ... Ich schrieb das Wort so hin, und jetzt erst merke ich, was es bedeutet: das „Herr“ steckt darin. So bewegen sich meine Gedanken immer im Kreise.

Es ist mein Unglück, daß ich mir Gedanken mache. Und vielleicht sein Unglück! Er kannte mich; er hätte vorhersehen können, daß er recht behalten mußte. O, das ist ungerecht, sehr ungerecht, ich fühle es. Aber was nützt diese Einsicht? Wenn das kranke Kind die bittere Medizin nicht nehmen will und so lange schmollt und schmeichelt, bis die Mutter schwach wird, und nun zeitlebens das Siechthum behält – ist die Frage abzuweisen: warum zwangst du mich nicht? Kann sein, der Vergleich hinkt. Aber Du wirst mich verstehen. Wenn meine Mutter so an mir gehandelt hätte und sie entschuldigte sich damit, daß sie mir ja den Willen gethan, ich weiß nicht, ob meine Liebe und Verehrung ... Ach, Toni, es überkommt mich mitunter eine Angst –! Was soll das werden? – – –




22.

Acht Monate später.

Du hast mir lange nicht geschrieben, liebste Freundin, und es wundert mich durchaus nicht, denn ich habe recht unartig Deine Briefe unbeantwortet gelassen. Ich hätte Dir wenigstens danken und mittheilen sollen, daß unser Briefwechsel vorläufig ein Ende haben müsse. Er war recht unerquicklich geworden und für [199] Dich peinlich, nachdem das heitere Spiel mit Enthüllungen, Anklagen und Vertheidigungen in bitteren Ernst sich umgewandelt hatte. Meine Schreibseligkeit verführte mich schon zu freundschaftlichen Offenbarungen, die nach Deiner eigenen Meinung nicht mehr verträglich schienen mit der Pflicht, Störungen des ehelichen Friedens auch vor unseren Nächsten geheim zu halten. Ich hatte mich in diese kleinen Indiskretionen so hinein geplänkelt, daß der Rückzug später schwer wurde. Ich glaube, ich wollte mich begreiflich machen, und zuletzt mußte ich doch erkennen, daß das ein recht eitles Bemühen ist. Man sagt immer zu wenig und zu viel, und der letzte Grund unseres Handelns ist unaussprechlich.

Nun aber zwingt mich’s wieder zu Dir: ich nehme einen Freundschaftsdienst in Anspruch, der nicht gering ist. Deshalb mußt Du erfahren, was mich dazu veranlaßt.

Es ist uns sehr schlecht ergangen – mit jedem Tage schlechter. Edwin fand trotz aller Bemühung keine Stelle, die ihm zusagen konnte. Er wechselte mehrmals rasch und wurde so zu kostspieligen Umzügen genöthigt, die ihn in Schulden brachten. Er mußte als politischer Redakteur thätig sein, wozu er keine Neigung, kein Geschick hatte. Für ein wahres Lumpengeld verlangte man eine ungemessene Arbeit und den Verzicht auf jede Selbständigkeit der Gesinnung. Ueberall wog die geschäftliche Rücksicht vor, wurde in der kleinlichsten und jämmerlichsten Weise lediglich auf den äußeren Vortheil spekuliert. Und dazu Edwin mit seinen idealistischen Anschauungen und dichterischen Neigungen! Ich hätte ihm tausendmal zurufen mögen: wirf ab, was Dir den Rücken drückt, stelle Dich frei! Aber wie durfte ich das? Er mußte leben und – hatte eine Frau zu versorgen. Es wurde mir mehr und mehr eine traurige Pflicht, ihn zum Ausharren zu ermuthigen, zu neuen Bemühungen anzutreiben, zur Fügsamkeit gegen die traurigste Nothwendigkeit zu überreden. Er beugte sich immer wieder, aber mit immer schwererer Ueberwindung. Je mehr er die Herrschaft über sich verlor, um so fester mußte ich die Hand auf die Zügel legen. Endlich versagte er jeden weiteren Schritt auf diesem Wege, nicht aus kräftiger Gegenwehr, sondern aus völliger Uebermüdung. Er erklärte, mit der dürftigsten Häuslichkeit zufrieden sein, aber freie Zeit zu selbstgewählter Thätigkeit gewinnen zu wollen. Er habe ein Werk geplant, das ihn wieder auf die Höhe stellen müsse; aber es könnten viele Monate vergehen, bis es druckfertig sei. Hätte das seinen Verleger gefunden, so wäre uns geholfen.

Ich war innerlich überzeugt, daß so nicht geholfen werden konnte. Edwin hätte imstande sein müssen, dem Bedürfniß der breiten Masse entgegenzukommen, seine reichen und gediegenen Kenntnisse feuilletonistisch zu verwerthen, leichtfertige Romane zu schreiben. Dazu fehlt ihm die Begabung. Und nun in dieser Gemüthsunruhe –! Ich mußte ihn doch gewähren lassen.

Wir verkauften, was uns irgend noch entbehrlich war. Wir mietheten ein Stübchen mit Kochraum im Hinterhause vier Treppen hoch. Ich verschaffte mir einen kleinen Verdienst durch Handarbeit für Läden. Es war ein Hungerbrot. Und es geschah, was ich vorausgesehen hatte: Edwin zermarterte seinen Kopf am Schreibtisch und brachte nichts aufs Papier, was ihn befriedigte. Er behauptete, meine Nähe störe ihn, lasse seine Gedanken nicht zu sich selbst kommen. Zu meinem Schrecken bemerkte ich, daß er immer wieder zum Anfang zurückkehrte, denselben Satz immer wieder anders formulierte. Und eines Abends war es gewiß, daß ein Nervenfieber ihn erfaßt hatte, daß er am nächsten Morgen nicht mehr die Feder zur Hand nehmen werde. Das war ein furchtbarer Schlag.

Ich will nicht versuchen, Dir die nun folgende Leidenszeit zu schildern. Die Krankheit dauerte viele Wochen lang an. Hätte sich der menschenfrenndliche Armenarzt nicht weit über seine amtliche Pflicht hinaus unserer angenommen, ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre. Mehrmals war ich schon nahe daran, Dich um eine Unterstützung anzugehen, aber ich schämte mich, Dir dieses Elend offenkundig zu machen. Ich wußte ja auch, daß Du wenig bemittelt bist – und zuletzt hörte alle Spannkraft auf, ich willigte ein, daß mein Mann ins öffentliche Krankenhaus gebracht wurde.

Vor einigen Tagen ist er daraus als gesund entlassen worden und zu mir zurückgekehrt. Er ist aber nicht gesund, er krankt unheilbar – an seiner Frau. Jetzt erst zeigt sich die ganze Verwüstung unseres Eheglücks. Die Noth wäre vielleicht zu ertragen, aber – wir finden uns nicht mehr zueinander. Edwin schämt sich vor mir – ja, ja! das ist der tiefste Grund seines Leidens. Er betrachtet mich wie eine Last, die ihn nicht mehr frei aufathmen läßt, und ich höre ihn unter ihr keuchen. Er hat nicht einmal mehr den moralischen Muth, mich zu belügen. Er liebt mich nicht mehr.

Und ich –? Mein Benehmen gegen ihn ist häßlich. Ich kann’s nicht überwinden, ihn so in sich selbst erniedrigt zu sehen, mich fortdauernd als seinen Vorwurf zu fühlen. Ich sehe ein, daß ich ihm nur noch ein Hinderniß auf seinem dornigen Lebensweg sein kann, und deshalb bin ich entschlossen – – ihn zu verlassen. Ist er allein, so wird er sich wieder aufrichten, und mein Gewissen kann beruhigt sein.

Ich gebe ihn frei; er soll weiter keine Pflicht gegen mich haben, ganz sich selbst leben können. Bei dieser Trennung will ich der schuldige Theil sein. Deshalb verlasse ich ihn heimlich, und er soll sich trösten dürfen: es ist gut so; sie war dieser Prüfung nicht gewachsen.

Und nun meine Bitte. Nimm mich bei Dir auf, Toni, für die erste Zeit wenigstens. Ich will nicht zu meiner Mutter. Sie würde mich gar nicht verstehen, stündlich mit Vorwürfen quälen, mich um den Rest von Selbstachtung bringen, mit dem ich jetzt doch wuchern muß, um mich zu erhalten.

Ich warte Deine Antwort nicht ab. Könnte sie freudig zustimmend lauteu? So ist’s besser, ich lasse Dir keine Wahl, wie ich selbst keine Wahl habe. Auf baldiges Wiedersehen!




23.

Drei Tage später.

Es ist anders gekommen, Liebste – ganz anders.

Edwin hat mich verlassen.

Und auf Nimmerwiederkehr.

Früh am Morgen wollte ich weggehen. In dieser letzten Nacht aber ...

Der Schlaf hatte mich übermannt, und als ich aufwachte, fand ich sein Bett leer. Auf seinem Kopfkissen lag ein Blatt Papier, mit wenigen Zeilen beschrieben. Sie sagten mir alles.

Ich kam zu spät, seinen unseligen Entschluß zu hindern. Im Schloßteich fand man ihn, nahe dem Schwanennest.

Heute Abend werde ich ihn ganz still begraben. Dann reise ich zu meiner Mutter.

„Nun ist all unser Glück dahin“ 000000

Elsa.