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stand auf dem Boden. Der Langbart griff mit den Händen nach seinem Kopf. Der löste sich, und er stellte ihn auf das Bett. Darauf nahm ihn Atsi an den Armen. Die gingen ebenfalls ab, und er legte sie sorgfältig an ihren Platz daneben. Dann warf sich der Alte quer über das Bett. Atsi faßte ihn um den Leib, der unter der Hüfte abbrach und sich in zwei Teile teilte, die zur Erde fielen. Die Lampe erlosch alsbald. Starr vor Schrecken eilte der Kaufmann in größter Hast in sein Zimmer zurück, hielt sich den Ärmel vors Gesicht und legte sich nieder. Die ganze Nacht wälzte er sich schlaflos umher. – In der Ferne hörte er einen Hahn krähen. Er fröstelte. Er nahm den Ärmel vom Gesicht und sah, daß es am Himmel zu dämmern begann. Er blickte um sich, da lag er mitten in dichtem Gestrüpp. Ringsum war Wildnis, nirgends ein Haus, nirgends ein Grab zu sehen. Trotz der Kälte lief er wohl drei Meilen weit, bis er an die nächste Herberge kam. Der Wirt öffnete eben die Tür und fragte verwundert, woher er so früh komme. Er erzählte seine Erlebnisse und forschte nach, was das für eine Stelle sei, wo er die Nacht zugebracht. „In der ganzen Gegend hierherum sind alte Schlachtfelder,“ war die Antwort, „man sieht hier manchen Spuk.“


72. Die Grabschänder

In Hangtschou war ein Mann namens Dschu. Der lebte vom Gräberraub. Er hatte sechs, sieben Gesellen um sich versammelt. Zur tiefen Nachtzeit, wenn alles schwarz und dunkel war, nahmen sie die Hacken zur Hand und durchstreiften die Gegend. Sie waren unzufrieden, daß sie viel mehr trockenes Gebein fanden als Gold und Silber. So richteten sie eine Geistertafel her, um zu erkunden, wo Schätze verborgen seien.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_212.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)