Die Nacht auf dem Schlachtfeld

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Nacht auf dem Schlachtfeld
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 210–212
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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71. Die Nacht auf dem Schlachtfeld

Es war einmal ein Kaufmann, der mit seinen Waren vom Süden nach Schantung wanderte. Es war etwa um die zweite Nachtwache, da erhob sich ein heftiger Nordsturm. Er sah zur Seite der Straße eine Herberge, deren Lichter eben angezündet wurden. Er ging hinein, um einen [211] Trunk zu sich zu nehmen und bestellte Nachtquartier. Die Leute in der Herberge machten Einwände. Ein alter Mann hatte Mitleid mit seiner peinlichen Lage und sprach zu ihm: „Wir haben eben ein Mahl aufgetragen für Krieger, die von weither kommen, und haben keinen Wein für Euch übrig. Hier neben ist aber noch ein Zimmerchen, in dem Ihr übernachten könnt.“ Mit diesen Worten führte er ihn hinein. Der Kaufmann konnte vor Hunger und Durst nicht schlafen. Er hörte draußen Lärm von Menschen und Pferden. Da ihm die Sache nicht recht geheuer vorkam, stand er auf und sah durch den Spalt in der Tür, wie die ganze Herberge voll war von Soldaten, die auf der Erde saßen, tranken und aßen und von Kriegszügen redeten, von denen er gar nichts wußte. Nach einer Weile riefen sie einander zu: „Der Feldherr kommt!“ Und ganz in der Ferne hörte man die Rufe der Leibwache. Alle eilten hinaus, ihn zu empfangen. Er sah dann einen Zug von vielen Papierlaternen, und in ihrer Mitte ritt ein langbärtiger Mann von kriegerischem Aussehen. Er stieg vom Pferde, trat ein und setzte sich obenan. Die Soldaten standen an der Türe, seiner Befehle gewärtig; der Wirt trug Wein und Essen auf, das er schmatzend verzehrte.

Als er fertig war, traten seine Offiziere herein, und er sprach zu ihnen: „Ihr seid nun schon lange ausgerückt. Geht zu euren Leuten zurück; ich will auch ein wenig ausruhen. Es ist Zeit genug, weiterzugehen, wenn der Aufbruchsbefehl eintrifft.“

Die Offiziere nahmen den Befehl entgegen und entfernten sich. Dann rief er: „Atsi soll kommen!“ Darauf kam ein junger Offizier von links her aus dem Hause. Die Leute in der Herberge schlossen das Tor und zogen sich zurück. Atsi geleitete den Langbart zu der Türe links hinein, durch deren Spalt der Schein einer Lampe herausdrang. Der Kaufmann schlich sich aus seinem Zimmer und schaute durch die Türspalte ihnen zu. Drinnen war ein Bett aus Bambus ohne Decken und Kissen. Die Lampe [212] stand auf dem Boden. Der Langbart griff mit den Händen nach seinem Kopf. Der löste sich, und er stellte ihn auf das Bett. Darauf nahm ihn Atsi an den Armen. Die gingen ebenfalls ab, und er legte sie sorgfältig an ihren Platz daneben. Dann warf sich der Alte quer über das Bett. Atsi faßte ihn um den Leib, der unter der Hüfte abbrach und sich in zwei Teile teilte, die zur Erde fielen. Die Lampe erlosch alsbald. Starr vor Schrecken eilte der Kaufmann in größter Hast in sein Zimmer zurück, hielt sich den Ärmel vors Gesicht und legte sich nieder. Die ganze Nacht wälzte er sich schlaflos umher. – In der Ferne hörte er einen Hahn krähen. Er fröstelte. Er nahm den Ärmel vom Gesicht und sah, daß es am Himmel zu dämmern begann. Er blickte um sich, da lag er mitten in dichtem Gestrüpp. Ringsum war Wildnis, nirgends ein Haus, nirgends ein Grab zu sehen. Trotz der Kälte lief er wohl drei Meilen weit, bis er an die nächste Herberge kam. Der Wirt öffnete eben die Tür und fragte verwundert, woher er so früh komme. Er erzählte seine Erlebnisse und forschte nach, was das für eine Stelle sei, wo er die Nacht zugebracht. „In der ganzen Gegend hierherum sind alte Schlachtfelder,“ war die Antwort, „man sieht hier manchen Spuk.“

Anmerkungen des Übersetzers

[400] 71. Die Nacht auf dem Schlachtfeld. Quelle: Sin Tsi Hiä.