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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

tatsächlich, wenn wir mit den heiligsten Erscheinungen und gleichsam unkörperlichen Bildern nicht mehr umgehen können, sondern uns wo anders hin wandten und weggingen, brauchen wir ein anderes Licht, das der Sinnlichkeit, das sich für die gesunde Vernunft in gar nichts von der Finsternis unterscheidet. 80 Ging es auf, so erweckte es Gesicht und Gehör, Geschmack, Geruch und Tastsinn wie aus dem Schlafe, Einsicht und Gerechtigkeit, Wissen und Weisheit aber, die gewacht hatten versenkte es in Schlaf. 81 Deshalb sagt die heilige Schrift, es könne niemand rein sein vor dem Abend (3 Mos. 11, 24 u. ö.), da vorher der Geist von den Sinnesbewegungen noch übertroffen wird. Es gibt aber ein auch für die Priester unverbrüchliches Gesetz, in dem er zugleich eine Meinung ausspricht,[1] wenn er sagt: „Er wird (soll) von dem Heiligen nicht essen, bevor nicht sein Körper mit Wasser gewaschen, die Sonne untergegangen und er rein geworden ist“ (3 Mos. 22, 6. 7). 82 Hierdurch zeigt er sehr deutlich, daß niemand ganz unbefleckt ist, so daß er sich den heiligen und ehrwürdigen Weihen unterziehen könnte, wenn er noch soeben dem sinnlichen Glanz des sterblichen Lebens seine Ehrerbietung dargebracht hat. Wenn einer ihn aber nicht anerkennt, wird er folgerichtig vom Licht der Einsicht beleuchtet, durch das er imstande sein wird, die Flecken der eitlen Gedanken abzuspülen und abzuwaschen. 83 Oder siehst du nicht, daß die Sonne selbst bei ihrem Auf- und Untergang Entgegengesetztes bewirkt? Denn wenn sie aufgeht, wird alles auf der Erde beleuchtet, alles auf dem Himmel aber wird verborgen. Geht sie unter, so erscheinen wiederum die Sterne, und das Irdische wird umschattet. 84 Ebenso pflegen sich auch in uns, wenn das Licht der Sinne wie eine Sonne aufging, die olympischen und wahrhaft himmlischen Erkenntnisse zu verbergen, wenn es sich aber zum Untergang neigt, die den Sternen gleichenden, göttlichen Strahlen der Tugend zu erscheinen, sobald auch der Geist rein wird und sich hinter nichts Sinnlichem verbirgt. [15] 85 Der dritten Bedeutung entsprechend nennt er Sonne den göttlichen Logos,[2] der am


  1. In einem Gesetze würde im Griechischen ein Verbot durch μὴ mit dem Imperativ oder dem Coni. aoristi ausgedrückt werden; hier aber sagen die LXX: οὐκ ἔδεται in der Form eines Aussagesatzes. Diesen Unterschied hebt Philo öfter hervor, z. B. Über die Flucht § 171; Ü. d. Trunkenheit 138; s. daselbst die Erklärung Bd. V S. 53, Anm. 1.
  2. Die Gleichsetzung des Logos mit dem Lichte findet sich auch bei Gabirol; vgl. Jacob Guttmann, Die Philosophie des Salomon Ibn Gabirol, WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt 254, 5. Die Gleichsetzung des Christus-Logos mit der Sonne und dem Licht ist in der ganzen christlichen Literatur üblich.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/28&oldid=- (Version vom 7.10.2018)