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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

erzählten gleicht, ist die von den Aloaden. Von diesen erzählt der größte und gefeiertste Dichter Homer, daß sie es unternahmen, drei sehr hohe Berge zusammenzubringen und aufzuschütten, indem sie hofften, durch das Aufeinandertürmen der Berge bis in die ätherische Höhe denjenigen den Weg in den Himmel leicht zu machen, deren Absicht es war, hinaufzusteigen. Die darauf bezügliche Stelle lautet:

„Ossa zu höhn auf Olympos gedachten sie, aber auf Ossa
Pelion, rege von Wald, um hinauf in den Himmel zu steigen“.[1]

5 Olympos, Ossa und Pelion sind Namen von Bergen; der Gesetzgeber dagegen spricht statt dessen von einem Turm, der von den damaligen Menschen erbaut werden sollte, die, von Wahnsinn und zugleich von Hochmut besessen, an den Himmel rühren wollten. Welch furchtbare Verblendung! Ja, vorausgesetzt sogar, man könnte sämtliche Teile der Welt auf einer schmal angelegten Grundlage aufbauen und aufeinanderreihen in der Form einer Säule, sie würde doch noch durch unendliche Zwischenräume von der ätherischen Sphäre getrennt bleiben,[2] besonders nach der Anschauung der tiefer forschenden unter den Philosophen, die darüber einig sind, daß die Erde die Mitte des Weltalls bildet.[3] 6 [3] Es wird außerdem noch eine andere ähnliche Fabel von der Gleichsprachigkeit der Tiere von den Mythendichtern verzeichnet. Es wird nämlich erzählt, daß in der Urzeit sämtliche Land- und Wassertiere sowie die Vögel eine und dieselbe Sprache hatten, und ebenso wie die Menschen, Hellenen mit Hellenen und Barbaren mit gleichsprechenden Barbaren sich unterhalten, so verständigten sich auch sämtliche Geschöpfe bezüglich der gemeinsamen Handlungen und Erfahrungen, sodaß sie


  1. Hom. Odyss. XI, 314. 315 (übers. v. J. H. Voss). Otos und Ephialtes, die riesenhaften Söhne des Aloeus, wollten den Himmel stürmen. Zu diesem Zwecke türmten sie den Ossa auf den Olymp und den Pelion auf den Ossa. Sie wurden wegen ihrer Verwegenheit von Apollo getötet.
  2. Die Griechen unterschieden eine obere und untere Luftschicht. Die erstere ist die ätherische Sphäre (αἰθήρ), der Wohnsitz der Götter. Die andere (ἀήρ) ist die dicke, unreine Luft, die die Menschen atmen. Vgl. Über die Weltschöpfung § 29 u. Anm.
  3. Aristarch von Samos, der das heliozentrische Weltsystem vertrat, fand in der Stoa, insbesondere bei Kleanthes, leidenschaftlichen Widerspruch und konnte nicht durchdringen. – Natürlich unterbrechen die letzten Sätze den Gedankengang der gegnerischen Quelle: den Nachweis der Wesensgleichheit jüdischer und hellenischer Mythen; aber Philo kann eine so unfromme und zugleich unwissenschaftliche Meinung nicht ohne Rüge lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/005&oldid=- (Version vom 1.8.2018)