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an, die sie auch zur darstellung mit den mitteln der bildenden künste fähig machten. Sogar im ausland hat das Kalevala manch einen künstler schöpferisch angeregt, eigentümlich ist ja, dass früher ein tschechisches und russisches als ein finnisches illustriertes Kalevala veröffentlicht worden ist. Und auch die tonkunst hat sich beeilt an der hand von Kalevalamotiven die finnische volkspoesie zu beflügeln.

Und schliesslich die allgemeine wirkung des Kalevalas in Finland! Mehr als ein manifest irgendeines gekrönten hauptes hat es das Kalevala vermocht das finnische volk zur nation zu erheben. Die selbständige arbeit auf dem gebiete der kultur ist es, was ein volk in seinen eigenen augen wie in den augen anderer mehr als alles andere hebt, und einer solchen hebung bedarf ein volk, um höheren zielen entgegengehen zu können.

Aber es wird gefragt: gründet sich dieses an das Kalevala geknüpfte interesse und seine wirkung nicht hauptsächlich darauf, dass man das Kalevala für etwas anderes gehalten hat, als es in wirklichkeit ist?

Das Kalevala wurde ja so aufgefasst, als ob es ein monument aus alter heidnischer heldenzeit sei, ein gedicht, welches das volk einmal zu einem breitangelegten, einheitlichen homerischen epos ausgesponnen und das sich durch jahrhunderte im gedächtnis des volkes erhalten habe, aber nach und nach in kleine splitter zersprungen sei, bis Lönnrot diese splitter fand und erkannte, dass sie zusammengehörten, und das zersprungene wieder aneinanderfügte. Der stoff sei – so dachte man sich – aus dem innern des eigenen herzens des finnischen volkes hervorgebrochen, ohne beeinflussung von anderer seite. Man betrachtete es als wichtige mythologische und historische quelle, als zeugnis einer uralten goldenen heldenzeit, wo eine harmonische weltanschauung und das vertrauen auf die geistigen kräfte, im besonderen auf die kraft des wortes, im finnischen volke herrschten.


Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn, Emil Nestor Setälä, Yrjö Wichmann (Hrsg.): Finnisch-ugrische Forschungen, Band 10. Red. der Zeitschrift; Otto Harrassowitz, Helsingfors; Leipzig 1910, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Finnisch-ugrische_Forschungen_10_004.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)