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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

bilden würde. Dann weiter Emil Rittershaus, der Lyriker mit den blitzenden Augen in dem vollen, lebensfrohen Antlitze, der die Frauen in reizenden Improvisationen wie kein Anderer zu preisen versteht; Professor Lazarus, der Völkerpsychologe, mit der durchgeistigten Physiognomie und der weichen Kathedermiene; Jules Oppert, der kleine unstäte Pariser Akademiker, der von den Keilinschriften das Siegel löste; Robert Schweichel, der treffliche Romanschreiber, der von heiterer Harmlosigkeit sein kann wie ein Kind, obwohl ihm das Schicksal seine Sprache in das Gesicht geprägt; der polnische Dichter J. I. Kraszewski, noch geistig frisch trotz der Jahre voll Ruhm und voll Leid, die er durchlebt, selbst ein „Moriturus“ und ein „Resurrecturus“, wie er seine „sterbenden“ und „wieder auferstehenden“ Landsleute in seinen beiden großen Romanen geschildert hat; Adolphe Belot, der bonapartistische Verfasser von „Mademoiselle Giraud ma femme“, von „La femme de feu“ und „Article 47“, ein Autor, den die Frauen nur im Geheimen lesen, aber dafür vor aller Augen umschwärmen, obzwar er in seinem Aeußeren nichts hat, wodurch nicht auch ein wohlbekleideter Unterofficier in Civil die Gunst des anderen Geschlechts sich zu erwerben vermöchte. Und dieser Honoratiorentisch sammelt nicht etwa Alles, was sich mit literarischem Ruhme eingefunden. Zum Beipiel Hans Hopfen „wimmelt“ behend, ein echter Neffe seines „Onkel Don Juan“ zwischen den kleineren Tischen umher, überall herzlich begrüßt und zu munterer, witziger Antwort aufgelegt, und unsere heimischen „Poeten“, die Mautner, Frankl, Weilen, Franzos bewegen sich, je nach Temperament und Körperfülle, durch das festliche Gedränge.

Es ist feierliche Begrüßung. Johannes Nordmann, der Präsident der „Concordia“, betritt die Balustrade, welche mit Guirlanden und Emblemen reich verziert ist. Er hat in Gestalt, in Rede und in Aussehen etwas Hartes, Eckiges, Charaklervolles; man möchte ihn in dem Schmucke seiner weißen Haare für einen alten unbeugsamen Republikaner halten, und es ist ihm ja auch manches Leid geschehen für seine Mannhaftigkeit und Gesinnungstreue. Heute klingt dennoch seine Rede weich, fast empfindsam; das Herz tönt siegreich durch den Charakter hindurch, und nach ihm spricht Friedrich Friedrich, der Präsident des deutschen Schriftstellerverbandes, beifällig aufgenommene Worte, von dem Berufe des deutschen Schriftstellers und der Gastlichkeit der „Concordia“; Louis Ulbach declamirt, mehr pathetisch als gefällig, von der Völkerverbrüderung; Lazarus verkündigt ein Zeitalter der Weltvereinigung so schön und nachdrücklich, daß man ihm gerne glauben möchte, wie tief auch die Ueberzeugung gewurzelt ist, daß Franzosen und Deutsche auch literarisch wohl niemals mit einander gehen werden, sondern im besten Falle stets nur neben einander.

Doch die Reden verhallen, und der Geselligkeitstrieb siegt. Die echte, die „fesche“ Wienerin besitzt die Gabe nicht, stille zuzuhören; sie flattert umher und „plauscht“ und kichert und mustert mit ihren großen dunklen Augen diese vielen Schriftstellerinnen, die weit dahergereist kamen in den verschiedensten Exemplaren, nicht lauter Blaustrümpfe mit Brillen und tiefem Organ, aber auch nicht durchweg von Apollo weihevoll geküßt. Oder sie schwingt einen zierlichen Holzfächer wie einen Dolch mit anmuthiger Geberde und verlangt von den Berühmtheiten dieses Abends einen Tribut in Form eines Antographs, das just einen Stab des verhängnißvollen Fächers ausfülleu soll. Und die armen „Selbstschrift“-Märtyrer thun, was sie müssen. Friedrich Bodenstedt schreibt:

„Das Glück sagt man, sei nur ein Schein,
 Und so ist es;
Bilde dir ein, glücklich zu sein,
 Und du bist es.“

Haus Hopfen setzt darunter die allerliebste Strophe:

„Wer’s wie so ’n Fächer wüßte zu machen:
Abzukühlen und anzufachen!
Freilich, wenn man’s recht überlegt,
Ist’s Frauenhand, die ihn wie uns bewegt.“

Die glückliche Besitzerin dieses Schatzes zeigt strahlend ihre Beute und ein eingefleischter Congreßler bemerkt hyperklug:

„Schreiben Sie doch darauf: Nachdruck verboten!“

„Pfui,“ erwidert die ahnungslose Seele, „das wäre ja, wie wenn von der Polizei darauf geschrieben stände: Hier darf nicht gestohlen werden.“ –

Doch genug von den beiden Begrüßungsabenden, die nur das Vorspiel herrlicherer Dinge waren! Wir sollten ja, wie es unsere Wirthe von der „Concordia“ zu wollen schienen, an uns selbst das Goethe’sche Wort erproben, daß nichts so schwer zu ertragen sei, wie eine Reihe von schönen Tagen. Es strahlt feenhafter Lichterglanz nieder auf die Prachträume im Cursalon, der mitten im Grün des Stadtparkes steht; hunderte von heiter angeregten Menschen drängen bunt durch einander oder plaudern in kleinen Cirkeln an runden Tischen; Champagner belebt Rede und Gegenrede; Toaste verklingen ungehört, französische wie deutsche. Das ist das Bankett der Stadt Wien.

Der Bürgermeister entbietet den Gästen seinen Gruß; Nordmann will erwidern, Friedrich Friedrich will danken, Louis Ulbach will sich erkenntlich zeigen – bah! Mall ist hier, um zu genießen, nicht um zu hören, ja, nicht einmal die beiden Burgschauspieler Robert und Meixner, jener mit dem wunderbar fein geschnittenen Römerkopf, dieser mit der Physiognomie eines Satyrs, vermögen sich Aufmerksamkeit zu erzwingen, obwohl es Allen bekannt ist, daß Robert eine pathetische Begrüßung in Versen Joseph Weilen’s, Meixner ein humoristisches Willkomm vorzutragen gedenkt.

Das Personenbild bleibt ja selbstverständlich immer das nämliche; es sind dieselben Sprecher, dieselben Tischkarten, dieselben entzückten Mienen. Bei der Festvorstellung im Karl-Theater sieht man sich wieder, beklatscht die Ballettänzerin Cerale, lauscht dem unvergleichlichen Dialog Sonnenthal’s und der Frau Gabillon in Schlesinger’s Lustspiel-Einacter „Mit der Feder“, erlustigt sich an den „Flotten Burschen“. Ein besonderer Reiz ist es nur, daß der Dichter jenes Lustspiels wie der Componist dieser Operette unter den Festtheilnehmern sich befinden.

Aber dann steigert sich der Genuß, sobald die Natur selber dem Festcomité zu Hülfe kommt. Man fährt zu Schiff an den Fuß des Kahlenbergs und mit der Zahnradbahn auf die Höhe. Der Stephansthurm winkt uns allerwegen zu; wir bewundern die großartigen Regulirungsarbeiten, das Sperrschiff, welches zur Ueberschwemmungszeit dem Eisgange wehrt, die Lagerhäuser der Stadt Wien. Und droben vom Kahlenberge herab schweift der Blick über das ganze Marchfeld hinweg, bis zu den Karpathen und dem Leithagebirge.

Es ist aber noch nicht Alles. Erst die Fahrt auf den Semmering erschöpft unsere Genußfähigkeit. Auf der Höhe dieses gewaltigen Gebirgsüberganges, zu dem die Bahn in einer Steigung von 1 : 40 emporkeucht, halten wir Rast. Tief zu unseren Füßen liegt die grüne Steiermark, die uns ihren Dichter Rosegger zur Begrüßung geschickt hat und ihren Sängerchor von Mürzthal. So herrlich ist dieses Panorama, so mächtig bei hereinbrechendem Abend die Wirkung eines Feuerwerks, welches fern und nah die Alpengipfel zauberhaft erleuchtet, daß wir still und andächtig den Rückweg nehmen. Wir haben getrunken und gescherzt, geredet und Reden gehört, aber es ist Alles wie untergetaucht in dem Zauber, mit dem die Natur uns empfing.

Wien kann Alles, da es die Alpen so nahe hat; es darf schon bisweilen mit gerechtem Stolze sagen: „Sollen’s uns nachmachen!“

Und da die sieben Tage um waren, so hatte das Fest ein Ende. Freilich, freilich - was hätte denn nicht ein Ende auf dieser schönen, weiten Welt? Und wir gingen aus einander, der Eine nach links, der Andere nach rechts. Aber eine gemeinsame Erinnerung von ungetrübtem Glanze hält uns fortan im Geiste zusammen, und das ist das Ergebniß dieser unvergeßlichen Literaturwoche. Getrost, mit allen Gesetzen der Welt wird man die Diebe und Freibeuter nicht abschaffen, am allerwenigsten aus dem Gebiete der Literatur, wo es keine Polizei giebt als dieienige des Gewissens. Schreibt nur fort und fort euer stereotypes „Nachdruck verboten“ auf eure literarischen Producte! Bestiehlt man nicht euch, so werden Andere bestohlen. Aber trotz alledem: Literarische Congresse und Schriftstellertage werden doch immer ihren Werth und ihren Reiz darin behalten, daß die Meister sich den Adepten von Angesicht zu Angesicht zeigen, daß die Lehrlinge sich kennen und lieben lernen. Und so auch geschah es in Wien, das trotz der Czechen eine wunderbar schöne Stadt ist und trotz der Polen und Slovenen auch eine mächtige deutsche Stadt bleiben wird. Das walte Gott!

Wilhelm Goldbaum.


Blätter und Blüthen.

Der Wahlphilister. (Abbildung S. 737) Wir führen heute unsern Lesern ein Bild vor, das sich am nun hinter uns liegenden Wahltage vor Tausenden von Thüren abgespielt hat. Da steht Einer! Es ist ein armer Handwerksmann, dem die im Kampfe mit einander begriffenen Parteien heute die Wahl zur Qual machen. Er lebt das ganze Jahr so still mit seinen Sorgen dahin; Niemand von den höchst verschiedenartigen Herrschaften, welche ihn jetzt bestürmen, kümmert sich sonst nur im Geringsten um ihn. Da kommt der Tag, der ihn, neben dem Steuerzettel, daran erinnert, daß er ein deutscher Reichsbürger sei – und siehe da: er ist plötzlich ein umworbener, ein angesehener Mann. Der Herr Rath mit der goldenen Brille versichert ihm, daß er ihn immer als braven Bürger geschätzt, der auch fernerhin „Gott, der hohen Obrigkeit und der Kirche“ treu und gehorsam bleiben werde, und das könne er auf’s Neue bethätigen durch Benutzung dieses Wahlzettels etc. Während der vornehme Herr vertraulich die rechte Hand auf seine linke Schulter legt, hat ein Anderer seinen rechten Arm mit der Linken gefaßt und nöthigt ihm mit Faust und Zunge wahrscheinlich auch einen Wahlzettel der Linken auf, und indem der stattliche Herr hinter ihm mit dem behandschuhten Finger ihn vorsichtig auf die Achsel pocht und ihm offenbar sehr Wichtiges in die Ohren schreit, ballt der Wähler mit dem Arbeitsmaß in der Rocktasche die Faust gegen ihn, und man hört’s, wie schwer er ihn bedroht, wenn er sich „von der ruppigen Bourgeoisie anleimen“ lasse. Der Wahlbetreiber zur Rechten aber hat bereits all sein Pulver vergeblich verschossen, und er steht, welcher Faction oder Fraction er auch diene, nun selbst als „gemacht und gebrochen“ da. – Und warum, du armer geplagter Wahlphilister, widerfährt dir diese seltene Auszeichnung? Sie gilt nicht dir, mein Bester, sie gilt nur deiner Stimme – aber diese Stimme – o wenn du das zu schätzen wüßtest! – sie zählt für einen Mann.

Ja, jede Stimme zählt für einen Mann. Ebendarum sollte sich Jeder als ein Mann fühlen, der das hohe Recht hat, eine Stimme abzugeben. Dieser Gedanke zwingt uns, unser Bild ernster zu nehmen, als es der Künstler vielleicht genommen, dem es darum zu thun war, den Contrast zwischen dem Wähler und den Parteiwerbern in drastisches Licht zu stellen. Um uns einen Wahlphilister zu zeigen, hätte er seine Gestalt auch aus „der besser situirten“ Gesellschaft wählen können; denn gerade da sitzen in Uederzahl jene behäbigen Leute, denen jede Entscheidung so schwer fällt, daß sie bei jeder Gelegenheit, wo der Mann sich mit einer eigenen festen Meinung öffentlich zeigen soll, lieber daheim bleiben. Wenn aber ein solcher dennoch bis zur Thür des Wahllocales sich wagt, dann steht er noch viel trauriger da, als der arme Arbeitsmann in unserem Bilde. – Sind wir doch nicht einmal ganz sicher, ob nicht hinter den tiefen Falten dieses Angesichts der Schalk lauert, der seinen Zettel längst in der Tasche trägt und nur die Lust genießt, sich auch einmal anschmeicheln zu lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_740.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)