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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


nach und nach zur Meisterschaft gebracht, die er dann an höher organisirten Thieren und schließlich auch an Menschen probirte.

Leider steht der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts noch immer, trotz aller Humanitätsbestrebungen, in gar mancher Beziehung auf dem Boden der Verirrung menschlichen Gefühls. Denn eine beklagenswerthe Verirrung muß es genannt werden, wenn der Mensch, der sich selbst mit so natürlichem Triebe grausamer Behandlung zu entziehen sucht, anderen Geschöpfen dieselbe zufügt. Der Thierquäler glaubt sich wohl mit der Behauptung entschuldigen zu können, die Thiere hätten solche feine Empfindung nicht, wie der Mensch, es sei mehr ein Scheinschmerz, den wir an ihnen wahrnähmen, als ein wirklicher oder mit dem äußeren Gebahren übereinstimmender. Einen großen Theil dieser gänzlich falschen Anschauungen hat eine starre Orthodoxie zu verantworten, welche in dem Thiere ein seelenloses Wesen, gleichsam eine lebendige Maschine erblickt, die blind arbeite nach dem Willen des verborgenen Lenkers und nur zum Dienste des von der thierischen Schöpfung isolirt dastehenden Menschen geschaffen sei. Unter dem Eindrucke der Voraussetzung eines solchen Verhältnisses zwischen Mensch und Thier ist ersterer zur Geringschätzung und harten Behandlung der letzteren hingeführt worden.

Wir gehören nicht zu den empfindsamen Naturen und theilen in keiner Weise die Ueberschwänglichkeit sentimentaler Thierschutzvereinler. Aber wie wir, mit unter den Ersten, dem Seelenleben der Thiere das Wort redeten, so wollen wir auch nicht aufhören, unsere Forderungen an Vernunft und Herz des Volkes zu richten, um dem Thiere ein besseres Loos im Dienste der es benutzenden Menschheit und ein besseres Ende in der Gewalt seiner Verfolger zu sichern.

Karl Müller.




Blätter und Blüthen.


Tiger im Lager. (Vergl. die Abbildung auf S. 385.) Heutzutage dem Publicum eine Belehrung über die Naturgeschichte des Tigers geben, hieße Eulen nach Athen tragen. Gute Naturgeschichtswerke sind in Aller Händen, und der schrecklichste, gewaltigste aller vierfüßigen Räuber fehlt sicher auch in dem kleinsten nicht. In den großen Städten braucht man nicht einmal auf die Jahrmärkte mit ihren Menagerien zu warten, um ihn zu Gesicht zu bekommen: eine große Zahl dieser Städte hat bereits stehende Thiergärten, und auch hier gehört der Besitz eines Tigers zu den ersten Erfordernissen. Selbst die Schilderungen von Tigerjagden, einst das Entzücken gruselbedürftiger Leser, sind aus der Mode: man ist davon übersättigt; auch die kühnste Phantasie vermag diesem Stoffe kaum neue Seiten abzugewinnen.

Und doch: ob ich den so riesenstarken wie geschmeidigen „König der Wälder“ im schmalen Käfig tausendmal auf- und abschleichen sehe, ob ich die Zahl seiner Knochen und Zähne an den Fingern herzählen kann – ich kenne den Tiger erst, wenn mir einmal irgendwie das ganze herzlähmende Grauen im Gefühl vermittelt worden ist, welches über dem Jagdrevier des königlichen Thieres in freier Wildniß liegt, jene Atmosphäre von Tod und Verderben, von lauschender Einsamkeit, welche jeden Augenblick aufschrecken kann durch ein erschütterndes Gebrüll, das doch zugleich katzenhaft widrig in dem kaltfeuchten Laubdunkel erdröhnt, durch wilde, unheimlich lautlose, in hundert Muskeln spielende Tigersprünge, von deren Federkraft die matten, vorsichtig gewordenen Bewegungen im Käfig kaum etwas ahnen lassen.

Dieses Gefühl vermag nur die Reise in die Tigerreviere, oder aber der Künstler zu vermitteln, dem ein Anschauungsvermögen gegeben ist, wie es der menschlichen Durchschnittsphantasie versagt bleibt – der echte Künstler; und ein solcher echter Künstler von Gottes Gnaden ist Paul Meyerheim. Ein Blick auf die düstere Scenerie unseres Bildes, auf diese Bestien, welche sich offenbar so völlig zu Hause fühlen und so ganz geben, wie sie sind, auf die ganze Unheimlichkeit dieser mit abgenagtem Gebein bestreuten Waldstelle im tiefsten Dickicht, genügt, um zu fühlen: das sind wahre und wahrhaftige Tiger. –

Die Meyerheims sind eine ganze Künstlerfamilie. Man kennt längst den Großvater Karl Friedrich Meyerheim und seine Söhne und Schüler: Friedrich Eduard, den vor kurzer Zeit verstorbenen Meister in der Darstellung idyllisch gemüthlichen Volkslebens, und Wilhelm Alexander, welcher in Pferde-, Lager- und Schlachtenscenen excellirte. Von den Söhnen Friedrich Eduard’s hat sich der ältere, Eduard Franz, der Art des Vaters angeschlossen, indem er liebenswürdige Genrebilder von zarter Ausführung und guter Färbung malte; er folgte dem Vater vor Wochen im Tode nach. Der jüngere Sohn Paul ist zweifelsohne der Bedeutendste unter den Fünfen und wohl der genialste Thiermaler der Gegenwart. Im Jahre 1842 zu Berlin geboren, auf der Akademie daselbst unter Holbein, mehr noch unter seinem Vater ausgebildet, kehrte er nach mannigfachen Wanderungen, die ihn besonders in England bedeutsame Anregungen finden ließen, in die Heimath zurück, wo er seit 1869 auch als Mitglied der Akademie wirkt.

Seinen Ruf begründete eine Reihe origineller Bilder, in welchen er Thiere Genrescenen aus dem modernen Menschenleben darstellen ließ; zeigten schon diese Bilder eine ungewöhnliche Herrschaft über Farbe und Form, ein fast photographisches Auffassungsvermögen für die Natur, so wurden die späteren Arbeiten Meyerheim’s immer freier, realistischer und durchgeistigter: Aquarellen, Illustrationen, Fresken und Oelgemälde folgten einander, deren Aufzählung im Einzelnen hier zu weit führen würde. Am meisten gesehen dürften die Malereien des Antilopenhauses im Berliner zoologischen Garten sein. Einem prächtigen Löwenbilde ließ er vor Kurzem unser Tigerbild folgen, das Letzte, was von ihm, allgemein bewundert, die Runde durch die deutschen Ausstellungen gemacht hat.




Ein unglückliches Grafenkind. Aus Oldenburg im Großherzogthum schreibt uns ein Eisenbahnbeamter, sein Bruder, ein Matrose, sei jüngst von einer Reise aus Laguna (auf einer gleichnamigen Insel in der Campeche-Bai) zurückgekehrt und habe dort einen „Grafen von L.“, den Sohn eines ehemaligen hannöver’schen Hofbeamten, kennen gelernt, und zwar in einem wahrhaft jammervollen Zustande. Der junge Mensch habe ihm erzählt, er sei in Deutschland Zögling einer Cadettenanstalt gewesen und habe in der Abgangsprüfung nicht bestanden, worauf er seine Eltern um die nöthigen Mittel für die Wiederaufnahme des Studiums gebeten habe. Diese seien ihm gewährt worden, er aber habe in der Angst, daß er das Ziel doch nicht erreichen werde, und aus Furcht, mit diesem Geständniß vor seine Eltern zu treten, es vorgezogen, sich als Schiffsjunge auf einem deutschen Schiffe zu vermiethen. Schwächlich, wie er war, und den Strapazen nicht gewachsen, sei er unterwegs erkrankt und in Laguna, wo das Schiff Anker warf, in’s Hospital gelegt worden. Nach langer Krankheit genesen, blieb er, zu körperlicher Arbeit unfähig, als eine Art Krankenpfleger im Spital und erhält für seine Dienste wenigstens das tägliche Brod. Um sich aber nothdürftig wieder kleiden zu können, sei er gezwungen, beim Beladen der Schiffe ab und zu mit thätig zu sein. Der Bruder unseres Gewährsmanns war selbst Zeuge davon und erzählte, es habe ihn gejammert, wie der arme Mensch mit schlotternden Beinen herangewankt sei, die schweren Blauholzblöcke auf der Schulter. Nach jeder solchen Anstrengung liege er wieder krank darnieder. Warum er nicht heimkehre? Auf diese Frage erwiderte er, es nehme ihn seiner Schwäche und seines Kleidermangels wegen kein Schiff mit; die Hauptursache seines Bleibens in der Fremde schien aber auch jetzt noch dieselbe zu sein, die ihn in die Ferne trieb.

Wir geben den direct nicht zu ermittelnden Angehörigen des in Laguna Darbenden mit der Angabe des Ortes die Möglichkeit an die Hand, den Halbverlorenen und Schwergeprüften zu retten. Aber auch der Brief unseres Correspondenten steht, mit dessen ausdrücklicher Erlaubniß, auf Meldung der Betreffenden zur Verfügung.




Anfrage. Wer giebt uns eine Anstalt an, in welche gebrechliche (z. B. lahme) Personen sich auf Lebenszeit einkaufen können? Und wie hoch stellen sich die Kosten einer solchen Einkaufung?




Gefunden. Es freut uns, mittheilen zu können, daß der vermißte Friedrich Edlinger uns seine Adresse angegeben hat; die Verwandten Edlinger’s können dieselbe jederzeit von uns erhalten.



Kleiner Briefkasten.

A. Z. Br … Sie sehen in unserm Schweigen eine Sie „verletzende Mißachtung“? Wenn die Versenkung Ihres Manuscripts in den Papierkorb von Ihnen selbst, wie Sie zugeben, befürwortet war, wozu dann noch eine besondere Mittheilung über die feierlich stattgehabte Execution? Unsere Correspondenz, respective unser „Kleiner Briefkasten“, würde eine ganz unverhältnißmäßige Ausdehnung annehmen, wenn wir alle Erzeuger solcher todeswürdigen geistigen Kinder auch noch mittelst Feder oder Druckerschwärze von der vollzogenen Ueberführung derselben vom Leben zum Tode benachrichtigen wollten.

Nürnberg 27/4. Nicht geeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript.

E. Z. in Fulda. Sie finden die gewünschte Auskunft in unserer Nr. 49 vom Jahre 1879 unter „Blätter und Blüthen“.

K. H. in Prag. Die zwei Strophen im Artikel „Erwachendes Leben“ (Nr. 16 der „Gartenlaube“) gehören ursprünglich dem in österreichischer Mundart gedichteten Volksliede „’s Mailüfterl“ von Anton Freiherrn von Klesheim an. In die hochdeutsche Form sind jene beiden Strophen aus einer Umdichtung in Coburger Mundart von Fritz Hofmann übertragen worden.

Alter Abonnent aus G. Das von Ihnen angeführte Buch gehört durchaus in das Gebiet der Schwindelliteratur.

E. Marold in München. Das Eingesandte ist zum Druck leider nicht geeignet und steht zu Ihrer Verfügung.

E. E. in Riga. Vergleichen Sie unsern Artikel „Coca und Pentsao“ in Nr. 47 von 1878!

L. Z. in L. Nein, das Borckmann’sche Bild „Eine Festtafel zu Ehren Mozart’s bei Schikaneder“ (in Nr. 18) ist nach einer Photographie im Verlage der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin angefertigt.

P. G. in Sch. Wiederholen Sie Ihr Gesuch unter voller Angabe Ihrer Adresse!

R. V. in Naumburg. Wenden Sie sich an die Expedition der „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Leipzig, Peterskirchhof Nr 4, I! Wir haben oft genug erklärt, daß wir mit der Verwaltung jener „Anzeigen“ und der Verantwortlichkeit für dieselben nichts zu thun haben.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_396.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)