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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Bei meiner Anwesenheit in Dresden ist mir Ihr neuestes Trauerspiel ‚Sappho’ durch den Herrn Hofrath Böttiger im Manuscript mitgetheilt. Ich habe dasselbe gelesen und bin von dem Inhalte der Dichtung so ergriffen, daß ich beschlossen habe, sie ohne Säumen zur Aufführung zu bringen. Gleich wie in Goethe’s ‚Iphigenie’ man den griechischen Tragödiendichter nicht verkennt, habe ich auch in Ihrer ‚Sappho’ denselben wiedergefunden, und es wird mit zu meinen schönsten Pflichten gehören, dem größern Publicum recht bald den Hochgenuß bereiten zu können, den ich schon beim Lesen gehabt habe.“

Neben so viel Auszeichnung und Anerkennung treten aber auch Neid und Mißgunst, die unzertrennlichen Nachfolger jedes großen theatralische Erfolges, bald genug an den Dichter heran.

Insbesondere war es eine Kritik Müllner’s, des Dichters der „Schuld“ in dem „Mitternachtsblatte“, welche über das Stück vom Anfange bis zum Ende den Stab brach, nachdem derselbe Verfasser, der hier so unbarmherzig über die Dichtung aburtheilte, erst kurz vorher in mehreren Briefen an Grillparzer sein feuriges Lob über die Mitte und das Ende dieser Dichtung niedergelegt und nur den Anfang als mißlungen erklärt hatte.

Grillparzer schreibt in seinem Lebensberichte: „Ich hätte nichts gebraucht, als seine (Müllner’s) früheren lobenden Briefe drucken zu lassen, um ihn durch sich selbst zu wiederlegen. Ich that es nicht, wie ich überhaupt auf Kritiken nie geantwortet habe, nicht aus Aengstlichkeit, sondern aus Verachtung.“

Das Letztere möchte denn doch nicht so ganz richtig sein. Grillparzer hatte wiederholt auf literarische Angriffe Antworten niedergeschrieben, die sich unter seinen Papieren vorgefunden. In seiner leidenschaftlichen, durch Tadel hervorgerufenen Aufregung warf er, um sich von seiner gereizten Stimmung zu befreien, die schärfsten und treffendsten Erwiderungen auf’s Papier. Hatte er aber durch das Aussprechen die Erleichterung gefunden, so vergrub er das Blatt unter seine Papiere; der nachhaltige Grimm, stark genug, den Gegner auch öffentlich anzugreifen, der Muth eine Zeitungspolemik hervorzurufen und ihr Stand zu halten, fehlte ihm.

Wie sehr er mitten unter den Lobeshymnen, die seiner „Sappho“ ertönten, ein feines, nur allzuempfindliches Ohr für jeden Tadel behielt, beweist die Vorrede, welche er für die Buchausgabe der Dichtung entworfen, aber seiner scheuen, jeden Eclat vermeidenden Natur gemäß nicht veröffentlicht hatte, und welche ich in der von mir und Dr. Heinrich Laube besorgten ersten Gesammtausgabe seiner Werke als Anhang der Selbstbiographie im zehnten Bande abdrucken ließ. Aus dieser an seinen Freund Schreyvogel gerichteten Dedication möge folgende Stelle hier Platz finden:

„Ich will kein Schriftsteller sein und heißen, will nicht zünftig werden in der ehrbaren Gilde, will mir keinen Namen bauen aus Correspondenzartikeln, Theaterberichten, und dann die Zähne blecken gegen Jeden, der das wackelnde Kartenhaus antastet, will nicht jedem Hämischen oder Narren Rede stehen, der gegen mich in einem Tageblatte zu Felde zieht.“

Grillparzer hat noch manches herrliche dramatische Werk geschaffen, aber etwas Harmonischeres, Gedankenreicheres, bei aller Einfachheit der Composition bis zur letzten Scene Fesselnderes, als seine „Sappho“ kaum. Jetzt, nach mehr als sechszig Jahren, ist diese Dichtung noch immer eine Zierde des deutschen Repertoires, insbesondere des Wiener Burgtheaters, wo sich in der Repräsentation der Titelrolle die berufensten Künstlerinnen ablösten. Der Sophie Schröder folgte Julie Rettich, und heute feiert die geniale Charlotte Wolter in dieser Rolle Triumphe.

Zum Schluß mögen hier die Aussprüche zweier bedeutender Männer über Grillparzer’s „Sappho“ einen Platz finden – Ludwig Börne’s und Lord Byron’s.

„Eine köstliche Frucht in goldener Schale“ ist dem Frankfurter Kritiker dieses dramatische Gedicht. „Soll ich noch sprechen von dem holden Zauber in allen Reden unseres Dichters?“ sagt er, „von dieser bald milden, bald glühenden Farbenpracht? Von der Tiefe und Wärme seiner Empfindungen? Dieser wundervolle, paradiesische Garten ist genug gepriesen, wenn ich ihm den Fruchtmarkt anderer neuen Dichter gegenüberstelle …“

Und Lord Byron schreibt in sein Tagebuch, Ravina, 12. Juni 1821:

„Mitternacht! – Ich las Guido Savelli’s italienische Uebersetzung der ‚Sappho’ Grillparzer’s. Grillparzer, ein teuflischer Name, doch man wird ihn aussprechen lernen müssen. – Grillparzer ist groß, antik, nicht ganz so einfach wie die Alten, doch sehr einfach für einen Neuen. Hier und da ein wenig zu Madame de Staëlisch, aber im Ganzen schreibt er erhaben und anziehend. Der Mann hat etwas Großes vollbracht, indem er dieses Stück schrieb. Und wer ist er? Ich kenne ihn nicht, doch die Zeiten werden ihn kennen.“




Elisabeth Patterson-Bonaparte, ein Opfer der Politik.


„Gestorben am 4. April 1879 Elisabeth Patterson-Bonaparte, vierundneunzig Jahre alt,“ so lautet heute die einfache Zeitungsannonce, die uns den Tod einer merkwürdigen, historischen Persönlichkeit mittheilt. Der Mitwelt war sie längst zur Tradition geworden. Still, unbeachtet, fast verschollen, führte sie zuletzt ein einsames Leben, und es schien, als habe der Sensenmann sie vergessen. Eine Greisin, beinahe ein Jahrhundert alt, hatte sie Generation nach Generation vor sich in’s Grab sinken sehen, und wie ein kahler, entlaubter Stamm auf der Höhe des Alters stehend, blickte sie entfremdet die Kinder unserer Zeit an, die sich mit anderen Problemen abmühten, als denen, die ihr ganzes Leben ausgefüllt.

Die traurige romantische Jugendgeschichte dieser modernen Hagar hat die „Gartenlaube“ ihren Lesern schon 1861 (Nr. 7) und 1870 (Nr. 24) geschildert; wir können uns hier an ein paar flüchtigen Rückblicken genügen lassen. Geliebt und verlassen von dem jungen wankelmüthigen Jerôme, der ihr, als man auf Napoleon’s Befehl sie nicht in Lissabon mit ihm landen lassen wollte, vorgespiegelt hatte, er reise nur nach Paris, um seines mächtigen Bruders Zustimmung zu der gegen dessen Willen abgeschlossenen Verbindung zu ertrotzen – war sie damals nach England geeilt, um dort die Rückkehr ihres Gatten und die Geburt des Kindes, das sie unter ihrem Herzen trug, zu erwarten.

Glaubend, hoffend und zukunftssicher kam sie in Camberwell an, und schon wob ihr ehrgeiziger junger Kopf die hochfliegendsten Pläne einstiger Größe. Ja – ihr erster Schritt war der, sich, wie das ihrem Range, als Schwägerin des größten Potentaten der Erde, der die Seinen mit Kronen schmückte, zukam, einen eigenen kleinen Hofstaat anzulegen.

Noch baute sie so sicher auf Jerôme’s Treue, daß ihr ein möglicher Verrath an ihr gar nicht in den Sinn kam. War sie doch erst seit kaum anderthalb Jahren die Seine, und war doch seine Liebe zu ihr in jeder Weise bewährt. Ja damals, als der Befehl seines Bruders ihn zuerst zur Rückkehr zwang, hatte er in Baltimore sofort darauf bestanden, daß ihr Bild gemalt werde, und zwar in drei verschiedenen Posen, damit, „wenn sie Amerika verlassen habe und später in Europa die Stellung einnehme, die ihrem Geiste und ihrer Schönheit gebühre, man auch hier nie vergesse, daß Elisabeth das schönste Weib ihres Vaterlandes gewesen sei“.

Dieses Bild befindet sich heute in den Räumen der historischen Gesellschaft von Maryland. Es ist in Medaillonform gemalt und zeigt uns in der Mitte das holde Antlitz en face, an den Seiten im halben und ganzen Profil; es hängt neben dem ihres jungen Gatten Jerôme, dessen hübsche, unbedeutende, sinnlich heitere Züge neben diesem Charakterkopfe keineswegs geistig ebenbürtig erscheinen. Wer Elisabeth’s Bild genau betrachtet, begreift, daß das Urbild dieser Anmuth, dieser Formenvollendung und dieser Jugendlieblichkeit alle ihre Zeitgenossinnen in den Schatten stellte. Ja, man ahnt zugleich, daß die Gedankenschärfe hinter der klaren gewölbten Stirn, der Geist und die Urtheilskraft, die dem dunklen Auge entstrahlen, vielleicht auch die Frauen des napoleonischen Hauses verdunkelt haben würde, wenn das Schicksal ihr einen Platz unter ihnen angewiesen hätte. Das edelgebildete Haupt ruht auf stolzem Nacken. Eine classische Stirn umspielt dunkler Locken Fülle; die Nase ist leicht gebogen, und um die fast hochmütig geschwungenen Lippen des kleinen Mundes spielen dennoch Grazie und feine Anmuth. Das Kinn ist fest und scharf, wie aus rosig durchädertem Marmor gemeißelt, trotz der zarten Rundung. Und dies Alles krönt ein so feuriges, dunkles Augenpaar, daß man bei seinem Anblicke begreift, wie selbst die Thränen eines halben Jahrhunderts ihren Glanz nicht ermatten und erlöschen konnten.

Sei es nun, daß Jerôme in seiner Charakterschwäche nicht wagte, Napoleon zu opponiren, sei es, daß sein wankelmüthiges Herz sich von den festen Zügeln, die sein charaktervolles Weib ihm angelegt hatte, ohne großen Kampf loslösen konnte – genug, er kehrte nicht zu Elisabeth zurück. Er kam auch dann nicht, als sein Sohn, Jerôme Bonaparte, am 7. Juli 1805 geboren wurde.

Umsonst wandte sich das schmählich betrogene, zu Tode gekränkte junge Weib an den Vater ihres Kindes um die Erfüllung seiner Gatten- und Vaterpflichten; umsonst flehte sie um Gerechtigkeit bei Napoleon dem Ersten selbst. Stumm und hart wie Stein blieb der große Kaiser; was galt ihm, der die Geschicke der Völker lenkte, das zertretene Glück eines der Politik geopferten Weibes? Und Jerôme? Nun, zuerst regte sich wohl sein Gewissen, und er vertröstete sie in seltenen Briefen auf die Zukunft – und dann folgte er herzlos dem Beispiel des Familienoberhauptes. Er schwieg und vergaß bei neuen Liebesgeschichten, bei Glanz und Genuß sein rechtmäßiges Weib, das ihm, dem Katholiken,

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