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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

leuchtend voran, aber die alte Welt folgt, wenn auch unter harten, verzweifelten Kämpfen. Wir erkennen in diesem Gedichte bereits den späteren Politiker.

Wie viele seiner für Wissenschaft und Kunst begeisterten Landsleute, so bereiste auch Bryant zu verschiedenen Malen Europa, und zwar in den Jahren 1834, 1845, 1849 und, wenn wir nicht irren, 1868. Er besuchte unter Anderm England, Deutschland, Frankreich, die Schweiz, Italien und Spanien. Im Sommer 1843 machte er eine Erholungsreise durch die Südstaaten der Union, auch hielt er sich einige Zeit auf Cuba auf. Die unmittelbaren Früchte dieser Wanderungen finden wir in seinen „Briefen eines Reisenden in Europa und Amerika“ niedergelegt, doch blieben die Besuche fremder Länder auch nicht ohne bedeutende Rückwirkung auf seine Dichtungsweise, denn seine späteren Gedichte tragen, im Verhältnisse zu den früher verfaßten, der Mehrzahl nach den Stempel einer ruhigeren, geklärteren und festeren Weltanschauung. Unter diesen späteren, die Naturmächte verherrlichenden Gedichten Bryant’s, welche sich bald durch den Schwung der Ode, bald durch die sinnige Tiefe der Elegie auszeichnen, sind vornehmlich folgende drei bemerkenswerth: „Eine Waldhymne“, „Die Quelle“ und „Die Prairien“. Das erstgenannte psalmenartige, im Milton’schen Blankverse verfaßte Gedicht empfiehlt, wie der Altmeister Goethe, den Bryant sehr genau kannte, dies oft und eindringlich in seiner Weise gethan hat, nach dem „schönen Gleichmaß“ der Werke des Allmächtigen „zu ordnen unsers Lebens kurzen Lauf“. In dem längeren Poëm „Die Quelle“ entrollt uns der Dichter nicht nur ein großartiges Landschaftsgemälde, sondern er belebt dasselbe auch mit richtigem Künstlertacte durch Vorführung interessanter Lebens- und Culturbilder. Wir sehen in stiller Waldeinsamkeit die Quelle, in deren Ueberdachung von Steineiche und Platane der Colibri spielt; vor mehr als tausend Jahren entsprang sie am blumiggrünen Abhang, nur besucht von dem gierigen Wolfe, dem schlanken Hirsche und dem plumpen Bären. Eines Tages wird ihr Gemurmel von wildem Kriegsgeschrei übertönt und ein schwerverwundeter Indianerhäuptling schleppt sich mit Mühe hin zu ihrem Rande, den brennenden Todesdurst in der klaren Fluth zu löschen. Und wieder nach geraumer Zeit erbaut der weiße Ansiedler da, wo bisher die Thiere des Waldes und die wilde Rothhaut hausten, sich mit Pfählen und Zweigen eine dauernde Hütte, und nun schließt das Gedicht mit einer reizvollen Schilderung des Hinterwäldlerlebens und der werdenden Cultur. Das Anschauen der immerfort sprudelnden Quelle erinnert aber den Dichter an den in allem Wechsel ruhig beharrenden Geist:

     „Auch der Weise,
In deinen ew’gen Strudel blickend, sann
Im Geist der unverrückten Ordnung nach,
Die in dem Umschwung und dem Wechsel herrscht,
Und leitete von deiner Rieselfluth
Sein Denken auf des Weltalls Größe hin.“

Aehnlich wie in der „Quelle“ beschwört Bryant in dem ebenfalls längeren Gedichte „Die Prairien“ vergangene Zeiten herauf und weist dann mit dichterischem Seherblicke auf eine lichtere Zukunft hin. Als eine Probe Bryant’scher Landschaftsmalerei mögen hier die ersten Verse der „Prairien“ eine Stelle finden:

„Dies sind der Wüste Gärten, dies die Felder,
Noch ungemäht und grenzenlos und schön,
Für die kein Wort die Mutterzunge hat, –
Prairien! Heut’ zuerst erblick’ ich euch,
Mir schwillt das Herz, indeß das Auge schlürft
Den Anblick der Unendlichkeit. Ha, seht
Ihr lustiges Gewoge weit, weithin!
Und jetzt, ist’s nicht, als hätt’ der Ocean
Gefesselt seiner Wellen kräuselnd Spiel,
Als stünd’ er regungslos? – Wie, regungslos?
O nein, – entfesselt sind sie ja; es fegt
Der Wolken Schatten drüber hin, und her
Zu meinem Auge rollt die wilde Fluth,
Als sagten dunkle Streifen sonn’ge Spitzen.“

Die Wald- und Landschaftspoesie Bryant’s, in der sich das beschreibende mit dem didaktischen Elemente so schön verbindet, hat durch die erhabene Größe der Scenerien, in die sie uns führt, für uns einen gewaltigen Vorzug vor dem, was die meisten unserer Feld-, Busch- und Walddichter uns in zierlichen kleinen Bildern und Allegorien zu bieten pflegen. Der Wald erzählt sich und uns, wie Adolf Laun mit Recht hervorhebt,[1] bei Bryant ganz andere Dinge, als bei Putlitz, und selbst Freiligrath’s tropische und atlantische Schilderungen erscheinen der Wahrheit, Frische und Einfachheit jener aus unmittelbarer Anschauung hervorgegangenen Bryant’schen Gemälde gegenüber nicht selten wie stark aufgetragene, auf Effect berechnete Decorationsmalereien.

Die glühende Freiheitsliebe des „Dichter-Journalisten“, wie seine Landsleute Bryant oft zu nennen pflegten, offenbart sich ganz besonders in dem Gedichte „Das Alter der Freiheit“. Der Dichter erklärt hier die Freiheit für älter, als die Tyrannei; sie ist ihm nicht, wie sonst wohl den Künstlern und Poeten, „eine Jungfrau mit wallenden Locken und zarten Gliedern“, sondern ein kräftiger Mann, „wohl bewaffnet und die Stirn voll Narben“. Die Freiheit ist ihm mehr göttlicher, als menschlicher Natur, doch eine „Zwillingsschwester des Menschen“ (twin-born with man). Der Usurpator sucht ihr Schlingen zu legen und mit falschen Schmeicheltönen sie in Schlummer zu wiegen; darum ruft der Dichter ihr zu:

„Noch nicht, o Freiheit, schließe Deine Augen!
Dein Feind schläft nicht, und darum mußt Du wachen
Und kämpfen, bis der neue Tag erscheint
Im Himmel und auf Erden.“

In dem Gedichte: „Der Lauf der Zeit“ preist Bryant die hohe Mission der nordamerikanischen Republik, die er in begeisterter Vaterlandsliebe allen Völkern als ein nachahmenswertes Muster hinstellt, vor deren zornigem Stirnrunzeln die gekrönten Tyrannen ihren Blick scheu zu Boden senken müssen. Allerdings war zu der Zeit, wo dieses Gedicht entstand, die nordamerikanische Union noch nicht in den Sumpf der Corruption versunken, in welchen sie vornehmlich unter der Grant-Administration gerieth. Dichtungen, wie „Der Lauf der Zeit“, haben den Amerikanern vorzugsweise Bryant als einen nationalen Dichter lieb und werth gemacht. In dieser Beziehung sind noch zwei seiner tief in’s Volk eingedrungenen Vaterlandslieder zu nennen: „Der zweiundzwanzigste December“, jener Tag, an dem die Pilgerväter im Jahre 1620 in der Plymouth-Bai landeten, und „Das Jahr 1776“, in dem die Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht ward.

In die beiden Hauptrichtungen der Poesie Bryant’s, wie sie uns gleich beim Beginne seiner dichterischen Laufbahn entgegen treten: Vertiefung in die Natur und Verherrlichung der Freiheit, macht sich ergreifend der lebhafte Ausdruck inniger Gatten- und Kindesliebe. Oben haben wir bereits eines Gedichtes erwähnt, welches Bryant’s verstorbene Gattin feiert: „Das zukünftige Leben.“ Auch in dem rührend schönen Liede „Der Blumen Tod“ gedenkt der trauernde Gatte der früh Geschiedenen: „die eine Blume war, so schön und zart - sie welkte auch, wie ihrer Schwestern Schaar“. Und neben ihr Bild tritt am lebhaftesten dasjenige seines Vaters, so z. B. in dem Gedichte „Die Vergangenheit“. Umsonst rüttelt er an des Todes Gitter, in dessen „dunkler Haft so manches großen Namens Glanz erblaßte“; das Gitter weicht nicht, denn es läßt nur diejenigen ein, die aus diesem Leben geschieden sind. Doch endlich richtet ihn der Gedanke an die Unsterblichkeit auf, und er ruft getröstet aus:

„Nein, sie vergingen nicht. –
Sie werden aufersteh’n; ich werd’ sie wiederschau’n:
Ihn, dessen Vaterhand mich treu gelenkt,
Und sie, die kalt und still
Im Nachbarhügel ruht – in Jugendschönheit schau’n.“

Der Tod als solcher hat für Bryant keine Schrecken, vielmehr preist er ihn als den „Befreier“, den Gott sendet, „zu erlösen die Unterdrückten und den Unterdrücker zu zermalmen“; er nennt ihn auch den „Rächer und Helfer“, der den Dulder dort zur Ruhe bringt, wo sein Verfolger ihn nicht mehr quälen kann, der die geistlichen und weltlichen Tyrannen zu Boden wirft, dem Lügner und Verleumder Schweigen auferlegt und dem schwelgerischen Wolllüstling ein grausig „Halt!“ zuruft.

Wenn von einigen Kritikern Bryant’s gesagt worden ist, er sei „ein strenger Katholik“ gewesen, so ist dies ein grober Irrthum, er schloß sich vielmehr der Secte der Unitarier an, die bekanntlich von einer göttlichen Dreieinigkeit nichts wissen will und überhaupt einer freiern religiösen Richtung huldigt. Bryant's

  1. Wir machen bei dieser Gelegenheit unsere Leser gern auf die in Bremen im Verlag von J. G. Heyse im Jahre 1865 erschienene treffliche Uebersetzung der meisten Gedichte Bryant’s von Adolf Laun aufmerksam.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_543.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)