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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Hoftheater. In jener fein-sinnlichen, barocken, geistreichen, empfindsamen und herzlosen Zeit, die wir einfach und bezeichnend Rococo nennen, in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus und des Landeskinderverkaufs, in der Zeit Eckhof’s, in welcher der goldene Leichtsinn der verachteten Komödianten sich noch nicht in den Sinn für schweres Gold verwandelt hatte, bekamen die großen und kleinen Landesväter des heiligen römischen Reichs deutscher Nation plötzlich Lust ein wenig Louis XIV zu spielen. Sie ahmten ihn sclavisch nach, den Mann, welcher der Staat selbst war. Sie mußten demnach auch ihr Hoftheater und ihre Hofkomödianten haben. So wurden sie hereingeholt von der Landstraße, die besseren Komödiantentruppen, und sie fanden auf kürzere oder längere Zeit ein ungewohntes Quartier in Räumen, die von Gold, Seide und Sammet strotzten. Diese Räume hatten sich die hohen Herren geschaffen, um nach dem Essen zur Verdauung ein Stündchen Schauspiel genießen zu können. Oder sie lauschten in diesen Räumen an bestimmten Abenden den schmeichelnden Melodien einer Modeoper und erfreuten das höchsteigene, etwas genußmüde Auge durch die Pas und Entrechats einer französischen oder italienischen Ballerina. Deutsche Ballerinen von Ruf gab es damals noch nicht. Die deutschen Mädchen begriffen das System der Tricots und Tanzkleidchen etwas schwerer als die geweckteren romanischen Schwestern.

In dieser Zeit also entstand der Hoftheater-Intendant, der „intendant des spectacles“. Es war eine Hofcharge, wie es deren an den damaligen Höfen so viele gab, weiter nichts. Die Cavaliere, welche man mit dieser Stellung betraute, nahmen ihr Amt auch gar nicht ernst. Sie bekümmerten sich wenig um die Komödianten. Höchstens befahlen sie auf Befehl ihres Herrn bestimmte Galavorstellungen und protegirten dann und wann „une petite actrice“. Der Intendant des Rococo lebte in einem goldenen Nichtsthun.

Die Zeiten änderten sich. Es war ein Dalberg da; ein Nationaltheater erblühte, und ein Iffland schuf und glänzte. Die Intendanten wurden ernste, kunstbegeisterte Leute. Hatten sie doch an dem ernsten, kunstbegeisterten, wenn auch etwas zaghaften Dalberg ein so leuchtendes Vorbild. Sie mußten ihre Pflicht ernster nehmen – der Stolz des Cavaliers verlangte es so. Es kamen ja auch die herrlichen Tage Weimars, und SchillerSchiller und Goethe traten für die Nationalbühne ein. So wurden die Intendanten ernst und kunstbegeistert, und bis in die Mitte unseres Jahrhunderts können wir die Küstner, Redern, Gall u. A. mit künstlerischem Sinne wirken sehen.

Es war mir vergönnt, dem General-Intendanten Karl Theodor von Küstner näher zu treten. Freilich war er damals schon ein Greis und ein Pensionär, aber die alte Kunstbegeisterung war ihm treu geblieben und dazu ein Herz voller Humanität. Seine Güte war sprüchwörtlich, und ich kann mir den gutmüthigen Herrn Generalintendanten noch vorstellen mit all’ seiner unfreiwilligen Komik, wenn er bei der Crelinger, der „Katze“, wie sie Ludwig Devrient nannte, kraft seines Amtes etwas durchzusetzen versuchte.

In seinem freundlichen Heim in der Elsterstraße zu Leipzig waren wir jungen Schauspieler des Stadttheaters gern gesehene Gäste, und er suchte uns auch an schönen Sommernachmittagen häufig bei Kintschy im Rosenthale auf. Gutmüthigkeit und Häßlichkeit waren zu gleichen Theilen in seinem immer freundlichen Antlitze vertreten. Grundsätzlich vermied er, sich äußerlich acceptabler zu gestalten. Seine Perrücke spielte bereits in mehreren Farben und fand ihren festesten Halt durch die Seitenfedern einer großen goldenen Brille. Von ehrwürdigstem Alter waren Kopfbedeckung und Garderobe. So kam er eines Tages freudestrahlend bei Kintschy an und rief glücklich im „reensten“ Leipziger Dialekt aus:

„Gott sei Dank, Kinder, nu weeß ich doch, daß ich noch zum Theater gehöre. Heute war ein durchreisender Schauspieler bei mir und holte sich Reisegeld. So lange, wie se noch Vorschuß bei mir holen, bin ich ooch noch Director.“

Mit dem lebhaftesten Interesse und der größten Bescheidenheit sprach er von seinem Wirken. Ein strenges Gerechtigkeitsgefühl zierte ihn. Folgendes Geschichtchen mag das illustriren.

Im October 1863 feierte der verdienstvolle, noch heute wirkende „erste Vater“ der Leipziger Bühne, Heinrich Stürmer, sein fünfundzwanzigjähriges Engagementsjubiläum. Zur Festvorstellung war Gutzkow’s „Zopf und Schwert“ bestimmt, denn König Friedrich Wilhelm der Erste ist eine der besten Leistungen des Jubilars. Durch die Krankheit eines Darstellers, der den „Eversmann“ zu geben hatte, wäre die Festvorstellung in letzter Stunde gescheitert, wenn nicht ein jüngeres Mitglied das Wagestück unternommen hätte, ohne Probe für den Erkrankten einzutreten. Es gelang. Stürmer’s Ehrentag war gerettet und der Direction ein übervolles Haus. Zwei Tage später begegnet Küstner in der Nähe des Theaters jenem jungen Schauspieler und spricht sich ihm gegenüber anerkennend über das Gelingen des Wagestückes aus. Plötzlich fragt er naiv:

„Was ham Se denn gekriegt?“

„Wie meinen Herr Generalintendant?“

„Nu, ich meene – sind se denn da oben – er zeigte mit der Hand nach den Fenstern der Theaterkanzlei – „nich dankbar gewesen?“ Der junge Mann zuckte die Achseln.

„Ich habe bis jetzt noch nicht ein Wort des Dankes empfangen.“ Ganz entrüstet platzt da der alte Herr los:

„Ne, da hört aber wirklich Alles uff! – So ä volles Haus – bei so enner Gelegenheit und nich ’mal: Danke scheene! – Ne, heeren Se, das hätt’ ich nich sein dürfen! Da wär’ mersch, weeß Gott, uff e Paar Louisdors nich angekommen. Ei Herr Jeeses, das nehm’ mer Keener übel – ne –“ Und kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort.

Die Intendanten der neuen Schule sind andere Leute. Sie gehen meist aus zwei sehr verschiedenen Berufsclassen hervor. Ursprünglich sind sie sehr häufig Officiere oder Schriftsteller. Die Ersteren leisten als Bühnenleiter beinahe noch Besseres als die Letzteren. Sie haben jedenfalls Sinn für Disciplin, und eine energische Disciplin gehört zu einer erfolgreichen Bühnenleitung. Ferner haben sie die Offenheit, sich einzugestehen, daß das Theater nicht ihr eigentliches Terrain ist und daß man Dinge, die man gedeihlich betreiben will, ihrem vollen Umfange nach verstehen muß. Darum halten sie auf tüchtige Regisseure.

Die Schriftsteller-Intendanturen sind im Allgemeinen weit weniger ersprießlich für die Kunst, obgleich man das Gegentheil glauben sollte. Es sind Ausnahmen vorhanden: Laube, Dingelstedt, Wehl. Das sind Praktiker. Sie haben sich angelegen sein lassen, den Organismus der Bühne kennen zu lernen; sie haben sich nicht auf den Standpunkt gestellt: „Als Dichter sind wir geborene Bühnenleiter.“ Dieser Standpunkt ist ein schlimmer Irrthum, und selbst ein Immermann hat seine bösen Folgen empfinden müssen. Die Theorien allein thun es eben nicht. Darum haben diese Praktiker der Bühnentechnik im weitesten Sinne nachgespürt, und sie sind nicht nur im Aristoteles und Lessing zu Hause, sondern auch in der Garderobe des Schauspielers und auf dem Schnürboden des Maschinisten.

Wir begrüßen nun zunächst die Directoren der stabilen Stadt- und Privattheater. In neuerer Zeit ist das Wort Director etwas aus der Mode gekommen. Man bedient sich jetzt statt dessen – vermuthlich aus Gründen des Wohlklangs – des Ausdrucks: Bühnenvorstand. Unter den Bühnenvorständen sind die Commissionsräthe ganz besonders stark vertreten. Es giebt nur wenige Ausnahmen unter diesen Leitern großer stabiler Bühnen, deren Brust nicht mit einem oder mehreren Orden geziert ist. Meist sind es recht praktische Geschäftsleute. Einzelne unter ihnen sind indessen wirklich im Stande, der Kunst aus vollem, ehrlichem Herzen Opfer zu bringen. Das sind gewesene Schauspieler oder Sänger, welche die Ideale ihrer Jünglingszeit noch nicht vergessen haben. Sonst wissen sich die meisten dieser Herren „trefflich mit dem Blutbann abzufinden“.

Die Directoren der Stadttheater zweiten Ranges – auf sie findet der „Bühnenvorstand“ seltener Anwendung – bieten im Allgemeinen kein unerfreuliches Bild. Sie sind meist aus dem Stande der ausübenden Künstler hervorgegangen, und der größte Theil sorgt und müht sich redlich, den Anforderungen gerecht zu werden, welche die Neuzeit mit ihren hohen Gagen und theuren Autorenhonoraren stellt. Die Mehrzahl dieser Directoren würde vielleicht gern künstlerischer vorgehen, wenn es ihr überhaupt nur möglich wäre. Aber es ist schwer möglich. Das Budget dieser Stadttheater zweiten Ranges ist kolossal angeschwollen in Folge der neuen Verhältnisse, und dennoch dürfen sie kaum wagen – was doch ganz naturgemäß wäre – ihre Eintrittspreise zu erhöhen. Würden sie es thun, so wäre es bei

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