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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

gebildeten Generalversammlung als Märtyrer feiern ließ. Mit Recht konnten Greve und sein Vertheidiger behaupten, solche „Verschleierungen“ seien bei den Actiengesellschaften von 1871 und 1872 gäng und gebe, solch falsche Bilanzen wären in Deutschland hunderte und tausende publicirt. Hier war sogar noch eine Zwischenperson, Eduard Stahlschmidt, eingeschoben, was man häufig nicht einmal für nöthig gehalten hat, z. B. bei dem „Lindenbauverein“, wo Herr Paul Munk ruhig an sich selber, an sich als Mitgründer verkaufte, und zwar ebenfalls für das Dreifache.

Aber auch die Ansichten der Richter wechseln, und das preußische Obertribunal hat bereits entschieden, daß der von den Gründern verschwiegene Profit als Betrug angesehen werden soll. Nun denke man sich einmal, daß dieses Präjudiz zu allgemeiner Anwendung käme – was für ein Schauspiel würden wir dann erleben! Wir würden plötzlich Tausende von reichen und vornehmen Gründern auf der Armensünderbank sehen, und in den Gefängnissen würden als bloße Nummern figuriren und in grauem oder gestreiftem Drillich umhergehen: Geheimräthe und Excellenzen, Edelleute und Grafen, geadelte Börsianer und baronisirte Financiers. O, das wäre ein Schauspiel für Menschen und Götter! –




Blätter und Blüthen.

Eine Rose auf Fritz Reuter’s Grab. Mit wie inniger Verehrung das deutsche Herz, auch in der fernsten Fremde, an dem Dichter der „Ollen Kamellen“ hängt, das beweist neben anderen das folgende Beispiel.

Die Kunstgärtnerei und Samenhandlung von Ch. Lorenz in Erfurt theilt uns mit, daß ihr ein Brief aus Chotin in Bessarabien von dem dortigen deutschen Consul mit der Bitte zugegangen sei, einen Rosenstock für das Grab Fritz Reuter’s nach Eisenach zu liefern und für dessen Anpflanzung daselbst Sorge zu tragen. Dem Schreiben dieses fernen Reuter-Verehrers war ein kleines Gedicht beigegeben, das wir uns nicht versagen können in seiner ansprechenden Einfachheit hier wiederzugeben. Es ist an den Inhaber der oben genannten Kunst- und Handelsgärtnerei gerichtet und lautet:

Sucht, Meister, aus den Rosenstrauch,
Des Gartens schönste Gab’!
Gen Eisenach, gen Eisenach
Tragt ihn auf Reuter’s Grab!

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Ein Monument, das ewig währt,

Ein Monument von Stein,
Das setze Deutschland stolzgemuth
Dem edlen Dichter sein!

Ich bin nur arm, bin nur gering,

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und doch, wie arm ich bin,

Ich schmücke seine Ruhestatt
Nach meines Herzens Sinn.

Hat doch an manchem düstern Tag,
In mancher dunkeln Nacht

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Sein lichtes, helles Dichterwort

Den Frieden mir gebracht.

Nun kommt zum fernen Grab mein Dank
Im Blumenhauch daher,
Gen Eisenach, gen Eisenach,

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Wohl über Land und Meer.


– Ihr seht mich, Meister, fragend an
Und wißt nicht, wie zu thun.
„Wo schon so viele Blumen sind,
Wie pflanz’ ich diese nun?“

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O, pflanzt auf’s Grab sie, wär’ es auch

In einem Winkel still,
Und glaubt, der dort im Schlummer liegt,
Weiß doch, was Liebe will!

Diese Worte von den Ufern des Dnjestr und Pruth zu uns herübertönend, sind in ihrer schlichten Natürlichkeit ein herzerhebendes Zeugniß für die allwache Liebe, die dem Echten und Wahren in Kunst und Poesie auch heute noch zu Theil wird. Der einsame Mann, der in den weltfernen Steppen Rußlands so treu des Dichters heimathlichen Still- und Kleinlebens gedenkt und eine Rose auf sein Grab pflanzen läßt, er ist der Typus der deutschen Gemüthsinnigkeit, die auch in den fernsten Himmelsstrichen nicht stirbt und erlischt, wohl aber bei tiefer angelegten Naturen wächst und erstarkt, je ferner ihr das Bild der Heimath entrückt wird. Die Rose, mit welcher der Deutsche von Bessarabien das Grab von Eisenach schmückt, ist ein redendes Bild deutscher Pietät und treuer Heimathsliebe und unter den Spenden für Reuter’s Gruft sicherlich nicht die werthloseste.



Ein „vom Blatte“ spielendes Clavier, welches den bekannten Wunsch aller Mütter, daß ihre Kinder zum zehnten Geburtstage heimlich Clavier spielen lernen möchten, seiner Verwirklichung um viele Schritte näher bringt, ist die nächste Aufgabe, welche sich das Erfindungstalent des Herrn Schmöle in Philadelphia gestellt hat. Auch hier ist es lehrreich zu sehen, wie der Menschengeist von Problem zu Problem fortschreitet. Als die frommen Jesuitenpatres im siebenzehnten Jahrhundert den Bewohnern des himmlischen Reiches die Hölle heiß machten, erregten sie das größte Erstaunen der sonst hochcultivirten Zopfinhaber durch ihre Fertigkeit in der dort noch unbekannten Notenschrift, indem sie nach einmaligem Anhören irgend einer ohrzerreißenden Drachenhymne die Nationalmusik sofort in ihrer ganzen Länge wiedergeben konnten. Aber ihre Zauberei war nur Kinderspiel gegen den elektrochemischen Notenschreiber (Melograph) von Roncali und Serafini auf der Wiener Weltausstellung, der, während ein Künstler am Clavier phantasirt, dieses ganze Phantasiegemälde warm aus dem Genieschädel in wohllesbarer vierfarbiger Notenschrift druckt, sodaß die Componisten nicht mehr klagen dürfen, ihre schönsten Phantasien müßten spurlos in den Lüften verhallen. Jetzt hat nun der obengenannte Künstler eine Maschine ersonnen, welche das schwierigste Musikstück vom Blatte spielen und dabei zehnmal so viel und mehr Tasten greifen kann, als der schnellfingrigste Musiker. Natürlich muß es eine besondere Art von Notenschrift sein, die man als eine Blindenschrift bezeichnen könnte, da sie von einer vielfingerigen Metallhand gleichsam abgetastet wird, während der Notenstreifen unter ihr hinweg über eine Rolle läuft, ähnlich wie der Papierstreifen des Drucktelegraphen. Die Noten werden je nach ihrer Länge (ob es Achtel-, Viertel-, halbe etc. Noten sind) durch mehr oder weniger gestreckte Löcher ersetzt, die wie gewöhnlich in Linien übereinander liegen, sodaß der ganze Streifen eine Schablone darstellt. Auf diesem durchbrochenen Streifen liegt nun, wo er über die Metallwalze läuft, die Metallhand, einem vielzinkigen Kamme gleichend, auf, und jedes Notenloch bewirkt eine längere oder kürzere Berührung des entsprechenden Zahnes mit der Metallwalze. Letzterer empfängt dabei einen elektrischen Strom aus der Walze, den er isolirt zur Ansprache der entsprechenden Pfeife, Saite etc. fortleitet.

Der Erfinder hat zunächst ein großes Orgelwerk (mit Glocken, Trommeln, Cymbeln und dergleichen) ausgestellt, welches, durch den elektrischen Apparat, der die Größe einer Nähmaschine besitzt, gespielt, die Ouvertüren von Rossini’s „Tell“ und „Semiramis“, sowie andere Musikstücke mit höchster Präcision zum Besten giebt. Natürlich ist es ein Spiel „ohne Gefühl“, wie es allen mechanischen Musikwerken eigen ist, dafür kann es aber mit seinen zweihundert Fingern eine ungleich größere Tonfülle entwickeln, als der geschickteste Künstler, und ein Falschgreifen kann ebensowenig eintreten wie Ermüdung. Man sieht, es handelt sich im Wesentlichen um einen Ersatz der kostspieligen Musikwalzen durch billigere Notenschablonen, die zugleich weniger Raum einnehmen. Aber die Hauptsache ist, daß der Erfinder seinen Apparat nun auch auf das Clavier anwenden will, sodaß man künftig blos zu lernen braucht, den Notenstreifen richtig einzulegen, und mit ihm gleich das Virtuosenthum erwirbt. Eine andere Frage ist es, ob diese geniale, an den elektrischen Webstuhl erinnernde Erfindung eine Wohlthat für das menschliche Ohr sein wird. Wenn das Clavier schon bisher ein Werkzeug des Schreckens für ruheliebende Miether war, was soll es dann erst werden, wenn alle diese Möbel in selbstklimpernde Spieldosen verwandelt sein werden! Die Italiener, welche seit Jahr und Tag am Jubiläumsfieber deliriren, wollen im kommenden Mai auch den Erfinder des Fortepiano Barth. Christofali aus Padua (obwohl zwei deutsche Erfinder, Schröter und Silbermann, ihm zuvorgekommen waren) feiern, und hoffentlich ist Herr Schmöle bis dahin mit seiner Umwandlung des Fortepiano fertig.

C. St.



Der Nestor der deutschen Kupferstecher. So nannte schon im Jahre 1860 die Gartenlaube den allbekannten Karl August Schwerdgeburth in Weimar. Sie hatte Recht, denn der Künstler hatte damals bereits das hohe Alter von fünfundsiebenzig Jahren erreicht. Aber fünfzehn Jahre sind seitdem verflossen, und der geniale Meister lebt noch und wirkt noch immer geistesfrisch für seine Kunst, nachdem er am 5. August seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert hat. Dieses seltene Lebensfest eines so hochverdienten und verehrten Mannes lenkt von selbst die allgemeine Theilnahme abermals auf ihn und veranlaßt uns, ihm einen herzlichen Spätabendgruß zuzurufen. Bekanntlich Sohn und Schüler eines Dresdener Malers, kam er als zwanzigjähriger Jüngling nach Weimar, wo er durch die junge Erbprinzessin von Weimar, die russische Großfürstin Maria Paulowna, Empfehlungen nach Rußland zu erhalten hoffte. Durch den Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Oesterreich (es war im Herbste 1805) an der Ausführung seines russischen Reiseplanes verhindert, blieb er in Weimar und ward von dem Begründer des Weimarischen Landesindustriecomptoirs, Friedrich Justin Bertuch, bewogen, sich im Kupferstiche zu versuchen. Ohne jede technische Vorbildung, nur selbst experimentirend und den besten Mustern folgend, bildete er sich bis zur Meisterschaft in seiner Kunst aus. Zwei Bilder zu Goethe’s Wahlverwandtschaften, für das Taschenbuch Urania von ihm componirt und gestochen, mochten genügen, um ihm in weiten Kreisen sofort einen geachteten Namen zu erwerben. Zahllose größere und kleinere Bilder folgten. Im Jahre 1824 entstand sein allbekanntes, auch von der Gartenlaube wiedergegebenes Bild, das den Großherzog Karl August unweit des Tempelherrnhauses (Salon) mit seinen beiden großen Hunden darstellt.

Von gleichem Werthe in der Kunst treuester Wiedergabe des Originals ist aus dem Jahre 1832 das Brustbild Goethe’s. Der Dichter sollte noch die Zeichnung davon sehen und sie fand seinen ganzen Beifall, doch noch ehe das Bild gestochen war, war er entschlafen. Diesen Portraits aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_747.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2019)