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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Hutzelmännlein“, „Mozart auf der Reise nach Prag“, „Vier Erzählungen“ folgten im Laufe der Jahre. So abgeneigt im großen Ganzen heute die Menge den Märchen ist, ich glaube, der Nüchternste aus ihr könnte das „Hutzelmännlein“ nicht lesen, ohne von dem Zauber seiner Poesie völlig umfangen zu werden. Er selber ruft einem kritisirenden Freunde zu:

„Die Märchen sind halt Nürnberger Waar’,
Wenn der Mond Nachts in die Boutiquen scheint:
Drum nicht so strenge, lieber Freund,
Weihnachten ist nur einmal im Jahr.“

Noch einmal versuchte Eduard Mörike einen Lehrstuhl der Literatur am Katharinenstift zu Stuttgart einzunehmen, auch das gestattete ihm sein leidender Zustand nicht lange; 1866 trat er ganz in’s Privatleben zurück. Im Verkehr mit seinen Freunden suchte er Freude und Erholung; er war der liebenswürdigste Gesellschafter; besonders gern und mit Meisterschaft las er dramatische Sachen vor und würzte häufig die Unterhaltung mit seinem köstlichen Humor. Ein jedes seiner Worte war von Bedeutung und des Festhaltens werth, aber nie war er anspruchsvoll, und jede Selbstüberschätzung lag ihm fern.

Schwester Clara, die unermüdlich treue Pflegerin, die nie von seiner Seite wich, erzählte mir, daß er seit zwei Jahren mit der Umarbeitung des „Maler Nolten“ beschäftigt war. Sehr oft wurde er in seiner Arbeitszeit von Besuchen unterbrochen und ihm so manche Stunde geraubt, in der er sich frisch und zum Schaffen angeregt fühlte. Aber nie konnte ihn die sorgende Schwester bewegen, sich mit seiner Thätigkeit entschuldigen zu lassen, das schien ihm zu anspruchsvoll. Diese Arbeit ist fast vollendet, und mit ihr werden wohl auch noch andere Sachen aus seinem Nachlasse der Oeffentlichkeit übergeben werden. Fast den ganzen Winter kränkelte er schon; früher war ihm der Gedanke, das Ende herannahen zu fühlen und den Schmerz der Seinigen sehen zu müssen, furchtbar gewesen, obwohl er den Tod selber als solchen nicht fürchtete. In der langen Krankheitszeit sah er der Scheidestunde immer fester in’s Auge, immer ruhiger. „Clärle,“ flüsterte er einmal Nachts der an seinem Bette Wachenden zu, „weißt Du, was der Uhland vor seinem Tode seiner Frau gesagt? ‚Emilie, wir müssen uns fügen!‘“ Und ohne weiteren Zusatz verstand das treue Schwesterherz die Bedeutung dieser Worte.

Eine zu seinen übrigen Leiden hinzutretende Wassersucht brachte ihn schnell dem Grabe näher; er litt furchtbar, aber gefaßt.

„Das ist der der Todeskuß,“ sagte er abschiednehmend zu den Seinen, und bald darauf, am Morgen des 4. Juni hatte er die Augen auch zum Todesschlafe geschlossen. Er hinterläßt die Gattin, zwei Töchter und die treue Schwester. Schätze hat er weder aus dem Erlöse seiner Werke noch seiner Berufsthätigkeit sammeln können, und seine Ansprüche gingen auch nie über das Maß des Nothwendigen hinaus. Kurz vor seinem Tode hatte ihm der König von Sachsen die Zusicherung einer Pension geben lassen, auch die Schillerstiftung hatte die Summe, welche er jährlich durch sie empfing, erhöht – er hat Beides nicht mehr genossen.

Ein Lieblingsgedanke der Schwester war der, ihn, wie er oft gewünscht, auf einem ländlichen Friedhofe ruhen zu lassen – Cleversulzbachs stiller Todtenort wäre ihr des Geschiedenen am würdigsten erschienen. Aber die bei jedem Todesfalle über die Angehörigen hereinbrechende Hülflosigkeit und andere Schwierigkeiten hatten den stillen Wunsch nicht laut werden lassen.

Eine besondere Freude hatte ihm, nach der Schwester Erzählung, die Zeichnung der Gräber von Schiller’s und von seiner eigenen Mutter in der Gartenlaube (Nr. 50 des vorigen Jahrganges) und die Erwähnung, daß er der Finder und Hüter des erstern gewesen, gemacht. Damals mochte er noch nicht ahnen, wie bald man auch ihm sein letztes Bett höhlen werde – und doch war es die Erfüllung des von ihm selber gesungenen Liedes vom Tännlein und Rosenstrauch, die wer weiß wo im Walde und in welchem Garten grünen und blühen:

„Sie sind erlesen schon,
Denk’ es, o Seele,
Auf Deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.“

Hübsch wäre es gewesen, man hätte dem Dichter der Dorfidylle ein Grab neben den beiden Dichtermüttern geben können; die Buche seines Gartens hätte leise zu ihm herüber gerauscht, der Wind auch wohl im Herbste ein dürres Blatt von ihr nach dem Hügel getragen. Aber auch dort, wo er schlummert, gleiten die Strahlen der Sonne über sein Bett, werden Blumen es überwachsen und wird der Morgenthau in ihren Kelchen wie Thränen funkeln – wer weiß, ob sich in der Nacht, nachdem sich über ihm die Erde geschlossen, nicht begab, was er einstmals „um Mitternacht“ geschaut:

„Gelassen stieg die Nacht an’s Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die gold’ne Wage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
     Und kecker rauschen die Quellen hervor,
     Sie singen der Mutter, der Nacht, in’s Ohr
     Vom Tage,
     Vom heute gewesenen Tage.“

E. Vely.




Hund und Katze. Im vorigen Jahre erhielt ich ein Hündchen männlichen Geschlechts, von einer den Wachtelhunden verwandten Bastardart, welches im Hause aufgezogen wurde. Als der Winter herannahte, fand sich dazu eine junge bereits erwachsene Katze ein, welche, in einem Winkel des benachbarten Hofes geboren, schon lange Zeit in der Nähe des Hauses sich herrenlos umhergetrieben hatte. Anfangs ungewöhnlich scheu und wild, nahm sie später, vom Hunger getrieben, die hingeworfenen Brocken an. Die rauhen Herbststürme trieben sie bald in Haus und Küche. Die ihr gebotene Gastfreundschaft vergalt sie durch zuvorkommendes Betragen gegen den kleineren Hund, der sie schließlich in seinen Korb mit aufnahm. Von diesem Augenblick an lebten beide hier in der zärtlichsten Gemeinschaft, schliefen, fraßen und spielten mit einander, und die Katze hatte sich auf diese Weise, als Spielkamerad des Hündchens, das Recht der Hausgenossenschaft erobert. Die Freundschaft erlitt dadurch keinen Abbruch, daß der Hund, als er ausgewachsen war, ungefähr die Größe der Katze erreichte, und ging zuletzt so weit, daß beide Thiere gegenseitig Eigenschaften von einander annahmen. Die ersten Anfangsgründe hündischer Bildung: das Aufwarten oder „Schönmachen“ erlernte die Katze, ohne jeden Unterricht, schneller als der Hund. Wenn sie bitten will, setzt sie sich, unaufgefordert, auf den Hinterbeinen kerzengerade in die Höhe. Der Hund dagegen begann sich nach Katzenart zu waschen, doch hat er diesen Trieb zur Reinlichkeit wieder verlernt, nachdem er die Erfahrung gemacht, daß seine Wäsche in eindringlicherer Weise, auch wider seinen Willen, von stärkerer Macht besorgt wurde. In ihren Spielen war die Katze jedoch ohne Ausnahme der nachgiebige Theil. Sie ließ sich vom Hunde am Fell durch den ganzen Hausflur zerren, so daß sie dabei häufig vor Schmerz schrie, ohne sich anders, als mit schwachen Pfotenhieben, bei eingezogenen Krallen, zur Wehre zu setzen. Offenbar machte ihr das Spiel Vergnügen, denn sie suchte den Hund immer wieder von Neuem auf und beide kugelten sich dann fröhlich über einander. Selbst der Ernst des Katzenlebens vermochte diese Eintracht nicht zu stören.

Im Frühjahre fanden sich Anzeichen, welche junge Familie in Aussicht stellten. Die Katze ließ sich seltener sehen, und bald entdeckte man auf dem Boden eine mit Stroh gefüllte Kiste, welche sie sich sorglich als Wochenbett zugerichtet hatte. Ich war begierig zu sehen, ob die innige Freundschaft beider Thiere unter so erschwerenden Umständen sich bewähren würde, als eines Tages sich im Stroh der Kiste ein lebendiges blindes Kätzchen, neben einem todten, bei der jungen Mutter vorfand. Aber was geschah? Die Katze, welche zum Fressen vom Boden herabgekommen war, suchte ihren Freund auf, und es war deutlich zu ersehen, daß sie sich bemühte, ihn die Treppe hinauf zu locken. Sie blieb von Zeit zu Zeit stehen, ging ihm, wenn er nicht gleich folgte, wieder entgegen und führte ihn endlich zu ihrer Kiste, um ihm das junge Kätzchen zu zeigen. Am nächsten Tage fand ich alle drei, die Mutter, das säugende blinde Kätzchen und den Hund, einträchtig im Stroh liegend und Hund und Katze sich gegenseitig leckend. Seitdem werden die Spiele zu Dreien fortgeführt. Die kleine Katze, welche jetzt schon laufen kann, bildet dabei den Gegenstand gemeinschaftlicher Zuneigung, und nicht ein einziges Mal ist beobachtet worden, daß diese Spiele in ernstliche Streitigkeiten ausgeartet wären, obgleich der kleine Hund das Kätzchen mitunter so gewaltsam behandelt, daß es laut schreit.

Unsere Hausthiere haben für gute Behandlung und Wohlthaten, die ihnen erwiesen werden, Sinn genug, um Liebe und Vertrauen für ihre lebendige Umgebung zu gewinnen. Daß diese Gefühle so weit gehen, ihnen den natürlichen Trieb, ihre Jungen zu schützen, unterzuordnen, ist freilich selten, aber ein Beweis dafür, in welchem hohen Grade das Geistesleben der Thiere gesteigert werden kann, wenn der Mensch sie zu sich heranzieht, statt, wie es leider so oft der Fall ist, den Keim der in ihnen ruhenden guten und liebenswürdigen Eigenschaften durch rohe und abstoßende Behandlung zu vernichten.

M.



Kleiner Briefkasten.

K. in Fth. In Zürich existirt, nachdem die Aussicht vom Hôtel Bauer vollständig zugewachsen ist, überhaupt nur noch ein Hôtel, von dem aus man den ganzen See überblicken kann, Hôtel Bellevue. Die Lage des Hauses hart am See und die Aussichten von den Balcons über den Seespiegel hinweg nach den Alpen sind entzückend schön.



Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die kommende Nummer beginnt mit einer Geschichte aus dem baierischen Oberlande von dem beliebten Erzähler

Herman Schmid, „Hund und Katz’“,

der, wie wir mit Bestimmtheit hoffen dürfen, noch in diesem Quartal die

„Namenlose Geschichte“ von E. Marlitt

folgen wird.




Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennige erhöht. (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennige anstatt 1 Mark 60 Pfennige). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_444.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)