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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


auch nur Zweifel an der Möglichkeit, solche Fragen überhaupt zu lösen, entgegengehalten wurden. Auf die geringste Gegenbemerkung antwortete er dann mit einer Fluth von Beredsamkeit. An den beiden Hauptlehrsätzen („Gott und Unsterblichkeit“), welche den meisten, obwohl nicht allen Religionen eigen sind, hielt er mit Wärme, sogar mit Heftigkeit fest. Oft erwähnte er, er sei mit einem Werke über den Gegenstand beschäftigt. So viele Jahre sind seitdem verflossen, daß sich ohne Zweifel unter seinen hinterlassenen Papieren eine fertige oder nahezu fertige Abhandlung darüber vorfinden muß.

Abgesehen von seiner Bekanntschaft mit Dem, was sich aus dem Kreise demokratischer Verbannten heraus in Italien, Russisch-Polen und anderwärts gestaltete, verhielt sich Ledru-Rollin als ruhiger Zuschauer. Eine Ausnahme machte er in einem einzigen Falle, bei welchem Frankreich näher in’s Spiel kam. Ich meine den Krieg Napoleon’s gegen die mexicanische Republik.

Als dieses Verbrechen gegen die Unabhängigkeit eines freien Volkes versucht wurde, das später zu Queretaro seine blutige Sühne fand, entstand eine tiefe Bewegung unter denen, welche der politische Schiffbruch von 1848 bis 1849 an Albions Ufer geworfen hatte. Noch war der Sturm der Sclavenhalter-Empörung nicht über die nordamerikanische Union losgebrochen. Aber schon sahen die Weiterblickenden, wie sich auch diese Wetterwolke rasch am Himmel zusammenzog und die Republik der Vereinigten Staaten mit Zerschmetterung bedrohte. Einer Thatsache sei hier erwähnt, welche beweist, mit welchen Plänen Napoleon der Dritte sich damals schon gegenüber Deutschland trug. Mir ist bekannt, daß der Franzosenkaiser im Jahre 1862, mittelst des Ratazzi’schen Cabinets, Italien zur Theilnahme am mexicanischen Kriege veranlassen wollte. War der mexicanische Krieg glücklich beendigt, so sollte ein gemeinsamer Angriff Frankreichs und Italiens gegen Deutschland erfolgen, wobei eine italienische Heeresabtheilung am Rhein mit den Franzosen, eine französische mit den Italienern von Süden her gegen uns zusammenwirken sollte. Für Garibaldi sollte im Orient ein Feld der Thätigkeit geschaffen werden, um Oesterreich zu beschäftigen und abzuziehen. Ueber die näheren Einzelheiten gehe ich hier weg. Nur Das sei gesagt, daß Garibaldi, dem betreffende Eröffnungen gemacht wurden, den ganzen Plan durch den Zug gegen Rom durchkreuzte. Wohl unterlag er bei Aspromonte; allein mit dem neuen französisch-italienischen Bündnisse war es von da an aus. Die mexicanische Republik sowohl, wie die deutsche Nation, schulden ihm daher für die That von 1862 nicht minder Dank, als die Italiener selbst. Dies muß trotz seiner Betheiligung am Kriege von 1870 bis 1871 offen und frei anerkannt werden.

Doch zu Ledru-Rollin zurück! Ihn bewegte es tief, daß, nachdem die römische Republik durch Frankreichs Waffen gefallen war, nun auch der Freistaat Mexico unter französischem Schwerte verbluten sollte. Der Vorschlag, den ich ihm machte, an den Präsidenten Lincoln eine Mittheilung abgehen zu lassen, welche darauf berechnet war, die demokratischen Kräfte Frankreichs gegen die napoleonische Politik in’s Feld zu führen und dadurch Mexico Luft zu verschaffen, fand deshalb bei ihm williges Gehör. Die republikanische Partei war damals in Paris und anderen größeren Städten Frankreichs wieder stark in der Bildung begriffen. Unter dem französischen Heere selbst, das bekanntlich die überseeischen Feldzüge nicht liebt, herrschte tiefe Verstimmung, die sich in einzelnen Fällen bis zur Meuterei steigerte. Bei solcher Lage war es nicht allzu schwer, den bewegenden Hebel anzusetzen. Für die Vereinigten Staaten mußte es von Wichtigkeit sein, der französischen Unternehmung ein baldiges Ende gemacht zu sehen, denn hatte sich einmal ein „Lateinisches Kaiserreich“ am Golf festgesetzt, so war für die Sclavenhalterliga, deren Anfänge sich schon zeigten, ein starker Rückhalt gegeben. Französische Truppen und französische Kriegsschiffe würden dann an der Zerstörung der vierten Republik (nach der Zerstörung der römischen, französischen und mexicanischen) theilgenommen haben.

Ledru-Rollin ließ sich bewegen, zum Zwecke einer Erhebung in Paris neue Anknüpfungen zu machen. Waren genügende Mittel vorhanden, so konnte die Mißstimmung unter den französischen Truppen zu einem Schlage verwerthet werden. Die vertrauliche Zuschrift an den Präsidenten Lincoln, von mir entworfen, trug Ledru-Rollin’s, Mazzini’s und meine Unterschrift. Lincoln wies den ihm entwickelten Plan nicht von der Hand, behielt sich aber die Entscheidung für den äußersten Fall vor. Mittlerweile rangen die Unionsheere mit den Südbündlern. Als ein Augenblick kam, wo jener Plan hätte verwirklicht werden können, fiel der treue Beamte der Republik, unter der Hand von Ravaillac Booth.




In dem Maße, wie in Frankreich die Bewegung gegen die tyrannische December-Herrschaft an Stärke wuchs, erschien es um so wünschenswerther, daß auch im Kreise der verbannten republikanischen Führer jenes Landes größere Einigkeit wieder hergestellt, daß die Trennung zwischen Alt- und Neurepublikanern, zwischen Socialisten und „Blauen“, und wie die inneren Gegensätze alle heißen, endlich aufhöre. Ein Mann von Victor Hugo’s Bedeutung durfte bei einem Einigungsversuche nicht außer Acht gelassen werden, wenn er auch einsam auf seinem Inselfelsen, außerhalb der Strömungen Londons, saß. Ledru-Rollin konnte sich, als Hugo vor Jahren bei ihm hatte vorsprechen wollen, leider nicht überwinden, ihn zu sehen. „Der Geächtete,“ sagte er, „hat mit dem Aechter nichts zu thun.“ Dies bezog sich auf Victor Hugo’s Theilnahme an dem Beschlusse, durch welchen nach dem 13. Juni 1849 der Belagerungszustand über Frankreich verhängt wurde.

Louis Blanc, der socialistische Arbeiterführer Greppo und Andere, mit denen ich befreundet oder bekannt war, zeigten sich zur Einigung willig und beabsichtigten, von Zeit zu Zeit durch eine gemeinsam unterzeichnete Druckschrift die Versöhnung aller republikanischen Parteibruchtheile zu beweisen. Leider gelang es nicht, Ledru-Rollin, dem ich auf den Wunsch der französischen Freunde den Gedanken mittheilte, zum Beitritte zu bewegen. Bei zufälliger Begegnung von Louis Blanc und ihm in meinem Hause sah ich indessen mit Freude, daß die Spuren früherer Mißverständnisse in der Wärme des persönlichen Verkehrs rasch schwanden. Eine leicht bewegliche Natur, gab Ledru-Rollin sich bei solchen Anlässen auf’s Liebenswürdigste. Doch war er nicht dazu zu bringen, seinen Verkehrskreis zum Nutzen politischer Zwecke dauernd zu erweitern. Gegenüber Manchem, den zu sehen für ihn von Nutzen gewesen wäre, schloß er sich fast mit Strenge ab.

Als Garibaldi seinen Triumph-Einzug in London hielt und ganz England, vom Arbeiter bis zum Lord, in einem Begeisterungsfieber zu sein schien, war es nur naturgemäß, daß zwei einander zwar bisher persönlich unbekannte, aber durch Opfer für eine gemeinschaftliche Sache durch die That verbundene Männer sich freundschaftlich nähern, ihre Meinungen austauschen, vielleicht auch wegen der Zukunft sich berathen sollten. Garibaldi war das Schwert des römischen Freistaates gewesen. Kurz vor seinem Zuge von 1862 hatte er den Beschluß wieder veröffentlicht, durch welchen die römische Nationalversammlung, kurz vor dem Eindringen der Franzosen, ihm die Vollmacht ertheilte, bei günstigen Umständen die Volksfahne wieder zu erheben. Seinerseits war Ledru-Rollin zum Ehrenbürger dieser römischen Republik ernannt worden und hatte um ihretwillen bereits fünfzehn Jahre Verbannung durchgemacht. Sollten zwei Männer von solcher Stellung einander fremd bleiben?

Und gleichwohl, ergaben sich Schwierigkeiten. Im Palaste des Herzogs von Sutherland wohnend, war Garibaldi von Einflüssen umringt, die ihn von der engeren Berührung mit seinen wirklichen Gesinnungsgenossen abzuhalten suchten. Tag um Tag fast hülflos da und dorthin geschleppt, war er weder Herr seiner Zeit noch seiner Bewegungen. Mir war es, in Folge seiner freundschaftlichen Einladung, möglich gewesen, bereits vor seinem Einzuge in London, ruhig und ungestört im Hause des Parlamentsmitgliedes Seely auf der Insel Wight mit ihm zusammen zu sein, ehe ich im Namen einer Massenversammlung von Londoner Deutschen, in Begleitung von Freiligrath, Kinkel und Anderen, als Sprecher ihn zu begrüßen hatte. Gleich bei erster Begegnung fand ich Garibaldi begierig, mit den hervorragenden demokratischen Parteiführern zusammenzutreffen, deren Namen ich ihm nannte.

Durch ein Gefühl bewegt, das ich wohl begriff, aber nicht theilte, hielt Ledru-Rollin es als Franzose für richtig, daß nicht er zu Garibaldi, sondern Garibaldi in das Haus des französischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_162.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)