Seite:Die Gartenlaube (1875) 068.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Dem Doctor Eisenbart konnten die Juniustage in Wetzlar mit der Berühmtheit, die sie ihm einbrachten, nur erfreulich sein. Er konnte sich keine bessere Reclame wünschen. War sie doch so wirksam, daß sein Name bis auf den heutigen Tag unvergessen geblieben ist, wenn auch die Erinnerung an ihn allmählich immer dunkler und mythischer wurde.

Ob aber die Herren Ingelheim, Solms, Pyrck und wie sie alle heißen, es wohl für möglich gehalten haben, daß man einst von ihren Zänkereien, denen sie eine Wichtigkeit beimaßen, als hinge das Wohl der Welt davon ab, daß man von den umfangreichen Aktenstößen, ihres fastnachtsmäßigen Processes einst nur Notiz nehmen würde wegen der Erwähnung – des Doctor Eisenbart?




Ein Marlitt-Blatt.

Die Redaktion der „Gartenlaube“ ist im Verlaufe des vorigen Frühlings mit einer Gabe der Kunst überrascht worden, die sie um der dadurch Gefeierten willen auf das Freudigste willkommen heißen mußte. Ein „Marlitt-Blatt“ nannte der Meister, Gustav Bartsch in Berlin, die sinnige Composition, in welcher er „E. Marlitt, umgeben von ihren Geisteskindern“ darstellt. Das Originalgemälde, das im Auftrage der Buchhandlung Burmester und Stempelt in Berlin ausgeführt und nach welchem die Zeichnung zu unserem Holzschnitt genommen ist, hat eine Höhe von siebenundsechszig und eine Breite von fünfzig Centimeter[1] und schmeichelt dem Auge sich außerordentlich gefällig gleich auf den ersten Blick dadurch ein, daß der Arabeskenschmuck, welcher die fünf Gruppen und das Bildniß der Dichterin umgiebt, und die Ornamentalfiguren ober- und unterhalb der Gruppen und des Portraits als in weißem Marmor gearbeitet dargestellt sind und den Farbenreichthum des Ganzen lieblich mildern.

Ebenso glücklich müssen wir den Künstler hinsichtlich der Auswahl der dargestellten Scenen, wie der Charakteristik der vorgeführten Hauptpersonen der nun vollendeten fünf großen Romane von E. Marlitt preisen. Zur Linken vom Bildnisse der Dichterin sehen wir unten die Goldelse in dem verhängnißvollen Augenblicke, wo sie ihrem künftigen Gemahle das Leben und dadurch den wichtigsten Theil des Romans rettet. Darüber läßt uns der Künstler das trauliche Zusammensein der alten Mamsell mit Felicitas belauschen, die das für die Enthüllung des Geheimnisses wichtige Armband prüfend in der Hand hält. Im oberen Mittelbilde stehen wir vor der Entlarvung des Hofmarschalls, der zum letzten Male Mainau und der kaum vom Wassertode erretteten „zweiten Frau“ gegenüber tritt. Recht sinnig ist rechts daneben auch Gisela bei ihrer ersten Bethätigung von Barmherzigkeit dargestellt, beobachtet von dem „Brasilianer“. Das Haideprinzeßchen aber fängt im letzten Bilde des Blattes ihr Leben erst an und erfreut uns mit dem prächtig-kecken Kindesgesichtchen.

Ein solcher Gruppenkranz ist allerdings wie eine gesammelte Ausgabe der Ehren einer Dichterin, die im Verlaufe weniger Jahre ein Liebling vieler Tausende geworden ist. Denn wenn Romane, die weder durch Bändezahl noch durch besonders fesselnden geschichtlichen Stoff glänzen, sondern immer nur je ein Stück Leben aus der Gegenwart zum Gegenstande haben, nachdem sie in der gelesensten Wochenzeitschrift ihre erste Verbreitung gefunden, dann noch als Bücher, von denen kein einziges Recensionsexemplar ausgegeben worden ist, wenn sie, sagen wir, dennoch binnen wenigen Jahren sechs, acht und zehn Auflagen erleben, und zwar nicht sogenannte Romanauflagen von fünf- bis achthundert, sondern Auflagen von vier- bis fünftausend Exemplaren – so ist man wohl zu der Annahme berechtigt, daß mit diesen Romanen die Literatur reicher um Schöpfungen geworden sei, die zu den Herzen Aller sprechen. Dieses Glück ist E. Marlitt’s Werken zu Theil geworden.

Nun ist’s eine alte Klage der Schriftsteller und Dichter, daß das Publicum, auch wenn es den Werken eines Autors huldige, doch seiner Person in der Regel kalt und theilnahmlos gegenüber stehe; nur der Bühnendichter genieße den Vorzug, für eine gelungene Leistung bei etwaiger Anwesenheit auch persönliche Auszeichnung davonzutragen. Diese Klage ist nicht unbegründet. Man erlebt es nicht selten, daß in geselligen oder Familienkreisen irgend ein Geisteswerk Freude, ja Entzücken bereitet, daß jeder Mund von Lob überströmt über die genossene Erhebung – aber wie viel Tausende dieser Fälle gehören dazu, bis es einer Seele solcher im Augenblicke Dankbaren einfällt, dem Freudespender selbst über einen solchen Erfolg seines Werkes Kunde zu geben! Wie oft hätten ein paar Worte auf ein Blättchen Papier und ein Groschencouvert genügt, um einen Gott weiß von welchen Sorgen niedergedrückten Geist zu erquicken und neu zu beleben! Nicht besser macht es der Einzelne, der daheim sich an einem Buche, einem Kunstwerke gelabt, wie die große Masse, die ein Werk zur lauten Begeisterung anregt – hier wie dort verläßt sich Jedermann recht bequem auf die öffentliche Kritik und Niemand fühlt, daß ein freudig dankender Brief dem Betreffenden oft mehr werth sein kann, als Dutzende von Recensionen.

Wenn nun einem schaffenden Geiste auch diese seltenen Freuden reichlich zu Theil werden, sollen wir uns nicht Alle darüber mit freuen? Sollen wir dies verschweigen, etwa um nicht Andere zu verletzen? Kann überhaupt solche unmittelbare Anerkennung ernsterworbenen Verdienstes Neid erregen? Muß nicht vielmehr das eine Beispiel in Allen die Hoffnung wachrufen, daß unser Volk doch nach und nach zu dem Grade der höchsten, der Herzensbildung erhoben werde, auf dem es fähig wird, mit den Geistern der Nation, auf welche es stolz zu sein Ursache hat, in engere, persönlich erquicklichere Beziehung zu treten? Es fehlt noch so viel daran, daß in jedem Orte ein heimisches Talent nach seinem Werthe für das allgemeine Wohl, die allgemeine Förderung des Menschenglücks durch Bildung recht gewürdigt werde, daß wir jeden Weg, der zu diesem Ziele führt, freudig begrüßen müssen. Unser Beispiel ist ein solcher Weg, und nur darum, und durchaus nicht in der ohnedies längst unnöthig gewordenen Absicht, dieser stillen Huldigung noch eine öffentliche hinzuzufügen, machen wir uns die Freude, das Folgende mitzutheilen.

Die Leser unseres Blattes stimmen uns wohl alle darin bei, daß E. Marlitt, seit sie ihnen ihre „Goldelse“ vorgeführt, ein so offenbares Vertrauen in den Herzen ihrer Verehrer gewonnen, daß jede ihrer neuen Schöpfungen eine gesteigerte Theilnahme fand. Dies, aber noch schöner die stille Lust an ihren immerfrischen Gestaltungen spricht sich in verschiedenster Weise in den Briefen aus, die sie schon zu Hunderten empfangen hat. Es ist wirklich ehrliche Freundes Mitfreude, welche den Verfasser verführte, aus dem großen Vorrath sich Einiges auszubitten, angeblich um es daheim in Andacht zu genießen. Und nun kommt uns das „Marlitt-Blatt“ dazwischen und zwingt uns, unsere Freude darüber und über die ganze Marlitt auszusprechen. Sollen wir Das ganz allein thun? – sollen wir nicht Diejenigen mitsprechen lassen, deren Briefe meist erst durch die Hand der Redaktion an ihre Adresse gelangt sind?

Geben wir zuerst einem „Schweizermädchen“, wie die Briefschreiberin sich selbst nennt, das Wort. Ihr hat besonders „Die zweite Frau“ es angethan. „Sie“ – schreibt sie – „ist die Zauberin, die meine Bedenken (über die Absendung eines solchen Briefes) überwunden und mich endlich das ausführen läßt, was Jahre schon mein heißer Wunsch war: Ihnen zu danken für den hohen Genuß, den Ihre Feder, diese ‚Fee’, mir und den Meinen schon verschafft hat. – – Es kann mir nicht einfallen, Ihnen hier über ‚Die zweite Frau’ zu wiederholen, was Sie tausendfach besser gehört, ich fände auch gar keine Worte dafür, als vielleicht das Eine: Verehrte Frau, Sie sind eine Dichterin von Gottes Gnaden! Nicht wie der Höfling und devote Unterthan diese Worte gebraucht, sondern wie ich, die Republikanerin, sie verstehe.

  1. Durch die lithographische Anstalt von Fr. Hartwich in Berlin ist eine Vervielfältigung dieses Oelbildes in gleicher Größe und mittelst Buntdruckes durch sechszehn Platten hergestellt, die durch Burmester u. Stemvell in Berlin, um fünf Mark, jedoch ohne Rahmen, bezogen werden kann. Was wir oben von dem Originale gerühmt, gilt auch von diesen Blättern: Es sind Meisterstücke des Buntdrucks; sie gewähren, in entsprechender Umrahmung, einen recht empfehlenswerthen Wandschmuck.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_068.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)