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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gedicht, welches ich gegen die Bureaukratie gesündigt hatte und in welchem ich die Dreistigkeit hatte, die Beamten mit einer numerirten Herde zu vergleichen, fand besonderen Beifall bei den künftigen Staatsdienern, aber weit geringeren bei dem damaligen Regierungsbevollmächtigten der Universität, der sich wahrscheinlich aus autographischer Liebhaberei in den Besitz desselben gesetzt hatte. Natürlich ließ sich ein solches journalistisches Unternehmen ohne Mitarbeiter nicht bestreiten, unter denen sich einige curiose Käuze befanden. Zu diesen gehörte ein angehender Philosoph, der ohne genügende Vorbildung in die Stromschnellen der Dialektik gerathen war; er hatte ein Drama geschrieben, „Der Sieg der Idee“, in welchem nach seinem eigenen Ausdrucke „die Geschichte hinten herunterfällt“, ein Drama, das sich nicht aufführen ließ und an die philosophischen Dramen der Hindus erinnerte, an diese großartigen metaphysischen Schattenspiele, wie „der Mondaufgang der Erkenntniß“.

Lassalle schrieb für unser Journal philosophische Aufsätze im Stil der „deutschen Jahrbücher“, Aufsätze, die von einer seltenen Begabung zeugten, und in der That, wer seine späteren großen Werke über Heraklit und das Erbrecht, welche für seine meisten Anhänger Bücher mit sieben Siegeln sind, aufmerksam durchstudirte, der muß seinem eminenten Scharfsinn, über den die zünftige Gelehrsamkeit nur selten gebietet, und seinem erstaunlichen Fleiß die vollste Anerkennung zollen. Doch was ein Dörnchen werden will, krümmt sich bei Zeiten – und so krümmte sich das Dörnchen Lassalle in unserem Journal.

Eine studentische Katastrophe sollte den jungen Philosophen in jene ersten Conflicte mit den Behörden bringen, die ihm in späterer Zeit fast zu den täglichen Lebensgewohnheiten gehörten; diesmal waren es indeß die akademischen Behörden, deren Joch immerhin noch süß und deren Last leicht ist. Jene Vorgänge zeugten von einem so leidenschaftlichen Interesse für Philosophie bei der Studentenschaft, wie es heute längst in das Reich der Sage gehört. Der Professor der Philosophie Braniß in Breslau war einer der geistreichsten Docenten der Universität; sein Vortrag war außerordentlich lebendig und anregend. Weniger glücklich war er als Schriftsteller. Eine „Geschichte der Philosophie seit Kant“ hatte es nur bis zu einem Bande gebracht und war in demselben glücklich bis zu dem Anfangspunkte des Werkes, bis zu Kant vorgedrungen; sein philosophisches Hauptwerk stellte als höchstes Princip das „absolute Thun“ hin, während sehr viele Commilitonen sich lieber für das „absolute Nichtsthun“ erklärt hätten. Braniß liebte es, Zeitrichtungen anzugreifen, und so ließ er denn auch eines Tages das schwere Geschütz seiner Dialektik gegen Ludwig Feuerbach spielen. Damit stach er indeß in ein Wespennest. Feuerbach hatte eine große Zahl begeisterter Anhänger, welche ihre Opposition alsbald in thatkräftiger Weise äußerten; sie trommelten und trampelten, und brachten so die Logik des Professors Braniß zum Schweigen.

Es war dies jedenfalls ein unwissenschaftliches Vorgehen. Dieser Ansicht war auch ein Student, Hermann Grieben, jetzt tüchtiger Redacteur der „Kölnischen Zeitung“ und beliebter Dichter; er sprach seine Ueberzeugung in einem Artikel der „Breslauer Zeitung“ aus und tadelte das Benehmen der Studirenden auf das Heftigste. Eine solche Auflehnung eines Einzelnen durfte indeß nicht ungestraft bleiben; es war eine Art von Hochverrath an der Majestät der Studentenschaft. Max v. Wittenburg, damals eines der Häupter der Burschenschaft, später in das feudale Lager übergegangen, berief eine große Studentenversammlung, vor welcher Grieben sich wegen seines Attentats rechtfertigen sollte. Diese Versammlung wurde von dem Rector und dem Senat verboten, aber, wie dies zu gehen pflegt, dennoch abgehalten, und war vielleicht gerade deshalb außerordentlich besucht. Der Angeklagte erschien und vertheidigte sich nach besten Kräften; aber er war schon von Hause aus verurtheilt, und die Catilinarischen Reden regneten nur so auf sein verfehmtes Haupt herab. Unter diesen Anklägern befand sich auch Ferdinand Lassalle; er ließ vielleicht zum ersten Male sein etwas spitzes, aber von nervöser Energie vibrirendes Organ in einer größeren Versammlung ertönen. Seine Beweisführung war wenig volksthümlich; es waren allerlei dialektische Spinngewebe, die er in hastiger Rede zusammenfegte, und so rief sein erster Versuch auf dem Gebiete volksthümlicher Beredsamkeit eigentlich keine durchschlagende Wirkung hervor. Doch an Terrorismus ließ er nichts zu wünschen übrig; seine Rede war mit lauter Donnerkeilen gegen die Ankläger Feuerbach’s hinlänglich ausgerüstet, und man glaubte, als er mit prickelndem Feuer schloß, etwas von jenem Schwefeldampf zu verspüren, welcher das Verschwinden des Mephistopheles begleitete.

Auch ich hatte in jener verbotenen Versammlung gesprochen, natürlich im Sinne der Bewegungspartei, und da ich noch an den Folgen eines Königsberger Consilium abeundi litt und noch nicht rite immatriculirter Student war, so machte man mit mir kurzen Proceß und verwies mich einfach aus der Stadt. Der Regierungsbevollmächtigte erfreute mich außerdem durch den Vortrag einiger Verse, zu deren Autorschaft ich mich bekennen mußte und die, um die Wahrheit zu sagen, äußerst wenig zu meinen Gunsten sprachen. Doch die Studentenschaft benutzte diese Ausweisung zu einer neuen Demonstration; man erkannte mir die Ehre eines feierlichen Geleits zu; Ferdinand Lassalle war mit unter den Entrepreneurs dieser Feierlichkeit. Auch die Landsmannschafter betheiligten sich mit einer Deputation, in welcher sich der jüngst verstorbene wackere Berliner Rechtsanwalt Hiersemenzel befand, damals ein strebsamer Musenjünger, dem die Lyrik in aller Stille und Verschwiegenheit ihre Weiheküsse ertheilte. Es war für ihn der Anfang einer Sturm- und Drangperiode, die an allerlei lustigen Abenteuern reich war; denn der blaß und schüchtern aussehende Jüngling konnte mit seinen damaligen und späteren Erlebnissen eine ganze Chronik füllen.

Außer den Abgesandten der Landsmannschaft hatten sich zu dem Comitat auch einige Breslauer Bürger eingefunden, um den Antheil an den Tag zu legen, den auch die Bürgerschaft allen Bestrebungen zuwandte, die eine Opposition gegen das Cultusministerium, wenn auch in ferner Perspective, zeigten. Vor dem Thor des grauen Bibliothekgebäudes auf dem Sande, in dessen Hof ich meine klösterliche Wohnung aufgeschlagen hatte, wurde es auf einmal in unheimlicher Weise lebendig, vier- und sechsspännige Wagen fuhren vor, die Posthörner schmetterten, Reiter sprengten mit blanken Hiebern in den Hof, Studentenmützen von den verschiedensten Farben wogten durcheinander. Ein langer Wagenzug entführte mich aus der Vaterstadt, vor dem Gebäude des Polizeipräsidiums und Regierungscuratoriums hielt der Zug; die Postillone bliesen das wehmüthige Lied: „Bemooster Bursche zieh’ ich aus“ und weiter ging’s dann nach dem oberschlesischen Bahnhofe, wo vor zahlreich versammeltem Publicum noch einige kräftige Abschiedsreden gehalten wurden.

Doch der hinkende Bote kam nach! Die Unternehmer und Theilnehmer des Comitats geriethen in Untersuchung und auch Ferdinand Lassalle wurde der Märtyrer seiner Ueberzeugungen. Mannhaft trat er dem Universitätsrichter gegenüber und bewies sein gutes Recht mit jener unerschütterlichen Unfehlbarkeit, die auch allen seinen späteren Vertheidigungsreden eigen war. Ich besitze noch einen sehr ausführlichen Brief von ihm, in welchem er mir das ganze Verhör mit allen seinen kecken Antworten mittheilt – wie oft ist mir dieser Jungfernproceß Lassalle’s bei seinen späteren Processen eingefallen! Doch die blinde Themis ließ sich durch das Genie nicht bestechen. Lassalle wurde zu achttägiger Carcerstrafe verurtheilt und genoß so den Vorgeschmack der künftigen Gefängnißstrafen, die dem socialen Agitator zuerkannt wurden.

Nachher verlor ich ihn einige Zeit lang aus dem Gesicht. Als ich ihn dann in Berlin wiedersah, befand er sich in der Epoche der feinen Pariser Hemden und der vornehmen Liebesabenteuer, einer sehr kostspieligen Epoche, die an die Tasche des Vaters appellirte. Alles um ihn war aristokratischer Parfum, Liebesbriefe von dem Umfang einiger Bogen Conceptpapier wurden in echtem Romanstil an vornehme Damen gerichtet; der Don Juan stand in voller Blüthe.

Bei einem späteren Besuch in Berlin fand ich ihn etwas mehr zu den Gretchen und Clärchen herabgestiegen; er liebte nur Naturkinder, huldigte aber außerdem der Freundschaft. Er wohnte mit seinem Freund, dem Doctor Mendelssohn, zusammen, den er in die Geheimnisse der Hegel’schen „Phänomenologie“ einweihte. Das unerwartete Resultat dieser Studien war der berüchtigte Cassettendiebstahl, der nicht lange darauf in Scene ging. Nun begann Lassalle eine öffentliche Rolle zu spielen; ich habe sie mit Antheil verfolgt, bis zu dem Duell, das dem duellfeindlichen Agitator, dem Helden einer Pauk- und Prügelscene

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