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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Talglichte, ohne Eleganz und Bequemlichkeit, einen Leseabend zu verbringen.

Emilia Galotti soll noch einmal von einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft gelesen werden. Professor Feßler, als Schriftsteller bekannt und als genialer Mensch berühmt, steht, als Gründer des Vereins und als Vorsitzender desselben, im Anfange an der Thür, gleichsam als wolle er die eintretenden Häupter seiner Lieben zählen. Bunt, wie es Zufall und Laune gegeben, haben die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft Platz genommen.

Fleck, der geniale Fleck, die Zierde der Nationalbühne, der auf den Bretern so meisterhaft spricht und dessen Leseton in der Gesellschaft doch so häufig das tiefere Gefühl vermissen läßt, liest Don Odoardo, während die Emilia von der graziösen Unzelmann gelesen wird, der übrigen Mitlesenden nicht zu gedenken. Feßler hat am obersten Ende des Tisches Platz genommen. Nicht fern von ihm, ein wenig im Halbdunkel, zurückgezogen sitzt Henriette Herz, ihre classische siegreiche Schönheit auch hier unbewußt zur Schau tragend; während Alexander Graf von Dohna-Schlobitten, der Minister, in ihrem Anschauen versunken, wie hingeworfen zu ihren Füßen, an ihrer Seite ruht; indeß Schleiermacher mit seinem markigen, ausdrucksvollen Gesicht hinter ihrem Stuhle steht, den er, seiner Kleinheit und seines gedrungenen, etwas verwachsenen Körpers wegen, kaum ein Weniges überragt. Dorothea Veit, die Freundin, sitzt am jenseitigen Ende des Saals. Sie scheint mit ihren Gedanken abwesend zu sein – sie blickt träumend, wie in sich selbst versunken, nieder. Denkt sie an Friedrich Schlegel, der abwesend ihr doch ihr ganzes Herz und Empfinden gefangen nimmt? Fischer, der gewaltige Bassist lehnt am Tisch; wo auch Hirt, der Günstling der Lichtenau, der Kunstkenner, Platz genommen, seine weißseidene, mit Gold gestickte Weste, mehr als nöthig, zur Schau tragend, während er zugleich die Beine weit vorgestreckt hält, damit jeder der Anwesenden Gelegenheit hat, die prächtigen, theuren Schnallen seiner mit rothen Absätzen versehenen Schuhe bewundern zu können; des Jabots und der Manschetten mit den feinsten Brüsseler Kanten geziert nicht zu erwähnen. Reichardt, der Capellmeister, geht in genialer Ungebundenheit und Ungeduld bald rechts und links, von einem Platze zum andern. Er hatte, wie im Leben, auch hier keine Ruhe. Joh. Fr. Bolt, der beliebte Kupferstecher, der vier Jahre später ein wohlgelungenes Portrait von Schiller zeichnete, lehnt an der Wand, die ganze Gesellschaft überschauend, als beabsichtige er alle die Charakterköpfe auf einem seiner beliebten Bilder zu verwenden. Schadow, der Schneidersohn vom Dorfe Saalow, der Bildhauer des Grabmonuments des Grafen von der Mark in der Dorotheenstädt’schen Kirche zu Berlin, der Urheber der prächtigen Statue des alten Ziethen, sitzt breitschulterig, starkknochig, so recht als ein Mann aus dem Vollen und dem Volk, mit übereinandergeschlagenen Beinen, den Blick starr auf die Leser gerichtet. Er ist ganz Ohr und zeigt ein tiefes Verständniß für das Gelesene. Später aber wird er seine Ansichten und Meinungen in einem Deutsch kundgeben, das Adelung als mustergültig nicht anerkennen wird. Schadow liebt es nun einmal, sein: „Det is jut und det is nischt“ überall, wo er es kann, anzubringen. Und wie Derflinger als Feldmarschall unter dem großen Kurfürsten seiner früher gehandhabten Schneiderrolle gern gedachte, so verleugnete auch Schadow sein Herkommen nicht und ließ nur zu oft, gleichsam damit kokettirend, den Ton des Elternhauses in seiner Rede durchblicken.

Jetzt aber, während eine Pause im Lesen eingetreten ist – öffnet sich die Thür und der Herzog von Sussex, vor einer Stunde nach Berlin gekommen, tritt ein. Er weiß die Gesellschaft heute hier versammelt und beeilt sich, wenn auch nicht an dem Lesevergnügen Theil nehmend, doch der verehrten Herz seine Aufwartung und Huldigung darzubringen. Er wußte es, daß er Allen ein gern gesehener Gast war. – –

Wie es aber heute der Fall war, an dem so eben geschilderten Leseabend der Feßler’schen Gesellschaft, wo dem Lesen noch eine sehr lebhafte Conversation folgte, so auch später, nachdem sich aus den bescheidenen Anfängen dieser Gesellschaft die später so berühmt gewordene Gesellschaft für in- und ausländische schöne Literatur herausbildete, mit allen mehr oder minder bekannten und berühmten Männern der Zeit als Mitgliedern. Die Mittwochs-Gesellschaft, wie dieser Verein gemeinhin genannt wurde und unter welchem Namen er am bekanntesten ist, obgleich er gemeinhin seine Versammlungen am Montag jeder Woche hielt, war und blieb für lange, lange Zeit – bis auch sie die Stürme der letzten vierziger Jahre hinwegfegten – der Centralpunkt des intelligenten Berlin. In ihr tagten die berühmtesten und angesehensten Männer der Zeit, und jeder Durchreisende von Bedeutung beeilte sich, als Gast in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Und wie die erste Versammlung im Englischen Hause sich zusammenfand, so haben auch alle nachfolgenden ihre Sitzungen in diesem Hause gehalten. Eine Geschichte dieses Hauses mit seinen Vereinen und Gästen, die es im Laufe der Zeit in seinen Räumen gesehen, würde zugleich eine Geschichte der Vereine und Vergnügungen, wie der Bestrebungen zur Bildung des gesammten Berlins abgeben.

Gedenken wir einer Versammlung auch dieses Vereins. Es ist der erste Montag im August des Jahres 1841. Der Schriftführer der Gesellschaft, Alexander Cosmar, der bekannte Redacteur und Herausgeber des Modenspiegels, der, wie Fama wissen wollte, mehr von seiner Frau als von ihm selber geleitet wurde, wie denn auch viele seiner kleinen Theatersachen nicht von ihm, sondern ebenfalls von der Genannten herrühren sollen, deren Anfangsbuchstabe ihres Namens, Alexandrine, nur zu leicht mit dem seinigen vertauscht werden konnte, – hat den einzelnen Mitgliedern durch Circular wissen lassen, daß Tieck in den nächsten Tagen nach einer Reihe von Jahren, wo er nicht in Berlin war, seine Vaterstadt wieder besuchen werde und daß ihm zu Ehren der Verein ein Festmahl zu veranstalten gedenke. Die Vorlesung, die von einem der Mitglieder an diesem Tage gehalten wurde, ist bereits vorüber und die Gesellschaft sitzt, wie sie während des Vortrags gesessen, noch beisammen, um ihre Meinung in Bezug des zu veranstaltenden Festmahls abzugeben.

Schien es doch überhaupt, als ob mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm des Vierten eine neue Aera für Kunst und Wissenschaft, wie für die deutsche Literatur begonnen habe. Rückert, Tieck waren nach Berlin berufen worden. Die Censur war überaus milde, und das Obercensurcollegium zeigte einen Freimuth und eine Freisinnigkeit, die in Erstaunen setzten. Jetzt kam die Frage zu Tage: wird Tieck sein schönes Vorlesertalent auch hier im Verein oder in seinem Hause, wie er es in Dresden seit Jahren gethan, ausüben? Holtei hatte in dem Saale des Englischen Hauses so oft seine Vorlesungen gehalten und in denselben sein schönes und glückliches Talent entfaltet, und es konnte nicht fehlen, daß in der Brust manches der Anwesenden der Gedanke sich breit machte: wird Tieck, der Meister in der Kunst des Vorlesens, den liebenswürdigen Vagabunden Holtei in den Hintergrund drängen?

Es war ein überaus lebhafter Abend; Gedanken und Meinungen jagten sich miteinander.

Wilibald Alexis dreht verlegen seinen kleinen polizeiwidrigen schwarzen Schnurrbart, blickt schüchtern auf und scheint erst jetzt zu bemerken, daß Karl Seidel, der Verfasser des etwas trockenen und nüchternen „Kreuzes in der Mark“, ihm zur Seite sitzt. Ein Gespräch muß begonnen werden, an welchem die Nahesitzenden: Philippi, Graff und Enslin, der Buchhändler, bald Theil nehmen. Eichendorff steht ans Fenster gelehnt. Es ist, als lausche er hinaus, ob nicht ein Posthorn von fern ertöne oder die Brunnen rauschen. Er scheint es träumend vergessen zu haben, daß er als wohlbestallter Regierungsrath im nüchternen Berlin ist und daß er eigentlich gegenwärtig kein Recht hat, seiner Poesie und seinen Träumen Audienz zu geben. Zeune, der Freund der Blinden, ist mit Hitzig in eifrigem Gespräch begriffen. Chamisso’s Name wird genannt und Beide gedenken der Zeit, wo der Dichter freudetrunken das Geld einsackte, das er im Verein zum Besten seiner alten Waschfrau für seine zwei Gedichte, die er für die Genannte hatte einzeln drucken lassen, eingenommen. Der gute Chamisso war niemals glücklicher gewesen, als in jener Stunde, wo der Verkauf jener zwei Lieder eine so namhafte Summe abwarf. Gaudy hatte vollkommene Ursache und ein Recht bei dem Tode des Verfassers des Schlemihl zu rufen: „Mein Chamisso! mein Chamisso ist todt!“ Auch der burschikose offene Gaudy war hinüber; er konnte nicht mehr, wie er dies noch kurz vor seinem Tode gethan, laut und vernehmlich seine Mißbilligung über die Länge und Langweiligkeit eines eben vernommenen Vortrags kund geben. Er schlief den ewigen Schlaf auf dem Kirchhofe vor dem Halleschen Thore.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_031.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)