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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

saß er mit seinen Freunden, dem Dichter Bauernfeld, den Malern Schwind, Schnorr u. A. gemüthlich beim Glase Wein. Toll und lustig war der Kreis, ein Scherz, ein Mummenschanz trieb den andern. Und wenn auch der Reim, der über sie und von ihnen ging:

„Die Künstler waren damals arm,
Wir hatten auch Holz nicht immer,
Doch waren wir jung und liebten warm
Im ungeheizten Zimmer“

seine volle Berechtigung hatte, so war das Leben dennoch schön und des Schaffens Drang fehlte nimmer.

Heiter, froh zieht die lustige Schaar, nachdem des Bechers schäumendes Naß zur Genüge genossen war, die nächtlichen Straßen entlang. Sie schreiten der Donau zu. Der Mond blickt durch vom Wind zerrissene Wolken. Sie wissen und ahnen in ihrer Freude, in ihrer tollen Lustigkeit nicht, daß drüben auf der Brücke ein Mensch starr in das Wasser blickt, daß die klaren, wogenden Wellen ihm zuzurufen und zu winken scheinen: komm’, komm’! hier unten ist Ruh’ und Frieden; sie sehen und ahnen es nicht, daß der Mann sich kopfüber in die Donau stürzt, um gleich darauf von einem Schiffer, der sein Treiben vom Kahn aus beobachtet, herausgezogen und an das Land getragen zu werden. Sie kommen dazu, als der Gerettete am Ufer steht, und erkennen in demselben, in dem Unglücklichen, den Dichter Johann Mayrhofer. Aller Scherz war verstummt. Schubert erfaßt die Hand des unglücklichen, düsterblickenden Freundes. Der aber drängt die Hand zurück, sagt frostschauernd, aber zugleich wild lachend: „Hätt’ nicht gedacht, daß das Wasser der Donau so wenig kalt sei!“ und schreitet ohne Gruß und Dank davon.

Die Freunde gaben sich das Wort, des Ereignisses nicht weiter zu gedenken. Sie hielten es, und so ist es denn gekommen, daß der Versuch des Schwermüthigen, seinem Leben ein Ende zu machen, fast Sage blieb, bis sein späterer Tod auch diesen Vorfall aus der Erinnerung heraus an das Licht des Tages zog.

So kam der 19. November des Jahres 1828 heran. Schubert’s Compositionen waren mehr und mehr zur Anerkennung gelangt, ohne daß jedoch der Ertrag derselben ihn für die Bedürfnisse des Lebens sichergestellt hätte. Er verstand es nicht und hatte es nie verstanden, mit seinen Geistesproducten zu feilschen. Das Privat-Concert, welches er im März vor seinem Tode veranstaltete und in dem nur Compositionen von ihm vorgetragen wurden, ist sein erstes und letztes gewesen, wie Gräfin Caroline Esterhazy seine erste und letzte Schülerin blieb – vielleicht, weil sie zugleich seine einzige, hoffnungslose Liebe gewesen; eine Liebe, von deren Größe sie wohl keine Ahnung gehabt.

„Ich sah nach keinem Monde,
Nach keinem Sternenschein,
Ich schaute nach ihrem Bilde,
Nach ihrem Auge allein“

spielte und sang er für sich. Was er früher einem Freunde über sich selbst geschrieben, war zur düsteren Wahrheit geworden: „Denke Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bietet, als höchstens Schmerz, dem Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmer mehr.“ Man spielte seine Compositionen, man sang seine Lieder, aber von einer vollen, warmen Anerkennung seiner Schöpfungen war noch immer nicht die Rede. Selbst ein Goethe ließ die Schubert’schen Compositionen seiner Lieder unbeachtet. Die Nachwelt sollte auch hier das Versäumte nachholen.

Schubert ist in dem letzten Jahre seines Lebens thätiger gewesen, denn je; es ist, als habe er die Nähe seines Todes geahnt und gefühlt. Sein Schwanengesang war „die Taubenpost“ von G. Seidl. Er kränkelte mehr und mehr, bis Nachmittags drei Uhr vorhin gedachten Tages der Tod seinem Leiden ein Ende machte. In das Gewand eines Einsiedlers gekleidet, den Lorbeerkranz um die Schläfe gewunden, lag er auf der Todtenbahre. Und die Freunde und Bekannten des Verblichenen eilten nach der neuen Wieden, der neugebauten Gasse Nummer 714, um den Sarg des Todten mit Kränzen und Blumen zu schmücken.

Ob sie, der er Alles gewidmet, gekommen, ist nicht bekannt. Auch Johann Mayrhofer kam, er fehlte nicht. Die frühere Therese Grob, nun längst verheirathet, fand ihn, als sie erschien, den Gestorbenen noch einmal zu sehen, am Sarge stehen, starr das Auge auf den Todten gerichtet. Er sah sie nicht, er beachtete sie nicht; stumm, wie er gekommen, schritt er davon; nur über seine Lippen schien es zu zucken: „Mein Franz! wäre ich doch lieber statt Deiner gestorben!“

Auf dem Friedhof in Währing, wo Beethoven ruht, wurde Schubert begraben. So hatte es der Geschiedene in seiner letzten Lebensstunde selber gewünscht. Ob er seiner Liebe gedacht; ob er mit ihrem Namen auf der Zunge gestorben? – Wer kann es wissen! Und Johann Mayrhofer? Er hat dem Freunde als Nachruf ein Lied gedichtet; er hat der Trauermusik, die zu Ehren des Geschiedenen veranstaltet wurde, beigewohnt, dann aber ist er immer einsamer, stiller, menschenscheuer geworden. Er mied die Welt – und die Welt fand kein Interesse, ihn zu suchen. Nur beim Tode Goethe’s erklangen noch einmal die seit langer Zeit verstummten Saiten seiner Harfe.

Und so zog der 5. Februar des Jahres 1835 herauf. Wie Tag um Tag ging Mayrhofer nach seinem Bureau, aber die innere Unruhe des Herzens ließ ihn nicht am Schreibtische ausharren. Was war das ganze Leben für ihn gewesen? Wo hatte er Ruhe, Beruhigung gefunden? Langsam, starr schritt er durch die düsteren Gänge des Amtsgebäudes. Den Gruß der Collegen beachtet er nicht. Er schreitet höher und höher die Treppen hinauf, bis er endlich hoch droben an einem geöffneten Fenster stehen bleibt. Er starrt hinauf zum Himmel, hinaus in die Welt. Die ersten milden Lüfte des Frühlings wehen ihn an. Sie durchschauern ihn, wie die Schauer des Todes. Er lehnt sich weiter und weiter hinaus, ein Schrei, ein Ruf – und er liegt drunten auf der Straße mit zerbrochenem Genick.

Ernst von Feuchtersleben gab die Gedichte des Unglücklichen nach dessen Tode auf’s Neue heraus, ließ jedoch viele der Gedichte, die Schubert componirt, in der Sammlung weg. Und doch sind es diese Compositionen allein, die den Namen Johann Mayrhofer nicht gänzlich untergehen ließen. Wer würde der Gedichte des Geschiedenen denken? er wäre hinweggespült von den Wogen der Zeit – und selbst sein Name wäre verschollen und vergessen.

Friede ihm! –

Fr. Brunold.




Blätter und Blüthen.


Das Local von Goethe’s Wahlverwandtschaften. Nicht Vielen, selbst der genaueren Kenner Goethe’s, dürfte es bekannt sein, daß Goethe bei der Erfindung des Locales seiner „Wahlverwandtschaften“ eine bestimmte, leicht auffindbare Oertlichkeit vor Augen hatte, deren wesentlichste und charakteristischste Motive er in sein Landschaftsbild aufnahm und gerade für die bedeutendsten Momente des Romans verwerthete. Schon vor mehreren Jahren ist dies vom Professor Weiße in Leipzig entdeckt und bisher nur unter der Hand verbreitet worden, die frappanteste Bestätigung der Einzelheiten fand sich im Frühjahre 1865, als der Unterzeichnete mit mehreren anderen Freunden den – jetzt leider vor Kurzem verstorbenen – Professor Weiße auf Ausflügen in der Umgegend von Eisenach begleitete.

Der Ort ist Wilhelmsthal bei Eisenach, bekanntlich ein großherzogliches Lustschloß mit Parkanlagen, an deren Einrichtung Goethe thätigen Antheil nahm. Sofort überzeugend, daß Ottiliens tragisches Geschick hier und nirgend anders sich vollzog, wirkt der Blick auf die drei Teiche – das Bett des hintersten fanden wir trocken –, welche, durch Dämme von einander geschieden, die Thalsohle einnehmen. Hier auf dem vordern Damme stand das zuschauende Volk während jenes unglücklichen Festes, an welchem dort auf dem mittleren Damme das Feuerwerk abgebrannt wurde. Dort hebt sich auch der runde, von schlanken Bäumen umpflanzte Platz mit der Ruhebank hervor, Ottiliens Lieblingsplatz, zu dem sie so gern hinüberruderte und von welchem man zu Wasser schneller, als auf dem Fußwege, zum Schlosse gelangte. Nach kurzem Umhergehen haben wir die vollkommene Illusion, als wandelten wir gleichsam im Romane selbst umher und als müßten wir hinter der nächsten Ecke Eduard und den Hauptmann mit Messungen beschäftigt und unter Berathungen über eine wichtige Veränderung der Anlagen antreffen. Hier liegt der Kahn und wartet seiner Führerin. Charlotte scheint den Ort des neuen Hausbaues aufzusuchen, denn wir finden sie nicht im Thal. Aber wo stand das neue Haus? Professor Weiße fand es auf dem Hirschstein, und in der That hat man von dort einen schönen Blick auf die Teiche, wenn man das inzwischen emporgeschossene Gesträuch hinwegdenkt. Ein Dorf mit Kirche und Kirchhof hat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_615.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)