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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

stürmische Streben einer poetischen Seele scheint ihn früh erfaßt zu haben, aber Vieles ihm unerfüllt geblieben zu sein. Das verräth die spätere Klage:

Wollte einst was Rechtes werden,
Doch mein Vater sagt’ es oft,
Daß man nie erreicht auf Erden,
Was man wünscht und was man hofft.

Und mein Vater war im Rechte;
Wen’ger wünscht’ ich jedes Jahr –
Was ich heut noch werden möchte,
Ist ein Knabe, wie ich’s war.

Aus der glücklichen Kindheit, auf die dieses Gedichtchen schließen läßt, trat er in ein äußerlich und innerlich bewegtes Leben, wie auch dafür seine Gedichte zeugen. Mißstimmung und Thatendrang trieben ihn aus dem Vaterlande – über das Meer, das er in seinem „Atlantischen und Transatlantischen“ besingt. Ob es Heimathsehnsucht war, die ihn von drüben wieder herüber zog?

Da geht ein junger Bursch vorüber,
Summt vor sich hin ein deutsches Lied,
Und trüber wird’s um mich und trüber,
Da Lied und Bursche weiter zieht.

Ich wollte mich doch nimmer kränken,
Nicht um das Land und nicht um sie –
Da kommt das alte Heimgedenken
Mit seiner alten Melodie.

Und er zog wieder heim-, wenigstens europawärts, wohin zunächst, wissen wir nicht; daß eine unglückliche Dichterliebe mit an seinem Herzen zog, spricht er selbst so reizend schön aus:

O daß Du mein geworden wärst,
Ich hatte Dich so lieb!
Der Hafen warst Du, dem ich zu
Durch wüste Wogen trieb.

Der Himmel hat es nicht gewollt,
Mein Kahn treibt still allein –
Wir hätten überselig doch
Zusammen können sein!

Im Juni 1854 schrieb er von Paris aus an Robert Prutz die Widmung seiner Gedichte, deren zweite Auflage bei Schnee in Brüssel erschienen ist. Wie auch in der französischen Hauptstadt sein Blick und Herz „dem armen Volke“ zugewandt war, dafür spricht sein ergreifendes Gedicht „Eine Bettelgeschichte“, und die Klage über sein eigenes unstetes Leben wird in seinem „Ahasver“ laut. In Brüssel, wo er seine letzten Jahre zubrachte und hauptsächlich als Correspondent für die Kölner Zeitung, die „Freie deutsche Presse“, die „Gartenlaube“ und andere Journale thätig war, gehörte er zu den beliebtesten Persönlichkeiten des dortigen Schriftstellerkreises. Dafür zeugt sein Leichenbegängniß, das unter großer Betheiligung auf dem israelitischen Friedhofe stattfand. Der Oberrabbiner Astruc und Max Sulzberger, der Chef-Redacteur der „Etoile belge“, feierten würdig des deutschen Dichters und Publicisten Ehrengedächtniß. Das dauerndste Denkmal hat er sich selbst errichtet in seinem tief aus dem Herzen gekommenen und zu allen Herzen dringenden Lied „An meine Mutter“, das wir aus dem nun längst vergriffenen Jahrgang 1856 der „Gartenlaube“ noch ein Mal hervornehmen und als selbstgewundenen Kranz auf des Dichters Grab legen.




Pioniere des Deutschthums im fernen Westen.
Friedrich Münch. – Carl Riotte. – Eduard Degener. – Löwe-Calbe. – Rudolph Dulon.


Zehntausend in einer Woche, viertausend an einem Tage, tausend mit einem Schiffe, hundertundfünfzig Tausend, welche sich in Deutschland allein noch zur Beförderung gemeldet haben – so lautet das neueste Bulletin der Einwanderung. Seid uns willkommen, ihr Tausende! Es ist hier Raum genug für Alle; habt ihr die Kraft und den Willen zu einem Riesenkampf mit widrigen Elementen, so kann es euch kaum fehlen. Euch ist die Aufgabe minder schwer, als Denen, die einige Decennien vor euch kamen, aber seid ihr nicht besondere Lieblinge des Glücks, so bleibt euch dennoch ein Ringen nicht erspart, welches schwieriger ist, als ihr es euch vorstellen könnt. Die Meisten gehen glücklich aus der Prüfung hervor, aber Viele brechen auch unter der Last zusammen, die Einen mit, die Andern ohne Schuld, und unter den Opfern befinden sich nicht Wenige der Edelsten. Ließe sich auf das Grab jeder im Sturm zerschellten Hoffnung ein Leichenstein setzen – Amerika gliche einem großen Kirchhof und es wären gar rührende Dinge zu erzählen von den Träumen, die nicht in Erfüllung gingen.

Reinhold Solger hat in seinem Romane „Anton in Amerika“ ein wahres Wort gesprochen, wenn er sagt: es gehöre mehr dazu, wenn ein Deutscher in Amerika, als wenn er im alten Vaterlande sich hervorthun und Einfluß ausüben wolle. Wahrlich, die hiesigen Achtundvierziger haben diese Wahrheit allesammt an sich selbst empfunden. So Mancher unter ihnen, der drüben mit seinem Worte und seiner That Hunderttausende beeinflußte und, falls die politische Bewegung zu etwas dauernd Neuem geführt hätte, einen weltgeschichtlichen Namen davontragen mußte, sank nach seiner Einwanderung hierher zu einer blos localen Größe, ja zum ungenannten Privatmanne herab. Hier konnte es nicht gelten, etwas Neues in Staat und Gesellschaft herzustellen; man fand fertige, durchaus geregelte Zustände vor, in welche man sich mit allen anderen eingewanderten Landsleuten erst einleben mußte. Hier herrschten in erwerblicher und gewerblicher Hinsicht nicht jene kleinlichen, spießbürgerlichen deutschen Verhältnisse, aus denen man hergekommen war, sondern großartige, gewaltig vorwärts drängende, aus welchen man selbst gar viel zu lernen, bei denen man ganz neue, drüben ungewöhnliche Maßstäbe anzuwenden hatte. Hier konnte der Genialste und Gelehrteste zunächst nur als Schüler und Nachahmer, nicht als Lehrer und Neuerer figuriren, ganz wie seine weniger hervorragenden Landsleute, die sich in der That rascher in das neue Leben fanden und ihm Vortheile abgewannen, weil sie von Haus aus praktisch verständiger geblieben waren, und die deshalb bald auf ihre ideeller ausgebildeten ehemaligen Führer von einer gewissen Höhe herabsahen. Im Erlernen der Landessprache freilich, ohne welche hier kein Gedeihen des Einzelnen möglich, hatten es die Letzteren leichter; aber für ihr drüben Erlerntes, für ihre Wissenschaft und Kunst, ihre Reformgedanken und Denkerfindungen und Fertigkeiten gab es hier so gut wie keinen Markt, während die rüstigen Arme deutscher Bauern und Handwerker überall gesucht waren. So rächte sich die einseitige Mitgift des alten Vaterlandes, der Stolz des echten Deutschthums, gerade an seinen gebildeteren Söhnen auf’s Empfindlichste. Ach, wie bitter war diesen lange, lange Zeit das Exil! Wie viele gingen leiblich und geistig zu Grunde! Und die sich schließlich zur Selbstständigkeit und einer höheren Bedeutung für die neue Heimath emporarbeiteten – wie viel höher ist ihr Verdienst zu würdigen, als dasjenige gleich hervorragender Männer im alten Vaterlande!

Unter den verdienstvollsten Deutschen Amerikas muß Friedrich Münch[1], jetzt Staatssenator von Missouri, genannt werden. Sein Name und seine Vergangenheit sind allerdings Vielen im alten Vaterlande bekannt genug, zumal seinen Zeit- und Strebensgenossen aus der burschenschaftlichen Periode. Arnold Ruge hat in seinem interessanten Buche „Aus alter Zeit“, und er selbst hat in seiner Selbstbiographie (in den „deutsch-amerikanischen Monatsheften von C. Butz, jetzt Lexow“) die Erinnerung an seinen Antheil an Deutschlands Wiedergeburt im Gedächtniß jüngerer Geschlechter wieder aufgefrischt. Man kann als bekannt voraussetzen, daß Friedrich Münch mit den beiden Follen, seinen Schwägern, und mit den beiden Wesselhöft jene ältere deutsche Einwanderung nach den Vereinigten Staaten organisirt hat, die der Reaction von 1833 und 1834 entsprang und durch Wort, Schrift und Beispiel das Meiste dazu beigetragen hat, daß die deutsche Bevölkerung Amerikas seitdem um mehr als zwei Millionen gewachsen ist. Er war es ganz besonders, welcher die deutsche Einwanderung nach dem fernen Westen, nach Missouri und Illinois, gelenkt und ihr dadurch einen hervorragenden Einfluß gesichert hat. Wenn St. Louis eines vorwiegend deutsche Stadt geworden ist; wenn diese deutsche Stadt alsdann im Sonderbundskriege den Staat Missouri der Union gerettet und dadurch von vorn herein der Unionssache eine günstige Wendung gegeben hat; wenn auch im anstoßenden Illinois, Indiana,

  1. Unsere Leser kennen diesen trefflichen Mann aus seinem Beitrag in Nr. 27.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_597.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)