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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wie war der Tiroler Wein so kühlend und wie prangte drüben der Hohenwerfener Bergkegel am Tännenzug und der Stuhlwandkogel so hoch und leuchtend im Sonnengold des späten Nachmittags, von lilagrauen Schatten duftig modellirt! Harmonisch lag es da, das stolze, glanzumgossene Berggebilde, und wir priesen noch einmal das Licht, mag es ruhen auf dem schönen Antlitz der Natur oder auf dem Antlitz des Menschengeistes und der Nationen.




Blätter und Blüthen.

Aus dem Copirbuch eines Agitators. Möge man die Bedeutung und den Charakter Ferdinand Lassalle’s als öffentliche Person auffassen wie immer, jedenfalls besitzt seine letzte agitatorische Thätigkeit noch Interesse genug, um von seinem eigenen privaten Gesichtspunkte aus beleuchtet zu werden. Ein Copirbuch Lassalle’s, das ich beim Trödler kaufte, giebt uns die Mittel an die Hand, diese Beleuchtung auszuführen. Wir können ihn von Einer Seite wenigstens zeigen, wie er sich selbst gemalt. Es enthält zumeist nur eine Anzahl Briefe in seiner Eigenschaft als Präsident des Arbeitervereins; aus ihnen geht die Wahrheit über die Bedeutung dieser Stellung und einer Agitation hervor, welche zu einer historischen Thatsache geworden ist und an die man mit allen Mitteln der Kritik herantreten darf. Auch sind es keine Geheimnisse, welche wir zu enthüllen haben; das Interessante der Mittheilungen und Auszüge besteht nur darin, daß wir Lassalle selbst über sein Werk urtheilen hören, wie er sich in ungeschminkter Offenheit darüber gegen seine Vertrauten vernehmen ließ.

Zunächst ist ein Schreiben Lassalle’s in dem Copirbuch, sogar noch im Original, enthalten, mit welchem er auf den directen Wunsch einer gemeinschaftlichen Freundin, Frau Emma Herwegh, einem Theologen die vollständige Serie seiner politischen Flugschriften übersandte und bei welcher Gelegenheit er in seiner bekannten sehr selbstgefälligen Art die Bedeutung dieser Schriften skizzirt. Er schildert darin, wie er nach und nach sich von der Fortschrittspartei abwandte, und deshalb dringt er darauf, daß keine dieser Broschüren außerhalb der von ihm angegebenen Reihenfolge gelesen werde. „Schon im Voraus werden Sie, wenn Ihnen meine philosophischen Werke nicht entgangen sind, nicht zweifeln, daß meine Erhebung auf streng philosophischer Grundlage bei mir erwachsen ist. Die Fortschrittler sind politische Rationalisten der seichtesten Sorte und es ist derselbe Kampf, den Sie in theologischer und den ich jetzt in politischer und ökonomischer Richtung führe. Eben deswegen würde es mir ausnehmend leid thun, von Jemand, den ich so verehre wie Sie, diese tiefe innere Identität verkannt zu sehen, die übrigens -– verzeihen Sie mir diese Versicherung –- selbst trotz einer Verkennung eine historische und philosophische Thatsache bleiben würde. In politischen Kampfschriften kann das philosophische Element nur eben den Hintergrund bilden und darf nicht als solches hervortreten.“

Ueber die Charakterisirung seiner Schriften heißt es unter Anderm folgendermaßen:

„Herr Julian Schmidt, der Literarhistoriker etc. Scheinbar hat diese Schrift mit den folgenden noch keinen Zusammenhang. Aber eben nur scheinbar. In der That ist sie, wie Ihnen nicht entgehen wird, die ganze eine Hälfte der Bewegung. Sie ist die Erhebung gegen den literarischen Mob, auf welche mit innerer Nothwendigkeit die Erhebung gegen den politischen und ökonomischen Mob folgen mußte. Der theologische, politische, ökonomische und literarische Mob –- er ist immer ein und derselbe Mob, der seine einheitliche Natur nur nach verschiedenen Seiten hin zur Schau stellt.“

„Vortrag über Verfassungswesen: Obgleich derselbe schon durchaus auf meinem social-philosophischen Gesammtstandpunkte beruht, wurde er dennoch von der Bourgeoisie noch ausnehmend beklatscht, weil diese mit dem geistigen Scharfblick, der sie kennzeichnet, nur die darin ausgesprochenen, nicht die darin enthaltenen Consequenzen erkannte.“

„Mein ‚Was nun?‘ Immer noch die Allianz mit der Bourgeoisie festhaltend, den Fortschrittlern das Einzige angebend, was zu thun war, und sie zugleich mit dem offenen Bruch seitens aller demokratischen Elemente bedrohend, falls sie sich zu Mitschuldigen der Regierung und es dieser möglich machten, den äußerlichen Scheinconstitutionalismus aufrecht zu erhalten, statt durch ein männliches Handeln den Boden zu einer revolutionären Gährung zu legen.“

Die meisten der folgenden Briefe Lassalle’s sind aus dem Jahre 1864 und an seinen Hauptagenten für die Angelegenheiten des Arbeitervereins gerichtet. In allen klagt er über den schlechten Stand der Finanzen, über seine eigenen Geldopfer, über die Theilnahmlosigkeit der Arbeiter und die Dürftigkeit seines Vereins, ganz entgegengesetzt den hochklingenden Versicherungen, die darüber seiner Zeit veröffentlicht wurden und die, wie aus dem Copirbuch hervorgeht, Lassalle oft selbst verfaßte, ebenso den lobpreisenden Berichte über seine Reden und Aufnahme in den einzelnen Arbeitervereinen. Hören wir ihn selbst!

Unterm 15. Februar 1864 schreibt er an seinen Generalbevollmächtigten, nachdem er ihm Vorwürfe über den schlechten Stand der Vereinscasse gemacht: „Neue Gelder kann ich schlechterdings nicht mehr beschaffen und ebensowenig schon jetzt den Verein zu Grunde gehen lassen, so lange Hoffnung am politischen Himmel winkt.“

„Ich bin nicht nur bis an die Grenzen der Geldopfer, die ich bringen kann, gekommen, sondern ich habe eigentlich, was ich vernünftigerweise opfern konnte, weit überschritten. Was ich bis vorigen September für Geldopfer gebracht habe, wissen Sie! Das waren Capitalien! Seitdem hat sich die Sache noch sehr vermehrt, wovon hier einige Proben.“ Die aufgestellte Rechnung Lassalle’s erweist nun, daß er abermals fünfundsechszig Thaler Vorschüsse von der Vereinscasse zu erhalten habe, die nicht einmal das Monatsgehalt eines Beamten zahlte. Aus einer andern Briefstelle geht hervor, wieviel Lassalle an Geld für den Arbeiterverein bis dahin geopfert hatte. „Daß ich von den tausend Thalern, die ich ja ganz kündigen könnte, nicht einmal zweihundert Thaler und für die Arbeitercasse und in bedürfsweisen Raten kündigen können soll, ja daß Sie nicht einmal das Gehalt für W… daraus flott machen wollen, das trifft mich zu hart!“ Aber er erklärt, daß er nächstens „ein fulminantes Circular“ an die Bevollmächtigten erlassen werde „und sie zwingen, Geld zu schicken.“ „Ich bin todtmüde,“ heißt es dann weiter, „und so stark meine Organisation ist, so wankt sie bis in ihr Mark hinein. Meine Aufregung ist so groß, daß ich keine Nacht mehr schlafen kann! Ich wälze mich bis fünf Uhr auf dem Lager und stehe mit Kopfschmerz und tief erschöpft auf! Ich bin überarbeitet, überangestrengt, übermüdet im furchtbarsten Grade. Die wahnsinnige Anstrengung, den Julian (seine Schrift gegen Julian Schmidt, den Literarhistoriker, „den literarischen Mob“, wie er sich ausdrückt), außer und neben allem Anderen, in vier Monaten auszuarbeiten, die tiefe und schmerzliche Enttäuschung, der fressende, innere Aerger (ebenfalls unterstrichen), den mir die Gleichgültigkeit und Apathie des Arbeiterstandes in seiner Masse genommen einflößt – Beides zusammen war selbst für mich zuviel! Ich treibe ein métier de dupe und ärgere mich innerlich zu Tode, um so mehr, als ich diesem Aerger nicht Luft machen kann und ihn noch immer würgen, oft noch das Gegentheil behaupten muß! Und gleichwohl werde ich die Fahne nicht fallen lassen, so lange noch irgend ein Hoffnungsflämmchen an dem politischen Horizonte blinkt. Dazu der noch viel größere Aerger, zu wissen, wie glänzend die Dinge stehen würden, wenn der Arbeiterstand seine Pflicht gethan hätte: Er hätte heute das allgemeine und directe Wahlrecht schon!“

Als ihm der Vorschlag gemacht worden war, eine Zeitung zu begründen, welche das Organ des Arbeitervereins sein solle, rechnete er vor, daß an ein Bestehen eines solchen Blattes bei den elenden financiellen Zuständen des Vereins nicht zu denken sei. „Wir können uns nicht verhehlen, daß wir uns Alle mitsammen über das geistige Leben im Arbeiterstande sehr getäuscht haben: der allgemeine deutsche Arbeiterverein zählt erst circa dreitausend Mitglieder – und vielleicht fehlen noch mehrere Hundert zu dieser Zahl – das sagt Alles. Wer hätte diese Mattheit und Teilnahmlosigkeit für möglich halten sollen! Das wird sich erst wirklich ändern, wenn große politische Ereignisse eintreten und die Massen in Bewegung bringen. Und solche Ereignisse können allerdings in einiger Zeit kommen. Es handelt sich darum, sich bis dahin zu halten. Aber selbst das wird nicht möglich sein, wenn die Bevollmächtigten die Beiträge nicht ganz anders pünktlich einsenden, als bisher. In der Zwischenzeit hat sich der Arbeiterstand durch ein eindringendes Studium meines Julian und Schulze das theoretische Verständniß seiner Lage zu erwerben (?), damit hat er viele Monate vollauf zu thun.“

Das dickleibige Copirbuch mit sehr vielen noch leeren Seiten, dem wir obige Citate entnommen, muß übrigens, ehe es auf den Trödel kam, schon in verschiedenen Händen gewesen sein. Auf mehreren Seiten befindet sich darin mit Bleistift geschrieben eine Abhandlung über die beste Art, Pferdeställe zu bauen. Verschiedene Handschriften, die nur Unzusammenhängendes enthalten, stoßen Einem hier und da auf. Die eine davon enthält folgenden wunderlichen Satz: „Ferdinand Lassalle soll nicht denken, daß alle seine Gedanken verrathen sind.“

Schmidt-Weißenfels.




Wie sich französische Schriftsteller bezahlen lassen. Das Neueste in der französischen Literatur sind gegenwärtig Victor Hugo’s „Chansons des rues et des bois“, und man erzählt, daß Victor Hugo für den Band dieser Gedichte von seinem Verleger 40,000 Francs oder etwa 10,667 Thaler verlangt und erhalten habe. Viele finden diesen Preis übertrieben, Andere jedoch meinen, daß er nur gerecht sei – lebt doch auch der Priester vom Altare, der General von seinem Degen, es brauche ja nicht jeder Dichter in Hunger und Elend zu sterben. Lord Byron verkaufte dem Buchhändler Murray in London jeden Vers seiner Gedichte zu einer Guinee, und der jetzt aus der Mode gekommene Jacques Delille verlangte gleichfalls einen Louisd’or für jeden seiner Alexandriner.

Victor Hugo ist also immer noch billiger in seinen Ansprüchen, indessen ist er nach unsern deutschen Begriffen schon von jeher etwas weniger bescheiden, als unsere Landsleute gewesen. Zur Zeit seines ersten Auftretens in der Literatur, von 1820 bis 1822, war sein Weg freilich spärlicher mit Gold und Bankbillets besäet. Damals ging der hochaufgeschossene, bleiche Jüngling von einem Buchhändler zum andern, schüchtern seine Werke anbietend, aber keiner wollte Etwas von seinen Romanen und Gedichten wissen, bis ihm doch noch endlich einer den Roman „Han, der Isländer“, um dreihundert Francs – achtzig Thaler – abkaufte. Der junge Mann rieb sich triumphirend die Hände. „Bug Jargal“ brachte ihm dann schon viermal soviel, 1200 Francs; seine Erfolge begannen. Sechs Jahre später bezahlte ihm der Buchhändler Eugen Ronduel für „Notre Dame von Paris“ die enorme Summe von 200,000 Francs – über 53,333 Thaler. Von 1830 an war Victor Hugo nach Chateaubriand der bestbezahlte französische Schriftsteller, er stellte seine Preise aber auch stets gehörig hoch, da er eine zahlreiche Familie zu versorgen hatte.

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