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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

darin gesehen, die Klostergesetze zu übertreten; die alten Leute, Professoren und Prälaten, sind in ihrer Würde halb erstickt, oder haben sich durch Thorheiten lächerlich gemacht, wie der Professor Mayer, den mein Vater noch gekannt hat, mit dem, zum Entsetzen seiner gestrengen Ehehälfte und zum lauten Halloh der Klosterjugend, eines Tages sein Gaul – er ritt gern spazieren – im Schritt durch- und nach Hause ging, trotz alles Rufens, Schreiens und Protestirens des gelehrten Reiters.

Sie können sich eine Vorstellung von diesem Professor Mayer und dem Ansehen machen, in welchem er bei der Jugend stehen mußte, wenn ich Ihnen die Geschichte erzähle, die in Maulbronn noch heute nicht vergessen ist. Das war im Jahre 1796, als die Franzosen unter Desaix in die Gegend kamen, und zwar nicht als willkommene Gäste. Professor Mayer hatte einen schönen Vorrath von Schinken und Würsten im Schlot hängen und, um seine Schätze zu retten, bereits die Leiter auf den Heerd gestellt und capitulirte nur noch mit seiner Gattin, die sich entschieden dieser ungastlichen Maßregel widersetzte, um Uebergabe des Schlüssels zur Speisekammer, als er plötzlich die französischen Chasseurs im Hofe sah und, im kattunenen Schlafrock und mit der Zipfelmütze wie er war, auf die Leiter in den Schlot emporstieg, um mit den Schinken und Würsten nun zunächst sich zu retten. Aber schon waren die Chasseurs in der Küche, sahen die Leiter, fingen an daran zu rütteln und frugen: ,Was ist das’? Und Thereschen, die Frau Professorin, gab sogleich Bescheid: ,Es ist mein Mann so eben hinaufgestiegen, um für die Herren Franzosen eine kleine Collation von Schinken und Wurst herabzuholen.’ Und der Herr Professor mußte nun mit möglichst guter Miene selbst seine kostbaren Schätze den Räubern mit der Bitte, fürlieb zu nehmen, ausliefern, worauf sie ihn wie im Triumph auf ihren Armen in sein Studirzimmer trugen und in seinen Armstuhl unter Lachen und Danksagungen niedersetzten und mit den geräucherten Schätzen von dannen ritten.

Neben solchen Schöppenstädter Lächerlichkeiten herrschte aber im Kloster eine gewaltige Vornehmheit. Ein Luxus ist an der Tagesordnung gewesen, wie bei Grafen und Fürsten, und so zahlreich war die Dienerschaft, daß Einer hätte der Schleppträger des Andern werden müssen, nur um eine Beschäftigung zu haben. Da gab es einen Klosterchirurgus, der zugleich Famulus war, und einen Unterfamulus, den Gegen- oder Küchenschreiber, den Speisemeister sammt Köchin und Magd, den Küfermeister, den Hausschneider, der zugleich Meßnerdienste besorgte, den Ueberreiter, den Klosterboten, den Thorwart, mehrere Nachtwächter, den Werkmeister, den Zimmermann, den Hof- und Weingartenmeister, den Gärtner, den Waldmeister nebst dem Waldknecht, den Todtengräber und Gott weiß was noch sonst für Gesinde.

Jetzt ist aus der Klosterschule ein theologisches Seminar geworden, in welchem tüchtige junge Leute gebildet werden, die, nachdem sie vorher die Seminarien von Blaubeuren und Urach besucht, hierher kommen, von hier nach Schönthal und dann auf die Universität Tübingen gehen. – Aber die Herrschaften werden Appetit haben. Friedrich, die Suppe!“




Das Ackerkreuz.
Ein Nachtstück aus dem patriarchalischen Staat.
Deutschland zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. – Der Hofstaat ist der Staat. – Ein deutscher „Ober-Admiral“. – Das Werbesystem. – Goethe und „das schamvolle Geschäft“. – Holländische Offerte. – Preis der „fehlenden Mannschaft“. – Der „Römhilder Krieg“. – Die dänischen Werber in Hildburghausen. – Andreas Korneffer. – Der Grenadier des herzoglichen Landregiments. – Das Ende des Werbeofficiers. – Die Fürsten des patriarchalischen Staats. – Der Hildburghäuser Hof. – Die Unterthanen. – Das Ackerkreuz.

„Mancher, der die Straße von Hildburghausen nach Heldburg zog, wird zunächst des Fahrwegs in der Streufdorfer Flur ein schlichtes, von Feldsteinen zusammengelegtes Kreuz gewahrt und sich gewundert haben, daß, wenn dies Kreuz heut von ihm oder Andern zerstört worden war, er es am andern oder dritten Tag immer wieder an derselben Stätte sorgfältig zusammengefügt fand; Mancher möchte das Kreuz für ein Zauberwerk oder ein Spiel des Muthwillens gehalten haben. Es ist aber – ein Denkmal der Liebe.“ Ja, alter ehrlicher Buchdrucker Elias Christoph Bauer, der Du dieses in dem Heimathverherrlichungsdrang, welcher dem Franken so arg anhängt, selber drucktest in einem Schriftchen, das Deinen Geburtsflecken „die alte Villa Streufdorf“ nebst dem hoch über ihm auf grüner Waldeshöhe thronenden alten Bergschloß Straufhain schilderte, und zwar schon vor vierzig Jahren, – Du hast Recht, jenes Ackerkreuz ist ein Denkmal der Liebe, aber es ist noch weit mehr, es ist ein Merkzeichen von des deutschen Volks tiefster innerer Erniedrigung, von der Zeit seiner schmachvollsten Rechtlosigkeit. An dieser Stätte ist unschuldig Blut geflossen, hier hat die Mörderkugel des Schergen der Gewalt einen Jüngling niedergestreckt, der von der eigenen Landesherrschaft an fremde Werber verkauft worden war.

Um durch das Mitleid mit einem Unglücklichen uns nicht zu einem zu harten Urtheil über die gewaltthätigen Menschen jener Zeit, anstatt über diese Zeit selbst, verführen zu lassen, müssen wir diese und das Werbesystem, das zunächst jene Unthat verschuldet hat, etwas näher betrachten.

Vor Allem müssen wir das Jahr derselben nennen, es ist 1730; das allein erklärt unseren geschichtskundigen Lesern schon Vieles. Die deutsche Geschichte kann, trotzdem daß Deutschland an Mißgeschick in allen Jahrhunderten reich ist, keinen jämmerlicheren Zeitraum ausweisen, als den vom Ende des dreißigjährigen Kriege bis zum Anfang der französischen Revolution, der ersten Erlösungsregung aller europäischen Völker gegen den bis dahin unerschütterlichen Fürstenalpdruck. Wir müssen uns auf den Standpunkt der Menschheit vor dieser allgemeinen Geistesreinigung zurückversetzen, um auch die fürstlichen Missethäter durch unser Urtheil nicht schwerer zu strafen, als ihre eigene Schuld war.

Wir geben unseren Lesern eine Probe aus dem deutschen Geschichtswerke des Patrioten und Märtyrers Wirth, das ihnen in der vorigen Nummer der Gartenlaube empfohlen wurde, wenn wir seine Schilderung jener Zeit hier folgen lassen. Er sagt über die inneren Zustände Deutschlands zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: „Während die Ohnmacht des Reichs gegen außen fortwährend zunahm, äußerten sich die Folgen des westphälischen Friedens auch im Innern stets deutlicher, indem die Bedrückung der unteren Stände stieg und die vielfachsten Uebel sich verbreiteten. Schon das Bewußtsein der (durch den westphälischen Frieden gewonnenen) Erhöhung ihrer Macht hatte die Fürsten zu größerem Aufwand bewogen; allein der Besitz der Macht selbst steigerte noch die Prachtliebe. Um die Oberst-Kämmerer, Marschälle, Ceremonienmeister, Küchenmeister u. s. w. (jedes der vielen deutschen Fürstenhöfe) sammelten sich Schaaren untergeordneter Diener, welche kleinen Heeren glichen, und da der Hof den Landesherrn bei Reisen gewöhnlich begleitete, so veranlaßte dies ungeheueren Aufwand. Bei der Eröffnung des Reichstages vom Jahre 1652 hatte schon die Zunahme des Luxus großes Aufsehen erregt, da selbst kleinere Fürsten mit einem Gefolge von dreihundert Personen erschienen und zugleich in Kleidern, wie in Equipagen, ungewöhnliche Pracht zeigten. Im achtzehnten Jahrhundert stieg dagegen der Aufwand noch höher, indem die Fürsten häufig nach Paris zu reisen pflegten und von dort neue Arten von Verschwendung zurückbrachten. Die Hofleute strengten ihren Witz an, immer neue Ergötzlichkeiten für den Herrn zu erfinden, die Tafel ward mit überschwänglichen Genüssen ausgestattet, die Jagd mit verheerendem Luxus getrieben, das Hofleben zu einer ununterbrochenen Reihe von Festen erhoben. Nicht blos die weltlichen, sondern auch die geistlichen Fürsten wetteiferten in der Schaustellung der Pracht, welche sich gleichmäßig auf den Marstall, den Garten, die Jagd und die Hofmusik ausdehnte. Am württembergischen Hof unterhielt man allein eine Kapelle von sechzig Musikanten (für jene Zeit außerordentlich viel), und am baierischen ganze Heere von Pferden und Hunden. Auf der Tafel des Fürstbischofs von Bamberg und Würzburg wurden täglich sechsundfünfzig Gerichte aufgesetzt, und der Herzog von Braunschweig stellte blos zum Mästen von Kapaunen besondere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_760.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)