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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

– der Hermann Meyer’schen Bibliothek deutscher Classiker einverleibten Werke: „Schiller als Mensch, Dramatiker und praktischer Denker“ – wurde der erste Act des Don Carlos nach jener „Thalia“ zum ersten Mal vollständig neu veröffentlicht, und zwar nach Voraussendung folgender Bemerkung: „Wir geben den ersten Act des Don Carlos ganz genau so, wie er (mit dem zweiten und dritten) ursprünglich in der Thalia von 1787 erschienen und wie er durchaus verschieden ist von denen aller späteren Ausgaben dieses Stückes. – Wenn schon, mehr als jedes andere Werk Schiller’s, gerade Don Carlos die Doppelperson des Dichters im Infanten und im Marquis Posa darstellte, so geschieht dies am allertreuesten in der ursprünglichen Form der ersten drei Acte, worin der Dichter die ganze Subjectivität seines Wesens unmittelbar ausströmte, während in den folgenden zwei Acten und noch mehr in der späteren Umarbeitung der drei ersten (man sehe auch seine „Briefe über Don Carlos“) sich die objective Haltung, der historisch-kritische Geist des Dichters zeigt und die blanke, plane Individualität zurücktritt. – Wie sehr Schiller seine ganze Persönlichkeit in Don Carlos legte, sagt er uns selbst in seinen Briefen an Dalberg.“ So weit über den Don Carlos in der Thalia.

Aber es existirt auch noch ein anderer, ganz unbekannter Don Carlos und zwar als handschriftliches Theatermanuscript; er ist in Vielem sehr verschieden nicht allein von dem aller bekannten Ausgaben, sondern auch von dem der Thalia. Ich habe denselben aufgefunden und citire darüber, was ich in meinen „Beiträgen zur Geschichte der Schillerperiode in Mannheim“ (siehe „Schillerbuch“, im Verlag der Nationallotterie zu Dresden) veröffentlichte: „Auf dem Tabaksboden eines alten Bücherfreundes fand ich ein Exemplar vom „Tagebuch der Mannheimer Schaubühne“. Darin befindet sich eine Kritik über Don Carlos nach erster Aufführung. Ich gebe sie wieder in der 2. Abtheilung: „Kritiken über Schiller’sche Dramen etc.“ Sie ist von Wichtigkeit, denn sie giebt sämmtliehe Scenen des Stücks mit ihrem hauptsächlichsten Inhalt an und zeigt danach höchst merkwürdige Varianten mit sämmtlichen Ausgaben des Don Carlos. Ich forschte nun nach dem Manuscript der ersten Aufführung und war auch so glücklich, das Soufflirbuch derselben zu finden. Es war in einem sonderbaren Zustand, für spätere Aufführungen nach verschiedenen Ausgaben und Regieführungen von den Hauptdarstellern mit Stecknadeln, Zwirn, Leim, Blau-, Roth- und Graustift zugesteckt, genäht, geleimt, gestrichen, mit „bleibt“ versehen und wieder gestrichen; kurz, auf’s Gewaltthätigste, ja Grausamste behandelt. Dennoch ließ der eigentliche Urtext, oft durchschossen mit Worten und Sätzen von Schiller’s eigner Hand, sich ununterbrochen verfolgen, und es gelang mir, wenn auch nicht ohne große Vorsicht und Mühe, ihn gleichsam aus seinem Chaos herauszuschälen und übersichtlich zusammenzustellen. Dies so gewonnene Manuscript ist jetzt in der Hand des um die ursprüngliche Herstellung Schiller’s hochverdienten Professors Dr. Joachim Meyer zu Nürnberg und sieht, zugleich mit den Varianten in der Thalia, der Veröffentlichung entgegen.

Coburg, den 8. December 1863. Arnold Schloenbach     


Berliner Plaudereien. Einer der geistreichsten, aber zugleich der jämmerlichsten und sittlich verworrensten Diplomaten und Staatsmänner war der bekannte Gentz, die rechte Hand Metternich’s und die Stütze der conservativen Partei, der Liebling und Schmarotzer der aristokratischen Kreise in Berlin und Wien. Er eröffnete die Reihe jener erbärmlichen Apostaten und Sophisten, welche ihre Ueberzeugung für ein Linsengericht verriethen und ihre Feder für Geld verkauften. Spiel und Frauen stürzten ihn fortwährend in Verlegenheit, so daß er zu jedem erlaubten und unerlaubten Mittel griff, um sich die nöthigen Summen für seine Verschwendungen und Bedürfnisse zu verschaffen. Sein bei Brockhaus erschienenes, von Varnhagen herausgegebenes Tagebuch liefert den hinlänglichen Beweis für seine trotz ihrer Naivetät nur Ekel erregende Demoralisation und innere Fäulniß. Ein Zeitgenosse erzählt uns von ihm noch folgende höchst charakteristische und bisher noch nicht bekannte Anekdote. Eines Tages, als Gentz sich wieder einmal in größter Geldverlegenheit befand, besuchte er eine vornehme Dame in Berlin, mit der er ein intimes Liebesverhältniß unterhielt. Im Laufe des Gesprächs zog er unter Scherzen, Lachen und zärtlichen Versicherungen ihr einen kostbaren Ring mit einem werthvollen Diamant vom Finger, um ihn, wie er sagte, als ein theures Pfand ihrer Liebe für immer zu bewahren. Umsonst bat ihn die Dame, ihr den Ring, der ein Geschenk ihres Mannes war, zurückzugeben, lachend entfernte sich Gentz mit seiner Beute. Am folgenden Morgen forderte die Dame, deren Gatte den Ring an ihrer Hand vermißt hatte, diesen dringend von Gentz zurück, da sie sonst die größten Unannehmlichkeiten befürchten mußte. Mit empörender Offenheit gestand ihr der leichtsinnige Verschwender, daß er den Ring für eine ansehnliche Summe versetzt habe. Natürlich blieb der Dame nichts andres übrig, um ihre Ehre zu retten, als das Pfand wieder einzulösen und zu diesem Behufe Gentz das nöthige Geld einzuhändigen.

In seinem späteren Alter litt Gentz an einer wahrhaft kindischen Todesfurcht, welche durch die Ermordung Kotzebue’s durch Sand auf das Höchste gesteigert wurde. Damals schrieb er an den katholisch gewordenen Adam Müller, seinem Freund und Gesinnungsgenossen: „Sie haben vollkommen Recht. Alles ist verloren, wenn nicht Religion – pas seulement comme foi, mais comme loi – wieder hergestellt wird. – Der Protestantismus ist die erste, wahre und einzige Quelle aller ungeheueren Uebel, unter welchen wir heute erliegen. – Die ganze französische Revolution und die noch schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind aus derselben Quelle geflossen. Der politische Protestantismus, ob er gleich durchaus nicht bauen, sondern nur zerstören kann, ist im lebendigsten Fortschritt begriffen. Das Blut gerinnt Einem in den Adern, wenn man in die Zukunft blickt und denkt, daß das höchste Ideal des Staates in den Augen aller unserer Aufgeklärten – die Republik der nordamerikanischen Heiden und Bailleul ihr politisches Evangelium ist. Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, soll mir willkommen sein, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der falschen Gelehrten, der Studenten und der Zeitungsschreiber befreit.“

Hauptsächlich durch Gentz und unter seiner Mitwirkung wurden die berüchtigten Carlsbader Beschlüsse gefaßt, unter deren Druck Deutschland jahrelang schmachtete, bis sie dem unaufhaltsamen Fortschritt der Zeit weichen mußten. Gentz erlebte noch die Julirevolution, die zum Theil sein Werk zerstörte; er starb verzweifelnd an der Welt, an Gott und mit dem Bewußtsein, daß die Freiheit über die von ihm vertheidigte Reaction siegen werde.

Aehnlich erging es dem bekannten Geheimrath Tzschoppe in Berlin, welcher zur Zeit der Demagogenverfolgung eine traurige Rolle spielte und durch seine inquisitorische Härte, durch seinen grausamen Eifer die allgemeine Verachtung auf sich lud, nachdem er hundert unglückliche Jünglinge zu Grunde gerichtet hatte. Anfänglich von der Regierung befördert und reich belohnt, sah er sich später, wo ein milderer Geist herrschte, vernachlässigt und zurückgesetzt, von allen Besseren vermieden. Er vermochte diesen Zustand nicht zu ertragen und verfiel darüber in eine geistige Krankheit. In seinem Wahnsinn glaubte er, der bis jetzt jeden freisinnigen Mann verfolgt hatte, selbst ein Gegenstand der Verfolgung zu sein, von Gensdarmen bewacht, von Häschern aufgespürt zu werden. Rastlos jagte er bei Tag und Nacht, wie von den Furien gepeitscht, umher, um sich vor seinen eingebildeten Verfolgern zu verbergen, bis der Tod unter schrecklichen Qualen seinem traurigen Leben ein Ende machte.

Auch die neueste Zeit hat besonders in Berlin eine Reihe von politischen Apostaten aufzuweisen, von denen im Laufe des letzten Jahres der auch in weiteren Kreisen bekannte Geheime Kanzleirath und Chef des Druckschriftenbureaus Jacoby in Carlsbad auf einer Badereise gestorben ist. Derselbe debutirte in den dreißiger Jahren mit den „Klagen eines Juden“, einer glücklichen Nachahmung der Paroles d’un Croyant von Abbé Lamennais; schrieb außerdem „Rhapsodien“, „Briefe aus Berlin“ und liberale Zeitungsartikel, welche ihn mit der Regierung in Conflict brachten und seine Verurtheilung zu einer kürzeren Festungsstrafe herbeiführten. Als er das Gefängniß verließ, schloß er mit der Regierung seinen Frieden und erhielt eine Anstellung in Berlin. Bald gewann er einen bedeutenden, geheimen Einfluß auf die leitenden Persönlichkeiten, die besonders unter dem Ministerium Manteuffel und dem Regimente Hinckeldey’s u. s. w. im Verborgenen eine allen Glauben übersteigende Thätigkeit entwickelten. Jacoby schrieb die Berichte und Auszüge aus den Zeitungen für den König und überwachte die gesammte Presse. Auch er fühlte besonders in den letzten Tagen das Drückende seiner Stellung, da er, zwar ohne Charakterfestigkeit, nicht Kenntnisse genug besaß, um die Verhältnisse und das Treiben einer sich selbst überstürzenden Reaction richtig zu beurtheilen. Lange Zeit besaß er das Vertrauen der Fahne und der höchsten Regierungskreise, und man wird nicht irren, wenn man ihn auch jenen „geheimen Agenten“ beizählt, welche in anscheinend subalterner Stellung, die Geschicke des preußischen Staates in ihrer Verborgenheit zum Theil bestimmen, ähnlich wie die Creaturen einer Lichtenau unter Friedrich Wilhelm II. und eines Haugwitz unter Friedeich Wilhelm III.


Wislicenus’ Bibelwerk ist vom Anfang an mit einer seltenen Theilnahme seiten des Publicums begrüßt worden, und diese Theilnahme und mit ihr die Verbreitung des trefflichen Buches hat sich noch von Woche zu Woche gesteigert, ein Beweis, wie sehr der Verfasser das Bedürfniß des Volkes erkannt hat, „sich mit den überlieferten Religionslehren in’s Klare zu setzen.“ Mit dem demnächstigen Erscheinen der Endlieferung des ersten Bandes kommt die erklärende Betrachtung des Alten Testamentes zum Abschlusse, und es ist nach dem Obigen wohl nur selbstverständlich, daß die Auslegung des Neuen Testamentes, welches als der Grund unserer christlichen Religion die Mehrzahl so unendlich viel näher und inniger berührt, ein noch regeres und allgemeineres Interesse erwecken wird. Es war uns vergönnt, einen Blick in das weitere Manuscript zu werfen, und wir können mit voller Ueberzeugung versichern, daß wir kaum noch etwas so Klares zugleich und Tiefes und Bedeutendes über das Leben Jesu und die von ihm vollbrachten Wunder gelesen haben, wie die Darstellung unsers geistvollen und gelehrten Verfassers, die dem vielgenannten Renan’schen Werke an Scharfsinn der Auslegung und Durchsichtigkeit der Form jedenfalls ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann.


Für die braven Schleswig-Holsteiner gingen im Laufe der letzten Tage wieder bei mir ein: 15 Ngr. Sch-dt in Leipzig – 25 Ngr., gesammelt bei einer Abendunterhaltung in Schönefeld – 56 fl. Bankn., gesammelt in Graz von 28 Patrioten – 1. Thlr. Emilie W., „Dem Muthigen hilft Gott“ – 1 Thlr. 6 Ngr., gesammelt bei einer Bowle in Niederforchheim – 1 Thlr. W. in L. für die Vertriebenen und 1 Thlr. für den Kampf – 3 Thlr 5 Ngr., gesammelt in einem kleinen Kreise deutscher Burschen in Chemnitz – 25 Thlr. der Bürgerverein in Spremberg, „ursprünglich zu einem Vergnügen bestimmt“. Ein Bravo den wackern Sprembergern! – 1 Thlr. 7½ Ngr., gesammelt in einer Gödewitzer Gesellschaft – 20 Thlr. für den Kampf vom Wittenberger Turnverein mit dem Motto: Durch ! – 1 Thlr. S. H. E. in Kraschen – 4 Thlr. aus Jöhstadt, gesammelt in einem Kreise Bürger beim Geburtstage des Königs Johann – 2 Thlr. G. L. in Großschönau – 2 Thlr. der Löwen-Club in Wurzen – 70 Thlr. 14½ Ngr., Sammlung der Thomasschüler in Leipzig. Möge die Jugend aus Deutschlands Lehranstalten diesem wackern Beispiele der Leipziger Thomasschüler überall nachfolgen! – 8 Thlr., gesammelt von Robert Reinsch in Sagan – 18 Thlr. 10 Ngr. für die vertriebenen Beamten. ges. in Camenz beim Königsmahle am 12. December von Adv. Beck. Ernst Keil.     


Unsere Leser

bitten wir das inliegende Circulair nicht zu übersehen. D. Red.     


Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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