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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und durch diese Treppe empfing der Dichter der „Urania“ diejenigen Besuche, die zu ihm kamen, ohne die Absicht zu hegen, sich von der Dame des Hauses erblicken zu lassen. Hier saß nun Frau von der Recke, vollkommen zur Soirée geputzt, und ging mit ihrem Freunde die Strophen eines Gedichtes durch, das ihr die Begeisterung, sehr wenig achtend auf passende Zeit und Gelegenheit, in diesen Abendstunden eingegeben.

„Mein Kind,“ rief sie zur Prinzessin und sprach ein paar Strophen laut vor sich hin, „wie findest Du diesen Gedanken? Nicht wahr, er ist schön, er ist erhaben? Aber was willst Du? Ist es schon Zeit? Soll ich kommen?“

„Gewiß sollen Sie kommen, meine engelgute Mama,“ rief der Baron, der als alter Freund des Hauses das Recht hatte, die edle Elisa mit diesem vertraulichen Titel anzureden.

„So werd’ ich kommen. Gib mir den Arm, mein Kind, daß ich mich stütze. Hab ich auch keinen Tintenfleck auf dem Kleide?“

„Keinen!“ rief der Baron, „aber hier – o hier ist ein Lorbeerblatt.“ Er ließ sich auf’s Knie nieder und löste vom weißen Gewande ein kleines Stückchen grünes Band ab.

Frau von der Recke war auf eine einfache, aber dennoch imposante Art geputzt. Da sich Niemand mehr puderte, puderte sie sich noch. Ihr Haar, stark toupirt, war aus der Stirn gestrichen und in einer vollen Wölbung auf dem Scheitel mit einer Art Krone von Flor, Spitzen und Band zusammengehalten. Diese Mode gab dem Gesichte etwas Matronenhaftes und dennoch nichts Altmütterliches. Man hätte denken können, eine altrömische Matrone vor sich zu sehen. Die Züge, obgleich sie spitz und hart waren, ersetzten an Würde, was ihnen an Anmuth abging. Der Hals, durch eine enganliegende Spitzenkrause mit einem Diamantschloß umkleidet, trug steif und ungebeugt das Haupt, in welchem zwei dunkle Augen funkelten, denen man etwas mehr Sanftmuth und etwas weniger Eigenwillen und Herrschsucht gewünscht hätte. Und doch galt Elise für das Modell einer edlen, sanften, liebevollen Natur. Sie war es nicht. Ihre Umgebung, und besonders Herr Tiedge, den sie ihren Freund nannte, hatte nicht selten von ihrer herrschsüchtigen Laune zu dulden. Sie ertrug nie Widerspruch und niemals durfte selbst ein Günstling es wagen, mit dieser Frau von einer harten, unerbittlichen Frömmigkeit wie mit einer andern sterblichen Matrone heiter zu scherzen und vertrauungsvoll sich ihr zu nahen.

So trat sie denn auch jetzt wie eine regierende Fürstin, auf den Arm ihrer Nichte gelehnt, in den Salon und empfing ihre schon versammelten Gäste ganz in der Weise, wie es Fürstinnen thun. Herr von Maltitz und Tiedge folgten den Damen.

Während Frau von der Recke ihre Gäste begrüßte, theilte Herr Tiedge mit leise klagender Stimme dem Baron mit, wie er heute sich übel befinde, wie „Mama“ zwar mit ihm ausgefahren sei, aber wie es nicht erlaubt worden, die Fenster des Wagens herabzulassen, so daß bei dem schönsten Frühjahrswetter auch nicht der kleinste frische Luftstrom seine Lunge berührt. „Und heute,“ klagte der Dichter, „soll ich einen ganzen Gesang meiner „Urania“ vorlesen! Wo die Stimme hernehmen? Ich fühle mich so welk, so matt wie eine Blume auf der Haide, die ihr Köpfchen hängen läßt.“

Und dabei lehnte der arme Sänger in Wirklichkeit sein Haupt leise auf die hohe Schulter seines Freundes. Aber ein Blick Elisens, den sie auf die Zurückbleibenden warf, brachte ihn schnell wieder in die Höhe, und mühsam die verkrüppelten Füße einen vor den andern setzend, beeilte er sich, seiner Freundin nachzukommen, indem er, den Finger auf den Mund legend, dem Baron ein Zeichen gab, kein Wort von dem eben Gesagten verlauten zu lassen.

Als Elisa ihren Platz eingenommen, gruppirten sich die Herren um sie her. Einige, und diese waren alte Freunde des Hauses, nahmen die drei bis vier Tabourets ein, die in der unmittelbaren Nähe der Dame und so gestellt waren, daß die Inhaber dieser Plätze demjenigen Ohre ihrer Wirthin nahe waren, das besser hörte als das andere. Zugleich liebte es Elisa, sich halb zur Seite biegend, mit einem geheimnißvollen oder schalkhaften Lächeln bald diesem, bald jenem ihrer Vertrauten etwas zuzuflüstern, ein Merkmal ihrer ganz besonderen Gunst. Heute saßen auf diesen Stühlen ohne Rücken und Seitenlehne der Oberconsistorialrath W., der Oberbibliothekar F. und der Dichter Winkler, der unter dem Namen Theodor Hell die Spalten der viel gelesenen Abendzeitung redigirte. Diese drei Herren gaben sich Mühe, ein feines und unterwürfiges Lächeln stets auf der Lippe zu haben und ihren Blick unausgesetzt auf ihre Gönnerin zu richten, um nicht den Moment zu versäumen, wo es dieser gefallen würde, etwas „bei Seite zu flüstern.“

Fünf Anstandsdamen, unter denen sich Eine befand, die noch Roth auflegte und Schönpflästerchen anklebte, flankirten auf der linken Seite der Wirthin, und die hohen Lehnen ihrer Stühle dienten einigen alten Herren, die über ihre Füße nicht ganz gut mehr disponiren konnten, zum Stützpunkte. Eine lange Ruhebank auf vergoldeten Füßen und mit rothem Damast überzogen diente dem jüngeren Theile der Gesellschaft zum Sitz, und hier saß die junge schöne Erbprinzessin von Hechingen, und über die Rücklehne der Bergère bog sich der Minister von Jänkendorff zu ihr, der unter dem Namen Arthur von Nordstern gern gelesene Beiträge in metrischer Form wie in Prosa dem Taschenbuche für Liebe und Freundschaft, das der Dichter Friedrich Kind herausgab, lieferte. Der Prinzessin zur Linken saß eine junge Frau von blühendem Aussehen, bekannt als Malerin und Dichterin, Frau von Hellwig, geborne Imhof. Vor ihr stand der geistvolle Baron Ernst Brunnow, der mit Herrn von Maltitz das Schicksal theilte, mit den Vorzügen des Geistes die Mißgestaltung des Körpers verdecken zu müssen. Das Gesicht dieses Mannes glich dem Bilde, das man sich von Hamlet macht: es herrschte darin ein düsterer Zug von Melancholie, gemischt mit einer Ader von Spott und Sarkasmus. Obgleich er demnach nicht schön war, so ruheten doch die muntern Augen der Frau von Hellwig mit ganz besonderem Wohlgefallen auf ihm, und sie schien sich’s angelegen sein zu lassen, allemal durch einen heitern Einfall die Wolken wieder zu vertreiben, die sich auf der Stirn ihres Lieblings sammelten. Frau von Hellwig hatte ihre Freundin mitgebracht, Charlotte von Ahlefeld, ebenfalls eine Schriftstellerin von Ruf, und beide junge Frauen saßen, Eine den Arm auf die Schulter der Andern gelegt, in einer Gruppe, die an ein Gemälde von Grassi erinnerte, der die allegorischen Figuren der Unschuld und der Freude auf diese Art dargestellt hatte. Diese Aehnlichkeit wurde auch sogleich von einer Gruppe Herren entdeckt, die in der Ecke des Zimmers sich aufgestellt hatte und von dort aus die Damen betrachtete, wie ein Blumenliebhaber ein schönes Feld seltener Blumen anschaut, deren Zusammenstellung und Pflege sein Werk ist.

Das Gespräch im Salon war ein Flüstern; es war gegen den Gebrauch, hier im Hause laut zu sprechen, eben so wenig, als es erlaubt war, zu lachen. Die Herren glitten über den Boden, indem sie ihre in schwarzseidene Strümpfe mit Schuhen und Schnallen gehüllten Beine zierlich und geräuschlos hinsetzten. Mit Anmuth beugte man sich über den Stuhl einer Dame, und man sah ihr in’s Gesicht mit einem überraschten und sanften Lächeln. Nie durfte die Conversation so lebhaft werden, daß man sie hörte. Von Zeit zu Zeit erhob sich die winkende Hand der Dame des Hauses, die bald diese, bald jene junge Dame herbeirief, die dann kam, sich tief verbeugte und mit niedergebeugtem Ohr die Worte aufnahm, die man ihr zugedacht hatte, und die oft in einer scherzhaften Zurechtweisung oder in einem mit einer kleinen Bitterkeit versetzten Lobe bestanden.

So angenehm und ehrenvoll auch dieses Alles war, so fanden sich doch einige Mißvergnügte, die die Gelegenheit benutzten, unvermerkt in den zweiten Salon zu entschlüpfen, wo „Vater Tiedge“ an einem kleinem Tische saß, den Wink seiner Freundin erwartend, um die „Vorlesung“ zu beginnen. Ein elegantes Exemplar der Urania, mit unzähligen kostbaren Einlegeblättern und Buchzeichen verziert, lag vor ihm aufgeschlagen, und der muntere Mann benutzte die Pause, wo er von seiner Gebieterin unbemerkt war, um mit dem jungen Anwuchs des Parnasses auf eine ungezwungene Art zu scherzen. Hier sah man Kinder mit Lockenköpfchen, die dem Vater Tiedge auf’s Knie hüpften und ihn um einen Kuß baten. Es befanden sich junge Mädchen von zwölf bis sechzehn Jahren dabei, künftige Sterne dritter und vierter Größe, die bereits angefangen hatten, ihre Verse der Abendzeitung in anonymen und pseudonymen Briefen zu übersenden. Um dieses kleine literarische Serail in Augenschein zu nehmen, eilten die alten Herrn ziemlich zahlreich zu ihren Spieltischen. Aber bei dem Nahen eines Uneingeweihten stob der kleine Schwarm rasch auseinander und verlor sich in die Winkel des Gemachs.

Neben Vater Tiedge, mit gleicher Freude wie dieser an dem jungen Anwuchse, saß Böttiger, berühmter Archäolog und Kunstkenner. Er war aus dem ersten Saale emigrirt unter dem Vorwande, seinem alten Freunde noch einige wichtige literarische Betrachtungen mitzutheilen, in Wahrheit aber, um den jungen Dichterinnen,

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