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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

entworfen und durch die Zeitungen veröffentlicht. Darnach sollte die Leiche zunächst nach dem Dome gebracht, daselbst eingesegnet und dann nach dem Erbbegräbnisse der Familie Humboldt in dem ihr zugehörigen Gute Tegel geführt werden.

Schon am frühen Morgen des festgesetzten Tages, Dienstag, den 10. Mai, verkündigte das Strömen der Bevölkerung ein ungewöhnliches Schauspiel. Vor dem Trauerhause in der Oranienburgerstraße, längs der großen Friedrichsstraße und den Linden bis zum Dome bildete die Menge ein dichtes Spalier, welches in schweigender Ehrfurcht den Leichenzug des großen Todten Stunden lang erwartete. Man sah es den meisten Gesichtern an, daß nicht Neugierde, sondern wahre Theilnahme Alle beseelte. Trotz des großen Gedränges fand nicht die geringste Störung statt; die Zuschauer beobachteten die würdigste Haltung. Die meisten Läden waren geschlossen, und aus vielen Häusern wehten große schwarze Trauerfahnen.

Um halb neun Uhr ertönten die Glocken der Kirchen, und der Zug setzte sich in Bewegung. Derselbe wurde von der Dienerschaft des Verewigten und der ganzen Humboldt’schen Familie eröffnet; hierauf folgte die Deputation der Studirenden mit ihren Marschällen, welche weiße Stäbe mit Trauerflören trugen. Ihnen schlossen sich die Lehrer sämmtlicher Schulen und wissenschaftlicher Anstalten an. Eine gedämpfte Trauermusik stimmte den Choral: „Jesus meine Zuversicht“ an. Dem Sarge voran ging die Geistlichkeit, vertreten durch die freisinnigen Prediger Sydow und Jonas, an ihrer Spitze der Generalsuperintendent Dr. Hoffmann.

Jetzt kam der Leichenwagen, gezogen von den Pferden des königlichen Marstalls, zu beiden Seiten desselben gingen die Hoflakaien in ihrer prachtvollen Staatsuniform und sechzehn Palmenträger, die Palme des Friedens in ihren Händen schwingend.

Beim Anblicke des Sarges grüßte das ganze Volk mit entblößtem Haupte die sterblichen Ueberreste des Unsterblichen. Auch die Augen der Männer wurden feucht; denn Jeder fühlte tief den unersetzlichen Verlust für die Wissenschaft, den zunächst seine Vaterstadt und mit ihr die ganze Welt erlitten.

Dem Leichenwagen zunächst wurden die Insignien des schwarzen Adlerordens und anderer Auszeichnungen, die dem Verewigten zu Theil geworden, von den Grafen Fürstenberg-Steinheim, Dönhoff und Baron von Zedlitz auf rothsammtenen Kissen nachgetragen. Hierauf folgten die leidtragenden Familienglieder, an ihrer Spitze der General von Hedemann, der Neffe des Verstorbenen.

In unabsehbarem Zuge schloß sich jetzt das Staatsministerium, die Generalität und die höchsten Chargen des Hofes an, darunter die Generäle von Wrangel und Graf von der Gröben. Durch zahlreiche Deputationen waren die beiden Häuser des Landtages vertreten, denen sich aus eigenem Antriebe eine Menge von Abgeordneten zugesellt hatten. In ihrer mittelalterlichen Tracht schritten die Professoren der Universität, geführt von dem Rector Dove und den vier Decanen. Eben so zahlreich hatte sich die Akademie der Wissenschaften und Künste eingefunden, Männer von einem Weltruhm, welche jetzt dem Ersten unter Seinesgleichen in tiefer Trauer folgten.

Der Magistrat der Stadt, deren Ehrenbürger Humboldt war, betheiligte sich ebenfalls durch eine Deputation, unter der sich der Stadtverordnete Fürst Radziwill befand. Die Aeltesten der hiesigen Kaufmannschaft, die Gerichtsbehörden, mehrere Vereine und Körperschaften, unzählige Privatpersonen, welche Freundschaft, Verehrung und innere Theilnahme herbeigeführt, kurz die gesammte Intelligenz und Bildung nicht allein von Berlin, sondern der preußischen Monarchie trauerte um Humboldt. So bewegte sich der unübersehbare Zug langsam und feierlich, mitten durch die ehrfurchtsvolle Menge, nach dem Dom, wo ihn an der eigens dazu errichteten Estrade der Regent und die sämmtlichen Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses erwarteten. Sobald der Sarg sichtbar wurde, begrüßte der Fürst und die fürstlichen Personen mit entblößtem Haupte die Leiche. Zugleich stimmten die hier vereinigten Gesangvereine der Residenz den ersten Vers des Liedes an: „Im Arm der Liebe ruht sich’s wohl, wohl auch im Schooß der Erde.“ Mächtig und ergreifend klang die schöne Melodie, von hundert Sängern gesungen, während Fürst und Volk in stummer Andacht tief ergriffen lauschten.

Sobald die herrlichen Töne verklungen, wurde der Sarg in die Kirche getragen. Hier vor dem Altar, um den ein grüner Hain von Blatt- und Nadelpflanzen, Palmen und exotischen Gewächsen plötzlich entstanden war, ruhte der Sarkophag auf einer Erhöhung, vor der der Regent und die Prinzen Platz nahmen, während zu beiden Seiten sich die höchsten Hofchargen aufstellten, die Leidtragenden aber zunächst dem Fürsten blieben.

Jetzt begann die Trauer-Liturgie, die der General-Superintendent Dr. Hoffmann mit den Worten intonirte: „Selig sind die Todten, die im Herrn sterben.“ Die sich anschließende Rede desselben Geistlichen gab nur allgemeine Umrisse von dem Leben und Wirken des großen Verstorbenen. Der Redner verweilte besonders bei seinen menschlich edlen Eigenschaften, seinem Wohlthätigkeitssinn, von dem er rühmte: „Im Verborgenen folgen ihm viele Thränen nach. Mit den Thaten der Liebe ging der Verewigte meist stille Wege und liebte es nicht, daß man davon die hüllende Decke wegzog. Ich bin ihm begegnet auf diesen stillen Wegen und kenne sie. Noch besser aber kennt sie Der, welcher auch den Trunk Wasser nicht vergißt. Das aber wissen Viele, wie er aufstrebenden Kräften in der Wissenschaft die Bahnen zu ebnen bemüht war, und mit unermüdlicher Güte Einfluß und äußere Mittel dafür verwandte, wie er neidlos, was Andere forschten, nicht nur anerkannte, sondern zur Geltung brachte.“

Ein solches Zeugniß aus dem Munde des Priesters dürfte vor Gott mehr gelten und lauter sprechen, als jene gläubige Frömmigkeit, welche der Redner, wenn auch nur leise andeutend und mit christlicher Liebe entschuldigend, an Humboldt zu vermissen glaubte.

Nach der Beendigung des Trauergottesdienstes blieb der Sarg bis zu seiner Beerdigung in Tegel hier im Dome aufgestellt. Am nächsten Tage erfolgte daselbst die Bestattung in Gegenwart der Familie und vieler nähern Freunde.

Durch den herrlichen Park, der jetzt im schönsten Frühlingsschmucke prangt, wurde die Leiche von Männern der Gemeinde Tegel zu dem Erbbegräbniß getragen, und unter frommen Gebeten und Thränen eingesenkt.

Dort ruht der große Todte an der Seite seines berühmten Bruders Wilhelm von Humboldt in der Gruft, über der sich das Bild der Hoffnung von Thorwaldsen’s Meisterhand erhebt.

Sein Andenken ist unvergänglich und sein Name wird leben, so lange Wissenschaft und Bildung auf Erden lebt. –

Max Ring.




Der Geister-König
im sechsten Jahrzehend des neunzehnten Jahrhunderts.[1]

Mitten unter den Blüthen und Früchten des Materialismus und Realismus unserer Tage werden wir nicht selten von den üppigsten Auswüchsen idealer, phantastischer Gebilde und Einbildungen überrascht. Das Klopfgeisterthum tanzte mit Tischen und Köpfen durch die gebildete Welt und erfreut sich noch heute eines blühenden Cultus, nur daß die Geister in ihren Offenbarungen seitdem ungeheuere Fortschritte gemacht haben.

„Die ich rief, die Geister,
Werd’ ich nun nicht los.“

wie der Goethe’sche Zauberer-Lehrling jammert. In Amerika gibt’s Tausende von Geistergläubigen (media) und unmittelbaren Geistersehern und mehrere Dutzend Zeitschriften als Organe dieser neuen „Religion“. Auch England ist nicht arm an Schülern und Jüngern, sogar unter praktischen Aerzten. In Paris gibt’s eine ganze noble Gesellschaft mit dem Baron Guildenstubbé an der Spitze, welche sich directe Briefe von Verstorbenen aller Zeiten und Zonen schreiben lassen. Der Engländer Blake, jetzt auch in Paris, portraitirt Todte, die er sich expreß citirt, damit sie ihm sitzen.

  1. In der nächsten Nummer werden wir von kundiger Feder einen erschöpfenden Artikel über „die neuen Hexenmeister und Geisterbeschwörer“ bringen, auf den wir unsere Leser im Voraus aufmerksam machen.      D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_318.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)