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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

sind, um zutrittsfähig zu sein, so muß man doch so und so viel Geist besitzen; die Dummheit macht nirgends weniger Glück als in Amerika.

Die Gesellschaften bei dem ersten Beamten der großen amerikanischen Republik bieten in Bezug auf Nationalität der Gäste ein Gemisch, wie es bunter kaum irgend anderswo vorkommen kann. Neben allen Völkern Europa’s, die man daselbst durch ihre stehende Gesandtschaften vertreten findet, begegnet man dort sämmtlichen reinen und gemischten Typen des nordamerikanischen Kontinents, die rothhäutigen Ureinwohner des Landes und die frommen Quäker von Philadelphia; die echten Yankees aus den östlichen und nördlichen Staaten neben den Kreuzlingen französischen und spanischen Blutes aus den Küstenpflanzerstaaten; den unerschrockenen Hinterwäldler, der halb Indianer, halb Yankee ist, Arm in Arm mit dem Sohne deutscher Eingewanderter. Das Alles wogt in den Gesellschaftszimmern des weißen Hauses auf und ab, plaudert in den hundert Dialekten, welche in dem ungeheuern Ländercomplex der vereinigten Staaten gesprochen werden, und denkt mitten unter den geselligen Vergnügungen an die Geschäfte des Landes, zu deren Besorgung sich die Meisten in Washington befinden. Sei es in öffentlichen oder eigenen Angelegenheiten, ganz bei Seite setzt der Amerikaner die Geschäfte zu keiner Zeit.

Das Haus des Präsidenten in Washington.

Das weiße Haus hat in den letzten fünfundzwanzig Jahren regelmäßig alle vier Jahre seine Bewohner gewechselt, da während dieses Zeitraums keiner der stets nur auf vier Jahre erwählten Präsidenten wiedergewählt wurde. Seit dem 4. März vorigen Jahres hat es Franklin Pierce inne, dessen Ernennung, in heftigem Kampfe von der demokratischen Partei durchgesetzt, manche Befürchtung in Europa aufsteigen ließ. Der praktische Sinn aller, auch der entschieden demokratischen Amerikaner, bewahrte jedoch den Präsidenten Pierce und seine Partei vor Fehlgriffen, und diejenigen, welche von den gegenwärtigen Tonangebern im weißen Hause handwerksmäßiges Demagogentreiben erwartet hatten, sahen sich getäuscht. Wir wollen damit nicht sagen, daß alle Geheimnisse bekannt sind, welche in dem Arbeitskabinet des Präsidenten verhandelt werden, wenn die sämmtlich in der Nähe des weißen Hauses wohnenden Minister sich zur Berathung daselbst einfinden. Die Sklavenfrage, dieser wunde Fleck der Union, hat erst in den letzten Monaten wieder die ganze Gewandtheit der amerikanischen Staatsmänner in Anspruch genommen, um den unheilvollen Zwiespalt zwischen den freien und sklavenhaltenden Staaten, der schon mehr als einmal einen Bruch zwischen den nordöstlichen und südwestlichen Staaten herbeizuführen drohte, zu beseitigen. Der weite Gebietsstrich Nebraska, der zum Territorium erhoben wurde, mußte die Erlaubniß Sklaven einzuführen erhalten, so sehr sich auch die Abolitionisten dagegen sträubten. Dem Frieden, vielleicht dem Bestand der Union zu lieb, mußte diese Concession gemacht werden.

Bezüglich der auswärtigen Politik hat der Mann im weißen Hause einen leichtern Stand. Die Erwerbung Cuba’s, welche dabei zunächst in’s Spiel kommt, ist eine Herzensangelegenheit aller Amerikaner. Von Zeit zu Zeit, so erst vor Kurzem wieder, wird immer ein Vorwand gefunden zu Händeln mit Spanien um die köstliche Insel; durch Nachgiebigkeit von Seiten Spaniens beigelegt, tritt dann gewöhnlich wieder scheinbare Ruhe ein, darunter gährt und schürt es aber fort, bis das Gelüst nach der Königin der Antillen (s. Gartenlaube Nr. 39 v. J.) jedes Mal heftiger erwacht. Spanien sendet jetzt Truppen über Truppen nach der bedrohten Insel, und doch wird diese voraussichtlich ihrem Schicksal nicht entgehen. Cuba kann sich übrigens ein solchen Schicksal gefallen lassen. Eine andere, ebenfalls seit Jahren reife Erwerbung steht den Amerikanern im stillen Ocean bevor, wo der König der Sandwichsinseln (s. Gartenlaube Nr. 8 d. J.)[WS 1] des Regierens müde ist und sein ganzes Land der Union einzuverleiben gedenkt. Das durch die Wirren im Orient beschäftigte Europa wird zur Stunde weniger als je den jungen Riesen in seinem Anwachsen aufhalten, und Alles wird mit ein Paar scheelen Gesichtern der englischen und französischen Minister abgemacht sein, wenn die im weißen Hause gehegten und gepflegten Pläne reif an’s Sonnenlicht hervortreten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: v. J.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_318.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)