Schrift und Schrifttum:Kapitel II

« Kapitel I Gebhard Mehring
Schrift und Schrifttum
Kapitel III »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern) am linken Seitenrand.
II. Das Schrifttum.

Bei dem lückenhaften Bestand der Ueberlieferung wird die Lokalgeschichte sich jeder einzelnen Nachricht freuen müssen, selbst wenn sie zunächst geringfügig erscheint. Sie wird deshalb auch die archivalischen Urkunden, das sind in der[1] Hauptsache Kaufbriefe, Lehenbriefe und -reverse Stiftungen, Schenkungen, Urteilsausfertigungen u. a., sorgfältig beachten. Diese erhalten freilich ihren vollen Wert in der Regel erst, wenn man sie mit der Ueberlieferung von andern Orten, von einem größeren Bereich vergleichen und daraus die Erkenntnis gleicher Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse [25] schöpfen kann. Für den einzelnen Ort bleiben die Nachrichten meistens vereinzelt, zusammenhangslos, lassen weder eine fortlaufende Entwicklung noch die zu bestimmten Zeiten herrschenden Zustände vollständig erkennen. Um die Urkunden zu entziffern, dazu mögen die vorausgehenden Ausführungen über die Geschichte der Schrift und die beigegebenen Schrifttafeln helfen. Um sie zu verstehen und zu verwerten, wird noch einiges mehr nötig sein. Um nur das Wichtigste zu nennen: vor allem ein gewisses Maß von Kenntnis des Mittelhochdeutschen, der Sprache des Nibelungenlieds, und des Lateinischen, von diesem so viel, um sich von Cicero frei zu machen und das eigenartige Latein des Mittelalters zu verstehen. Ferner ist es nützlich, die Reichs- und Landesgeschichte zu kennen, mit Kirchengeschichte nicht unbekannt zu sein und etwas von Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts-, Kultur- und Sittengeschichte zu wissen. Mehr also, als hier auf kleinem Raum gesagt werden kann. Ich nenne im Abschnitt III eine möglichst kleine Zahl von wissenschaftlichen Werken, die teils für die Vorbereitung nützlich, teils als zuverlässige Helfer auch dem Kundigen stets willkommen sind.

Nicht anders als bei den Urkunden ist es mit den archivalischen Akten, dem Schrifttum der herrschaftlichen Behörden, bestehend aus Berichten, Erlassen, Korrespondenzen u.a. samt etwaigen Beilagen, Rechnungen, Listen aller Art usw. Auch sie geben für die Geschichte eines Orts höchstens Bruchstücke, einzelne Episoden, Streitigkeiten mit Nachbargemeinden um Weide und Allmand oder einzelner Bürger untereinander u. a. mehr. Wer mit bestimmten Fragen kommt, etwa über Schicksale in Kriegszeiten, über Kirchenbau oder Durchführung der Reformation, wird in der Regel enttäuscht werden, weil er keinen geschlossenen Aktenbestand darüber vorfindet, im besten Fall einzelne zerstreute Notizen verschiedenster Art an verschiedenen Stellen zu suchen hat, die zuletzt doch kein volles Bild geben. Wer dagegen einfach von dem Kenntnis nehmen will, was ihm die vorhandene Ueberlieferung bietet, wird manchmal durch glückliche Funde [26] überrascht werden können und in jedem Fall auf das geführt werden, was für die Einzelgemeinde das Wichtigste ist, die wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen Verhältnisse, Bestand und Zusammensetzung der Einwohnerschaft, Einteilung, Wachstum und Bewirtschaftung der Markung, in alledem auch die Beziehungen der Gemeinde und der Einzelnen zur Obrigkeit, zur Kirche, der Bürger untereinander und zu der Nachbarschaft. Dafür ist wertvolle Quelle auch das, was an alten Akten der Gemeinden noch in den Rathäusern oder Kirchen verwahrt wird, wenn es auch in der Regel nicht über das 17. Jahrhundert oder den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen wird. Für Altwürttemberg bieten in Bevölkerungs- und Wirtschaftsfragen die noch vorhandenen Steuerlisten von 1472, 1525, 1542 und 1545, dazu Musterlisten der wehrfähigen Mannschaften aus dem 16. Jahrhundert wertvolles Material. Wichtiger, weil zum Teil schon vom 13. und 14. und bis in das 18. und 19. Jahrhundert vorhanden, wertvoller, weil auf eine größere Zahl von Fragen Antwort gebend, ja überhaupt die eigentliche Hauptquelle für ortsgeschichtliche Forschung sind jene Vermögensverzeichnisse geistlicher und weltlicher Herrschaften, für die in ältester Zeit der Name Rodel, Zinsrodel, später bei veränderter Anlage Urbar und spätestens seit Anfang des 16. Jahrhunderts neben andern Ausdrücken in Altwürttemberg als charakteristische Bezeichnung das Wort Lagerbuch in Gebrauch gewesen ist.

Die Zinsrodel (von rotulus, Rolle) der Klöster vom 10. bis in das 13. Jahrhundert verzeichnen die Einkünfte (census, Zinse) der klösterlichen Herrschaft in Listenform; ganz kurz wird als Träger der Abgabe der Mann oder das Grundstück und Art und Betrag des Zinses aufgeführt. Dabei wird mit großen Einheiten gerechnet, etwa ein Hof, Weiler oder Dorf mit einer einzigen Zeile abgetan. Beispiele aus unserem Arbeitsgebiet sind die nicht mehr in Rodel- und Listenform überlieferten Weingartener Verzeichnisse aus dem 13. Jahrhundert, die im Anhang zu Bd. 4 des Wirtembergischen Urkundenbuchs abgedruckt sind (s. auch Tafel XXV). [27] Die Stufe der Urbare entwickelt sich in der Zeit des Niedergangs der Staufer und der Erstarkung der territorialen Landeshoheit in der Verwaltung weltlicher Herrschaften; als ältestes Beispiel gilt das um 1240 entstandene Urbar des Herzogtums Baiern (Monumenta Boica Bd. 36,1). Sie haben den Namen von Abgaben aus Grund und Boden, die als urbar bezeichnet werden (Betonung der ersten Silbe; für die Verzeichnisse entsteht aus dem späten bastardlateinischen urbarium die Betonung der zweiten Silbe). Ihre Angaben sind ausführlicher als die der Rodel, in Bezeichnung der Grundstücke sorgfältiger, auch gehen sie mehr ins Einzelne und zeugen von stärkerer Zersplitterung des Besitzes. Die einfache Listenform ist vielfach aufgegeben, findet sich aber z.B. noch in dem um 1350 entstandenen ältesten „Urbar“ der Grafschaft Wirtemberg (s. Schriftproben 1, auch Taf. XXVI).

Eine gerade Linie der Entwicklung führt von den Urbaren des 14. u. 15. Jahrh. zu den Lagerbüchern (s. Taf. XXVII; über den Ausdruck siehe nachher). Die österreichische Regierung, die nach der Vertreibung Herzog Ulrichs und Uebergabe des Herzogtums durch den Schwäbischen Bund an Kaiser Karl V. in Stuttgart eingerichtet wurde, hat eine, wie es scheint, auf das ganze Herzogtum ausgedehnte „Erneuerung“ der Einkünfte der Herrschaft machen lassen, für die neue vom alten Herkommen abweichende Formen vorgeschrieben wurden. Das älteste Beispiel ist die Erneuerung von Stuttgart, die am 12. November 1520 angefangen wird. Im September 1521 folgt Dornstetten, im November Pfullingen und Marbach, im Dezember Hoheneck. Im Jahr 1522 werden Bietigheim, Besigheim, Bottwar, Cannstatt, Sachsenheim und Tübingen, im Jahr 1523 Asperg, Böblingen, Calw, Markgröningen, Leonberg, Nagold, Neuenstadt, Vaihingen und Wildberg, im Jahr 1524 Beilstein, Göppingen, Herrenberg, Rosenfeld, Winnenden bearbeitet, Amt Stuttgart fortgeführt. Nach der Unterbrechung durch das Kriegsjahr 1525, aus dem nur Wildbad vorliegt, kommen 1526 Blaubeuren, Heidenheim, Neuffen, Nürtingen, 1527 Brackenheim, Neuenbürg, Dornhan und zum zweitenmal [28] Leonberg, 1528 Backnang und Weinsberg, und zum zweitenmal Stuttgart Stadt, 1529 Güglingen und mit ihm noch einmal Brackenheim, zuletzt 1532 Schorndorf an die Reihe. Leider fehlen eine ganze Anzahl Aemter, bei denen nicht feststeht, ob sie tatsächlich bearbeitet worden sind, darunter Balingen, Kirchheim, Lauffen, Münsingen, Tuttlingen, Urach und Waiblingen. Auch liegen nicht alle Erneuerungen in fertiger Reinschrift vor, wie z. B. Leonberg von 1523 und Pfullingen von 1521, bei denen deshalb die neu eingeführte wichtige Eingangsformel fehlt.

Diese lautet in den übrigen mit jeweils veränderten Namen wörtlich, wie sie schon in der Erneuerung von Stuttgart 1520 zu finden ist: Als man zahlt von Christi unsers lieben herren geburt tusent funf hundert und zwainzig jaure, uss befehle und von wegen - Carolen - als erzherzogen zu Oesterreich und rechten herren des fürstenthumbs Wirtemberg - haben wir nachbenanten, mit namen Johannes Keller, Kastkeller zu Stuttgarten, und Jacob Raminger, genant Schriber, der canzli registrator, irer majestat herrlichait, obrikait, gerechtigkait, zins, gülten und alle ander nutzung, gefäll und inträg zu Stuttgarten in der statt, ouch den derfern und flecken in das ampt gehörig erneuwert und beschriben in bisin und gegenwertigkeit aller und ieder personen, so hernach bei ieden flecken mit namen angezaigt und bestimpt, die sonderlich zu gezeugen von uns darzu berufen und erfordert. Es sind ouch alle und ieglich zinslut und ander, so ainich gult oder dienstparkait schuldig, beschikt vor uns and den gemelten gezügen personlich oder durch ir vollmechtig anwalte, furminder oder pfleger erschinen und söllicher zins, gulten, dienstparkait und nutzungen, wie die genannt und hernach geschriben stend, selbs angichtig und bekantlich gewesen.

Es folgt noch regelmäßig die Bemerkung, daß der Forst besonders erneuert werde und in der vorliegenden Handschrift nicht enthalten sei. In den späteren Bänden dieser Landesaufnahme ist noch weiter die Verwahrung hinzugefügt, daß es der Herrschaft nicht abträglich sein soll, wenn etwas [29] übersehen oder vergessen wäre. Als unmittelbar auftraggebende Behörde erscheinen in der Leonberger Erneuerung von 1528: mine gönstigen hern rentmaister und verordnete von der landschaft bi Sr. Kö. Mt. mins gnedigsten hern camer in Wirtemberg. Von dieser Stelle ist die genaue Formel dieses Eingangs vorgeschrieben. Den ganzen Plan hat wahrscheinlich zuerst Jakob Ramminger der Aeltere, seit 1504 Registrator bei der Kanzlei, entworfen, der von seinem Amt her über die Erfordernisse einer solchen Arbeit unterrichtet sein mußte. Seine Erneuerung über Stuttgart Stadt, die er selbst geschrieben hat, wäre demnach gewissermaßen als Musterbeispiel anzusehen, seine weitere Mitarbeit ist nicht zu belegen; man wird ihn für längere Tätigkeit außerhalb der Stadt bei der Kanzlei nicht haben entbehren können. Die das Werk durchgeführt haben, sind in der Regel die Untervögte, denen im einzelnen Fall noch ein Stadtschreiber beigegeben ist. Nur einer hebt sich aus der Reihe heraus durch Bearbeitung mehrerer Aemter, Balthasar Moser, gen. Marstaller, Vogt zu Herrenberg, kais. Notar. Er begann am 16. März 1523 mit Vaihingen a. E. und nahm noch im gleichen Jahr die Aemter Neuenstadt, Asperg und Nagold auf, in den folgenden Jahren nach einander bis 1529 Beilstein, Göppingen, Herrenberg, Heidenheim, Stuttgart, Backnang und zuletzt einen bis dahin unerledigten Teil des Amts Leonberg. Bis 1524 ist er Vogt zu Herrenberg, noch in diesem Jahr heißt er (Wildberg) sonderer und erkiester commissari gemeines fürstentum Württemberg zu erneuern, 1526, als er mit Jakob v. Bernhausen des Regiments die Erneuerung von Heidenheim macht, Verordneter von der Landschaft in der Kammer zu Württemberg,, seit 1528 aber: (Backnang und Stuttgart) geordneter Renovator in Württemberg, der erste einer langen Reihe von Renovatoren, d. h. von Beamten, deren Amt ist, „Erneuerungen“ durchzuführen.

Neu ist an diesem großen Werk der österreichischen Verwaltung in Württemberg gegenüber den Urbaren des 15. Jahrh. die ausdrücklich eingangs hervorgehobene gemeinschaftliche [30] Abfassung durch Herrschaft und Untertanen, eine gewisse nicht allzuweit gehende Vermehrung des Inhalts, dazu die sorgfältige und streng durchgeführte Gliederung des Stoffes und die umständlich formelhafte Gleichmäßigkeit der einzelnen Einträge. Von den Zutaten ist außer der erwähnten wichtigen Eingangsformel etwa die möglichst vollständige Aufzählung der „eigenen Güter der Herrschaft“, d. h. der Schlösser, Amtshäuser mit Kasten und Keller, Zehntscheuern u. A. zu erwähnen. Außerdem die vollständige Angabe über den Umfang der Zehntrechte. Die einfache Aufzählung der Herrschaftsrechte und Regalien, die im Urbar des 15. Jahrh. nur eine Seite Raum erforderte, wird jetzt bei jedem einzelnen Posten zu genauer Beschreibung des Rechts der Herrschaft auf der einen, der Pflicht der Untertanen auf der andern Seite erweitert. Jeder Abschnitt erhält seine eigene Ueberschrift. So wird, was früher mit einer Zeile berichtet wurde, je ein besonderes Kapitel und dessen Ueberschrift erscheint im Register. Die Zinse und Abgaben von Grundstücken, die früher wohl nur eine Reihe gebildet hatten, werden jetzt unterschieden nach der Art des Ertrags in Geld oder Naturalien, nach der Art des Grundstücks, ob Haus, Acker, Weinberg usw., nach dem Termin der Fälligkeit, nach dem rechtlichen Charakter der Abgabe (ewige Gült, ablosiger Zins u. A.). Gleichartiges wird als Gruppe zusammengefaßt, die ihre eigene Ueberschrift erhält; diese wird auf jeder Seite wiederholt und steht gleichfalls im Register. Wiederum wird jeder Posten besonders herausgehoben, durch gleichmäßige Formel gewissermaßen einzeln beurkundet. Bei Aufzählung der zu einem Lehengut gehörigen Einzelgrundstücke wird das gleiche Verfahren beobachtet; nur ist hier die Gült vom ganzen Hof berechnet, beim einzelnen Grundstück nichts davon ausgesetzt (vgl. Schriftprobe 2 und 3 mit 4 und 5). In allen Fällen wird das Grundstück möglichst deutlich gekennzeichnet. Man begnügt sich nicht mehr mit bloßer Angabe der Flur oder eines Anstoßers, nennt vielmehr womöglich die Nachbarn auf allen 4 Seiten, und dazu noch die Flur. Den Schluß der Angaben aus der einzelnen Gemeinde bildet eine [31] Uebersicht über die Summe der Erträge in Geld und den einzelnen Naturalien.

Alle diese neuen Eigenschaften bilden zweifellos einen Fortschritt in der Richtung auf größte Sicherung der Einkünfte der Herrschaft. In dieser Richtung ging man später, seit dem 17. Jahrh., noch weiter, indem man nach Vollendung der Erneuerung in den einzelnen Gemeinden vor der Versammlung der Zinspflichtigen den Text verlas und das darüber aufgenommene Protokoll durch die Beamten und die Vertreter der Gemeinden unterschreiben und besiegeln ließ. Das ursprünglich von der Herrschaft allein hergestellte und vertretene Vermögensverzeichnis, dessen Anerkennung für die Untertanen selbstverständlich war, wird immer mehr zur gemeinsamen Urkunde, die beide Parteien gleichermaßen bindet, und wird den Fortschritten der Rechtssprechung angepaßt.

Die Ausdrücke Rodel, Urbar, Salbuch, Zinsbuch u. A. sind Gemeingut aller Verwaltungen und werden auch in Altwürttemberg verwendet; register und salbuch steht z. B. in der Ordnung für die Rechnung von 1422/3 (Württ. Vierteljahrshefte 1916, S. 355, § 25). Aber sie finden sich nicht oder selten in Titel, Ueberschrift oder Einleitung der einzelnen Verzeichnisse. Die Aufnahme von ca. 1350 beginnt einfach mit den Worten: dis sint miner herren von Wirtemberg zinse und nütze. In den späteren wird regelmäßig gesagt, daß man die Zinse usw. erneuert habe, eine Redeform, die gleichfalls Gemeingut ist; daraus entsteht das Hauptwort Erneuerung, auch Neuerung, das bis zuletzt als offizielle Bezeichnung gedient hat. Daneben erscheint aber in Altwürttemberg als ein Ausdruck, den man im mündlichen und schriftlichen Verkehr der Kürze halber vorgezogen hat, das Wort Lagerbuch. Ich finde es in der Form legerbüchlin zuerst in der Notiz des Kellers von Schorndorf von 1506 auf dem zinsbuch junker Heinzen von Zillehart, ernuwert in anno 1487, das beim Verkauf eines Anteils an Geradstetten durch Hans von Züllenhardt 1506 der Kellerei Schorndorf mit der Verkaufsurkunde übergeben wurde.

Als nächstes Vorkommen kann ich in der Erneuerung über [32] Besigheim vom 17. März 1522 die gleichzeitige Ueberschrift des vorausgehenden Registers nennen: register des sal- und legerbuch zu Besigheim. In den Berichten der Beamten, denen die Erneuerung der 20er Jahre übertragen war, und die unter dem Titel Spannbücher mit einzelnen jüngeren Stücken vereinigt sind, findet sich diese Bezeichnung hin und wieder. Man kann aus allen diesen Stellen nur den Schluß ziehen, daß sie längst zum anerkannten und gangbaren Sprachschatz der Kanzlei und ihrer untergeordneten Beamten gehörte. In den Erneuerungen von 1520–29 findet sie gelegentlich Verwendung bei Hinweisen auf „das alte Lagerbuch“, während auf das jeweils neu angefertigte Buch als „Erneuerung“ hingewiesen wird. Später haben die Keller gerne auf die Rückentitel ihrer Erneuerungen Lagerbuch geschrieben. Man erkennt, daß sich im Lauf der Jahrhunderte in seiner Verwendung kaum etwas geändert hat. Es ist offenbar als die handlichere Bezeichnung dem schwerfälligen „Erneuerung“ vorgezogen worden, obgleich man dieses in den Ausfertigungen selbst festhielt, weil es der Rechtsprechung bekannt war.

Ueber die Verbreitung des Wortes außerhalb des Herzogtums Württemberg ist heute wohl noch nicht entgültig zu sprechen; man hat vielleicht bis jetzt zu wenig darauf geachtet. Aus Pforzheim ist es im 16. Jahrhundert belegt; aus Horb 1693 ein Legerbuch der Mittleren Sammlung der Schwestern St. Francisci Ordens. Sicher ist, daß es im 18. Jahrhundert da und dort auch in benachbarten Verwaltungen, möglicherweise unter unmittelbarem Einfluß von Württemberg zu finden ist. Von 1730 liegt z. B. ein „Saal- oder Lägerbuch“ der Domkapitlisch augsburgischen Aemter Gmünd und Lorch, von 1791 ein Lagerbuch über Fridingen vor. Bemerkenswert ist auch, daß in Heidenheim, wo unter bairischem Einfluß die Amtsbezeichnung Kastner (st. Keller) sich erhält, 1607 ein „Söld-, Saal- und Lagerbuch“ angelegt wird. Noch früher ist in einer Erneuerung der Speth v. Zwiefalten ein Eintrag von ca. 1580, der den Ausdruck gebraucht. Ursprünglich scheint es auf Altwürttemberg bebschränkt [33] gewesen zu sein. Vielleicht hatten ähnlich auch andere Herrschaften ihre besonderen Bezeichnungen. So nennt sich beispielsweise das Salbuch der Herrschaft Cadolzburg von 1464 (Monumenta Boica N. F. Bd. II, Teil 1, S. 13) lantpuch, was in dieser Bedeutung die Lexika nicht kennen. Auch der Name Berain im Elsaß, Schweiz und alemannischen Baden dürfte hierher gehören.

Die Frage nach der sprachlichen Deutung des Ausdrucks Lagerbuch ist bis jetzt noch nicht befriedigend gelöst. Um hier die Antwort zu finden, ist es nötig, die Aufgabe zu erkennen, die den Rodeln, den Urbaren und den Lagerbüchern von allem Anfang an gestellt war. Wir beginnen zunächst damit, auszuschließen, was sie nicht sind.

Sie dienen nicht zur unmittelbaren Verwendung bei Einzug und Verrechnung der Gefälle und Gülten. Dafür hat man außer den Kerbhölzern und Rechnungsbüchern besondere Listen und Verzeichnisse, die Haisch-, auch Zinsbücher genannt werden und dauernd auf dem laufenden gehalten, erneuert, ergänzt und verbessert werden müssen, weil die Namen der Zinspflichtigen häufig wechseln. Die Lagerbücher dagegen werden nur in größeren Zwischenräumen erneuert, oft erst nach 80 oder 100 Jahren. Als nach den Zerstörungen des dreißigjährigen Kriegs die verlassenen Lehengüter nur langsam wieder besiedelt werden konnten, wurden die Beamten angewiesen, bei der Erneuerung für die unbesetzten Grundstücke einfach den Eintrag des alten Lagerbuchs in das neue herüberzunehmen. Wichtiger als die Nennung des lebenden Zinsers erschien der Nachweis des Grundstücks und des davon zu entrichtenden Zinses. Wenn ein neuer Beständer sich einfand, genügte es, daß der Keller den neuen Namen in seinen Einzugslisten nachtrug. Zuweilen sind solche Einträge auch in den Lagerbüchern selbst gemacht worden; sie ändern nichts am Grundcharakter des Lagerbuchs.

Auch mit der Aufbewahrung und Verwaltung der Naturalgefälle hat das Lagerbuch nichts zu schaffen. Getreide wird im „Kasten“, der Wein im „Keller“ verwahrt (vgl. die Ordnung von 1422/3, Württ. Vierteljahreshefte [34] 1916, S. 357, Nr. 57), für den vorhandenen Bestand von beidem, ebenso wie von Geld, ist die Bezeichnung „Vorrat“ üblich. Weder das eine noch das andere bildete ein Lager im Sinn des heute geläufigen anscheinend weit jüngeren Ausdrucks „Warenlager“. Der mittelalterliche Handel hat das Wort „gelieger“, doch in etwas anderem Sinne.

In seinem Württ. Privatrecht, Bd. II 1842, S. 362 gibt C. G. Wächter folgende Definition: „Lager- oder Saalbuch ist ein Verzeichnis der einer (natürlichen oder juristischen) Person in einem gewissen Bezirke an Liegenschaften oder aus einem Gutsverbande überhaupt oder gegen die Bewohner eines Bezirks zukommenden Rechte und Bezüge und der mit denselben etwa verbundenen Lasten.“ Das letztere gilt freilich nur für die Lagerbücher, wie sie noch im 19. Jahrh. bis zur Ablösung im Gebrauch waren und wie sie etwa seit dem 17. Jahrhundert ausgestaltet worden sind. Von Lasten der Herrschaft ist in den älteren Lagerbüchern nur wenig zu finden. Dagegen gilt für das ganze Schrifttum der Zinsrodel, Urbare und Lagerbücher, was Wächter weiter sagt: „Der Hauptzweck der Lagerbücher ist, vollen und sichern Beweis der zukommenden Rechte und Bezüge zu verschaffen.“ Diesen Zweck erfüllen schon die älteren vom Berechtigten allein ausgegangenen Ausfertigungen; was die noch unbeglaubigten Lagerbücher des 16. Jahrhunderts in der Rechtssprechung bedeutet haben, zeigen die damals zahlreich bei allerlei Streitigkeiten vorgebrachten „Auszüge“, die in den Akten liegen. Von dieser Erkenntnis aus wird auch die Tragweite der Bestimmung in der Ordnung von 1422/3 recht verständlich, daß ein besonders sorgfältig ausgefertigtes Exemplar der Erneuerung in der Registratur der Kanzlei niedergelegt werden soll. Wie in der Maßordnung vom 31. März 1557 das in Stuttgart und Tübingen je für die zwei Landesteile ob und unter der Steig niedergelegte amtliche Normalmaß und -gewicht als legermess und legergewicht bezeichnet wird, so hat sich aus der Bestimmung von 1422/3 über die amtlich deponierte Ausfertigung des für das ganze Gebiet der Herrschaft neu anzulegenden Registers [35] oder Salbuchs die Bezeichnung legerbuch, Lagerbuch ergeben, und zwar vermutlich gleichzeitig oder bald nachher. Man hat sie als neue Schöpfung nicht in die Bücher selbst aufgenommen; aber sie ist wohl nicht lange genug auf das eine Exemplar der Registratur beschränkt geblieben, sondern im amtlichen Gebrauch für alle Erneuerungen überhaupt verwendet worden. Daß es bisher nicht gelungen ist, den Ausdruck schon im 15. Jahrhundert nachzuweisen, erklärt sich leicht aus dem Fehlen einschlägiger Akten.

Außer dem amtlichen Exemplar, für das Pergament vorgeschrieben wurde, sollten weitere Abschriften auf Papier für die Kanzlei und die Amtleute und Keller in den einzelnen Aemtern angefertigt werden. Von der Verwendung von Pergament hat man wohl wegen der Kosten bald abgesehen. Erhalten sind von Exemplaren auf Pergament nur die vier Teile des Urbars von ca. 1350. Man hat auch später die Erneuerung nur mehr ämterweise vorgenommen. Aus späteren Anordnungen ist zu entnehmen, daß man wohl in der Regel mehr als zwei Abschriften auf Papier gemacht hat. Ursprünglich wurden diese Abschriften ohne Zweifel in der Kanzlei geschrieben. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ist das offenbar nicht mehr der Fall. Es ist ein äußeres Merkmal, das die Aenderung erkennen läßt. Die alten Exemplare sparen Raum und Papier, wie an Schriftprobe 2 und 3 zu sehen ist. Auch die Lagerbücher der österreichischen Zeit sind nur in dem Maße weiträumig, wie es für bessere Gliederung und Uebersichtlichkeit notwendig war (Schriftproben 4, 5, 7), dagegen beschränken die Nr. 9–13, 15–18 den Anteil der Schrift bzw. des eigentlichen Textes auf jeder Seite auf das möglichst geringe Maß, verbrauchen mit überflüssigen Seitenüberschriften, mit Schnörkeln, breitem Rand und übergroßen Abständen unverhältnismäßig viel Platz, kurz zeigen durchaus auf Anfertigung durch Lohnschreiber, deren Lohn nach der Zahl der Seiten berechnet wird. Die verwendeten Schriftformen weisen auf die Modisten, von denen früher die Rede gewesen ist. [36] im Staatsarchiv zu Stuttgart bilden die ehemals bei der Registratur zusammengekommenen und die Handexemplare der Keller, vereinzelt sind auch die Konzepte der Renovatoren erhalten. Eine vollständige Reihe aller einmal im Lauf der Zeit vorhandenen Lagerbücher besitzen wir von keinem einzigen der altwürttembergischen Aemter. Mit diesem Bestand sind die ebenfalls lückenhaften Bestände vereinigt, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus einigen neuwürttembergischen Gebieten eingekommen sind, und zwar sowohl die der weltlichen als die der geistlichen Gebiete. Eine besondere Reihe, die nur altwürttembergische Stücke enthält, bilden die Geistlichen Lagerbücher, die bei den nach der Reformation geschaffenen Geistlichen Verwaltungen und Klosterämtern erwachsen sind, dabei auch alles, was an Zinsbüchern und dgl. von den altwürttembergischen Klöstern noch erhalten und in das württ. Staatsarchiv gekommen ist. Eine dritte Reihe liegt im Staatsfilialarchiv in Ludwigsburg, sie enthält aus Alt- und Neuwürttemberg, was zum Teil bis zu Anfang dieses Jahrhunderts bei den Finanzbehörden des ganzen Landes verwahrt gewesen ist.

Es liegt auf der Hand, daß jede Verwaltung entsprechend ihren besondern Einrichtungen auch ihre Bücher nach eigenen Regeln eingerichtet und geführt hat. Was beispielsweise von solchen Schriften aus den zur Markgrafschaft Ansbach gehörigen Aemtern Crailsheim, Gerabronn, Creglingen hier vorliegt, unterscheidet sich sehr wesentlich von den altwürttembergischen Lagerbüchern oder den entsprechenden Verzeichnissen aus dem oberschwäbischen oder hohenbergischen Vorderösterreich. Doch besitzt das Württ. Staatsarchiv weder vom einen noch vom andern ausreichendes Material, um seine allmähliche Entwicklung in ihre Anfänge zurückzuverfolgen. Als geschichtliche Quelle sind alle in ihrer Art gleich wertvoll und ergiebig für den, der sich die Mühe nimmt, sich gründlich in ihre Eigenart einzuarbeiten.


  1. WS:korrigiert. Komma getilgt