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überrascht werden können und in jedem Fall auf das geführt werden, was für die Einzelgemeinde das Wichtigste ist, die wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen Verhältnisse, Bestand und Zusammensetzung der Einwohnerschaft, Einteilung, Wachstum und Bewirtschaftung der Markung, in alledem auch die Beziehungen der Gemeinde und der Einzelnen zur Obrigkeit, zur Kirche, der Bürger untereinander und zu der Nachbarschaft. Dafür ist wertvolle Quelle auch das, was an alten Akten der Gemeinden noch in den Rathäusern oder Kirchen verwahrt wird, wenn es auch in der Regel nicht über das 17. Jahrhundert oder den Dreißigjährigen Krieg zurückgehen wird. Für Altwürttemberg bieten in Bevölkerungs- und Wirtschaftsfragen die noch vorhandenen Steuerlisten von 1472, 1525, 1542 und 1545, dazu Musterlisten der wehrfähigen Mannschaften aus dem 16. Jahrhundert wertvolles Material. Wichtiger, weil zum Teil schon vom 13. und 14. und bis in das 18. und 19. Jahrhundert vorhanden, wertvoller, weil auf eine größere Zahl von Fragen Antwort gebend, ja überhaupt die eigentliche Hauptquelle für ortsgeschichtliche Forschung sind jene Vermögensverzeichnisse geistlicher und weltlicher Herrschaften, für die in ältester Zeit der Name Rodel, Zinsrodel, später bei veränderter Anlage Urbar und spätestens seit Anfang des 16. Jahrhunderts neben andern Ausdrücken in Altwürttemberg als charakteristische Bezeichnung das Wort Lagerbuch in Gebrauch gewesen ist.

Die Zinsrodel (von rotulus, Rolle) der Klöster vom 10. bis in das 13. Jahrhundert verzeichnen die Einkünfte (census, Zinse) der klösterlichen Herrschaft in Listenform; ganz kurz wird als Träger der Abgabe der Mann oder das Grundstück und Art und Betrag des Zinses aufgeführt. Dabei wird mit großen Einheiten gerechnet, etwa ein Hof, Weiler oder Dorf mit einer einzigen Zeile abgetan. Beispiele aus unserem Arbeitsgebiet sind die nicht mehr in Rodel- und Listenform überlieferten Weingartener Verzeichnisse aus dem 13. Jahrhundert, die im Anhang zu Bd. 4 des Wirtembergischen Urkundenbuchs abgedruckt sind (s. auch Tafel XXV).

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Die Stufe der Urbare entwickelt sich in der Zeit des Niedergangs der Staufer und der Erstarkung der territorialen Landeshoheit in der Verwaltung weltlicher Herrschaften; als ältestes Beispiel gilt das um 1240 entstandene Urbar des Herzogtums Baiern (Monumenta Boica Bd. 36,1). Sie haben den Namen von Abgaben aus Grund und Boden, die als urbar bezeichnet werden (Betonung der ersten Silbe; für die Verzeichnisse entsteht aus dem späten bastardlateinischen urbarium die Betonung der zweiten Silbe). Ihre Angaben sind ausführlicher als die der Rodel, in Bezeichnung der Grundstücke sorgfältiger, auch gehen sie mehr ins Einzelne und zeugen von stärkerer Zersplitterung des Besitzes. Die einfache Listenform ist vielfach aufgegeben, findet sich aber z.B. noch in dem um 1350 entstandenen ältesten „Urbar“ der Grafschaft Wirtemberg (s. Schriftproben 1, auch Taf. XXVI).

Eine gerade Linie der Entwicklung führt von den Urbaren des 14. u. 15. Jahrh. zu den Lagerbüchern (s. Taf. XXVII; über den Ausdruck siehe nachher). Die österreichische Regierung, die nach der Vertreibung Herzog Ulrichs und Uebergabe des Herzogtums durch den Schwäbischen Bund an Kaiser Karl V. in Stuttgart eingerichtet wurde, hat eine, wie es scheint, auf das ganze Herzogtum ausgedehnte „Erneuerung“ der Einkünfte der Herrschaft machen lassen, für die neue vom alten Herkommen abweichende Formen vorgeschrieben wurden. Das älteste Beispiel ist die Erneuerung von Stuttgart, die am 12. November 1520 angefangen wird. Im September 1521 folgt Dornstetten, im November Pfullingen und Marbach, im Dezember Hoheneck. Im Jahr 1522 werden Bietigheim, Besigheim, Bottwar, Cannstatt, Sachsenheim und Tübingen, im Jahr 1523 Asperg, Böblingen, Calw, Markgröningen, Leonberg, Nagold, Neuenstadt, Vaihingen und Wildberg, im Jahr 1524 Beilstein, Göppingen, Herrenberg, Rosenfeld, Winnenden bearbeitet, Amt Stuttgart fortgeführt. Nach der Unterbrechung durch das Kriegsjahr 1525, aus dem nur Wildbad vorliegt, kommen 1526 Blaubeuren, Heidenheim, Neuffen, Nürtingen, 1527 Brackenheim, Neuenbürg, Dornhan und zum zweitenmal

Gebhard Mehring: Schrift und Schrifttum
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