Textdaten
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Autor: Arnold Schloenbach
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Titel: Schiller’s Aeltern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 511, 512–514
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Schiller’s Aeltern.

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Schiller’s Aeltern.

Ein Gedenkblatt von Arnold Schloenbach.
Mit Portraits.

In Nr. 34 der Gartenlaube brachten wir Goethe’s Aeltern; dies führte uns leicht begreiflich auch zu den Aeltern unseres Schiller, und wenn es gewiß stets anregsam ist, das Gedenken der größten und edelsten Geister unserer Nation dann und wann wieder aufzufrischen, so ist es auch gewiß interessant, das „Fleisch und Blut“ kennen zu lernen, aus denen diese Geister entsprossen sind; hier sind es nun auch die Gegensätze, die in ihrer Vergleichung noch besonderes Interesse gewähren; so grundverschieden beide Dichter sich einander gegenüber stehen, ebenso auch Beider Aeltern. Doch wie bei Goethe, zeigt sich auch bei Schiller der große Einfluß der Aeltern, namentlich der Mutter, auf das innere Wesen des Sohnes. – Eine gewisse Charakter-Aehnlichkeit von Schiller’s Vater mit Goethe’s Vater ist nicht zu leugnen, doch ist sie tiefer und einzeln zu suchen, und geht, im Ganzen genommen, verloren. Beider Väter hießen Caspar, Beider Mütter Elisabeth; sonst: welch’ ungemeiner Unterschied des Bodens, der Verhältnisse, der Anschauungen und Bedingungen, aus denen Beide heranwuchsen! Bei Goethe die mächtige, berühmte, freie Reichsstadt, mit ihren Kaiserkrönungen und ihrer Stellung zur Zeitgeschichte; bei Schiller ein armes, kleines Dorf, das erst durch ihn seinen Namen bekam; bei Goethe Reichthum, Glanz, Macht, natürlich Verbindung mit dem Bedeutendsten und Vornehmsten seiner Zeit; bei Schiller – nun, der arme Feldscheer und Barbier, Caspar Schiller, der Sohn eines Dorfbäckers, brachte an baarem Gelde 215 Gulden 25 Kr. mit in die Ehe; die Mutter Elisabeth, deren Vater ein ganz verarmter Bäcker, brachte an baarem Gelde nichts hinzu; nur ihre Liegenschaften betrugen 188 Gulden Werth; – als Goethe zuerst in die Welt hinausging: welche Kisten und Kasten und Felleisen wurden da aufgepackt; eine Equipage fuhr vor und Diener umringten sie; – Schiller: rührend ist es, aus einem amtlich beglaubigten Documente zu lesen, was er mit in die Welt hinausnahm: „Ein blaues Röcklein nebst Camisol ohne Aermel, ein Paar Hosen, zwei Manchettenhemden, ein Unterhemd, vier Paar leinene Strümpfe, ein Paar Schuh, ein Paar Stiefeln, einen ord. Hut, Geld: 43 Kr., funfzehn Stück unterschiedl. laleinische Bücher.“ – So sind die Gegensätze der Verhältnisse[WS 1] hinreichend angedeutet; die Gegensätze zwischen den Aeltern mögen sich von selbst ergeben.

Johann Caspar Schiller, der Vater unseres Dichters, wurde geboren am 22. October 1723 zu Bitterfeld im Würtembergischen, als der Sohn des Bäckers und Schultheiß daselbst; er starb am 7. September 1796, als Hauptmann (nach Andern als Major) auf der Solitüde bei Stuttgart.

Elisabeth Dorothea Schiller, die Mutter, wurde geboren am 13. December 1732 zu Marbach, als Tochter des verarmten Bürgers und Bäckers, Johann Kodweiß; sie starb am 12. Mai 1802 zu Cleversulzbach, in den Armen ihrer Tochter Louise, vermählt dem dortigen Pfarrer Frank.

Am 22. Juli 1749 vermählten sich Beide; erst nach achtjähriger Ehe wurde ihnen eine Tochter geboren, Christophine, die nachmalige Hofräthin Reinhard in Meiningen; zwei Jahre darauf, am 11. November 1759, unser Schiller; beinahe im Lager, wo die Mutter ihren Mann besucht hatte und wo sie eilig aufbrechen mußte, um noch in ihrem älterlichen Hause zu Marbach Deutschlands schönstem Dichter das Leben zu geben. Der Vater empfing „das große Geschenk des Himmels“ mit dem Gebete: daß Gott diesem Kinde an Geistesstärke zulegen möge, was sein Vater aus Mangel an Unterricht nicht habe erreichen konnen. – Dieses Gebet des würdígen Mannes sollte so glänzend in Erfüllung gehen!

Und das ganze Leben dieses Mannes selbst war ein unermüdliches Kämpfen und Streben nach höherer Ausbildung; sein höchster Schmerz wohl der, daß ihm an Unterricht und Talent versagt worden, was ihm zu der ersehnten Ausbildung nöthig sei. – Kurz, gedrungen, fest wie sein Figur, war sein Charakter, sein Benehmen, doch gemildert von ächt protestantischer Frömmigkeit; lebhaft, klar wie seine blauen Augen, sein Verstand; die energische Nase und hochgewölbte Stirn hatte unser Schiller von ihm; im Ganzen: er war ernst, streng und mild; muthig, redlich, gehorsam und bescheiden.

Früh vater- und mittellos geworden, wurde er bei einem Chirurgus und Barbier in die Lehre gethan, und betrieb er dieses Geschäft sorgenvoll und widerstrebend bis zu seinem 22. Jahre, wo er sich als Feldscheer in ein baierisches Regiment aufnehmen ließ und im österreichischen Erbfolgekrieg mit nach den Niederlanden zog. Nach dem aachener Frieden 1748 kam er in das Vaterland zurück, heirathete in Marbach und trieb hier wieder das Geschäft des Chirurgen und Barbiers, und zwar noch sorgenvoller, noch widerstrebender als früher. Dies und die kinderlose Ehe trieben ihn dann wieder fort, als der siehenjährige Krieg heranrückte; er ließ sich als Fähndrich und Adjutant im würtembergischen Regiment Prinz Louis anwerben, das in österreichischen Diensten nach Böhmen zog. Hier zeichnete er sich aus durch Tüchtigkeit, Thätigkeit, Mäßigkeit und maßloses Studium militärischer und medicinischer Werke; hier wirkete er als Soldat, als Chirurg und – als Geistlicher; als sein Regiment nach Hessen und Thüringen verlegt wurde, kam er dann und wann nach Hause, wovon unser Dichter ein redendes Beispiel ist. Mit Ende des Krieges 1763 kam er als Hauptmann zurück. – Noch eifriger studirte er jetzt Militärisches und Medicinisches; eifrig auch Landwirthschaft und namentlich Alles, was sich auf Baum- und Obstzucht bezog. Sein ganzes Wesen war klarer, bestimmter in Handlung, Wort und Schrift geworden; aber auch strenger, schärfer, militärischer; sogar der tägliche Gottesdienst im Hause wurde militärisch eingerichtet; die Gebete mußten nach Exercitien gesprochen werden. Er selbst hatte ein langes Gebet in etwas sonderbaren und holperigen Reimen verfertigt, was jeden Tag executirt wurde. Es fing folgendermaßen an:

„Treuer Wächter Israels,
Dir sei Preis und Dank und Ehren,
Laut betend lob’ ich dich,
Daß es Erd’ und Himmel hören.“

Indessen steckte doch auch ein Stück Aufklärung in ihm; er wurde manchmal borstig gegen übertriebene und unberechtigte Pfaffereien, und als ihn einmal sein Fritz, mit Beziehung auf ein Gedicht von elfenbeinernen Zähnen der Kirche, fragte: „Hat denn die Kirche Zähne von Elfenbein?“ antwortete er: „O, sie hat auch manchmal Wolfszähne.“

Im Jahre 1765 sendete ihn sein Herzog Karl als Werbeoffizier nach der Grenzstadt Schwäbisch-Gmünd, wo er im Dorfe und Kloster Lorch sich mit der Familie niederließ. Hier nahm er seinen Fritz viel mit hinaus in den Wald zu den Förstern, zu den Werbelagern, auf die Ruinen; alles ihm deutend und namentlich die Geschichten von den Hohenstaufen ihm erzählend. Die Familie lebte indessen kümmerlich von dem, was der Vater in dem letzten Kriege sich erspart hatte; sein Sold blieb aus, und erst nach einigen nachdrücklichen Vorstellungen wurde er, im Jahre 1768, nach Ludwigsburg versetzt, mit ausreichendem Gehalt. Hier machte er sich um die Baumpflanzungen so verdient, daß ihm schon 1770 die Oberaufsicht über die neuen Anlagen der Solitüde übergeben wurde; 60,000 Bäume soll der Vater unseres Dichters hier gepflanzt haben. Im Jahr 1772 wurde Friedrich confirmirt; er feierte dies mit einem Gedichte, das man wohl als das erste seiner Feder bezeichnen kann; der Vater meinte, als Friedrich es ihm zeigte: „Ei, bist Du närrisch geworden, Fritz?“ – Daß Fritz Theolog werden sollte, war schon lange von den Aeltern beschlossen, vom Knaben mit Sehnsucht entgegengesehen; da kam „die Gande“ des Herzogs: den Knaben seiner geliebten Dressir-Anstalt einverleiben zu wollen, weil die Lehrer denselben so talentvoll in ihren Berichten bezeichnet hatten. Die Aeltern waren bestürzt, der Vater suchte ehrfurchtsvoll und dankbar abzulehnen – vergebens! Die Gnade wurde noch einmal octroyirt; das war Befehl, und Friedrich Schiller ging auf die Karlsschule.

Seine Flucht von da traf den unvorbereiteten Vater wie ein Donnerschlag; doch konnte er auch dem Sohne nicht lange zürnen; er sah zwar nicht ganz ein, daß derselbe Recht hatte, doch ahnete er es, empfahl ihn Gott und freute sich des schon wachsenden Ruhmes, wenn auch nicht ohne ernstes Bedenken für des Sohnes Seelen- [513] und Lebensheil. Ein Brief an den flüchtigen Dichter bezeichnet mehr als alle andern Worte das strenge, aber rechtschaffene Wesen des Vaters; hören wir ihn deshalb: „So lange Er, mein Sohn, seine Rechnungen auf Einnahmen setzt, die erst kommen sollen, mithin dem Zufalle oder Nothfalle unterworfen bleiben, so lange wird Er im Gedränge verwickelt bleiben. Wiederum: so lange Er denkt: dieser oder jener Gulden oder Batzen wird es nicht ausmachen, daß ich so ’rauskomme, so lange werden Seine Schulden nicht geringer werden, und – das wäre mir leid, wenn Er sich nach einer schweren Kopfarbeit in Gesellschaft anderer guten Menschen nicht sollte erholen, erfreuen können. Aber dergleichen Erholungstage mehrere als Beschäftigungstage zu nehmen, das wird wohl nicht angehen. Bester Sohn, Sein Aufenthalt in Baerbach ist von dieser Art gewesen. Dafür muß er anjetzo büßen und das nicht von ungefähr. Die Verlegenheit, in welcher Er sich dermalen befindet, ist wahrlich ein Werk der höheren Vorsehung, um Ihn von dem allzu großen Vertrauen auf eigene Kräfte abzubringen, um Ihn mürbe zu machen, damit Er allen Eigensinn ablege, dem guten Rathe Seines Vaters und andrer wahren Freunde mehr folge, Jedermann mit mehr Achtung, Höflichkeit und Dienstbeflissenheit begegnen, und je mehr und mehr überzeugt werde, daß unser gnädigster Herzog bei Seiner Einschränkung es gut mit ihm gemeint habe und daß es mit Seiner Verfassung besser stände, wenn er sich gefügt hätte und im Lande verblieben wäre. Er hat überhaupt manchmal so närrische Launen, die Ihn bei Seinen besten Freunden unerträglich machen, Steifigkeiten, die den besten Mann zurückschrecken.

„Nicht genug, daß Er mir den höchst unverdienten Vorwurf macht, als ob ich für Ihn 300 Gulden hätte aufbringen können und sollen, fährt Er fort, mich wegen Nachfrage um Ihn, auf eine sehr empfindliche Weise zu tadeln. Lieber Sohn, das Verhältniß zwischen einem guten Vater und dessen, obschon mit vielen Verstandeskräften begabten, aber doch dabei in dem, was zu einer wahren Größe und Zufriedenheit erforderlich wäre, immer noch sehr irregehendem Sohne, kann den Letzteren niemals berechtigen, das, was der Erstere aus Liebe, aus Ueberlegung und aus selbst gemachter Erfahrung jenem zu Gute vernimmt, als Beleidigung aufzunehmen. Was die verlangten 300 Gulden betrifft, so weiß es leider Jedermann, dem meine Lage nur einigermaßen bekannt, daß es nicht möglich sein kann, nur 50 Gulden, geschweige denn so viel in Vorrath zu haben, und daß ich eine solche Summe borgen sollte, zu immer größerem Nachtheil meiner übrigen Kinder, für einen Sohn borgen sollte, der mir von dem Vielen, was er versprochen, noch das wenigste hat halten können: da wäre ich doch ein ungerechter Vater.“

So der strenge, rechtschaffene Mann. – Wie aber nun der Sohn tausendmal mehr hielt, als er versprochen: der glückliche Vater sollte es noch erleben; sollte zwei Jahre vor seinem Tode den berühmten Sohn noch an sein Herz drücken, thränenden Auges, doch auch immer noch ernstlich bedacht, wegen des Sohnes Heil und Demuth. Der berühmte Sohn verschaffte ihm auch noch einen Verleger für sein Werk mehrerer Jahre über Gartenbau und Baumzucht, und der würdige Vater hat wohl kein Geld mit solcher Freude empfangen, als die 24 Karolin, die ihm für das Werk wurden. – Er blieb rüstig bis in sein 73stes Jahr; dann stellte sich ein Brustleiden ein, das ihn über ein halbes Jahr lang quälte und zuletzt seinen Tod wünschenswerth machen mußte.

Als Schiller denselben erfuhr, schrieb er. „Ein erschütternder Schlag! Daran zu denken, daß etwas, das uns so theuer war und woran wir mit den Empfindungen der frühen Kindheit gehangen, und auch im spätern Alter mit Liebe geheftet waren, daß so etwas aus der Welt ist, daß wir mit allen unsern Bestreben es nicht mehr zurückbringen können, daran zu denken, ist immer etwas Schreckliches. Auch wenn ich nicht daran denke, was der gute, verewigte Vater uns Allen gewesen ist, so kann ich mir nicht ohne Rührung den Beschluß eines so bedeutenden und thatenvollen Lebens denken, daß ihm Gott so lange und mit solcher Gesundheit fristete, und daß er so redlich und ehrenvoll verwaltete. Ja wahrlich, es ist nichts Geringes, auf einem so langen und mühevollen Laufe so treu auszuhalten, und so wie er noch im 73sten Jahre mit einem so kindlichen, reinen Sinn von der Welt zu scheiden. Möchte ich so unschuldig von meinem Leben scheiden, als er von dem seinigen.“

Wir haben diese Worte nicht des Dichters, sondern des Vaters wegen angeführt, weil sie denselben auch im Munde des Sohnes noch näher charakterisiren; die Liebe andeuten, die er hinterließ, den Einfluß, den er jedenfalls auf die Kinder haben mußte.

Viel einfacher als das Leben und Bild des Vaters, ist das der Mutter anzudeuten, obgleich, wie schon oben bemerkt, ihr Einfluß auf den Sohn noch bedeutender war. Auch äußerlich ähnlicher war ihr der Sohn: er hatte ihre hohe, schlanke, zartgebaute, etwas vorgebeugte Gestalt, ihren langen, schönen Hals, ihr langes, röthlich blondes Haar, ihr blaßkränkliches, mit Sommersprossen gezeichnetes Gesicht, ihren feinen Mund mit der etwas hervortretenden Unterlippe, namentlich ihre herrlichen, tiefblauen Augen, die nur leider etwas kränklich und oft röthlich umfaßt waren. Sie war sanft, milde und sinnig, hatte unendlich zartes und inniges Gefühl, hingebende Pflichttreue, das zärtlichste Mutterherz, ahnungsvolles Verständniß für Großes und Schönes, besondere Vorliebe für Uz und Gellert, eine seltene Gabe anregsamer Mittheilung und Erklärung aus den Gebieten der Natur und der biblischen Geschichten, Geschicklichkeit im Spiel der Harfe und Geschick, dann und wann ein einfaches, anspruchsloses, aber formschön gebautes Lied zu dichten, wie das folgende beweisen mag:

„O hätt’ ich doch im Thal Vergißmeinnicht gefunden
Und Rosen nebenbei! Dann hätt’ ich Dir gewunden
Im Blüthenduft den Kranz zu diesem neuen Jahr,
Der schöner noch als der am Hochzeitstage war.
Ich höre traun, daß itzt der kalte Nord regieret,
Und jedes Blümchens Keim in kalter Erde frieret!
Doch eines frieret nicht, es ist mein liebend Herz,
Dein ist es, theilt mit Dir die Freude und den Schmerz.“

Dieses innige Liedchen möge zugleich die Liebe andeuten, womit sie ihrem Mann ergeben war, womit sie ihm treu und wacker anhing durch alle Drangsale und Stürme ihres wechselvollen Lebens. – Acht Jahre ohne Kinder, manches Jahr von ihrem Manne getrennt, war sie viel auf sich, und bei ihrer ohnehin beschaulichen Natur, auf innere Betrachtung angewiesen; da konnten denn alle jene genannten stillen Eigenschaften sich um so innerlicher entwickeln; da konnte sie dieselben um so ungestörter auf die ersten vier bis sechs Jahre ihrer ersten Kinder übertragen. Aber auch später, als der Vater dauernd zurückgekehrt war, und sich mit wissenschaftlichen Studien beschäftigte, waren die Kinder mehr der Mutter als dem Vater zugewiesen; flüchteten vor dessen Strenge auch immer hin zur versöhnenden sanften Mutter, beichteten ihr, wenn sie etwas Unrechtes gethan hatten, und konnten vor ihrem tiefen, milden Auge nie lügen, was bei dem Vater oft recht flott ging. – Als der kleine Sohn einst bei einem furchtbaren Gewitter auf einen Baum gestiegen war, „um zu sehen, woher das viele Feuer komme,“ und der geängstigte Vater derb strafen wollte, da verklärte sich der ahnungsvollen Mutter bleiches Gesicht zu hohem Glanze und sie schützte den Knaben. Sie schützte ihn auch, als er jetzt alle seine Taschen umgekehrt hatte, um, was darin sei, armen Reisenden zu schenken; als er dann ohne Schuhschnallen nach Hause kam, weil er dieselben einem armen Knaben geschenkt hatte. Sie nahm ihn mit aus allen Gängen in’s Freie, erzählte ihm Sagen, Mährchen, sprach ihm Gedichte vor, machte ihn aufmerksam auf Schönheiten der Natur und erzählte ihm einst die Geschichte von den Jüngern, die nach Emaus gingen und den Herrn suchten, mit solcher Wirksamkeit, daß dem Knaben die hellen Thränen aus den Augen stürzten.

Ihr auch vertraute der Sohn die Absicht seiner Flucht an, und sie verstand ihn, segnete ihn unter krampfhaftestem Schluchzen und kämpfte einen tiefen, schmerzlichen Kampf mit dem Gefühle, ihrem geliebten Manne solch wichtiges Geheimniß verschweigen zu müssen. Die Mutterliebe aber siegte; sie schwieg, stark und heiter.

Im Jahre 1784 sah sie allein den Sohn zum ersten Male wieder, in Bretten, gleich über der Landesgränze; hierher eilte heimlich der Sohn, um die geweihte Stirn den ersten Lorbeerkranz, den für „Kabale und Liebe“ das Vaterland ihm schon gewunden hatte. Im Jahre 1792 besuchte sie mit ihrer Tochter Louise den ebenso gefeierten als zärtlich sehnsüchtigen Sohn in Jena. Ein Jahr darauf kam derselbe mit der in Hoffnung gehenden Frau zu den Aeltern, und hier legte er am 14. September sein erstes Kind in die Arme der überglücklichen Großmutter.

Bis zum Tode ihres Mannes war sie dessen treueste, ausdauerndste Pflegerin. Nach dessen Auflösung schrieb Schiller der Schwester: „Alles, was zu einem gemächlichen Leben gehört, muß der Mutter werden, und es ist hinfort meine Sache, daß keine [514] Sorge sie drückt. Nach so vielen Sorgen muß der Abend ihres Lebens heiter sein.“ Er macht dann Pläne mancher Art dazu; die Mutter aber will ruhig bleiben, wo der Vater gestorben ist. Nach einiger Zeit heirathet die gute Tochter Louise den vortrefflichen Prediger Franke, und mit dieser Theuren zog dann die Mutter unseres Dichters nach Cleversulzbach, wo sie bald darauf starb, und zwar an demselben Tage, wo ihr großer Sohn seine neue Wohnung in Weimar bezog.

Auch hier wollen wir des Dichters Worte anführen, die er der Entschlafenen nachrief; zuerst in einem Brief an seine Schwester in Meiningen: „So sind nun beide liebende Aeltern entschlafen und dieses älteste Band, das uns an’s Leben fesselte, ist zerrissen! Es macht mich sehr traurig, und ich fühle mich in der That verödet, ob ich gleich mich von geliebten und liebenden Wesen umgeben sehe. – – Möge der Himmel der theuern Abgeschiedenen Alles mit reichen Zinsen vergelten, was sie im Leben gelitten und für die Ihrigen gethan! Wahrlich, sie verdiente, liebende und dankbare Kinder zu haben, denn sie war selbst eine gute Tochter für ihre leidenden Aeltern.“ Früher, an anderer Stelle, sprach Schiller also von seiner Mutter: „Meine Mutter liebte mich sehr und hat viel um mich gelitten. Sie war eine verständige, gute Frau, und ihre Güte, die auch gegen Menschen, die ihr nichts angingen, unerschöpflich war, hat ihr überall Liebe erworben. Mit einer stillen Resignation ertrug sie leidenvolles Schicksal und die Sorge um ihre Kinder kümmerte sie mehr als alles Andere.“ –

In dem Pfarrhause, wo diese edle Mutter unseres Dichters starb, wohnt jetzt ein anderer Dichter Schwabens; einer der vortrefflichsten und liebenswürdigsten der Gegenwart, Eduard Mörike. Mit seinem Gedicht:

„Auf das Grab von Schiller’s Mutter“

wollen wir unsere Betrachtung abschließen:

„Nach der Seite des Dorfs, wo jener alternde Zaun dort
Ländliche Gräber umschließt, wall’ ich in Einsamkeit oft.
Sieh den gesunkenen Hügel! Es kennen wenige Greise
Kaum ihn noch, und es ahnt Niemand ein Heiligthum hier.
Jegliche Zierde fehlt, und jedes deutende Zeichen;
Dürftig breitet ein Baum schützende Arme umher.
Wilde Rose, dich fand ich allein statt anderer Blumen.
Ja, beschäme mich nur! Brich als ein Wunder hervor!
Tausendblättrig öffne dein Herz! Entzünde dich herrlich
Am begeisternden Duft, den aus der Tiefe du ziehst!
– Eines Unsterblichen Mutter liegt hier bestattet; es richten
Deutschland Männer und Frau’n eben den Marmor ihm auf.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vehältnisse